Ergebene Schreiber(linge[1]) der Qualitätspresse haben im Meinungskampf um das Leistungsschutzrecht (LSR; wie es damit weitergeht) zuletzt von den Horden aus den jenseits des dunklen Tor gelegenen Landen[2] viel einstecken müssen.[3] Um die Diskussion zu versachlichen, hat sueddeutsche.de-Chef Stefan Plöchinger heute Zahlen über den Traffic von sueddeutsche.de veröffentlicht:[4]
37 Mio. Besuche monatlich (vermutlich Klicks), davon:
7 Prozent von Google News
18 Prozent aus Google-Suchen nach Inhalten
15 Prozent aus Google-Suchen nach „SZ“, „Süddeutsche“ u.ä.
Zum Leistungssschutzrecht erläutert er, es beträfe Snippets und damit entweder 7 oder 7 + 18 = 25 Prozent seines Traffics. Warum er 7 für eine mögliche Auslegung hält, ist allerdings unklar. Bei einer fiktiven (hohen) LSR-Gebühr von 1 Cent pro Klick von Google zu sueddeutsche.de müsste Google 92.500 Euro im Monat an den SZ-Verlag zahlen. Plöchinger weiter:
„Wenn Google beschlösse, stattdessen das Geld zu sparen und uns wegen eines Leistungsschutzrechts aus Google News auszusperren, also uns bloß mal die 7 Prozent wegnähme, verlören wir 7 Prozent unserer Visit-Reichweite und vermutlich noch mehr Leser – weil Google-Nutzer seltener, aber zahlreicher kommen als die Kernleserschaft.“[4]
Er fürchtet dadurch „Verluste im mittleren sechsstelligen Bereich“,[4] also ein Mehrfaches der vom LSR erhofften Google-Zahlungen. Plöchinger steht also wenig Gewinn, aber ein großes Risiko durch das LSR vor Augen – und zwar bei angenommenen Klick-Einbußen von 7 Prozent. Wenn man – der Einfachheit halber – beim „mittleren sechsstelligen Bereich“ von 500.000 Euro ausgeht, würden 25 Prozent Klick-Einbußen zu fast 1,8 Millionen Euro Mindereinnahmen führen, und zwar jeden Monat.
Sind die Einbußen nicht viel höher?
Noch nicht berücksichtigt ist dabei die Frage, warum Google überhaupt Links auf irgendeine Seite von sueddeutsche.de anzeigen sollte, wenn laut dem geplanten § 87g Abs. 4 UrhG „die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder Teilen hiervon“ für unzulässig erklärt wird.[5] Google wäre gut beraten, das gesamte Angebot von sueddeutsche.de auszulisten, um nicht versehentlich abmahnfähige Suchergebnisse zu liefern.
Das würde bedeuten, dass 40 Prozent (7 + 18 + 15) der Klicks auf sueddeutsche.de nicht mehr stattfinden. Mit einem monatlichen Fehlbetrag von fast 3 Millionen Euro wäre das Debakel aber wahrscheinlich noch nicht komplett beschrieben. Das im Browser regelmäßiger Leser befindliche Lesezeichen zu sueddeutsche.de würde zwar noch funktionieren. Aber viele andere Angebote, die derzeit auf die Seite verlinken, müssten die Verlinkung wie Google einstellen, und wenn nur zur Sicherheit. Auch wenn sie im Einzelnen nicht an Googles Anteil am sueddeutsche.de-Traffic heranreichen, dürften sich die Einbußen weiter aufsummieren.
