Erbloggtes hatte zuletzt zwei Rückblicke auf die letzten Jahre publiziert. Offenbar in besinnlicher Rückblicksstimmung war jüngst auch Roland Preuß (SZ), als er sich anlässlich seiner eigenen sich jährenden Mitwirkung an der Guttenberg-Affäre einmal umhörte und „reine Symbolpolitik“ in Plagiatsdingen beklagen ließ.[1] Eigentlich müsste man bei Preuß‘ Wissenschaftsjournalismus konsequenterweise von reinem Symboljournalismus sprechen, zeigt Simone G. auf Causa Schavan und fordert für diese Innovation „einen Preis für Wissenschaftsjournalismus für Roland Preuß. Sofort!“[2]
Simone erinnert daran, wie Roland Preuß am 6. Februar 2013 den Doktorentzug der damaligen Bildungsministerin Annette Schavan kritisierte:
„Das Fehlverhalten der heutigen Ministerin liegt mehr als 30 Jahre zurück. All das hätte man berücksichtigen, die Zitierfehler rügen – und es dabei belassen können.“[3]
Rügen haben kurze Beine
Kurz zuvor hatte es in der Erbloggtes-Kommentarspalte einigen Widerspruch gegen die These gegeben, dass es sich bei Roland Preuß um einen waschechten Schavanisten handle. Eingewandt wurde unter anderem, dass er ja nur schreibe, was ihm seine Quellen sagten. Diesmal sind seine Quellen eben andere. Diesmal ist das Quellwasser nicht mit Weichspüler versetzt. Preuß sieht daher bis auf den Grund, und Empörung bemächtigt sich seiner:
„An der Uni Münster kam der juristische Fachbereich auch noch auf die Idee, trotz offensichtlicher Plagiatsstellen eine Rüge zu erteilen statt den Titel zu entziehen – und schonte damit eine heutige Richterin. Eine Rüge freilich interessiert kaum jemanden. Und sie ist in den Promotionsordnungen der Universitäten gar nicht vorgesehen.“[1]
Simone führt Preuß‘ Empörung allerdings auf ein Plagiat zurück, in dem er selbst zur nicht angegebenen Quelle wurde:
„Gedankendiebstahl! Die Uni Münster hat das dreist aus der Süddeutschen Zeitung zusammengeräubert. Trotz offensichtlicher Plagiatsstellen eine Rüge zu erteilen statt den Titel zu entziehen und damit eine damalige Ministerin zu schonen – exakt dies war ja die Idee des Roland Preuß gewesen! So hätte eine Düsseldorfer Entscheidung aussehen müssen, um von Roland Preuß für richtig gehalten zu werden. Weil eine Rüge kaum jemanden interessiert hätte. Und obwohl sie in den Promotionsordnungen gar nicht vorgesehen war.“[2]
Zeit des Untersuchens, Zeit des Empörens
Empörend, so oder so. Dabei ist jedoch untergegangen, dass damals für Preuß „die Causa Schavan ein Grenzfall [war], das zeigt schon die lange Prüfung durch die Universität“,[3] die nämlich rund neun Monate dauerte. Wenn er heute so zurückschaut, dann sieht Preuß freilich auch den „Fall an der Universität Bonn, Martin W.“, bei dem man empört konstatieren muss:
„Doch fast drei Jahre nach der Aufdeckung ist noch immer nichts entschieden, kein Titelentzug, kein Freispruch. […] Dabei hatte Vroniplag die Vorwürfe auf dem Silbertablett serviert, als Gegenüberstellung von Originalquelle und übernommenen Stellen.“[1]
Ein Grenzfall, ist ja klar. Oder nach drei Jahren schon mehr als ein Grenzfall? Man muss sich die Realität natürlich so zurechtschreiben, dass sie real klingt. Wann die ersten Indizien für jenen Fall der Uni Bonn auftauchten, lässt sich glücklicherweise hier ganz gut nachvollziehen: Am 24. Juni 2011 um 09:09 Uhr. Erbloggtes berichtete damals. Wenn die Uni Bonn alle Diskussionsforen von VroniPlag tagesaktuell durcharbeitet, dann könnte sie seit rund 2 Jahren und 8 Monaten von Verdachtsmomenten in dem Fall wissen.
