Stimmen zum Schavan-Urteil

Erreichte Schavan nichts mit ihrer Klage gegen die Rücknahme des Doktorgrades, oder war der Ertrag des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf sogar als weniger als nichts anzusehen? Zweifellos war ein Urteil, das negativer für Schavan ausgefallen wäre, kaum denkbar. Das wollten aber nicht alle wahrhaben. Einige Stimmen demonstrieren die Tatsachenresistenz des Schavanismus:

Aktuelle Top-Schavanisten

Peter Monnerjahn hat sich in einer sukzessive ausgebauten Analyse unter dem Titel „Schavans nützliche Idioten“ den hervorstechendsten Vertretern des Schavanismus in der nachverwaltungsgerichtlichen Ära (Post-VG-Schavanisten) zugewandt. Dabei hat er sich der bewährten Qual unterzogen, die Äußerungen auf ihre argumentativen Schlüsselstellen zu durchsuchen, diese als Zitate zusammenzustellen und im Zusammenhang zu erläutern, warum die Augen eines durchschnittlich verständigen Lesers bei der Lektüre solcher Machwerke unweigerlich zu tränen beginnen, als befände er sich während des Haber-Bosch-Verfahrens mitten im Hochdruck-Reaktor.

Wegen der drohenden Gesundheitsgefahren seien hier nur die Namen der bisher dort unter Schutzatmosphäre behandelten Heroen des Schavanismus genannt und etwas zu ihrer Einordnung beigetragen: Jan-Hendrik Olbertz, Marion Schmidt, Eva Quadbeck, Günther Nonnenmacher und Torsten Krauel. Während Olbertz als Präsident der Humboldt-Universität zur Wissenschaftsfunktionärsentourage der Exministerin gehört (dazu später mehr), zählen sich die anderen zur schreibenden Zunft. Quadbeck schreibt für Schavans Haus- und Heimatpostille „Rheinische Post“ und kann dort zuweilen sogar mit Insiderinformationen aufwarten, die gar nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren (dazu später mehr).

Mit der Anwerbung von Schmidt aus der Konkursmasse der Financial Times Deutschland hat „Die Zeit“ einen Coup auf dem Transfermarkt der Top-Stars im Weltklasseschavanismus gelandet (was manche verwunderlich finden): Bereits am 17. Oktober 2012, kurz nach der Spiegel-Enthüllung einer „leitenden Täuschungsabsicht“, hatte Schmidt in der FTD unnachahmlich getitelt: „Plagiatsjäger – Lasst Frau Schavan in Ruhe!“[1] Damit kann sie wie Quadbeck als Veteranin der ersten schavanistischen Großoffensive gelten. Und Krauel, ach Krauel. Der hatte vor einem Jahr noch beklagt, die Uni Düsseldorf hätte Schavan auf eine Stufe mit Massenmördern gestellt. Diesmal war es nur Guttenberg.

Über FAZ-Mitherausgeber Nonnenmacher, der wohl zuviel „mit Klebestift und Schere gearbeitet“ hat, war derartiges bislang nicht bekannt, aber der hatte ja für die Drecksarbeit Schavanistinnen ganz anderen Kalibers an der Hand, die in jüngster Zeit auffällig still geblieben sind. Zuletzt hatte man im Februar von Heike Schmoll gehört, als sie unter Aufsicht des politischen Redaktionsleiters Bannas titeln durfte: „Schavan wird Vatikan-Botschafterin. Ein verdientes Amt“,[2] was sich durchaus ironisch lesen ließ, und anschließend auch noch die verfehlte Schulpolitik der Ära Schavans kritisierte und bemerkte, damals „scherte […] die damalige Kultusministerin Schavan wenig“, was „der verantwortliche Bildungsforscher“ zu dieser Politik feststellte.[3]

Bemerkenswert antischavanistische Töne der FAS

Vielleicht wollte Nonnenmacher aber auch nur präventiv ein spontanes Gegengewicht setzen, bevor Politik-Redakteur Thomas Gutschker in der Sonntagsausgabe FAS schrieb: „Aberkennung des Doktortitels. Hilft nicht: Schavan hat betrogen“.[4] In dem lesenswerten Stück, das entweder eine Predigt oder ein Nachruf oder beides ist,  klärt er das FAS-Publikum darüber auf, was in szenebekannten Internetpublikationen seit fast zwei Jahren als der eigentliche Schavan-Skandal angesehen wird:

