Dr. weg. Schavan muss gehen

Entscheidet es nicht über die Fähigkeit, Minister oder Ministerin zu werden, ob man einen Doktor hat oder nicht, so entscheidet es doch über die Unfähigkeit, Ministerin oder Minister zu bleiben, wenn man den Doktor verliert. Bei Annette Schavan ist dieser Fall jetzt eingetreten, wie dpa mitteilt. Der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der Universität Düsseldorf hat beschlossen, dass Schavan nicht Doktorin der Philosophie bleiben kann, weil sie in ihrer Doktorarbeit darüber getäuscht hat, was ihre eigenen Gedanken und Formulierungen waren, und was sie von anderen Autoren abgeschrieben hat.

Die Täuschung ist ein objektives Merkmal. Um sie festzustellen, muss man nicht in den Kopf von Schavan gucken. So urteilen die Gerichte in Plagiatssachen. Deshalb sind Schavans Beteuerungen ebenso sinnlos wie die Leumundszeugnisse ihrer langjährigen Weggefährten. Wie bei Guttenberg, so gibt es auch hier zwei Möglichkeiten, warum Schavan getäuscht hat:

  1. Sie hatte nicht die kognitiven Fähigkeiten, wissenschaftliche Normen und ihren Sinn zu verstehen.
  2. Sie hatte die kognitiven Fähigkeiten, aber sie entschloss sich, gegen wissenschaftliche Normen zu verstoßen.

Die skrupellosesten Verteidiger Schavans suggerieren Variante 1 und sagen ihr damit Debilität nach. Das würde sie natürlich als Bildungsministerin nicht viel geeigneter erscheinen lassen. Deshalb sagt auch keiner von ihnen offen, dass er Schavan für eine dumme Schnepfe halte, die die Regeln, gegen die sie verstieß, gar nicht kannte. Diese Verteidigung wäre nicht nur frech, sondern auch falsch. Denn Schavan kannte die Regeln genau, wie sich am Leitfaden „Hinweise zur Anfertigung von Seminararbeiten“ von Wolfgang Kramp zeigen lässt, der inzwischen online ist und der Welt die auch in der Düsseldorfer Pädagogik 1980 selbstverständlich geltenden Regeln vor Augen führt.

Konnte Schavan richtig zitieren?

Annette Schavan verwendet in ihrer Dissertation eine Technik der Quellenangabe, die Kramps Leitfaden so beschreibt:

„Die Quelle eines Zitats kann – nach einem heute noch vielfach in den Geisteswissenschaften üblichen Verfahren – auch in einer Anmerkung oder Fußnote angeführt werden, dann aber in unverkürzter Form mit allen bibliographischen Details“. (S. 21)

So verfährt Schavan in der Regel – sofern sie Quellen angibt. Sie benutzt beim wiederholten Zitieren aus einem Werk auch die heute nicht mehr übliche Angabe „a.a.O.“, die Kramp 1978 noch empfahl (S. 22). Die Vorgaben dieses Leitfadens scheinen bei Schavan auf den ersten Blick Punkt für Punkt umgesetzt. Sogar den Punkt „Quellenangaben bei Zitaten aus erster und aus zweiter Hand“ hat Schavan sich zu Herzen genommen:

„Zitiert wird grundsätzlich der Originaltext, nicht die Sekundärschrift, aus der u.U. das Zitat entnommen ist. Kann der Originaltext nicht eingesehen werden, so schreibt man […] zit. nach […]“. (S. 21)

Auf S. 165 gibt Schavan etwa an: „Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, zitiert nach: Schwartländer, Johannes: a.a.O. S. 180.“ Dass sie ihr Literaturverzeichnis mit Kants dritter Kritik aufbläht, obwohl sie diese – ausweislich ihrer Fußnoten – nie in der Hand hatte: Geschenkt. Doch durch die zuletzt zitierte Vorschrift zum zitieren aus zweiter Hand geriet Schavan in eine Zwickmühle: Die Originale hatte sie vielfach nicht gelesen, auch nicht eingesehen. Trotzdem sollte sie nicht die Sekundärliteratur zitieren.

