Ersehnte Schreibarbeiten müssen leider entfallen, während Vorrangiges alle schriftliche Aufmerksamkeit gefangen hält. Daher hier nur ein Hinweis, den ein trotz gesundheitlicher Angeschlagenheit (gute Besserung!) noch quicklebendiger Leser einsandte,[1] um das Schlusswort aller oben geführten Diskussionen zu beanspruchen:
- Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach: Sahnetorten, Dissertationen und Politik. 3. Auflage, Sine Pecunia Dolet, [ohne Ort] [2012].
Von Eichenbach blickt zurück auf Leben und Leistungen, stets unterhaltsam und mit tiefem Verständnis für allerlei Phänomene zeitgenössischen Habitus. Wer das vorstehende Wort nicht für eine Falschschreibung hielt, sondern spontan mit langem U sich dachte, wird auch den Kairos nicht verstreichen lassen, der ihm in Eichenbachs Erinnerungen und Reflexionen sich darbietet.
Ob man die pseudonyme Form der Bekenntnisse anerkennen solle, ist zu fragen. Funktional nicht dem Grundrecht auf Anonymität im Internet verbunden, handelt es sich hier um ein Spiel von Verweisen. Dabei soll es bleiben. So lässt sich etwa verweisen auf Einsichten, die der hochgerühmte Jurist, Rechtshistoriker und -theoretiker Dieter Simon bereits vor der Jahrtausendwende formulierte:
„Versuchsweise sollten wir die Fälschungs-Skandale neugierig und gelassen unter diesem Gesichtspunkt, d. h.: nicht als systemfremden Skandal, sondern als evolutionären Risikofaktor, verorten. Sie verlieren dann viel von ihrem Schrecken.“[2]
————————————————————
Brief einer Unbekannten an Herrn v. Eichenbach
Sehr geehrter Herr von Eichenbach,
noch nie habe ich einen Brief an einen bedeutenden Mann geschrieben. Ich kenne Sie nur aus den Medien und konnte Sie noch nicht persönlich sehen. Wenn ich Ihnen schreibe, dann nicht, um Sie mit Allbekanntem und x-mal Gesagtem zu langweilen.
Vielleicht haben Sie gehört, dass ein Film über Ihr bewegtes Leben gedreht werden soll: Sie wachsen heran, eingebettet in einen für mich unvorstellbaren Reichtum, fertigen im Sandkasten Stöckchenzeichnungen an, um den Spielkameraden Ihre Pläne für die Zukunft zu veranschaulichen, üben Klavier am geöffneten Fenster und mit Blick in den Gutspark. An der Festtafel spricht Ihr Vater von erhabenen Traditionen und seinen Leistungen. Man erlebt die Zeit Ihrer ersten Verliebtheit und Ihres Studiums der Rechtswissenschaft, die Danksagung der Professoren in Ihrem Schloss für großzügig gewährte Zuwendungen, empfindet, als sei man selbst Herr von Eichenbach, Ihren unverrückbaren Entschluss, zusätzlich zu Ihrer ausgreifenden Vereinsarbeit zu promovieren, Ihre Anstrengungen, diese Danaidenarbeit bei Kindergeschrei um jeden Preis zum Abschluss zu bringen. Es wird ein unbeschreiblich erhebendes Gefühl für mich sein, auf der Leinwand Ihren Aufstieg in höchste Positionen zu sehen, an Ihrer Seite Ihre bezaubernde und mutige Frau. Doch dann – Sie sind gerade auf Auslandstournee – der Anfang vom Ende, eine krude SMS von Ihrer Großtante, der Beginn des schwärzesten Kapitels Ihrer Biografie.
Wir setzen uns hier in meiner Familie oft zusammen und beraten darüber, wie wir Ihnen hätten helfen können. Für uns sind Sie bis heute der einzige Politiker mit Format. Ihre Arbeit war stets tadellos – und wir zählen Ihre Doktorarbeit ausdrücklich dazu, auch wenn Sie uns entgegnen werden, das sei alles ausgemachter Schwachsinn. Es ist ein Skandal, dass man Sie auf so heuchlerische Weise gezwungen hat, sich abzuhalftern. Nie wäre man Ihnen anders beigekommen! Wir hier werden stets im Gedächtnis behalten, was geschehen ist, und wünschen Ihnen die Kraft zur Wiederkehr.