„In den vergangenen Jahrzehnten ist eine Kaste von Wissensfunktionären entstanden, die von Exzellenz faseln, aber nur leeres Stroh dreschen.“

Diese Wissenschaftsfunktionäre, wie sie wohl besser zu nennen sind, haben sich behaglich in Annettes Welt eingerichtet:

„Das ist die Welt, in der Annette Schavan lebt, seit die Plagiatsvorwürfe gegen sie bekannt wurden. Es ist eine Welt, die nicht nur sie sich zurechtgezimmert hat.“

Was Jürgen Kaube in derselben Zeitung einmal das „Nutzfreundschaftsnetzwerk Schavans“ genannt hat,[5] gelangte rasch und unter Leugnung einfachster moralischer wie wissenschaftlicher Grundsätze zu einer sich durchziehenden Auffassung, die Gutschker so zusammenfasst:

„Die Universität Düsseldorf, ihr Gutachter und ihre Gremien, soll eine Ministerin aus niederen Motiven verfolgt haben!“

Es ist wohl als Ausdruck von Gutschkers Betriebsblindheit anzusehen, wenn er den Schavanismus als dominant in der Wissenschaft, aber nur als Randerscheinung in der Öffentlichkeit ansieht:

„Im Fall Schavan haben ein großer Teil der Wissenschaftsgemeinde und ein kleiner Teil der Öffentlichkeit die komplette Umwertung der Werte wissenschaftlichen Arbeitens versucht.“

Bei der Suche nach strukturellen Gründen für dieses erstaunliche Phänomen der offensiven Leugnung basaler Prinzipien der eigenen Existenz (andernorts mit der Leugnung der Evolution verglichen) gelangt er rasch zur Hypothese, dass die Grundlagen der Existenz dieses Schavanistenmilieus eben nicht in Wissenschaft und ihrer zuverlässigen Überprüfbarkeit liege, sondern in der Vermarktung:

„Natürlich krähten die am lautesten, die am meisten von den Milliardenzuteilungen der Ministerin abhängig waren. Die wahren Gründe aber liegen tiefer. In den vergangenen Jahrzehnten ist eine Kaste von Wissensfunktionären entstanden, die sich selbst oftmals nicht durch wissenschaftliche Spitzenleistungen auszeichnen, sondern durch Managementfähigkeiten.“

Wo der Staat nach der Industriemoderne sich selbst abmagert, muss die Staatsfinanzierung von Wissenschaft zusammengestrichen und nach Effizienzgesichtspunkten ausgerichtet werden. Für die Wissenschaftsfinanzierung durch Drittmittel jedoch ist Wahrheit nichts und Public Relations alles – besonders „Relations“ zu den verbliebenen „Public“ Fleischtöpfen. Deren großzügigen Einsatz hat Schavan perfektioniert und so „die Wissenschaft selbst“ ins Stockholm-Syndrom getrieben. (Eine Folge der Streichung von Grundmitteln und des Ausweichens in Drittmittel zur Hochschulfinanzierung hat Markus Dahlem jüngst als „Mißbrauch befristeter Arbeitsverträge“ eindrücklich geschildert.)

Gutschker fasst es in Worte, die sich für die üblichen Verdächtigen hoffentlich wie ein Schlag in die Magengrube anfühlen, wenn sie in der FAS stehen:

„Wie gut, dass Annette Schavan gegen die Universität Düsseldorf geklagt hat! Denn nun haben sie und ihre Speichellecker es schwarz auf weiß: Der Entzug ihres Titels war rechtmäßig. Die Universitätsgremien haben rechtmäßig gehandelt und plausibel begründet, warum Schavan getäuscht hat.“

Doch die Art, wie Menschen die Welt wahrnehmen, lässt sich nicht mit einem FAS-Artikel oder einem Gerichtsurteil ändern, weder bei den Speichelleckern, noch bei den Speichelnden:

„Schavan tritt weiter kämpferisch auf, sie hat sich in ihrer Verschwörungswelt eingemauert.“

Wie sie da jemals wieder rauskommen könnte, ist zur Stunde unabsehbar. Eine Fastenpredigt, bei der sie zum Titelfasten genötigt und demonstrativ nicht mit Doktor angesprochen wurde,[6] half nicht. Allerdings dürfte ein längerer Kuraufenthalt in einer Exorzistenmetropole der Gesundung zuträglich sein. Die Archivalia-Kommentatoren halten die ganze Sache inzwischen für einen guten Komödienstoff, während andere dies „als absurd überzogen und wenig überzeugender literarischer Fehlstart“ bewerten würden.

