Er arbeitete seit Jahren an der Aufklärung der Öffentlichkeit und Wiederherstellung seines guten Rufes, der von interessierter Seite schamlos in den Schmutz getreten worden war, um angesichts eines derartigen Kairos mit großer Kelle politische Ambrosia zu schöpfen: Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach vernachlässigte auch bei dieser Sisyphosaufgabe jedoch niemals die ihm zugewachsenen Pietätspflichten. Und so ist (nach früheren Erkenntnissen Herrn von Eichenbachs) auch das heute dem geneigten Publikum exklusiv vorzustellende Werk zu lesen, in dem Herr von Eichenbach der pietas Ausdruck verleiht, die sein Herz bewegt, indem er seine persönlichen Erinnerungen an den verehrten Doktorvater Prof. Dr. jur. Dr. h.c. mult. Guntram Stähnke mit dem kontrastiert, was andere kaum weniger namhafte Rechtsgelehrte als Ideal des akademischen Lehrer-Schüler-Bundes ansehen:
- Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach: Grundriss zu einer Gedächtnisschrift für Guntram Stähnke. Sine Pecunia Dolet, Schloss Eichenbach 2013.
Namentlich setzt sich von Eichenbach mit der tiefen und weiten Gedankenwelt des Bayreuther Staatsrechtslehrers Peter Häberle auseinander, die jener namentlich 2010 in seinen Pädagogischen Briefen an einen jungen Verfassungsjuristen (Zweite Folge) niedergelegt hat. Von Eichenbachs Rezension der Pädagogischen Briefe zeugt von einer eindrucksvollen Verständnisebene, was der Verwobenheit der notorisch verfassungsvergleichenden Schulen Stähnkes und Häberles geschuldet sein mag. So scheint von Eichenbach in Häberle viele Parallelen zu seinem eigenen akademischen Lehrer zu erblicken, und besonders wo es die Sorge und Mühsal betrifft, die manch gutwilliger, aber problematischer Zögling einem solch international anerkannten Gelehrten bereiten mag, begibt sich von Eichenbach wohl in ein inneres Zwiegespräch mit dem verschiedenen Vorbild.
Weitere Aufnahme des Werkes

Silbergeprägtes Leinen umspielt die über 1000 Seiten Jurisprudenz der Festschrift Fiedler
Verschieden ist auch die Ausgabe, die hier dem geneigten Leser als Alternative anzuzeigen ist, nämlich in einigen Details, in der wissenschaftlichen Landschaft, in die das Werk eingebettet ist, und schließlich im Preis. Die Pädagogischen Briefe sind nämlich auch als gleichsam eigenständige Ausgabe erschienen, freilich nur flüchtig broschiert, damit sie die schmalen Geldbeutel derer nicht belasten, an die sie sich richten: Freie Journalisten und verfassungsjuristische Grünschnäbel dürften mit der Ausgabe für nur 24 Euro besser bedient sein, als mit der im Kontext einer ganzen Fachkultur präsentierten, über tausendseitigen Edition in der Festschrift Fiedler, die mit 128 Euro zu Buche schlägt. Das ist wohl auch die Ansicht des Rezensenten des schmalen Bändchens, Professor (em.) Dr. Helmut Goerlich, Leipzig, der freilich selbst den würdigeren Rahmen der Fiedler-Festschrift vorzieht, in der er selbst vertreten zu sein die Ehre hatte. Goerlich orientiert so auch kenntnisreich über Sinn und Gehalt von Häberles Pädagogischen Briefen:
„Anzumerken ist sicher auch vorab, dass als Ziel des Adressaten ersichtlich die Aufnahme in die Zunft des Verfassungsrechts vorausgesetzt wird, die Briefe also nicht andere Rechtsadepten ansprechen sollen – aber umso besser, wenn sie Proselyten machen. Sie erfüllen einen Generationenvertrag als Teil einer Überlieferung, von der jedes geisteswissenschaftliche Fach in Wahrheit lebt. Sie tradieren das, was die Verfassungstexte in ihren grundsätzlichen Bestimmungen mit sich führen, ohne es selbst in Breite darzulegen und so als Grundlage ihres Verständnisses ‚garantieren‘ zu können. In Erinnerung an ein bekanntes, wohl aus dritter Feder stammendes, gegenläufiges Diktum vermitteln sie daher sehr wohl recht viel von dem, was die Kultur der – heute vor allem auch republikanischen – Tradition modernen Verfassungsrechts ausmacht. Nicht umsonst ist der Autor […] Nestor eines solchen kulturellen Rechtsverständnisses von Verfassungen und der dafür erforderlichen Vergleichung. Jenes Diktum stammt übrigens denn auch aus frühen Verfassungskämpfen und war gegen Verfassungen schlechthin gerichtet.“
- Helmut Goerlich: Rezension von Peter Häberle: Pädagogische Briefe an einen jungen Verfassungsjuristen. Mohr Siebeck, Tübingen 2010. In: Juristenzeitung (JZ), Bd. 66, 2011, Nr. 12 (17. Juni 2011), S. 624.
