Wer hat das Schavan-Gutachten geleakt? Rekonstruktion der vergangenen Woche

Erstaunt es, dass dem Promotionsausschuss einer Fakultät von einer ganzen Reihe wissenschaftlicher Großsprecher Dilettantismus und niedere politische Motive nachgesagt werden? Ja, das erstaunt. Um so mehr, da die Lage der öffentlich bekannten Fakten derartige Schlussfolgerungen nicht zulässt. Offenbar muss den Zukunftsprognosen zum Fall Schavan noch eine Rekonstruktion der jüngeren Vergangenheit beigestellt werden:

Die Behauptung, nur ein einzelner Wissenschaftler habe Schavans Arbeit im Auftrag der Uni Düsseldorf begutachtet, ist laut Focus widerlegt.[1] Die Behauptung, das Gutachten sei an die Presse durchgestochen worden, bevor es der Betroffenen zugestellt worden sei, ist durch nichts gestützt.[2] Die Behauptung, es handele sich um eine „politische Aktion“, ist aus der Luft gegriffen. Wer würde so etwas tun?

Offensichtlich sind es Wissenschaftsgrößen, die solche Behauptungen öffentlich aufstellen und daraus normative Schlussfolgerungen – im Sinne Schavans – ziehen. Das Perfide daran ist, dass hier eine Schmierenkampagne gegen die Wissenschaft, konkret gegen das ordnungsgemäße Plagiatsprüfungsverfahren der Uni Düsseldorf, betrieben wird – und zwar von Wissenschaftlern selbst. Schavan und ihre politischen Freunde mögen die Parolen ausgegeben und die willigen Helfer mit Einwänden aufmunitioniert haben. Es sind aber hochrangige Wissenschaftler, sogenannte Spitzenforscher, die dem Ansehen der Wissenschaft hier einen Schaden zufügen, wie es weder Guttenbergs Plagiat noch die Plagiatssuche im Internet jemals hätten schaffen können.

Dazu erfolgt hier eine Rekonstruktion der Ereignisse unter der Leitfrage, wie es sein kann, dass ein Promotionsausschuss in der Öffentlichkeit so massiv unter Druck gesetzt wird, bei seiner Arbeit zu einem politisch genehmen Ergebnis zu kommen oder seine ureigensten Kompetenzen an Dritte abzugeben. Die Reihenfolge der Veröffentlichungen (und Auswahl der jeweils ersten Meldung eines Zusammenhangs) richtet sich nach Google News:

  • 10.10.2012, SpOn: Christoph Titz: Analyse von Schavans Doktorarbeit. Ministerin mit Sigmund-Freud-Schwäche: In schavanapologetischer Tendenz stellt Titz die Glaubwürdigkeit von Schavanplag (hanebüchen)[3] in Frage. Er weiß offensichtlich nicht, dass der Promotionsausschuss die Schavanplag-Diagnose im Wesentlichen bestätigt: „Erst wenn der Bericht der Uni bekannt ist, wird das wahre Ausmaß der Unstimmigkeiten in der 32 Jahre alten Promotionsschrift Schavans genauer erkennbar. Dann ist auch gesichert, dass sich Fachleute für Schavans Forschungsgebiet mit der Arbeit auseinandergesetzt haben.“
  • 11.10.2012, SpOn: Jan Fleischhauer: Stunde der Pedanten: Fleischhauer weiß offensichtlich ebenfalls nichts von dem Gutachten.
  • 14.10.2012, SpOn: Oliver Trenkamp: Plagiatsaffäre um Bildungsministerin. Uni-Prüfer wirft Schavan Täuschung vor: Am Sonntag kündigt SpOn den Spiegel-Artikel vom Montag an. Nichts spricht dafür, dass die Redaktion vor Freitag (12.10.) Kenntnis von dem Gutachten hatte. Schavan wusste seit Freitag von dem Gutachten, schreibt Trenkamp.
  • 15.10.2012, Der Spiegel: Brinkbäumer/Friedmann/Schmid/Verbeet: In Autopsie (nicht online): Der Spiegel-Artikel veröffentlicht die ersten Inhalte des Gutachtens. Das wird (fälschlich)[4] Rohrbacher allein zugeschrieben und ist auf den 27.09.2012 datiert. Explizit behauptet der Artikel, dass beim Schavan-Interview am 09.10. noch niemand von dem Gutachten wusste.
  • 16.10.2012, uni-duesseldorf.de: J.K.: Untersuchung Promotionsverfahren Prof. Dr. Annette Schavan: Die Uni Düsseldorf teilt mit, dass sie Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt habe. Sie sieht es jedoch nicht als gegeben an, dass „Teile einer Sachverhaltsermittlung, die im Zusammenhang mit der Überprüfung der Doktorarbeit von Prof. Dr. Annette Schavan erstellt worden ist, unter Bruch der Vertraulichkeit an die Öffentlichkeit gelangt sind“. Der Dekan habe Schavan am Freitag, 12.10.2012, das Gutachten übersandt.