Logik des Primär-Sekundär-Plagiats

In dieser Situation hatte sie die Wahl, offen gegen die Regel zu verstoßen, dass man nur dann aus zweiter Hand zitiert, wenn das Original nicht verfügbar ist – so ging sie im vorgeführten Kant-Beispiel vor. Oder den Leser über die Peinlichkeit täuschen, dass sie das Original nicht in der Hand hatte, indem sie das „zit. nach“ unter den Tisch fallen ließ. Dafür hat sie sich in anderen Fällen entschieden – und auch gleich die ganze Interpretation aus der unter den Tisch gefallenen Sekundärliteratur abgeschrieben. Wie das konkret ausgesehen haben mag, wird auf Causa Schavan eindrucksvoll vorgeführt.

Diese Wahlmöglichkeit, in der sich Schavan für das auf den ersten Blick weniger Peinliche entschied, was aber in einer Täuschung des Lesers bestand, ist die Wahl zwischen Wahrhaftigkeit (oder: Ehrlichkeit) und Betrug in der wissenschaftlichen Arbeit. Dringend muss Studierenden vermittelt werden, dass der Betrug zwar zuerst weniger peinlich erscheinen mag, dass er aber – ganz im Gegensatz zur manchmal peinlichen Wahrhaftigkeit – den Anforderungen an Wissenschaft widerspricht. Peinliches ist Wissenschaftlern nicht streng verboten. Vorgetäuschtes schon.

Das hat nicht zuletzt wissenschaftstheoretische Gründe: Wissenschaft strebt nach Wissen. Wahrhaftigkeit ist eine notwendige Bedingung von Wissen. Denn um etwas zu wissen, muss man zuerst davon überzeugt sein. Zusätzlich wird zum Wissen noch benötigt, dass man gute Gründe für diese Überzeugung hat. Und schließlich ist Bedigung für Wissen, dass die betreffende Überzeugung wahr ist. Die Wahrheit hat man als Wissenschaftler nicht in der Hand – deshalb werden Doktortitel auch nicht entzogen, wenn sich Ergebnisse als falsch herausstellen. Der Entzug folgt aber notwendig, wenn sie sich als gefälscht erweisen. Denn die Wahrhaftigkeit, die liegt vollständig in der Hand des Wissenschaftlers. Anders gesagt: Solange man sich für Wahrhaftigkeit entscheidet, solange kann man sich Wissenschaftler nennen.

Der Entzug des Doktortitels ist der Ausschluss aus der Wissenschaftlergemeinschaft wegen fehlender Wahrhaftigkeit, in Deutschland durchgeführt durch die promoviertende Hochschule und auf Grundlage des Rechtsstaats. Die offizielle Feststellung fehlender Wahrhaftigkeit entzieht Politikerinnen und Politikern in Deutschland zugleich eine Ressource, ohne die sie nicht glaubwürdig als Repräsentanten agieren können.

Was Kant über Schavans Gewissen sagt

Immanuel Kant, den Schavan unter der Überschrift „Das Gewissen als Richter der Vernunft“ auf 14 Seiten verwurstete, schrieb 1791 in der Schlußanmerkung zu „Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee“ einiges, was Schavan hätte beachten sollen:

„Daß das, was Jemand sich selbst oder einem Andern sagt, wahr sei: dafür kann er nicht jederzeit stehen (denn er kann irren); dafür aber kann und muß er stehen, daß sein Bekenntniß oder Geständni[s] wahrhaft sei: denn dessen ist er sich unmittelbar bewußt. Er vergleicht nämlich im erstern Falle seine Aussage mit dem Object im logischen Urtheile (durch den Verstand); im zweiten Fall aber, da er sein Fürwahrhalten bekennt, mit dem Subject (vor dem Gewissen).“ (AA VIII, 267)

Nach einigen Klagen über die Verbreitung von Gewissenlosigkeit unter den Menschen unterteilt Kant sie in jene, die ein Misanthrop hassen sollte, und jene, die ein Misanthrop verachten sollte. Hassenswürdig seien die, welche anderen schaden wollen, wegen ihrer Feindseligkeit. Verachtungswürdig aber seien die, welche mit ihrer Lügenhaftigkeit niemandem schaden wollen. – Dass sie mit einem Plagiat niemandem schaden, reden sich Plagiatoren gerne ein.