Noch gar nicht berücksichtig sind dabei systemische Effekte. „Was nicht bei Google ist, existiert auch nicht“, gilt natürlich um so mehr, wenn es auch nicht in anderen Suchmaschinen auffindbar ist. Aus Angst vor einer Praxis, in der dann doch Blogger als „gewerbliche Anbieter von Diensten […], die Inhalte entsprechend aufbereiten“ (geplanter § 87g Abs. 4 UrhG) von Abmahnungen auf Grundlage des LSR betroffen sein könnten, werden derzeit bereits Notfallpläne entworfen, die den Fluss von Informationen im Internet weiter umformen würden – und zwar hin zur Austrocknung der Onlineangebote von Presseverlagen.[6]
Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Onlineangebote nach der Einführung eines LSR auf einen Schlag so hohe Verluste machen, dass die Verlage sie schnellstmöglich schließen. Das wird eine beispiellose Journalistenarbeitslosigkeit produzieren, gegen die die 1327 Entlassungen in den letzten 6 Monaten,[7] „diesem dramatischen Medien-Herbst“,[8] wie Urlaub auf dem Ponyhof aussehen könnten. Es werden vor allem Onliner gehen müssen, vor allem junge Leute. Die sind heute sehr motiviert – und dann werden sie sehr wütend sein. Die gesellschaftlichen Auswirkungen von Zehntausenden wütenden Medienmenschen so bald nach dem Inkrafttreten des LSR möchte wohl niemand erleben.
Leistungsschutzrecht ist überall
Eine solche Zombie-Apokalypse der Onlinezeitungen ist zwar nicht gewiss. Aber als phantastisch kann man sie auch nicht mehr bezeichnen. Ob die anschließend verbliebenen Redakteure von Papierzeitungen weiter mit dem Finger auf Google zeigen werden und den Konzern für die entlassenen Kollegen verantwortlich erklären, oder ob sie sich nach neuen Schuldigen umsehen werden, bleibt abzuwarten. Tatsächlich verraten haben sie doch die Verlagslobbyisten (die nur ihren Job gemacht haben) im Verbund mit einer Regierungskoalition, die dem Lobbyismus offenbar kein bisschen Rückgrat, Weitblick oder auch nur Interesse an Fakten entgegengebracht hat.
Und das Schlimmste ist, dass es sich so wohl auch in anderen lobbyverseuchten Politikfeldern verhält. Die Lobbyisten tun nur, wofür sie bezahlt werden. Aber weder Regierung noch Bundestag sind offenbar willens und in der Lage zu tun, wofür sie gewählt werden.
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Die 7% passen gut zu den Zahlen aus Brasilien, wo der Traffic der Nachrichtenseiten um ca. 5% gesunken ist, nachdem diese sich selbst aus Google News ausgelistet hatten (http://www.economist.com/news/international/21565928-newspapers-woes-grow-some-are-lobbying-politicians-make-google-pay-news-it)
Wie dramatisch die Lage für die Zeitungen ist, zeigt wohl auch die hier unbedachte Zahl von 15% des Traffics, der per „SZ“ oder „Süddeutsche“ ankommt. Im Endeffekt sind das die Leute, die das Google-Fenster für das Internet halten und nicht die geringste Ahnung haben, wie man ohne Google auf eine Internetseite kommt. Eine Auslistung dürfte recht fatal auf diese Gruppe wirken.
Neue Einsichten bietet auch Frank Rieger: Leistungsschutzrecht. Eine unheilige Scheindebatte. In: FAZ.net, 3. Dezember 2012. Er quantifiziert den von Google kommenden Traffic auf insgesamt über 50 Prozent und schreibt:
Und der Clou: Auf Google News, wo Plöchingers Hauptaugenmerk liegt (7 Prozent), hat Google gar keine Anzeigen, verdient damit kein Geld.
Da würde ich doch mal vorschlagen, Google soll sich mit den Verlagen darauf einigen, die Hälfte seiner Einnahmen von Google News per Klickzahlenschlüssel unter ihnen zu verteilen. Umgekehrt würden sich die Verlage auch zu 50 Prozent an den Kosten von Google News beteiligen. Dann sind alle glücklich, aber die Verlage verarmen. Rieger prognostiziert die freundlichere Variante:
Die dabei entstehenden Kosten für die Allgemeinheit sind allerdings ganz schön hoch, gemessen daran, dass Google und Verlage ja schon vor Längerem eine solche Übereinkunft hätten treffen können. „Kollateralschäden“ nennt Rieger das. Wie ich erkennt auch Rieger im Leistungsschutzrecht ein Paradigma zahlreicher Gesetzgebungen der vergangenen Jahre:
Allerdings ist die massive Kalter-Kriegs-Rhetorik, z.B. „nukleare Option“, unangemessen. Sie spricht aber zweifellos das Lebensgefühl der FAZ an.