Doch das wäre wohl zuviel verlangt. In diesem Bonner Fall Martin Winkels ließ sich das Plagiatswiki Zeit. So viel Zeit, dass ungeduldige Blogger sich Mitte Juli 2011 sorgten:
„Inzwischen gibt es 38 gesichtete Fragmente, d.h. der Plagiatszähler von Martin Winkels steht auf 10,44 Prozent. Irritierenderweise gibt es trotzdem weder einen Barcode, noch wird der Fall Mw auf der Hauptseite präsentiert. Was ist los mit VroniPlag?“[4]
Los waren einige interne Konfliktlinien, die hier öfters behandelt wurden, darunter die der Prominenz. In dieser Phase nahm – weitgehend unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit – VroniPlag Abschied von prominenten Plagiatoren. Winkels war – wie der weithin unbekannt gebliebene sozialdemokratische Plagiator Uwe Brinkmann – nicht in die große Politik eingestiegen, sondern in deren Umfeld hängen geblieben.[4]
Widersprüchliche Chroniken
So dauerte es bis zum 5. September 2011, bis VroniPlag den Fall Martin Winkels als zwölften auf die Hauptseite nahm[5] und wohl auch die Uni Bonn benachrichtigte. Vor 2 Jahren und 5 Monaten also. Schon im August 2013 hatte SpOn auf den Fall hingewiesen, der sich so lange hinzog, und dabei ein erstaunliches Detail erwähnt:
„In der Uni war der Fall zunächst nicht bekannt, später teilte sie mit, er würde seit dem Sommersemester 2013 geprüft und eine Entscheidung voraussichtlich im Dezember getroffen.“[6]
Dabei hatte schon im Februar 2012 der Bonner General-Anzeiger über den Fall Winkels geschrieben:
„Laut Pressestelle geht die Philosophische Fakultät dem Verdachtsfall gegenwärtig nach. Die Pressestelle verweist auch auf einen Ombudsmann für ‚Wistle blower‘, bei dem ‚wissenschaftliches Fehlverhalten‘ online über die Internetseite der Uni gemeldet werden kann.“[7]
Man weiß natürlich nicht, ob die Bonner Journalisten Zitate nicht richtig abschreiben können, oder ob man in der Pressestelle der dortigen Uni den Begriff Whistleblower nicht richtig schreiben konnte. Aber die Gesamtkonstellation deutet doch darauf hin, dass man niemals einen Ombusman mit einer Dissertation unter Plagiatsverdacht behelligen sollte. Ombudsleute sind, diese Einsicht ließ sich aus der Plagiatsdebatte der letzten Jahre gewinnen, dafür unzuständige Verschleppungsstellen zur Schlichtung (oder: zeitverzugsbedingten Abkühlung) persönlicher Zwistigkeiten unter Universitätsangehörigen. Glaubt man alles, was die Universität Bonn zu den verschiedenen Zeitpunkten so mitteilte, und versucht man ein konsistentes Gesamtbild zu basteln, dann steht es um den Zeitplan zum Fall Martin Winkels etwa so:
- Inzwischen wurde er von der zuständigen Fakultät laut SpOn seit Sommer 2013 aktiv untersucht, und damit nun etwa so lange wie der Fall Schavan in Düsseldorf bis zum Abschluss benötigte.
- In Bonn hat man aber, erfuhr Preuß jüngst, „zwei externe Gutachter beauftragt, deren Stellungnahmen ‚bis Ostern‘ vorliegen sollen“,[1] die also offenbar länger brauchen als gedacht.
Hoffnung für Bonn
Dann muss es wohl ein Über-Grenzfall sein, wäre mit Preuß zu schlussfolgern. Doch weit gefehlt: Sowohl „zwei Gutachter“ als auch „externe Gutachter“ lauten lediglich Kernforderungen der Schavanisten, die zur Diskreditierung der Düsseldorfer Schavan-Entscheidung benutzt wurden. Weil die Bonner nicht denselben Shitstorm abkriegen wollen wie die Düsseldorfer Kollegen (über deren Schicksal man vermutlich qua personeller Beteiligung recht gut informiert ist), gehen sie lieber auf Nummer sicher und tun alles, wovon wildgewordene Wissenschaftsfunktionäre auf ihren Pyrrhonikertagungen phantasieren.
Außer: Einfach Abbügeln. Wenn man sieht, wie einige Universitäten in jüngerer Zeit mit Fällen von Plagiatsverdacht umgehen, muss man der Uni Bonn attestieren, dass sie nicht den leichten Weg geht, auf den die Plagiatspyrrhoniker sie zu drängen versucht haben: Keine Rüge, wie von Preuß gefordert und von Experten verlacht,[8] keine Zurückweisung von Plagiatsindizien wegen vermeintlicher Anonymität der Hinweisenden, nichtmal der „sanfte“ Ausweg einer Notenverschlechterung statt eines Doktorentzugs. Die Uni Bonn hat bei Georgios Chatzimarkakis und Margarita Mathiopoulos (also in ihren beiden öffentlich breit diskutierten Fällen der Post-Guttenberg-Ära) den Doktor wegen Plagiaten aberkannt und damit Haltung gezeigt.
Das ist auch für den Fall Martin Winkels zu erwarten. Eine Verfahrenseinstellung aus wolkigen Gründen hätte man schneller haben können. In Gießen und Bochum reichten dafür 2013 wenige Monate. Abgesehen davon, dass man sich der Lächerlichkeit preisgibt, ist ein offizielles Ignorieren von Plagiatsfunden auch fast völlig risikolos, da niemand dagegen klagen wird. Die Dauer des Winkels-Verfahrens deutet eher darauf hin, dass man im Bonner Kompetenzgerangel zwei Jahre lang die Verantwortung für den Fall hin und her schob, weil niemand sie haben wollte. Wenn das so ist, dann ist der Fall mit etwas Glück am Ende bei denjenigen gelandet, die sich am wenigsten vor der Verantwortung drücken wollten.