„Das Böse von der letztern Art ist Nichtswürdigkeit, wodurch dem Menschen aller Charakter abgesprochen wird. – Ich halte mich hier hauptsächlich an der tief im Verborgnen liegenden Unlauterkeit, da der Mensch sogar die innern Aussagen vor seinem eignen Gewissen zu verfälschen weiß.“ (AA VIII, 270)

Kant erhielt seinen Doktor übrigens für eine Dissertation von 35 Seiten (heutigen Formats), Schavan für 350 Seiten. Der eigentliche Unterschied zwischen beiden war jedoch, dass Kant darin nicht fremde Gedanken als eigene ausgab.

Anm.: Dank für einen Korrekturhinweis gebührt David Lahm.

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22 Antworten zu “Dr. weg. Schavan muss gehen

  1. Man kann auch ohne Schavan zu verteidigen zur Annahme #1 neigen.

  2. Na, dann hat sich die mühevolle Kleinarbeit eines ‚Robert Schmidt‘, eines ‚Kreuzritter‘ und eines Martin Heidingsfelder ja gelohnt. 🙂

  3. Ich möchte nicht sexistisch erscheinen, aber warum nehmen Männer die Entscheidung der Unis meistens klaglos hin (Guttenberg, Pröfrock, Chatzi, Brinkmann, …), während Frauen meistens vor Gericht ziehen (Koch-Mehrin, mathiopoulos, Schavan, …)?
    Kann sich das jemand erklären?

  4. Diese Kategorisierung ist natürlich per se sexistisch. Man könnte aber zunächst mal eine andere Datenbasis erheben und die Plagiatsgerichtsverfahren der letzten Jahre durchsehen, wie viel Prozent davon von Frauen geführt wurden.
    Falls sich dann noch irgendeine Korrelation zeigen sollte, müsste man die gesellschaftliche Position von Frauen hinterfragen: Ist es vielleicht so, dass (manche) Frauen es stärker als persönliche Aufwertung sehen, einen Doktor zu haben? Guttenberg z.B., für den war der Doktor doch nur ein Bonbon. Das „zu“ (oder war’s ein „von“?) ist ihm wichtiger. Aber Frauen ohne Doktor werden womöglich gesellschaftlich eher als Dummchen angesehen (oder leiden unter einem solchen Selbstbild) als Männer.

  5. Schade, die von mir erwartete Ausrede mit dem vom Hund verspeisten Zettelkasten, kommt – wenn überhaupt – erst vor Gericht.

  6. Die Arbeit der oben genannten Personen, ebenso wie der etlicher Blogger, hatte sich bereits schon seit langem „gelohnt“ … weil sie eine wissenschaftlich nachvollziehbare Diskussion führen. Es geht hier nicht um den erfolgreichen Abschuss einer Schanette Van, wie der Kommentar oben zu suggerieren geeignet ist, sondern um korrektes, nachvollziehbares Arbeiten.

    Eine, vielleicht unabsichtliche unterschwellige, Anschuldigung, dass diese mühevolle wissenschaftliche Aufarbeitung des tiefen Falles dann zum Lohne der Titelaberkennung erfolgt, hat das Geschmäckle der Diffamierung. Lassen wir doch bitte solche Aussagen bei den Stürmern der in Teilen gleichgeschalteten Zeit, FAZ und dergleichen, wie Schmoll, Preuß und anderen des Schavan.net.

    Hier geht es um Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Kriterien, die für eine funktionierende Wissenschaft schon lange als essenziell erkannt wurden und die das schlechte Plagiat einer Wissenschaftlerin nicht begriffen und in gröbster Weise veralbert hat. Ihr tiefer Fall ist nur die Konsequenz ihres törichten Handelns. Möge irgendetwas ihrer Seele gnädig sein…

  7. Ja, das erscheint mir einleuchtend. Eventuell erscheint der „Dr.“ Frauen gar nicht stärker aufwertend (als Männern) bei Erhalt, aber wesentlich stärker abwertend bei Entzug. Der Titel ist Teil der Existenz geworden, wie ein Kind. Dieses „Kind“ muss -vermeintlich- verteidigt werden, notfalls gerichtlich. Die Aussichtslosigkeit des Unterfangens (da in deutschen Gerichtssälen mit Vernunft zu rechnen ist) spielt dabei keine Rolle. Tja. Vermutungen.

  8. dpa Eilmeldung: Schavan will nicht zurücktreten.