Ergänzend ist anzumerken, dass dankenswerterweise weder von Eichenbach noch Goerlich der Versuchung nachgeben, ihre Besprechungen in den billigstmöglichen Kontext zu setzen, der das gemeine Publikum anzustacheln geeignet wäre: Der tragische Fall des Häberle-Schülers Karl-Theodor zu Guttenberg dient sowohl Schmierenjournalisten als auch selbsternannten Rezensenten der verkommenen Billigbuchplattform Amazon als Aufhänger, um auf niedrigstem Niveau über Häberles pädagogische Sammlung herzuziehen. So schreiben SZ-Redakteure in pennälerhafter Gehässigkeit: „Häberle bezieht sich sogar auf das verschwiemelte Ideal eines ‚pädagogischen Eros‘.“ Anschließend wundern sie sich scheinheilig über Schmähbriefe, die der aufgestachelte Mob an Häberle schickt. (Tanjev Schultz, Roland Preuß: Guttenbergs Fall: Der Skandal und seine Folgen für Politik und Gesellschaft, Gütersloh 2011, S. 121f.)
Selbstentlarvend und jedes Kommentars unwürdig ist in noch größerem Maße das Pamphlet eines Jens P. Becker auf Amazon:
„Schreiben kann der ehemalige Bayreuther Professor Peter Häberle nun auf gar keinen Fall, und wenn Sie mich jetzt fragen, warum ich dem Buch fünf Sterne gebe, dann lautet meine Antwort: weil es ein Dokument ist. Dieses Buch wäre in der Versenkung selbstgefälliger Erinnerungen von deutschen Großordinarien verschwunden, wenn der Verfasser nicht der Doktorvater eines gewissen Karl-Theodor von und zu Guttenberg gewesen wäre. Und jetzt bekommt das Buch, obgleich es ansonsten an Langweiligkeit nicht zu überbieten ist, doch einen hohen Unterhaltungswert. Sätze wie ‚Ein Mindestmaß an ethischem Verhalten in der Person bzw. Biographie ist m.E unverzichtbar, denn der Dienst am Verfassungsstaat … verliert sonst an Glaubwürdigkeit, z.B. durch … Falschzitate‘ bekommen jetzt angesichts des vom ‚pädagogischen Eros‘ getragenen Verhältnis des Verfassers zu seinem Lieblingsdoktoranden eine neue Bedeutung. Vor allem weil der Verfasser ja nicht müde wird, seine Verpflichtung gegenüber seinen Doktoranden zu betonen, und die penible Genauigkeit herauszustellen, mit er jede Dissertation in jedem Entstehungsstadium liest.“[1]
Das Schlusswort bleibt demgegenüber dem Opfer solcher Verhöhnung, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Häberle, selbst überlassen, der in seinen Pädagogischen Briefen in der Fiedler-Festschrift, S. 163, eingedenk seines Amtes als Zeitschriftenherausgeber mahnt:
„Das JöR [Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart] ist wie jede Wissenschafts- und Literaturgattung auf eine hohe Rezensionskultur bzw. ‚Rezensierte Verfassungsrechtswissenschaft‘ angewiesen. ‚Spitze Federn‘ sind erwünscht, sofern sie zugleich dem um Kontinuität und Innovation ringenden Informationsgehalt der Bände gerecht zu werden versuchen. Der Herausgeber weiß sich manchen (auch verstorbenen) Rezensenten dankbar verbunden.“
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Falls die Zitate den Gesamttext widerspiegeln, kann nur Sprachlosigkeit bleiben. Eine derartig dümmlich-selbstgefällige Blasiertheit, die in jedem Satz an jemand anderen bloß das eigene Selbst feiert, dürfte beispiellos sein (oder doch nicht? Man betrachte Goerlichs Worte…). Der Text wirft noch einmal ein ganz neues Licht auf die Guttenberg-Affäre und ist nebenbei auch historisch interessant. Nicht zuletzt deutet sich in den Zitaten ein spezifisches psychosexuelles Profil an, das man mit Jürgen Theweleit wohl am ehesten der Zeit zwischen 1920 und den 1950er Jahren zuordnen wird. Dieses Hineinfantasieren in fremde Leben, fremde Familien und fremde Betten („Doktorvater – Doktormutter“, „heimliche Allianz mit der Ehefrau des Doktoranden“, „Feiern im engsten Kreis (!), zudem die Eltern, der Doktorand und der Doktorvater gehören“), dieses verschwiemelte Reden („zukünftige Ehefrau“ statt „Freundin“ oder „Partnerin“) – das ist schon große Klasse und lässt tief blicken.