Mit herzlichen Grüßen von Ihrer (…)
Aus einem Liebesbrief Herrn Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbachs an seine Gattin:
(…) Jedenfalls ist für mich das Internet mit seinem Elefantengedächtnis ein Segen, denn ich kann, ganz gleich, wo ich meinen Aufenthalt nehme, und auch noch dereinst nach meiner Rückkehr in die Politik die Beiträge dieser Zukurzgekommenen über meine Person nachlesen und auswerten. Doch es wäre so unendlich viel, dass ich wohl trotz Aufbietung all meiner Kräfte abermals unter der Last der Aufgabenfülle zusammenbrechen würde. Wie viel kann ein Mensch ertragen? In der vergangenen Nacht hörte ich im Traum meinen Vater zu mir sprechen: „Du hast versagt!“
Ich weiß, dass Du mich getröstet hättest mit Worten wie: „Theo, beruhige Dich. Die Menschen lieben Dich, das musst Du immer wissen. Ich liebe Dich.“
(August 2012)
Lieber Vater,
entschuldige bitte, dass ich aus Zeitgründen erst heute dazu gekommen bin, das Antwortschreiben zu einem Brief zu vollenden, den Du mir vor ziemlich genau acht Jahren geschrieben hast. Du warst damals voller Sorge ob meines Gesundheitszustandes, von dessen Verschlechterung Du wegen der erheblichen Zunahme meiner gesellschaftlichen und privaten Obliegenheiten ausgehen musstest. Es war die Zeit, in der ich anfing, nach anstrengendem Tagewerk die Nächte durchzuarbeiten. Du stecktest in einer tiefen Krise, Deine Aufführungen und Vortragsreihen kamen Dir wie schales Bier vor.
Unter Deinem Einfluss setzte ich mir zum Ziel, dass jede Arbeit, die ich beginnen würde, höchsten Ansprüchen genügen sollte. Lange orientierte ich mich an einer Deiner aufwändigen Laubsägearbeiten, einem Zeugnis Deiner strengen Normen für Verrichtungen selbst in der Freizeit. Gelegentlich eines Besuches bei mir bemerkte Guntram, der sich einen neuen Stoß meiner juristischen Ausarbeitungen abholen kam, dass er über weite Strecken sehr deutlich auch seine Vorbildwirkung für mich erkennen würde, er mich mithin auf dem richtigen Wege sehe. Im gleichen Maße allerdings, in welchem meine getreu Euren Maßstäben komponierte Abhandlung anwuchs und sich dem Stadium einer Habilitationsschrift näherte, entstand für mich, einen im Kern asketischen Menschen, die Notwendigkeit, hart und durchaus rebellisch gegenzusteuern: Einzig die Essenz sollte ein Bleiberecht erhalten; dem Vorwurf der künftigen Leserschaft, tonnenweise Verschnitt aufgetischt zu bekommen, wollte ich unbedingt vorbeugen. Hunderte eng beschriebener Seiten entfielen gänzlich, ich verzichtete auf den größten Teil der Anmerkungen und Literaturangaben, rigoros strich ich meine eigenen Ausführungen auf ein Minimum zusammen. Trotz der meines Erachtens vollzutreffenden Würdigung meiner Leistung durch die Universität ging das Ganze schließlich gründlich schief. Über Nacht galten die Expertisen gestandener Professoren nichts mehr. Analysiert man unvoreingenommen jenen Lebensabschnitt, wird erkennbar, was für ein besonders bitterer Hohn darin lag, dass meine Absage an den akademischen Bombast mitursächlich für meinen Niedergang war.