Die falsche Zuschreibung des Gutachtens an Rohrbacher allein ist ein wichtiges Indiz. Sie lässt sich so erklären, dass das Gutachten von Rohrbacher unterzeichnet war oder dessen Briefkopf trug. Damit ist ziemlich wahrscheinlich, dass niemand aus dem Promotionsausschuss das Gutachten an den Spiegel weitergegeben hat. Sonst hätte derjenige ja hinzufügen können, dass es sich um ein vom ganzen Promotionsausschuss erarbeitetes Gutachten handelt. Der Dekan, der Schavan das Gutachten zusandte, hat diese Information wohl nicht weitergegeben.

Wenn das Gutachten seit dem 27. September fertiggestellt war, ist es unplausibel, anzunehmen, dass ein Whistleblower bis zum 12. Oktober abwartet, um es dem Spiegel zuzuspielen. Wenn das Gutachten aber erst am 12. Oktober an Schavan ging, ist es durchaus möglich, dass es aus ihrem Umfeld an den Spiegel weitergeleitet wurde. Dass das Gutachten aus Schavans Umfeld durchgestochen wurde, wird sich wohl trotz Strafanzeige nicht beweisen lassen, wenn nicht der Weg des Gutachtens nach Zustellung an Schavan weiterverfolgt wird. Das wird aber höchstwahrscheinlich nicht passieren. Daher lässt sich diese Möglichkeit nicht ausschließen, solange das Leaken auf Seiten der Uni Düsseldorf nicht belegt ist.

Wer auch immer behauptet, die Universität Düsseldorf habe Verfahrensfehler begangen, oder das Gutachten sei von dort an die Öffentlichkeit gelangt, begeht eine Vorverurteilung und Hexenjagd. Der Zweck ist offensichtlich der, einer Fakultät die Kompetenz abzusprechen, der Bildungsministerin den Doktorgrad zu entziehen. Es gibt bisher keine Indizien dafür, dass das Gutachten nicht aus Schavans Umfeld durchgestochen wurde. Wenn es aber aus Schavans Umfeld durchgestochen wurde, dann ist der Zirkus, der nun veranstaltet wird, symptomatisch für den skrupellosen Umgang einer Plagiatorin mit der Wissenschaft.

————————————————————

Werbung

18 Antworten zu “Wer hat das Schavan-Gutachten geleakt? Rekonstruktion der vergangenen Woche

  1. Schöner Artikel.

    Es gibt für mich eine unschlüssige Argumentation. Sie ist nicht weiter schwerwiegend, da die Schlussfolgerungen selbst davon nicht berührt ist.

    Ich meine die folgende Passage:

    ——–
    Damit ist ziemlich wahrscheinlich, dass niemand aus dem Promotionsausschuss das Gutachten an den Spiegel weitergegeben hat. Sonst hätte derjenige ja hinzufügen können, dass es sich um ein vom ganzen Promotionsausschuss erarbeitetes Gutachten handelt.
    ——

    Als Whistleblower habe ich üblicherweise kein Interesse, den Kreis der Verdächtigen unnötig einzuschränken. Wenn ich als Gutachter bei der Weitergabe des vertraulichen Dokuments Wert darauf lege, dass dieses Dokument die Arbeit des gesamten Ausschusses ist, dann enge ich den Personenkreis der Verdächtigen stark ein. So könnte es ebenso gut auch die Reinigungskraft gewesen sein, die zufällig eine Version des Dokuments im Sekretariat von Rohrbacher gefunden hat.

    Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, wenn Schavans Umfeld wichtig sein sollte, dass die Uni-Düsseldorf am Ende unglaubwürdig dasteht, dann wäre es natürlich besser, wenn man gleichzeitig alle Gutachter an den Pranger stellen könnte. Schavan, der die Prozesse in der Uni nicht fremd sind, wird selbst gewusst haben, dass das Gutachten zwar nur vom Dekan unterzeichnet wurde, aber vom gesamten Ausschuss erarbeitet wurde.

    Der entscheidende Punkt ist lediglich, dass das Gutachten ebenso auch aus dem Umfeld von Schavan stammen könnte, weil eine Diskreditierung der Glaubwürdigkeit des Gutachterausschusses ihr viel nützen würde. Es wäre gut, wenn Journalisten diesen Aspekt im Hinterkopf behalten würden, um sich nicht zu Handlangern einer Diffamierung der Uni-Düsseldorf machen zu lassen.

  2. Danke für die prima Aufarbeitung, Erbloggtes. Fehlt noch Ihre schlüssige Feststellung in einem vorigen Post, dass Kreise um Schavan sehr, sehr schnell das Gutachten erhalten haben, weil sie sich in der Presse darauf beziehen.

    Sie könnten auch noch etwas über die Motivlage spekulieren. Welche Vorteile könnte die Uni von einer Druchstecherei haben?
    Eigentlich spricht alles dagegen, dass es von dort kam:

    1. Cui bono? Die Uni kann durch einen Leak nur verlieren. Der Leak ist dagegen neben der Bagatellisierung die schlagkräftigste Strategie Schavans gegen den Inhalt des Gutachtens.

    2. Bei der Uni zeichnet sich seit Mai das Ergebnis des Gutachtens ab, nicht erst seit dem 27.9. Dass seither nichts durchgesickert ist, spricht für eine hochprofessionelle Handhabung durch den Ausschuß und seine Mitglieder.

    3. Allerdings (spekulativ): ein Grund dafür, dass die undichte Stelle an der Uni sitzt, könnte sein, dass ein Whistleblower dort unbedingt eine Unterschlagung des Gutachtens ähnlich wie im Falle Althusmann verhindern möchte. Er hätte dann aber den Fehler begangen, das Gutachten nicht tatsächlich im Internet öffentlich zu machen. Dass der Spiegel das Gutachten im Wortlaut veröffentlicht, ist ja nicht anzunehmen.

    Die Frage wird zunehmend interessant: warum wurde das Gutachten erst nach Bekanntgabe an Schavan geleaked / veröffentlicht?