    Ach, Annette…

  9. Der Kampf ist nicht vorbei. In der ‚Zeit‘ hat ein gewisser Ruben Karschnick in der Nachfolge von Heike Schmoll jetzt die Rehabilitierungsmaschine angeworfen: Das Urteil sei ja so etwas von ‚umstritten‘, die Wissenschaftlergemeinde sei derart tief gespalten und die Promotion als Textform sowieso völlig überschätzt … blablabla. Im Kern taucht er aus seiner publizistisch verlinkten Güllegrube nur mit einem längst widerlegten Argument im Maul auf, dass in den 80er Jahren doch noch ganz andere Zitierstandards gegolten hätten, was schlicht ein ahistorischer Bullshit ist, welchen wir dem Schreiberling nur deshalb nicht um die Ohren hauen sollten, weil er damals ja noch nicht dabei gewesen sein kann …

  10. Einen Dank an die ursprünglichen Plagiatsjäger!

  11. Danke. Guter Artikel! Jeder aktiv in der Wissenschaft Tätige kann sich wohl (oder sollte sich) mit dem hier geschriebenen identifizieren!

  12. Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

    Der Weg bis zur Aberkennung des Titels ist unangenehm, aber vielfach unvermeidlich. Da verbringt man Jahrzehnte voller Anerkennung und Zufriedenheit, glaubt an das Gute im Menschen – und dann tritt wieder einer dieser gefürchteten Universitätsbediensteten vor die Kamera und verkündet, dass nichts mehr so sein wird wie bisher. Das ist natürlich zugleich die Stunde der Anwälte, die ihre Kostennoten für die Bereitung weiterer Unannehmlichkeiten ausstellen wollen.

    Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

  13. Verehrter Herr von Eichenbach,

    von der Ausstellung der Kostenrechnungen zu derartig unregelmäßig einfallenden und zudem so unerfreulich unberechenbaren Terminen halte ich als Mann der alten Schule wenig. Es besteht für Sie vorerst also kein unmittelbarer Anlass für peinvolle Empfindungen an der Schatulle. Mein diesbezügl. kleines Schreiben erreicht Sie, wie stets, erst gegen Ende des Monats. Dieses nur zu Ihrer Beruhigung.

    Mit vorzüglicher Hochachtung

    RA Bongartz

  14. wenn es sicher ist das Sie betrogen hat muss muss Sie gehen.
    Hat Sie von guthenberg auch erwartet.

  15. Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

    Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Bongartz,

    dass ich Sie von Ihrer anwaltlichen Schweigepflicht entbunden und Ihnen über unseren Abrechnungsmodus zu plaudern erlaubt hätte, wäre mir neu. Es muss ein niedriges Missverständnis vorliegen. Doch ich nutze die Gelegenheit, Sie nochmals an die Übersendung Ihres Entwurfes meiner neuen, rechtssicheren Doktorarbeit zu erinnern. Gern verweise ich auf den Ihnen soeben angewiesenen weiteren Betrag, der Ihnen, sollte meine neue Dissertation eine Haltbarkeitsdauer von mindestens fünfzig Jahren haben, den anschließenden Rückzug ins Privatleben erleichtern soll.

    Ihr Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

  16. Lieber Herr von Eichenbach,

    ich möchte mich gar nicht in Ihre Korrespondenz mit Herrn RA Bongartz einmischen. Es klingt ja so herrlich gestelzt auf beiden Seiten. Nur bitte, würden Sie dem interessierten Laien erklären, was ein „niedriges Missverständnis“ ist? Vielen Dank!
    Ihr
    Peter Scholz

  17. Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

    Sehr geehrter Herr Scholz,

    ein “niedriges Missverständnis” ist eine nicht als Zitat gekennzeichnete Entnahme aus dem Roman „Das Schloss“ des Juristen Dr. Kafka. Der erfolgsverwöhnte Landvermesser K. äußert sich an einer Stelle so.

    Ihr Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

  18. Ich bedanke mich für die Belehrung, lieber Herr von Eichenbach, und wünsche Ihnen noch einen ganz vorzüglichen Tag!
    Ihr Peter Scholz

  19. Pingback: Bundeskanzlerin Merkel vertraut Schavan « Frühnachrichten

  20. „Ent-„? War ein besonderer Tag?

  21. Pingback: Plagiatsjäger: “Selbsternannte Stasi“ (Herles) – Nachbetrachtung « Kreuzritter's PlagDoku

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