Mittlerweile geht es mir insgesamt wieder ganz ausgezeichnet, und ich werde Dir nächstens gern über meine neuen Projekte berichten. Meine moralischen Maximen und die Prinzipien meines Denkens, dies sei Dir abschließend mitgeteilt, haben alle Unbilden schadlos überstanden und dürfen als ausgehärtet gelten.
Dein Sohn Theo
Ideen für den Eichenbach’schen Gutspark
Bei phantastischem Spätsommerwetter empfing ich meine Gäste am Pyramidensee. Nach einer vergnüglichen Bootsfahrt nahmen wir auf der Terrasse des Fährhauses einen Imbiss ein. Für die musikalische Untermalung sorgte ein Streichquartett. Ich tat einige Schritte am Ufer und vergegenwärtigte mir bei der Betrachtung der Pyramide die Klagen eines Bekannten, der ein Wassergrundstück bewirtschaftet und dem man winters, zur Nachtzeit, den Geräteschuppen aufgebrochen hatte, um dann das Diebesgut über das Eis und auf Nimmerwiedersehen fortzuschaffen. Um so etwas auf meiner Besitzung zu verhindern, war vorderhand eine Entscheidung zur Frage erforderlich, welche Ausmaße eine Einbruchmeldeanlage und ein unterirdisches Gangsystem für die Pyramide aufweisen müssten; ich nahm meinen Notizblock und brachte meine ersten Vorstellungen zu Papier. Schloss und Dorfkrug bezog ich in die Konzeption ein, kam aber mit den Zeichnungen nicht sonderlich weit, denn ich wurde von Herrn Dr. Hühn angesprochen, einem angejahrten Junggesellen, mit dem ich bislang nie etwas zu tun hatte. Er wollte die letzten Jahre Archivarbeit für Herrn Prof. Stähnke geleistet haben und vertrat ihn nun bei meiner kleinen Feier am See. Herr Dr. Hühn lobte unterwürfig meinen Enthusiasmus für den Parkerhalt, stellte – übrigens sehr zutreffend – fest, dass die letzte Arrondierung nicht ganz billig gewesen sein kann, fand die neueren Gartenbereiche gelungen, namentlich die sog. „Insel der Studentinnen“, und schickte sich nach einigem Herumdrucksen an, mir seine Ideen für eine seines Erachtens längst fällige neue Gartenpartie vorzutragen, deren Herzstück ein Gebäude mit einer Folge von Kabinetten sein sollte. Eines der Kabinette dachte er sich mit einem zentralen Schreibtisch, ringsum blanke Harnische, darüber Wandgemälde, die Anekdoten aus meiner Kindheit, Jugend und meinen Mannesjahren darstellen; an prominenter Stelle des Bildprogramms sähe man mich beim Schein einer Leselampe arbeiten, links und rechts stapelweise Bücher und Zeitungsbündel, dahinter in einer Fensternische eine Eule, ein anderes Fresko würde meinen wöchentlichen Rapport gegenüber meinem Vater zum Gegenstand haben, weitere Bildfelder zeigten mich als erfolgreichen Mitarbeiter einer Kanzlei und als Redner z.B. im Anglerheim, an der Front oder zu hohen runden Geburtstagen verdienter Gemeindemitglieder. Ferner erblickte man Szenen aus dem glücklichen Leben der von mir gegründeten Familie. Beim Umherschauen, so der Plan Dr. Hühns, erlischt plötzlich das Licht; der Besucher muss sich vortasten bis zum folgenden, mit Glasfasertapete versehenen Raum, in dem unter einer Abhangdecke mit Rasterleuchten ein Bürostuhl bereitsteht und an einem breiten Tisch eine Kommission aus unbekleideten Wachsfiguren installiert ist, die den Besucher vorwurfsvoll ansehen, als verlangten sie von ihm eine sofortige Erklärung.
Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach
.