  3. Ja, almasala, in der Tat hängt die Passage von unseren Annahmen über den Vorgang des Whistleblowings ab. Ich habe andernorts die Möglichkeit berücksichtigt, dass ein Verwaltungsmitarbeiter [und das gilt fast ebenso für die Reinigungskraft] das Gutachten geleakt haben könnte. Das ist eine weitere Möglichkeit, dass das Leak nicht vom Ausschuss ausgeht (wie ich in der Passage schreibe).
    Offenbar wussten Schavan & Co. nicht, dass das das Gutachten vom ganzen Ausschuss erstellt wurde. Der Spiegel wusste das ebenfalls nicht. (Viele Journalisten wissen das bis zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht. Vielleicht stimmt es nicht einmal, sondern der Focus hat das erfunden. Das finde ich aber unwahrscheinlich.)
    Stellen wir uns einen Whistleblower aus dem PromA vor: Wenn er an den Spiegel schriebe: „hiermit sende ich Ihnen das Schavan-Gutachten zu“, dann müsste der Spiegel und jeder andere Empfänger denken, dass das Gutachten, das von Rohrbacher gezeichnet wurde, von diesem stammt. Man könnte auch (indizienfrei) annehmen, dass er es (ursprünglich) geleakt haben müsse, wogegen einiges spricht.
    Wenn ein vorgestellter Whistleblower aus dem PromA aber schreibt „hiermit sende ich Ihnen das Schavan-Gutachten zu, das der PromA erstellt hat und in seiner nächsten Sitzung beschließen wird“, dann weiß der Spiegel in der Tat, dass das Gutachten aus über den PromA wohlinformierten Kreisen stammt, also wahrscheinlich aus dem PromA selbst. Auch eine derartige Rückfrage des Spiegels an den Informanten wäre denkbar, wenn der Informant PromA-Kenner ist.
    Ich gebe zu, dass wir nicht schlussfolgern dürfen, dass das Gutachten keinesfalls aus dem PromA geleakt wurde. Aber dass die Möglichkeiten, die bei einem PromA-Leak bestanden hätten, alle empirisch nicht eingetreten sind, macht es wahrscheinlicher, dass es sich nicht um ein PromA-Leak handelt.
    Sie sagen richtig: „Der entscheidende Punkt ist lediglich, dass das Gutachten ebenso auch aus dem Umfeld von Schavan stammen könnte“. Und zwar aus Gründen.

    Plaqueiator, ich bin in der Tat fest davon überzeugt, dass Schavan das Gutachten weitergegeben hat und darauf manche Pro-Schavan-Stellungnahmen basieren. Dass das Gutachten ausschließlich aus Schavans Umfeld geleakt wurde, lässt sich daraus leider ebenfalls nicht ableiten.
    Aber in der Tat: Wäre ich PromA-Mitglied, hätte ich das Gutachten auf Pastebin hochgeladen (wegen der Unter-den-Teppich-kehr-Gefahr). Und zwar im Volltext, weil ich davon ausgehe, dass PromA-Mitglieder den Text vorliegen haben. Falls das Gutachten aber nur in Papierform oder als Scan geleakt wurde, spricht das wiederum nicht für einen Leak aus dem PromA. Dass das Gutachten in Papierform oder als Scan geleakt wurde, dafür würde sprechen, wenn es die Unterschrift Rohrbachers trägt (was allerdings auch nicht sicher ist).

  4. RP-Online schreibt: „Formal befasst sich der Promotionsausschuss an diesem Mittwoch mit dem Gutachten des Prodekans Stefan Rohrbacher. Dieser hatte zur Vorbereitung der Sitzung sein brisantes Gutachten in der vergangenen Woche nach Informationen unserer Redaktion an die Mitglieder des Promotionsausschusses und deren Stellvertreter geschickt. Damit hatten offenbar mindestens 14 Menschen Zugriff auf das Schriftstück. Am Samstag berichtete dann der ‚Spiegel‘ darüber.“[1]
    Samstag ist meines Wissens falsch. Aber bis Samstag hatten zusätzlich zu „14 Menschen“ (PromA-Mitglieder und -Stellvertreter) mit Sicherheit auch Schavan und ihr Umfeld „Zugriff auf das Schriftstück“.

    Die SPD-Bundestagsfraktion lässt derweil ausrichten: „Zählt die Autonomie einer Hochschule nur, solange nicht die wissenschaftliche Arbeit einer Bundesministerin und die Regierungsmacht einer Bundesregierung berührt werden?“[2] Ausnahmsweise hat auch mal jemand aus der SPD das System verstanden.

  5. Hmm. Im Spiegel-Print (42/2012, S. 20) steht zur Zeitschiene folgendes:

    „Am Freitagabend kannte sie, wie ihr Sprecher sagte, das Düsseldorfer Gutachten noch nicht. Mit dessen Fazit konfrontiert, ließ sie mitteilen: „Die erhobenen Vorwürfe treffen mich tief und schmerzen mich sehr; soweit die Fakultät mir Gelegenheit dazu gibt, werde ich nach sorgfältiger Prüfung dazu Stellung nehmen.“

    Wenn wir dies aussagelogisch ernst nehmen, bleibt nur, dass die Anfrage des Spiegel nach Freitagabend erfolgt ist, damit die Aussage des Sprechers, „bis Freitag Abend“ hätten sie nichts gewußt, Sinn macht. Offenbar war zum Zeitpunkt der Spiegel-Anfrage auch ein poliertes Statement fertig.