Ob mit der Komödie damit allerdings das richtige Genre getroffen ist, bleibt unklar. Vorschläge für #Schavanfilme nimmt Sat.1 ab sofort über Twitter entgegen. Bedingung: Prof. Dr. Dr. mult. Hein-Schmöke Pufogel, stellv. Vors. der wissenschaftlichen Sauberkeitsstandarten-Allianz (SAUSTALL) spielt sich selbst.

Man soll dem Freitag nicht den Sonnabend unterstellen

Vielleicht gibt es sogar einen Gastauftritt von Michael Sonnabend, dem Leiter Öffentlichkeitsarbeit des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft. Das sind die, die durch die zusammengestrichene Staatsfinanzierung von Wissenschaft deren Effizienzausrichtung bejubeln und als „Deutschlands großer privater Wissenschaftsförderer“ ebensosehr an Public Relations und ebensowenig an wissenschaftlicher Wahrheit interessiert sind wie die Wissenschaftsfunktionäre. Nur dass die Wirtschaftsvertreter zusätzlich eine ökonomisch-technische Verwertbarkeit der Ergebnisse wünschen, und das natürlich eine gewisse Zuverlässigkeit erfordert.

Aber bei Theorien über das Gewissen, da kann Zuverlässigkeit ja nichts anderes bedeuten, als dass man ein Gewissen hat. Und das hat ja einen Wert, also lässt es sich gut verkaufen. Und so findet Sonnabend:

„Es könnte sich lohnen, hie und da etwas genauer hinzuschauen. Denn nicht immer muss man eine wissenschaftliche Arbeit mit einigen Zitierschwächen gleich in Bausch und Bogen als Täuschung verdammen. Wissenschaftlich unsauberes Arbeiten ist nicht mit einem Achselzucken zu entschuldigen, muss aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass gleich die gesamte Arbeit wertlos ist.“

Das schavanistische Credo folgt wie zu erwarten:

„Eine ‚leitende Täuschungsabsicht‘ wird Schavan unterstellt.“

Prodekan Stefan Rohrbacher hat während des Sommersemesters 2012 Schavans Dissertation überprüft und mit zahlreichen Quellen verglichen. Aus seinem Gutachten stammt die Wendung von der leitenden Täuschungsabsicht, die aus der sichtbaren Arbeitsweise ableitbar sei. Wenn nun die Schavanisten lautstark leugnen, dass diese Ableitung möglich sei, da Absichten innerpsychische Zustände und von außen nicht überprüfbar seien, dann verkennen sie eines: Es gab bisher eine eng begrenzte Gruppe von Menschen, die mit Sicherheit die Argumentation des Rohrbacher-Gutachtens überprüfen konnten, mit der er begründet hatte, warum das Muster in Schavans Dissertation nicht anders erklärbar ist als durch einen zumindest bedingten Täuschungsvorsatz. Alle von diesen, die nicht direkt von Schavan mit der Vertretung ihrer Interessen beauftragt waren, sind zum selben Schluss gelangt:

  • Der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf,
  • der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf,
  • der auf Hochschulrecht spezialisierte juristische Gutachter Klaus Ferdinand Gärditz,
  • die auf Hochschulrecht spezialisierte 15. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf,

sie alle stellten fest: Das stimmt. Ohne Schavans leitende Täuschungsabsicht anzunehmen, lässt sich eine solche Mischung von fehlenden Fußnoten und verschleierten Fremdformulierungen nicht erklären.

Dieselbe Datenbasis besitzen unter den Leugnern dieser Schlussfolgerung lediglich Schavan und ihre Anwälte. Ob irgendwelche Schavanisten das vollständige Rohrbacher-Gutachten gelesen haben, ist keineswegs sicher. Dass es nicht in Journalistenkreisen kursiert, ist jedoch gewiss.