Lange habe ich mich gefragt, ob hier der passende Ort und die Zeit schon reif ist, die Trauerrede für meinen geschätzten Lehrer und Freund Hans A. Seemüller zu publizieren. Ihr Charakter kann nur ein vorläufiger sein, denn noch weilt Hans unter uns, und wer will dafür bürgen, dass er Wort hält, jenseits seiner Ehe enthaltsam zu leben? Womöglich hat er noch Querschläger von ganz anderem Kaliber geladen. Merna jedenfalls hat ein ungutes Gefühl bei den Beteuerungen ihres Mannes, zumal sie ihre Attraktivität zunehmend vom Zahn der Zeit angefressen sieht. Mernas Wunsch gab schließlich den Ausschlag, zur Veröffentlichung zu schreiten, daher also hier der jüngste Entwurf zur Trauerrede anlässlich des dereinstigen Todes von Hans Alois Seemüller:
Liebe Merna, liebe Trauergäste,
jemand sagte mir einmal: „Irgendwann stirbt jeder.“ Diese Binsenwahrheit wird uns heute, in dieser Stunde, mehr oder weniger unangenehm bewusst. Als Merna mich fragte, ob ich die Trauerrede halten würde, zögerte ich zunächst, denn ich hatte die Sorge, aufgrund meiner Freundschaft mit meinem Lehrer Hans Seemüller zu dessen Verherrlichung zu neigen. Sicher, durch eine Apotheose würde ich den anerkannten Regeln der Trauerredekunst genügen, doch was würdest Du, teurer Hans, dazu meinen, wenn ich Deiner in letztlich nichtssagender Weise gedächte, als hättest Du im Stil eines überflüssigen Beamten auf irgendeiner Behörde herumgesessen und Deine Lebenszeit verdöst?
Wie verlief nun das Leben von Hans? Geboren als Sohn eines Bergarbeiters und einer Näherin, wuchs Hans Alois Seemüller in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Hinterhauswohnung auf. Nach dem Besuch der Knabenschule schlug er die Beamtenlaufbahn ein. Um das Jahr meiner Geburt trat er in den „Verein für christliche Geschäftsprinzipien“ ein, in dem er schnell Karriere machte. Von den Auszeichnungen, mit denen er überhäuft wurde, möchte ich nur nennen: Die Hans im Jahre 1988 verliehene „Ehrennadel des Rassegeflügelzuchtverbandes“ und seine Ehrenprofessuren. Hansens Ableben beweist uns eindrücklich, dass die Haltbarkeitsdauer weltlicher Auszeichnungen kurz bemessen ist. Nicht jedermanns Sache war es zu erleben, wie Hans, der Merna ewige Treue geschworen hatte, bei einer Tagung das Podium betrat und, vermutlich angeregt durch seine Aufenthalte in Sex-Kinos und die Bibelworte von der Mehrung der Menschenzahl, lautstark damit prahlte, endlich auch außerehelich Vater zu werden. Doch wer will hier richten? Den Stab brechen über einen Menschen? Ja, auch Hans war ein Mensch von Fleisch und Blut und vertat sich mehr als ein Mal. Wer erinnert sich bei diesen Worten nicht an Hans, der volltrunken in einer Schneewehe schlief und den ich in eine Schubkarre lud, um ihn nach Hause zu fahren? Einige von Ihnen, liebe Trauergäste, müssen jetzt schmunzeln; Sie waren damals dabei, als Hans den Stammtisch verließ und lallte, er schaffe es allein zurück.
Dein vertrautes Lächeln, liebe Merna, erleichtert mir den Schluss meiner Rede ungemein. Außerdem rennt die Zeit, und die Sargträger scheinen mir heute ganz besonders ungeduldig zu sein. Nur noch eins: Wenn wir nachher, lieber Hans, beim Leichenschmaus von Herzen lachen, werden wir sicher sein, dass Du Dir genau das gewünscht hättest.
Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach (August 2012)
Dass ein von Eichenbach eine so herzerwärmende Rede auf einen Subalternen hält, beweist für alle, die fähig sind zu sehen, wie wir in unserer heimatlichen Bevölkerungsgemeinschaft die soziale Gerechtigkeit über alle Standesschranken hinaus verwirklicht haben. Die Rede hat mich ebenso zu Tränen gerührt wie die weisen Worte von Johanna Wanka, der niedersächsischen Wissenschaftsministerin, übrigens aus einer bäuerlichen Familie stammend und in der sogenannten DDR aufgewachsen, wo sie nun wirklich die Nivellierungspropaganda mit der sozialistischen Muttermilch eingetrichtert bekam. Die einzigen Banken, die dort funktionierten, waren ja bekanntlich Muttermilchbanken.