    Jedenfalls wußte Schavan zum Zeitpunkt der Anfrage vom Gutachten, sonst wäre die Aussage so nicht plausibel. Und damit bleibt sie verdächtig, solange nicht zusätzliche Infos von der Uni zur Versendeart oder vom Spiegel zum Zeitpunkt des Erhalts vorliegen.

  6. Zweifellos.
    Ich habe allerdings den zitierten Abschnitt wie folgt interpretiert: Am Freitagabend wurde Schavan vom Spiegel mit dem Fazit des Gutachtens konfrontiert. Sie sagte, sie kenne das Gutachten noch nicht, aber: Die erhobenen Vorwürfe treffen mich tief usw.
    Ich würde also Freitagabend als spätestmöglichen Zeitpunkt, an dem Schavan definitiv von dem Gutachten und seinem Fazit erfahren hat, annehmen.

  7. Vielleicht ist es so gemeint, Erbloggtes, aber das ist nicht die Aussage. Die Formulierung hätte in diesem Fall eine andere sein müssen. Durch den Einschub „WIE ihr Sprecher sagte“ wird diesem der Zeitbezug zugeschrieben. Es heißt nicht: „wie ihr Sprecher am Freitag Abend sagte“.
    Sie haben natürlich recht, dass man leider immer mit unscharfen Aussagen in den heutigen Presseerzeugnissen rechnen muß.

    Jedenfalls ist meine Deutung syntaktisch korrekter, und logischer sowieso. Stellen Sie sich das Setting vor am Freitag Abend: Der Spiegel überrascht den Sprecher mit dem Gutachten. Und der gibt ein wohlvorbereitetes Statement ab, ohne das Gutachten zu kennen? Würden Sie das tun? Also, ich würde in so einem Fall sofort „kein Kommentar“ sagen und mir erstmal das Gutachten besorgen. Neenee. das Interview war tags darauf, und Schavan wußte bescheid.

  8. Was, wenn der Spiegel am Freitagabend anruft/mailt: „Was sagt denn die Frau Schavan zu dem Gutachten der Uni DD?“ Und der Sprecher am Samstag mitteilt: „Sie ist überrascht, da sie das Gutachten noch nicht kannte, und sagt: ‚Die erhobenen Vorwürfe …'“

    Nun ja. Es steht fest, dass Schavan nicht aus den Medien von dem Gutachten erfuhr. Und das ist entscheidend, da die Apologeten und Uni-Verächter folgende Behauptung verbreiten:
    „Es sei ’skandalös‘, dass die Öffentlichkeit vor der Betroffenen von den Vorwürfen erfahren habe, sagte Schwarz [von der Humboldt-Stiftung]. Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Matthias Kleiner, und der Chef der Helmholtz-Gemeinschaft, Jürgen Mlynek, reagierten mit ähnlich kritischen Worten.“[1]
    Und in der Tagesschau, 17.10.2012, 12:00 Uhr, sagt die Korrespondentin Pia Bierschbach: „Sie [Schavan] hat sich das Gutachten kommen lassen“, was genau in diese suggestive Richtung führt, die Universität hätte Schavan nicht informieren wollen, ihr das Gutachten erst auf Anfrage geschickt.

    Wenn man sowas sieht, muss man sagen: Es ist allzu leicht, die Medien zu steuern, indem man ihnen kleine Details falsch verkauft, was der Story einen anderen Dreh gibt.