Würde man alle Schlussfolgerungen, denen auf Grundlage der besten verfügbaren Daten fast alle methodisch Ausgebildeten zustimmen, künftig stets als Unterstellungen ansehen, müsste Wissenschaft fortan Unterstellungsschaft heißen. Das hat der PR-Chef des Stifterverbands für die Deutsche Unterstellungsschaft ja großartig vorgeführt. Aber Sonnabend kann noch mehr: In vollendetem Pyrrhonismus argumentiert er, dass Plagiate niemals die wissenschaftliche Leistung einer Dissertation beeinträchtigen können:

Nicht nur würden bei der Arbeit an einer Dissertation „Wissen und Können des Doktoranden kontinuierlich“ überprüft und so „sicher gestellt […], dass ein Doktorand mit ‚leitender Täuschungsabsicht‘ ziemlich schnell durchs Raster fällt.“ Auch die Eigenart von Dissertationen, neue Erkenntnisse vorauszusetzen, hat es ihm angetan:

„Wenn ich aber mit meiner Dissertation neue Erkenntnisse schaffen will, kann ich streng genommen niemanden mehr zitieren, höchstens, um ihn zu widerlegen. Die Sphäre neuen Wissens ist im Prinzip zitatfrei. […] Oder aber ich gebe die Erkenntnisse anderer für meine aus, indem ich sie nicht korrekt als fremde Aussagen kennzeichne: Dann aber gebe ich Erkenntnisse als meine aus, die nicht neu sind, sondern irgendwo in der Literatur bereits existieren. Wenn mein Doktorvater mir dann abnimmt, dass diese Erkenntnisse meine ureigenen und also neu sind, dann kennt er ja die Forschungsliteratur nicht zur Gänze.“

Indem Sonnabend die Unfähigkeit des Doktorvaters, Plagiate bereits im Vorfeld zu erkennen, als dessen Pech denunziert, unter dem doch wohl Plagiatoren nicht Jahre später leiden dürften, ignoriert er die zu jeder Doktoarbeit abzugebende Erklärung, nach der alle wörtlich oder sinngemäß aus anderen Werken übernommenen Stellen als solche unter Angabe der Quelle gekennzeichnet sind. Eine solche Erklärung wäre ja völlig überflüssig, wenn Doktorväter auf Anhieb erkennen könnten, ob das der Fall ist oder nicht.

Aber Sonnabend hat eine beglückende Lösung für die Plagiatsproblematik parat: Doktorväter schreiben künftig keine Dissertationsgutachten mehr, sondern Charaktergutachten, um „die reinen Karrieristen frühzeitig identifizieren“ und aussortieren zu können. Denn „Personen, die eben nicht richtig in die akademische Welt eingebunden sind und bei denen auch kein wirkliches wissenschaftliches Interesse zu erkennen ist“, das sind natürlich die eigentlichen Betrüger. „Worauf kommt es uns also an?“, fragt der Vordenker des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft.

„Auf wissenschaftliches Handwerk oder darauf, unsere Welt ein bisschen schlauer zu machen? […] Und natürlich die Person selbst: Ist sie in die akademische Gemeinschaft ihres Institutes integriert? Wie hoch ist ihre wissenschaftliche Reputation?“

So funktioniert Drittmitteleinwerbung. Da wird die Person als ganze in den Blick genommen, ihre Vernetzung und Embeddedness zählt, ihre Reputation und die Schläue ihrer Anverwandlung fremder Ergebnisse. Und die Person Annette Schavan als ganze, ihre Vernetzung, Embeddedness und Schläue, die sind ja dreißig Jahre später noch viel größer als damals. Deshalb soll man nach Ansicht der Schavanisten nach so langer Zeit auch keine Doktortitel mehr aberkennen.

Politik, Kirche und diese, ähm, andere Kirche

Der eigentlichen Frage von ganzer Person, Vernetzung, Embeddedness und Schläue hat sich die „Südwest Presse“ nach dem Prozess gewidmet:[7]

„Was sagen Vertreter aus Kirche, Wissenschaft und Politik dazu?“

Die Politik lässt durch den Ulmer CDU-Fraktionschef Thomas Kienle mitteilen, dass die ganze Person und ihre Vernetzung „verdienstvoll“ sei und bleibe, „nicht zuletzt im Blick auf den hiesigen Wahlkreis.“ Deshalb sei Schavans Dissertation „für ihre zukünftige Aufgabe als Botschafterin im Vatikan“ auch völlig irrelevant. Und man wisse ja aus Baden-Württemberg, wie so ein Verwaltungsgericht „angesichts der politischen Konstellation in Nordrhein-Westfalen und der Konstellation der Gerichtsbarkeit“ geradezu entscheiden müsse.