Aber ich schweife ab, vor Rührung und sozialer Ergriffenheit. Wissenschaftsministerin Wanka nämlich kommentierte den neuesten OECD-Bildungsbericht, der besagte, dass in Deutschland die bildungsökonomische Aufwärtsmobilität nur halb so hoch sei wie im OECD-Durchschnitt, die Abwärtsmobilität hingegen doppelt so hoch: Natürlich gebe es hier wenig Aufwärtsmobilität, weil alle schon oben seien. „In Deutschland ist der Anteil mit Eltern mit einem niedrigen Bildungsabschluss viel, viel geringer. Der ist bei 17 Prozent. Das heißt also: Auch die Steigerungsmöglichkeiten sind da natürlich, weil viele einen höheren Abschluss haben, ganz andere.“[1]
Leider, und das macht mich etwas betroffen, stehen wir gemeinsam im Zentrum eines gesellschaftlichen Kulturverfalls. Wenn ein Bergarbeitersohn nichts qualifizierteres werden kann als Hofbeamter, und wenn ein von Eichenbach den jahrhundertealten Traditionen des Mannesstammes seines Hauses zum Trotz von aufsässigen Funktionären seiner Bildungswürden beraubt werden kann, um fortan als exemplum formaler Abwärtsmobilität zu dienen, dann sehen wir den Bestand eines Kulturvolkes im Kern bedroht. Johanna Wanka immerhin hält die Bildungsfahne des Wissenschaftsstandortes aufrecht. Sie leistet die richtige Analyse zur richtigen Zeit, und das nach dem beeindruckenden Bildungsaufstieg von der Bauerntochter zur Professorin für Ingenieurmathematik und Rektorin ihrer Hochschule. Eine solche Biographie hat nur unser leistungsorientiertes Gesellschafts- und Bildungssystem möglich gemacht, mit dem wir ganz vorne stehen. Und dafür ist neben Johanna Wanka und Hans A. Seemüller, Gott hab ihn rasch selig, natürlich niemandem mehr zu danken als dem Mannesstamm der von Eichenbachs. Sie leben hoch!
Als Vierzehnjähriger im Orchester
Am letzten Wochenende habe ich den Entschluss gefasst, erste Vorbereitungen für die Niederschrift meiner Lebenserinnerungen zu treffen. Heute habe ich mit der Sondierung der Unterlagen aus meiner Kindheit und Jugend begonnen; bei der Durchsicht der Aktenordner fiel mir ein Tagebucheintrag in die Hände, der einen meiner Konzertauftritte im Alter von vierzehn Jahren dokumentiert. Noch bin ich unschlüssig, ob ich diese Notiz in meine Memoiren aufnehmen lasse. Andere Themen sind wichtiger, etwa die Widerlegung der möglichen Unterstellung, ich hätte meine Frau im Bordell kennengelernt. Dass Gedankengänge dieser Bauart möglich sind, bewies mir neulich meine Chefsekretärin, indem sie gestand, dass sie früher mal auf Anregung eines romantischen Films den Beruf der Prostituierten ergreifen und so ihre Karriere katalysieren wollte. Man könne das sogar in einem Poesiealbum nachlesen. Sei’s drum; heute möchte ich jedenfalls hier en passant die sog. „Hausmeister-Novelle“ wiedergeben:
„Weshalb muss ich außer Klavier auch noch Geige spielen lernen? Vater hat sie doch nicht mehr alle. Es kotzt mich an, bei den Tutti-Schweinen mitzufiedeln, erst recht nach dem letzten Konzert im Bürgerhaus. Ich hatte mich mit der Uhrzeit vertan und war zu früh da. Zum Glück bin ich nicht zu spät gekommen. Im Saal war ein Typ in Arbeitssachen damit beschäftigt, die Stühle zurechtzurücken und Kunstblumen auf die Tische zu stellen. Er sah mich mit meinem Geigenkasten herumstehen und meinte, dass noch genügend Zeit für ein Bierchen wäre. Dabei hatte ich doch noch nie in meinem Leben ein Bier getrunken. Er sagte, ich soll mich nicht so zieren, und holte ‚uns Männern‘ vom Tresen zwei große Gläser Bier. Im Konzert dann fielen mir irgendwie die Notenblätter runter. Sie segelten vor in Richtung Dirigent, der mich schon vorher immer wieder böse angesehen hatte und mich sowieso noch nie leiden konnte. Ich habe mich zum absoluten Bleppo gemacht, weil ich vor den ganzen Leuten völlig sinnlos dagesessen habe und nicht wusste, wo ich hingucken sollte.“
Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach
Pingback: Aus der Privatkorrespondenz: von Eichenbach trifft Seemüller – ganz persönlich | Erbloggtes
K.F. Kossak*: Gedächtnisprotokoll/ Registratur Prot. III, E./ Ko. 568-2
Investiert Herr Eichenbach in das Tuning seiner Kraftfahrzeuge, dann weniger zum Vergnügen, sondern vielmehr, weil er die Strecke zwischen Schloss und Meer in weniger als einer Stunde bemeistern möchte. Ähnlich leistungsorientiert muss er zu Werke gegangen sein, um seinen Doktor zu machen. Das gesteckte Ziel vor Augen, kannte er kein Pardon, am wenigsten mit sich selbst. Er beklagte die Kürze der Tage und dehnte seine Arbeit bis weit nach Mitternacht aus. Wenn ihm eine neue Kanne Schwarztee an den Schreibtisch gebracht wurde, deutete er nur kurz ein Nicken an, ohne von seinen Manuskripten aufzuschauen. Ich chauffierte ihn zu Bibliotheken, zu Wissenschaftlern, deren Rat und Urteil er hören, zu seinen Stadtwohnungen, wo er ganz ungestört sein wollte, und immer wieder, manchmal mehrmals in der Woche, ging es wegen seiner Auslandstermine zum Flughafen. Sah der Dienstplan vor, dass ich ihn von dort abholen sollte, polierte ich den Wagen außer der Reihe und startete überpünktlich. Im Verlauf einer gemeinsamen Nachtfahrt nach Hause erkundigte sich Herr Eichenbach nach meiner Frau, der er unlängst eine Festanstellung in der Gärtnerei vermittelt hatte, und er wollte wissen, in welcher Verfassung sich mein Schwiegervater nach seinem letzten Schlaganfall befinde und ob sich die Berufswünsche meiner Söhne verändert hätten; auf einmal wurde er sehr ernst; er sehe voraus, dass es, obwohl noch nichts darauf hinweise, an nachhaltigem Respekt für die Würde seines Forschungsgegenstandes, für die Würde der Stähnke-Schule überhaupt mangeln werde und die Folgen schwer abschätzbar wären. Ich versicherte ihm, die gesamte Belegschaft des Schlosses sei in ihrer Treue zur Herrschaft unbeirrbar, und auch auf die meisten Gemeindemitglieder könne er sich verlassen bis ganz zum Schluss. „Das weiß ich, mein lieber Kossak“, entgegnete er, „und ich danke Ihnen, doch werden all die anderen ebenso widerstandsfähig sein?“ Wir beide kannten die Antwort und atmeten erst wieder freier, als wir, vor uns der illuminierte Schlossbereich, die Serpentinen hinauffuhren.
* Karl Friedrich Kossak ist Kraftfahrer im Hause Eichenbach.
Pingback: Eichenbachs Erkenntnisse über Stähnkes Gutachten | Erbloggtes
Pingback: Eichenbachsche Lebensbilder | Erbloggtes
Pingback: Eine Sahnetorten-Rezension und die Reformpläne der Bayreuther Juristen | Erbloggtes