  9. Hier gibt es eine neue Variante zum Zustellungszeitpunkt des Gutachtens an Frau Schavan: „Nachdem der Spiegel […] die Ministerin mit den Vorwürfen Ende vergangener Woche konfrontiert hatte, rief sie empört bei Piper an. Er sei entsetzt gewesen und habe sofort veranlasst, dass ein Bote das Gutachten der Ministerin zustelle“, so der Uni-Rektor DD.
    http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/plagiatsaffaere-von-annette-schavan-uni-duesseldorf-prueft-a-861866.html

  10. Hier eine Variante zum Zustellungszeitpunkt von Rektor Piper laut Welt Online:
    http://www.welt.de/politik/deutschland/article109954743/Durch-Verrat-wurde-aus-Plagiatsuche-ein-Politskandal.html

    ZITAT:
    Piper berichtet, wie ihn die Bundeswissenschaftsministerin am vergangenen Freitagmorgen gegen 10 Uhr persönlich anruft und ihm „empört“ berichtet, dass ein Journalist vom „Spiegel“-Magazin sie mit Einzelheiten der Stellungnahme konfrontiert habe. Piper selbst kennt die Stellungnahme bis dato nicht. Nach Rücksprache mit dem Dekan wird aus „Geboten der Fairness im Umgang miteinander“ eine Vorabversion der Stellungnahme am selben Tag per Boten an Schavans Privatadresse zugestellt.

  11. Vielen Dank für die Hinweise!
    Die oben geschilderte Theorie ist mit den neuen Angaben leider nicht in Einklang zu bringen. Tagesschau-Korrespondentin Pia Bierschbach hatte demnach doch Recht (die Spitzenforscher aber noch weniger als bei vorheriger Informationslage).
    Woran liegt das?
    Die oben diskutierte Aussage des Print-Spiegel ist demnach falsch:
    „Am Freitagabend kannte sie, wie ihr Sprecher sagte, das Düsseldorfer Gutachten noch nicht.“
    Ich schlussfolgere, dass Schavan oder ihr Sprecher den Spiegel belogen hat. Das nun von mir favorisierte Datum, wann das Gutachten den Spiegel erreichte, ist Donnerstag, 11.10.2012. Denn obige Überlegungen über die SpOn-Artikel vom 11.10. und – mehr noch – vom 10.10. gelten weiterhin.
    Warum ich den zeitlichen Ablauf so gut es geht zu rekonstruieren versuche, und nicht einfach auf Spekulation über Zeitabläufe verzichte?
    Zeit läuft nach gängiger Auffassung absolut ab, kann also nicht beliebig interpretiert werden. Widersprüchliche Aussagen über Zeitabläufe weisen daher auf falsche Angaben hin. Durch Vergleich der Zeitangaben lässt sich evtl. bestimmen, welche Aussage falsch ist.

  12. Einschätzungen und Alternativerklärungen

    Ist es schlimm, dass es vorzeitig an die Medien kam? Ja, das gilt für Kommissionsarbeit als katastrophaler Verfahrensfehler. Universitäre Gremien achten streng darauf, dass Informationen intern bleiben, bis das Endergebnis offiziell herausgegeben wird. Jeder mit minimaler Gremien-Erfahrung ist reflexhaft entsetzt, deshalb die Reaktionen. Diese halte ich für echt und spontan!

    Wer schrieb das Gutachten? Autor kann sonstwer gewesen sein, beauftragter Mitarbeiter, Rohrbacher selbst oder eine Gruppe. All das wäre gängige Praxis und nicht weiter erwähnenswert. Üblich ist in solchen Kommissionen, dass der Leiter den Bericht mit seinem Briefkopf und Unterschrift weitergibt. Deshalb ist unwichtig und nicht aussagekräftig, wer in der Presse als Autor angesehen wird. Der Focus hat das falsch verstanden.

    Wer kann das geleakt haben? Ganz viele. Natürlich jeder aus der Kommission plus adminstrative Zuarbeiter (Sekretärinnen, Hilsfkräfte, die den Bericht kopieren oder versenden). Weiterhin kommen sämtliche erwähnten Putzfrau-etc. Zufälle in Frage. Schavan oder ihre Unterstützer würde ich ausschließen, da die vorzeitige Herausgabe des Gutachtens ihr in erster Linie geschadet hat (siehe z.B. Oppermanns Rücktrittsforderung, da Ministerin nun „irreparabel beschädigt“).

