Ergibt es schon einen hinreichenden Verdacht, um groß in einer kleinen Zeitung ein Pseudonym zu „enttarnen“, wenn man jemanden gefunden hat, dessen Initialen so lauten wie die des Pseudonyms? Manuel Bewarder, plagiatskundiger Welt-Journalist (wenn pseudonym, dann wahrscheinlich erfunden vom Marburger Bund, von der Moslem-Bruderschaft oder von den Marxistischen Blättern), hat diese Frage letztlich mit „ja“ beantwortet und in seinem aktuellen Stück „Viele Indizien, kein Beweis“ aller Welt eine Geschichte über die erste Frage eines früheren Blogartikels aufgetischt:
- Wer ist Robert Schmidt? Und wofür ist das relevant? In: Erbloggtes, 9. August 2013.
Die zweite Frage allerdings ist weiterhin offen. Nun gewinnt sie jedoch neue Brisanz, da Bewarder zumindest ihre hinreichende Beantwortbarkeit unterstellen muss, um einen solchen Artikel überhaupt veröffentlichen zu können. In den Kommentaren zum damaligen Blogbeitrag erläuterte Bewarder als Antwortversuch:
„Natürlich interessiert mich neben der Einschätzung, wie Schmidt arbeitet, sehr, wer die Person ist. Plagiatsforscher und mittlerweile vor allem auch Schmidt haben seit 2011 eine große Relevanz bekommen, ja, sicherlich gehören sie in mancher Hinsicht zu ‚Mächtigen‘. Deren Intention zu hinterfragen – das ist mein Job. Wer behauptet was wann warum und warum sagt er ausgerechnet mir das? Dies ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten Fragen für Journalisten.“
Diese Ausführungen kann man in drei Bestandteile zergliedern, um klarer die zugrundeliegenden Prämissen zu sehen:
- „Mich interessiert es.“
Es handelt sich hier um ein glaubhaftes, auch verständliches Bekenntnis zur persönlichen Neugier des Journalisten. Das ist sicherlich ein Charakterzug, den man in den Medien mitbringen sollte. Aber eine Rechtfertigung, warum über ein Thema berichtet werden sollte, ergibt sich daraus nicht. Das schert den Boulevardjournalismus freilich nicht. Es gibt da Zeitungen, die den ganzen Tag nur über Irrelevantes berichten, das die Berichtenden persönlich reizvoll finden. - „Plagiatsforscher gehören seit 2011 zu den ‚Mächtigen‘.“
Journalismus begründet sich dabei als vierte Gewalt zur Kontrolle der mächtigen Beteiligten an den übrigen Gewalten. Diese Begründung von Relevanz (im Sinne von Berichtenswürdigkeit) ist der ersten Begründung entgegengesetzt. Sie können streng genommen nicht beide gleichzeitig zutreffen. Nun hat Bewarder die erste Begründung glaubhaft vorgetragen. Und das Interesse an den „Mächtigen“ besteht ja auch im Boulevard, wenn auch als reines Schauinteresse und ohne Kontrollwirkung. Diese Begründung erscheint also insgesamt (und für die gesamte „demokratiewichtige“ Boulevardpresse, die ja dringend ein Leistungsschutzrecht benötigte) vorgeschoben. - „Wer behauptet was warum?“
Journalisten müssen Quellenkritik betreiben. Das stimmt. Die nötige Quellenkritik an den Mitteilungen von Schavanplag und Lammertplag erfordert allerdings nicht die Beantwortung der Frage, wer dahinter steckt, sondern die Prüfung der Dokumentation. Journalisten ersetzen allerdings gern die notwendige Quellenkritik durch die unnötige, aber fluffigere, weil sie sie für eine Abkürzung halten. Mehr dazu.
Zusammenfassend lässt sich die Frage, wofür es relevant ist, wer Robert Schmidt ist, also so beantworten: Es ist einfach interessant. Die Menschen im System wollen es wissen, die Journalisten, und auch das Publikum, das an solche human interest stories gewöhnt ist.