Für die Kirche beteuert der Ulmer Dekan Matthias Hambücher, dass „die Entscheidung des Düsseldorfer Gerichts […] ‚gar nichts‘ an der Tatsache“ ändere, „dass sie eine glaubwürdige Person ist“. Für die Wissenschaft hält der dortige Uni-Präsident Karl Joachim Ebeling die „politischen Leistungen der ehemaligen Ministerin“ für „völlig unabhängig von der Plagiatsproblematik“. Damit soll wohl gesagt sein, dass die Beurteilung der „Plagiatsproblematik“ durch die Hofschranzen völlig unabhängig von den „politischen Leistungen“ sei, die Schavan ihnen erbracht hat. Der Rektor der Hochschule Ulm hingegen, Achim Bubenzer, erklärt sich als Naturwissenschaftler für die „Plagiatsproblematik“ völlig unzuständig. Aber es könne ja wohl nicht sein, „dass man einem Menschen mehr als 30 Jahre später einen Titel aberkennt.“ Unerhört sei ein solcher „politischer Vorgang“.

Da man in Ulm solche Kirchen- und Wissenschaftsspitzen hat, ist es gut, dass sich aus Oxford Hans-Georg Schneider in einem Leserbrief zu Wort meldet und auf den „Unterschied zwischen der katholischen und der protestantischen Glaubenshaltung gegenüber Wissenschaft“ hinweist:

„Der katholische Glaube braucht im Prinzip keine Wissenschaft. […] Ihre Majestät die Wissenschaft samt der von ihr erzwungenen ‚Wissenschaftlichkeit‘ müsste ebenso als Ritual am Pranger stehen und in Frage gestellt werden.“

Das sagt Schneider ganz trocken und voller „Wissenschaftlichkeit“ in Anführungszeichen, und unterzeichnet als „Wissenschaftshistoriker“. Denn eins ist klar für einen echten Oxforder Royalisten: Wenn Ihre Majestät am Pranger steht, „müsste ebenso“ natürlich „Ihre Majestät die Wissenschaft“ dort stehen.

Mandarinenkniefall

Aus der geschickten Umkehrung der üblichen Rollenverteilung schöpft eine Forderung Volker Riebles ihre symbolische Kraft, so dass das Tagesspiegel-Team sie zum Titel erhob: „Nach dem Urteil gegen Annette Schavan. ‚Kniefall‘ vor der Uni Düsseldorf erwartet“. Damit würden ja die „Majestäten“ der Wissenschaft und ihre Ministerin selbst im Staube knien und die Häupter beugen vor den Gremien einer rot-grün verkommenen Reformhochschule, wo gar verlotterte Studenten über das Wohl und Wehe der ersten „Wissenschaftlerin“ des Reiches bestimmen durften.

Derartiges wird nicht passieren, das weiß auch Amory Burchard vom Tagesspiegel.[7] Doch die Stimmung in der Wissenschaft weht den Geldbeschaffern inzwischen womöglich ins Gesicht: „In der scientific community ist auch die Rede von einem ‚Gesichtsverlust‘ der Allianz“,[8] heißt es unkonkret. Wissenschaftler wollen mit „ihren“ Funktionären lieber nichts mehr zu tun haben, wenn man vom Geld absieht, auf das sie mehr oder weniger angewiesen sind. Denn es droht jenen, die sich in die Gewässer des Wissenschaftsmanagements begeben, ein Geruch anzuhaften, der mit dem Bedürfnis von Wissenschaftlern nach Respekt aus dem Kollegenkreis nicht vereinbar ist.

Wissenschaftlich ist nicht im Entferntesten rechtfertigbar, was diese Funktionäre, auf die die Eigenschaften der bereits niedergegangen geglaubten deutschen Mandarine wohl zutreffen, getan haben. Womöglich sollte man aufgrund der Bindungslosigkeit der Funktionäre, die durchaus eine gewisse Vielfalt in Herkunft und Tätigkeitsprofil aufzuweisen scheinen, eher von ihrem Postmandarinentum sprechen. Die Postmandarine jedenfalls haben sich so weit vom einfachen Wissenschaftsvolk entfernt, dass eine Wiedervereinigung denkbar unwahrscheinlich ist. Seit der Schavan-Krise mehren sich auch die Stimmen, die Maßnahmen fordern, um die Wissenschaft aus ihrer Abhängigkeit von den Funktionäre zu befreien: Etwa die Autorität der Macht durch die Autorität der Ideen zu ersetzen.[9] Oder die Grundmittel der Hochschulen wieder zu erhöhen, das wäre ein Schritt in diese Richtung.