    Wann wurde es an die Presse gegeben? M.E. deutlich vor dem Wochenende, denn der Spiegel brachte es ja in der Print-Ausgabe. Ihre Zeitleiste mit den Meldungen, angefangen mit der Schavanplag-Reportage ab 09.10. deuten m.E. eher auf eine geplante Dramaturgie hin. Von Universitätsseite war es ursprünglich gar nicht vorgesehen, dass die Ministerin in dieser Phase das Gutachten erhält.

    Motive des Leakers? Mit komplexen Verschwörungstheorien tu ich mir schwer (Ockhams Razor). Ich glaube am ehesten, jemand wollte der Ministerin mit der Aktion schaden und hat die Folgen nicht bedacht. Oder jemand fand es einfach cool oder lukrativ, das zu leaken. Akademische Ausschussmitglieder würde ich als Leaker eher ausschließen, da sie wissen, dass es der Super-GAU für jede Kommissionsarbeit ist und sie mit Disziplinarverfahren rechnen müssten.

    Perspektivenwechsel: Hätte ich Schavan unterstützen wollen, hätte ich im Hintergrund gearbeitet und einflussreiche Wissenschaftsgrößen aktiviert, damit sie ebenfalls im Hintergrund auf die Universität und die Kommission einwirken.

    Was ist von der neuen „Maulkorb“-Entwicklung zu halten? Ich bin überzeugt, die Universität ist ebenso erleichtert über diese Vereinbarung wie Frau Schavan, da es in nächster Zeit beiden Seiten den Rücken frei halten wird. Universitäten haben ungern Plagiatsprüfungen im Haus, noch weniger gerne mögen sie Medienberichte darüber.

  13. Der handelsübliche Universitätsprofessor hat selten Ahnung von Datenschutz und hat auch keine Erfahrungen mit Leaks. Ohne Prof. Rohrbacher zu kennen, traue ich einem Professor ohne Probleme zu, etwa den Entwurf so eines Gutachtens einfach ungeschreddert im Papierkorb zu entsorgen, ihn von Hilfskräften kopieren und an den PromA verteilen zu lassen, irgendwelche eher unsicheren Hauspostsysteme zu nutzen und so weiter. Von simpelster Computersicherheit weiß ein älterer Professor für Jüdische Studien im Zweifelsfall auch nicht viel – die Personalie Schavan ist auf jeden Fall so brisant, dass sich ein gezielter Hack seines Rechners lohnen würde.

    Ansonsten sollte man (hoffentlich) nicht zu viele der Informationen des Spiegels auf die Goldwaage legen können. Wenn die auch nur ansatzweise Ahnung von Whistleblowerschutz haben, müssten sie eigentlich einige Informationen gezielt verfälscht haben, um ihren Informanten eben nicht direkt ins offene Messer laufen zu lassen. Wenigstens ist das zu hoffen, aber man weiß ja nie.

  14. Danke für die Überlegungen. Ich kann einiges davon teilen. Die Vorstellung, Der Spiegel habe schon deutlich früher von dem Gutachten gewusst (z.B. am 1.10.) und das Schavan-Interview am 09.10. nur zum Schein geführt, und lüge nun darüber, wann er was wusste, mag ich nicht für wahr halten. Wenn das rauskäme!

    Den Perspektivenwechsel, was man hätte tun sollen, um Schavan zu unterstützen, finde ich sehr fruchtbar. Sie können sicher sein, dass das versucht wurde. (Andere Schavan-Unterstützer sind öffentlich für sie aufgetreten, um das Uni-Verfahren zu prädeterminieren.) Ich dachte über die Motive des Leakers ursprünglich spontan: Wird er (oder sie) gemacht haben, weil starker Druck auf PromA spürbar war und Leaker fürchtete, dass das Verfahren uniintern und unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgewickelt wird, Schavan vollumfänglich rehabilitiert („handwerkliche Fehler“, aber „wichtiger Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt“), und die Tatsachenermittlung, mit der sich die PromA-Mitglieder fünf Monate rumgeschlagen haben, dann unter den Teppich gekehrt wird.
    Im Fall Althusmann soll das entlastende Gutachten ja weiterhin geheim sein, so dass solche Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen erscheinen. Dass Informationen intern bleiben, diese Orientierung könnte Ausschussmitgliedern durchaus abhanden kommen, wenn sie die Unabhängigkeit und Wahrheitsorientierung ihrer Tätigkeit von außen bedroht sehen.
    Dieses Szenario würde jedenfalls mit Ihrem Perspektivenwechsel übereinstimmen.