Wäre das doch bloß alles perfekte Satire! Wie ich schon anderweitig von Juristen lernen durfte, nimmt es die juristische Realität an Absurdität und Konstruiertheit mit jeder noch so künstlich ersponnen wirkenden Seminararbeit auf. Die Realität ist der Feind der Fiktion, weil sie diese um Längen übertrifft. Vielen Dank also für diesen Einblick in herausragende Leerkörper.
Sehr geehrter Herr Sepp,
nun, die Zitate spiegeln nicht den Gesamttext wieder. So bin ich z.B. überhaupt nicht auf folgende Häberle-Stelle eingegangen: „So wie ältere Künstler, etwa Sänger und Komponisten bzw. Solisten (man denke an D. Fischer-Dieskau, S. Jerusalem bzw. G. Klebe, Y. Menuhin, L. Bernstein und G. Kremer) oder Schauspieler (wie W. Quadflieg) und Balletttänzer (wie S. Lifar), angesichts des Nachlassens der eigenen schöpferischen Kräfte sich verstärkt der Bildung und Ausbildung der nächsten Generation zuwenden, so sind auch die Pädagogischen Briefe eines Verfassungsrechtlers in seinen späten Jahren zu verstehen: Sie wollen dem wissenschaftlichen Generationenvertrag auf besondere Weise dienen (…)“ (Peter Häberle: Pädagogische Briefe an einen jungen Verfassungsjuristen, Mohr Siebeck, Tübingen 2010, Vorwort, IX f.). Ich habe mich auf die Zweite Folge der Pädagogischen Briefe in der Festschrift Fiedler, überdies auf einzelne Schwerpunkte konzentriert. Während meiner letzten Rückfahrt von Marburg hörte ich im Wagen die berühmte Einspielung von Beethovens Violinkonzert mit Y. Menuhin (unter Kurt Masur), um Prof. Dr. jur. Dr. h.c. mult. Peter Häberle noch besser zu verstehen.
Ihr Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach
@Sepp: Ach, diese altmodischen, wertebeladenen Ausdrücke wie „zukünftige Ehefrau“ sind doch gar nicht so schlimm – meine zukünftige Witwe sieht das genauso 😉
Sehr geehrter Herr von Eichenbach,
demütig erfreue ich mich daran, dass Sie sich auch mit plebejischen Kreaturen wie mir befassen. Das nachgereichte Zitat hält in der Tat das Niveau aller vorherigen und sollte auch Ihnen Ansporn sein, den eigenen Doktorvater angemessen zu würdigen.
Hochachtungsvoll
Sepp
Sehr geehrter Herr Sepp,
am Pfingstwochenende habe ich als (freilich unbezahlter) DJ für gute Stimmung gesorgt und die Tanzfläche zum Überkochen gebracht; während ich unter freiem Himmel pausierte, habe ich einen Stern nach Guntram benannt.
Ihr Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach
Epilog
Um voranzukommen, orientiert man sich an erfolgreichen Leuten, steigt durch Fleiß und redliche Arbeit beruflich in sagenhafte Höhen auf, wird allerorts geachtet – und plötzlich (dieses tückische Wort zeigt an, dass irgendetwas nach ihm ganz anders ist als das, was vor ihm steht) fällt den Parzen ein, dass Schluss sein soll damit. Dabei spielt es keine Rolle, ob man um die vierzig ist oder bald achtzig. So war die Überraschung darüber groß, dass mein Doktorvater Guntram an einem Sonnabend, statt angeheitert aus dem Schankhaus nach Hause zu kommen, mit dem Rettungshubschrauber und vergeblich zur Notaufnahme geflogen wurde. Mein „Grundriss einer Gedächtnisschrift für Guntram Stähnke“ möge das Bewusstsein dafür schärfen, dass jede Feier ihr Ende hat.
Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach
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