V-Fall

Mit Schavan war derartiges nicht zu machen. Aber nach ihrem unwürdigen Ende – nein, eigentlich schon fast vier Monate vorher – ist für jeden offensichtlich geworden, wohin es führt, wenn man staatlichen Funktionsträgern erlaubt, ihre Machtposition für persönliche Zwecke zu missbrauchen. Simone G. hat jüngst ausgegraben, welchen Schurkenstreich Schavanistin Quadbeck in der „Rheinischen Post“ bereits am 17. Oktober 2012 enthüllte:

„Bildungsministerin Annette Schavan zeigt sich bislang äußerst nervenstark. Wenige Tage nach dem für sie sicherlich schlimmsten Moment ihrer politischen Karriere gewinnt sie in der Debatte um ihre Doktorarbeit wieder die Oberhand. Zunächst versicherte sie sich des Rückhalts der Kanzlerin. Dann sorgte die bestens vernetzte Politikerin diskret dafür, dass Wissenschaftler, Kirchenleute und Parteifreunde Solidarität bekunden und die Uni Düsseldorf kritisieren. Das war klug und auch angemessen. Schließlich hat die Indiskretion vom Rhein die Ministerin ins Trudeln gebracht.“ (Hervorhebung nicht im Original)

Mochte man Schavanismus noch lange als phantastische Verschwörungstheorie abtun: Die Zentralsteuerungshypothese erhält mit dieser privilegierten Aussage aus dem Kreis der Eingeweihten einen schlagkräftigen Beleg. Wie formulierte Thomas Gutschker?

„Denn in keinem anderen Plagiatsverfahren hat es jemals eine solche Parteinahme von Professoren mit einer Beschuldigten gegeben. Erziehungswissenschaftler versicherten eilfertig, es handle sich bei ihrer Disziplin gar nicht um eine Wissenschaft, also müssten an eine Dissertation in diesem Fach geringere Maßstäbe angelegt werden. Die Allianz der großen Wissenschaftsorganisationen verstieg sich zu der Behauptung, verfahrensrechtliche Korrektheit sei ‚keine hinreichende Bedingung, um die Aberkennung eines Doktorgrades zu begründen‘.“[4]

Schavanisten liebten hingegen die Theorie, an der Universität Düsseldorf gebe es eine Verschwörung gegen Annette Schavan, und die Chefschavanistin höchstselbst erklärte im Wahlkampf wiederholt Dinge wie:

„‚Ich finde meine Dissertation auch nach wie vor gut‘, betonte sie. Vorzuwerfen habe sie sich auch bei genauerem Nachdenken nichts. Und ‚ich tu denen nicht den Gefallen, daran zu zerbrechen‘, betonte Schavan als Schlusssatz zu diesem Thema. Das Publikum quittierte diese Aussage mit einem langen Applaus.“[10]

Woher sie wusste, womit sie „denen“ einen Gefallen tun konnte? Weil sie sie selbst erschaffen hatte. Aber das ist eine andere Geschichte, die sich vielleicht besser ein andermal in einem kleineren Kreis erzählen lässt.

tl;dr: Eine Welle der Solidarität mit einer heimtückisch Angegriffenen ist für viele die attraktivere Story als der Missbrauch staatlicher Funktionsnetzwerke für persönliche Zwecke.

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7 Antworten zu “Stimmen zum Schavan-Urteil

  1. Pingback: Wort des tages | Schwerdtfegr (beta)

  2. Gerüchten zufolge (oder waren es Gerichte, das ist alles so schwer zu unterscheiden) soll das vatikanische Auffanglager für unsere liebe Ulmer Jeanette D’ark nun in der Betreuung des ebenfalls völlig zu Unrecht in, pardon, Misskredit geratenen Tapperts van Elster bestehen.

  3. ich freu mich schon auf das interview, das dann jürgen liminski im dlf mit tebartz führen wird 😉

  4. Ziemlich entlarvend. Etwas journalistisch Wertvolleres als die Gelegenheit zur Selbstentblößung gibt es ja kaum.

  5. na denn: bon appetit 😉

  6. „Der katholische Glaube braucht im Prinzip keine Wissenschaft.“

    Richtig. Und mit ein paar Geboten weniger kommt er auch aus. Von Nr. 7 „Du sollst nicht stehlen anderer Leute geistiges Eigentum.“ und Nr. 8 „Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen.“ kann man sich schon mal ohne Weiteres verabschieden. Nr. 10 „Du sollst nicht begehren anderer Leute Titel.“ dürfte grade so auf der Kippe stehen, je nach Exegese. Anhaltspunkt dafür, dass hier Götzen gehuldigt wird (Nr. 1), könnte man auch sehen.

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