  15. Es muss da eine Verzögerung gegeben haben. Allzu lange vor dem Freitagmorgen hat der Spiegel das Gutachten nicht gehabt. Deshalb anderes mögliches Whistleblower-Szenario: Eine Randfigur im Ausschuss, kriegt monatelang von der Arbeit nichts mit und erwartet deshalb nur die übliche Vertuschung. Hat es daher noch nicht mal eilig, das Gutachten einzusehen. Oder: War erst mal verhindert. Hat dann aber unerwartet einen Knaller in der Hand und muss nur noch schmeissen.
    Unkomplizierteste Methode der Übermittlung: Fax ohne Absenderkennung. So wurde es von Schavanplag ja schon vorgemacht. In dem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wieviel auf einem Fax zu erkennen war. Warum hat der Spiegel kein farbiges Bild von Textstellen gebracht? Oder ein konkretes Textbeispiel gezeigt?
    Was hatte die Süddeutsche? Wahrscheinlich nur a) was im Spiegel stand und b) Kontakt zu Schavan oder Schavan-Kreisen, die inzwischen das Gutachten von der Uni zugestellt bekommen hatten.
    Nur die FAZ ist aber aus dieser Quelle (Schavan oder Schavan-Kreise) direkt mit dem „Original“ gefüttert worden.
    Inzwischen dürften Fragmente, Versionen, Extrakte, Zettelkastenexzerpte und Paraphrasen unterschiedlichster Herkunft wild kursieren. Und der Spiegel muss jetzt noch mal mit was extra Abgedrehtem nachlegen, oder ich verstehe meinen Spiegel nicht mehr.

  16. Pingback: Medienkritisches, Erkenntniskritisches und Wissenschaftspolitisches zur Schavan-Affäre | Erbloggtes

  17. Johnny Walker

    Ich teile die Einschätzung von Dr. Best: „Ich glaube am ehesten, jemand wollte der Ministerin mit der Aktion schaden und hat die Folgen nicht bedacht.“

    Meines Erachtens muß das aber jemand gewesen sein, der mit den Vorgängen um das „Gutachten“ sehr gut vertraut sein muß, denn im Spiegel Nr. 43 war zu lesen, daß ursprünglich eine emeritierte Erziehungswissenschaftlerin das „Gutachten“ anfertigen sollte, aber aus persönlichen Gründen abgesagt hat. Diese Info kommt wahrscheinlich auch von dem Leaker – jemand, der das „Gutachten“ zufällig entdeckt, kopiert und weitergeleitet hat, konnte so etwas nicht wissen.

    […]

    Es ist auch nicht ganz klar, ob diese kontraproduktive Aktion überhaupt strafbar war: http://jusatpublicum.wordpress.com/2012/11/07/schavan-gutachten-staatsanwalte-prufen-weiter-ermittlung/

  18. Im vorigen Kommentar habe ich einen Absatz gestrichen, denn solange unklar ist, ob diese kontraproduktive Aktion überhaupt strafbar war, ist auch unklar, ob es sich um die Bezichtigung einer Straftat handelt, wenn man konkrete Leute verdächtig.
    Aber danke für den Kommentar, da ist natürlich was dran! Wobei eine Aussage aus dem Spiegel Nr. 43 keineswegs von der Quelle aus dem Spiegel Nr. 42 stammen muss. Denn hoffentlich hat der Spiegel in der Woche dazwischen auch noch recherchiert. Und wer mal ein Gutachten übernehmen sollte, es aber nicht getan hat, ist mit Sicherheit weniger geheim gehalten worden als das Gutachten selbst. Beispielsweise wusste ja die emeritierte Erziehungswissenschaftlerin davon.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..