Die Luftbrücke – oder: wie die SPD das Bärenfell verteilt

Erstaunt es, dass die SPD schon vor Ende ihres sagenhaften Mitgliedervotums kalkuliert, als wären die Prüfaufträge und Absichtserklärungen des entworfenen Koalitionsvertrags bereits in Gesetze und vor allem Geld umgewandelt? Da kann man auch mal 10 Prozent ungültige Stimmen in Kauf nehmen, wenn dafür das Ergebnis passt. Die verzweifelte SPD im überschuldeten Bremen macht es vor: Dort gilt eine Große Koalition im Bund nun offiziell als Lösung aller Probleme – eine Luftnummer.

Prekäre Lage im Bildungsbereich

Das kleine Land hat kein Geld für eine Universität, leistet sich aber zwei, indem es eine öffentliche und eine private Uni finanziert, und gibt der staatlichen Universität Bremen seit Bestehen der permanenten Haushaltsnotlage zu wenig Geld zum Leben, aber noch etwas zuviel zum Sterben. Aktuell ist der akademische Mittelbau Hauptthema: Rund 1500 Stellen (Vollzeitäquivalente, VZÄ) verteilen sich auf fast 2000 wissenschaftliche MitarbeiterInnen, vielfach halbe Stellen, und zu rund 80 Prozent befristet. Bereits zwei Drittel der Stellen werden nicht aus dem Grundhaushalt der Uni (also vom Land) bezahlt, sondern über Drittmittel. Das bedeutet, dass die nicht für neue Sparrunden zur Verfügung stehen.

Von den verbliebenen 500 VZÄ sollen nach den Kürzungsplänen der Universitätsleitung 80 gestrichen werden, indem man befristete Stellen nicht wieder besetzt.[1] Wer nun fragt, ob man eine Uni nicht auch mit 20 Prozent weniger MitarbeiterInnen betreiben könnte, war wohl seit längerer Zeit nicht mehr in einem überfüllten Hörsaal: Wo die Räumlichkeiten aus allen Nähten platzen, liegt das Problem ja zu einem Großteil darin, dass nicht genug Personal für Lehrveranstaltungen zur Verfügung steht. Mitarbeiterstellen auf Drittmittelbasis gibt es meist nur für die Forschung, nicht für die Lehre. (In Berlin denkt man nun offenbar darüber nach, wie man MOOCs amerikanischer Eliteunis in die eigene Lehre integrieren kann.[2])

Von Massenentlassungen kann man da nicht sprechen, auch wenn sicherlich über 100 Angestellte betroffen sind, eher von der Massenstreichung massenhaft befristeter Stellen. In der Universitätsverwaltung sollen VZÄ in ähnlicher Größenordnung eingespart werden, heißt es. (An der Hochschule Bremen sollen die Kürzungen noch einschneidender sein. Und LehrerInnen fehlen den Bremer Schulen ohnehin in großer Zahl.) Die Hungerkur stieß an der Universität auf erwartbaren Widerstand, von Eklats und Haushaltssperren ist die Rede. Inzwischen gibt es öffentliche Proteste,[3][4] gebündelt am 4. Dezember in einer gemeinsamen Demonstration von SchülerInnen, Studierenden und MitarbeiterInnen.[5]

Wie die SPD auf die Große Koalition setzt

Als am 6. Dezember das SPD-Mitgliedervotum startete, hatten die Bremer Genossen allen Grund, mit Hoffen und Bangen nach Berlin zu schielen. Denn am selben Tag erläuterte der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Björn Tschöpe, in einem Brief an das Aktionsbündnis der Bildungsproteste den Plan, den man dort zur Bekämpfung der Bildungsmisere gefasst hat:

„In Zukunft wird es […] sowohl im Wissenschafts- als auch im Bildungsbereich um eine faire und zeitgemäßere Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern gehen. Bis diese offenen Fragen geklärt sind, haben die Bürgerschaftsfraktionen von SPD und Grünen sich angesichts der aktuellen Überlastungssituation der Hochschulen gemeinsam auf eine ‚Wissenschaftsbrücke‘ verständigt und die Mittel gegenüber dem bisherigen Ansatz des Wissenschaftshaushalts 2014/2015 um insgesamt 4,8 Millionen Euro aufgestockt. Mit ‚Überbrückungsmitteln‘ sollen an den Hochschulen 40 Vollzeitäquivalente finanziert werden. Diese Mittel dienen ausschließlich der Verbesserung der Qualität der Lehre und dem Akademischen Mittelbau.“

Anders formuliert: Die Kürzungen sind alternativlos. Einen kleinen Teil der Stellenstreichungen will man mit einer Bonuszahlung (die sich die fünf Hochschulen im Land teilen sollen) für zwei Jahre verzögern. Und bis dahin sollen die „offenen Fragen geklärt“ sein, damit die Große Koalition in Berlin das Geld rüberschiebt, mit dem eine goldene Zukunft „sowohl im Wissenschafts- als auch im Bildungsbereich“ anbricht.

Man kann davon ausgehen, dass die derzeit überall als Rettungsring erhoffte Verbesserung der Grundfinanzierung der Universitäten durch das Anzapfen des Bundeshaushalts ein zentraler Programmpunkt ist, der bildungsinteressierte SPDler für die Große Koalition stimmen lässt. Denn dazu ist wieder eine Grundgesetzänderung notwendig, nachdem die letzte Große Koalition das Grundgesetz in die andere Richtung geändert hatte. Dass die Länder (insbesondere Landeswracks wie Bremen) nicht aus eigener Kraft in der Lage sind, Länderaufgaben wie Bildung zu erfüllen, dürfte inzwischen offensichtlich sein.

Dass eine schwarz-schwarz-rote Koalition im Bund das allerdings strukturell verbessern wird, glauben nur die Verzweifelten. In Bremen gibt es davon einige. Als das Parlament dort gestern den Landeshaushalt für 2014/2015 beschloss, erschien es offenbar opportun, die nicht eindämmbare Neuverschuldung durch Betonung großer Leistungen für die Bildung zu verteidigen.[6] Jedoch fanden wohl nicht alle, dass diese großen Leistungen überhaupt existieren, und fühlten sich sogar zu „Straftaten gegen Verfassungsorgane“ herausgefordert:

„Etwa 50 Studenten demonstrierten in der Bürgerschaft gegen Sparmaßnahmen: Sie warfen Kopien von Geldscheinen und Flugblätter in den Plenarsaal. Die Sitzung musste unterbrochen werden. Die Polizei ermittelt wegen der ‚Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans‘ (§ 106b StGB).“[6]

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Eine Antwort zu “Die Luftbrücke – oder: wie die SPD das Bärenfell verteilt

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