Was sich mit Adorno dazu sagen lässt
Im Kapitel „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“ der Dialektik der Aufklärung, Amsterdam 1947, erläutert Theodor W. Adorno den Zusammenhang zwischen der Rolle des Publikums von Massenmedien als Konsumenten „interessanter“ Nichtigkeiten und dem Zerfall der ursprünglichen Emanzipationsfunktion von Massenmedien für die bürgerliche Gesellschaft:
„Sprache, die sich bloß auf Wahrheit beruft, erweckt einzig die Ungeduld, rasch zum Geschäftszweck zu gelangen, den sie in Wirklichkeit verfolge. Das Wort, das nicht Mittel ist, erscheint als sinnlos, das andere als Fiktion, als unwahr. Werturteile werden entweder als Reklame oder als Geschwätz vernommen. Die dadurch zur vagen Unverbindlichkeit getriebene Ideologie wird doch nicht durchsichtiger und auch nicht schwächer. Ihre Vagheit gerade, die fast scientivische Abneigung, sich auf irgend etwas festzulegen, das sich nicht verifizieren läßt, fungiert als Instrument der Beherrschung. Sie wird zur nachdrücklichen und planvollen Verkündigung dessen, was ist. Kulturindustrie hat die Tendenz, sich zum Inbegriff von Protokollsätzen zu machen und eben dadurch zum unwiderlegbaren Propheten des Bestehenden. Zwischen den Klippen der nennbaren Fehlinformation und der offenbaren Wahrheit windet sie sich meisterlich hindurch, indem sie getreu die Erscheinung wiederholt, durch deren Dichte die Einsicht versperrt und die bruchlos allgegenwärtige Erscheinung als Ideal installiert.“ (S. 175)
Die Wahrheit der Plagiatsdokumentation von Robert Schmidt sperrt sich gegen den ihr kulturindustriell zuzuschreibenden Warencharakter, weil sie nicht gegen Geld verfügbar gemacht wird, noch irgendein Geschäftszweck hinter Schmidts Dokumentationen erkennbar wird – anders als bei kommerziellen Plagiatsjägern oder auch nur bei namentlich bekannten Plagiatsjägern, denen Ruhm und seine geschäftsfördernden Folgen als Motive gern unterstellt werden. Mit Adorno lässt sich konstatieren, dass Robert Schmidts Wort sinnlos erschien, das an Geschäftsinteresse gebundene Wort seines bürgerlichen Alter Egos hingegen unwahr.
Die Plagiatsjägerjagd relativiert nun die Plagiatsjagd, setzt die Unverbindlichkeit ihrer Ergebnisse voraus und dementiert die Möglichkeit einer Wahrheit, besonders der Wahrheit von Werturteilen, die nichts anderes sein könnten als klingende Münze oder hohles Geschwätz. Indem die Plagiatssuche – ein Selbstverteidigungsversuch des Kernbestandes der Wissenschaftlichkeit – als vage und beliebig denunziert wird, verteidigen die vernetzten Systemakteure mit ihrer ganzen politischen, wirtschaftlichen, publizistischen, juristischen und auch scheinwissenschaftlichen Macht das Bestehende. Die Kulturindustrie – hier in Form der Boulevardpresse – vermeidet Wahrheit wie Lüge, beugt Erkenntnis durch die Reproduktion des Mannigfaltigen („Die Spur führt zu enthaupteten Reitern, Bob Dylan und einem Jura-Professor. Der leugnet – oder nicht?“) wirksam vor und propagiert so das Seiende als Alternativloses.
- Manuel Bewarder, Lars-Marten Nagel unter Mitarbeit von Julika Meinert: Viele Indizien, kein Beweis. Wer ist der anonyme Plagiatsjäger „Robert Schmidt“? In: Welt am Sonntag kompakt Nr. 40, 6. Oktober 2013, S. 12f.
Ihre These lautet, http://schavanplag.wordpress.com/ und http://lammertplag.wordpress.com/ – bekanntlich vom VroniPlag-Mitarbeiter Hotznplotz unter dem Pseudonym „Robert Schmidt“ erstellt, seien gleichermaßen dem Inhaber des VroniPlag-Accounts SleepyHollow02 zuzuschreiben, was man vor allem an den sich überschneidenden Mustern der Aktivitätszeiten erkennen könne. Welcher Jura-Professor hinter SleepyHollow02 stecke, wird vorausgesetzt und der Name entsprechend häufig genannt.
Die VroniPlag-Aktivisten dementieren nun lauthals, dass die These stimmt. Bewarder hat das brillanterweise bereits in sein Stück eingepreist. Dummerweise macht er diesen Abschlussclou zunichte, indem er nachschiebt, Robert Schmidt verleugne auch sein angebliches bürgerliches Alter Ego; aber einem Pseudonym könne man das ja nicht glauben. Denn eigentlich, das verkennt Bewarder, kann man dem interessierten Klarnamen nicht glauben; dem Pseudonym glaubt er nur deshalb nicht, weil er es mit dem Klarnamen in eins setzt, wie Münchhausen sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zog.
Ob die These richtig ist oder nicht ist jedoch immer noch nicht die eigentliche Frage. Denn die lautet weiterhin, ob Journalisten diese These unabhängig von ihrer Richtigkeit aufstellen sollten. Ein akzeptables Pro-Argument fehlt.
Bewarders Artikel findet sich online unter „About Schmidt“ (welt.de/print/wams/politik/article120664017/About-Schmidt.html)
Zeitungsartikel erscheinen ja heutzutage unter vielen verschiedenen Titeln. Neben „About Schmidt“ und „Viele Indizien, kein Beweis“ (WamS kompakt E-Paper) gibt es auch noch „Auf der Suche nach dem gefährlichsten Plagiatsjäger“ (welt.de/politik/deutschland/article120657983/Auf-der-Suche-nach-dem-gefaehrlichsten-Plagiatsjaeger.html)
Die Welt spielt sozusagen mit zahlreichen Pseudonymen für ihre Artikel.
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