Bonner Diss-Kontinuitäten
Die gibt es offenbar in Bonn. Dass es vielleicht drei Jahre dauert, bis man dort zu einer verantwortlichen Entscheidung gelangt, spricht aber dafür, dass es auch die anderen gibt, die Unverantwortlichen. Vor 2011 war die Universität Bonn eher für eine Abbügelung prominenter Plagiatsfälle bekannt, die Hermann Horstkotte „Bonner Nachsicht bei Plagiaten“ nannte: 1991 sprachen Kommissionen der Uni Bonn fast zeitgleich Margarita Mathiopoulos und Elisabeth Ströker von einer Täuschungsabsicht frei und sahen – trotz offensichtlich sich durchziehender Mängel – von einer Doktorentziehung ab. Strökers Dissertation provozierte damals einen Dauerkonflikt mit der Nachbaruniversität in Köln, die darauf bestand, dass ein solches Machwerk in Köln weder zum Entstehungszeitpunkt 1955 noch bei der Überprüfung 1991 als Dissertation gelten dürfte.
Man kann stets glauben, solche Verwerfungen seien lange her, seitdem sei zusammengewachsen, was zusammengehört: DDR und BRD, Köln und Bonn, die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität und die wissenschaftliche Redlichkeit. Aber man sollte die personellen und biographischen Dimensionen nicht ignorieren, die in aktuelle Entwicklungen hineinspielen. Dass in einem Essay über Wissenschaftsplagiate von 2008, in dem als Paradebeispiel der Fall Ströker galt, weitgehend dasselbe Personal auftritt, mit dem man auch heute ein solches Stück bestreiten könnte: geschenkt. Doch auch 1991 und in den sich anschließenden Affären spielten bereits Leute mit, von denen man nun oft hören oder lesen muss, wie zum Beispiel hier von diesen, welche Ludger Honnefelder und Wolfgang Löwer hießen.
Honnefelder tauchte seinerzeit alsKommissionsmitglied erst in einer bereinigten Endfassung des Ströker-Berichtes auf. Das ist nun allerdings nicht unbedingt ein Indiz dafür, dass seine Mitwirkung bedeutungslos gewesen wäre. Seine damals erlangte Expertise könnte jedenfalls erklären, warum man es bei so vielen schavanistischen Argumentationen der Gegenwart mit lange erprobten Begründungsmustern zu tun hat – ob diese Begründungsmuster nun auf die Sachlage der Causa Schavan genau passen wollen oder nicht.
Honnefelders Kommissionskollege Wolfgang Löwer war damals gerade nach Bonn berufen worden und saß schon als Jurist in beiden philosophischen Untersuchungskommissionen zu Mathiopoulos (Bericht) und Ströker (Bericht). Beide Kommissionen empfahlen, trotz ungekennzeichneter Übernahmen in nicht unerheblichem Umfang, von einem Titelentzug abzusehen. Im Fakultätsrat, dessen Protokoll Mathiopoulos später veröffentlichte, betonte Löwer die besondere Härte einer Doktoraberkennung, nachdem sich die Anwesenden bis dahin vor allem um die Präzedenzwirkung eines Plagiatsfreispruchs trotz deutlicher Befunde gesorgt hatten:
„Prof. Löwer weist […] darauf hin, daß es sich hier um eine Ermessensentscheidung der Fakultät handele, bei der einerseits die Erheblichkeit des Verstoßes zu berücksichtigen sei, andererseits aber auch die Härte der bei einer Aberkennung eintretenden persönlichen Folgen für den Betroffenen bedacht werden müsse.
Der Erweiterte Fakultätsrat folgt der Empfehlung der Kommission mit großer Mehrheit (bei 2 Gegenstimmen).“[9]
Dass die Teilnehmer an diesen – die engste Fachöffentlichkeit auch damals schon überschreitenden – Affären von ihren Verstrickungen und Erfahrungen unbeeinflusst geblieben sind: undenkbar. Marc Dressler kam 2008 zu dem Schluss:
„In der Gemengelage aus abschottendem Korpsgeist und inquisitorischem Eifer ist ein sachlicher Umgang mit Plagiatsvorwürfen nahezu unmöglich. Hemdsärmlig steuern die Untersuchungskommissionen durch die Untiefen unterschiedlichster Interessen: dem Interesse ihrer Mitglieder, dem ihrer Einrichtung und – zuletzt – dem der Wissenschaft. Entsprechend ungewiss ist der Ausgang hochschulautonomer Untersuchungen.“[10]
Über den Ausgang hochschulautonomer Untersuchungen im Fall Martin Winkels lässt sich entsprechend wenig vorhersagen.
tl;dr: Der jeweilige Umgang mit konkreten Plagiatsfällen hat stets eine historische Dimension. Doch die Überzeugungen von gestern können sich schon morgen als unhaltbar erweisen.
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