Vertraulicher Schavanismus – oder: Wie die HRK das Schavan-Verfahren manipulieren wollte

Ermöglichte schließlich das Ende des Schavan-Prozesses, sich wieder anderen Dingen zuzuwenden, beispielsweise Erfreulichem wie der Botschafter-Residenz in Rom. Die passt nämlich ganz ausgezeichnet zu ihrer baldigen Bewohnerin:

„Branca [der Architekt] entschied sich für einen Bau im Stile des Stauferkaisers Friedrich II. Dabei galt es ‚Einfachheit, Klarheit und zurückhaltende Monumentalität‘ im antiken römischen Kontext umzusetzen, wie es Branca formulierte.“[1]

Schavanismus hinter den Kulissen

Oder – und das ist ja ebenfalls erfreulich – es eröffnet sich die Chance, von der zentralen Figur der Schavan-Affäre zu abstrahieren und sich wieder Fragen von allgemeinerer Bedeutung zuzuwenden. Fragen von Korruption und Machtmissbrauch in den Zonen der Vernetzung von Politik und Wissenschaft beispielsweise. Seit Mitte Oktober 2012 waren hier immer wieder die Einflussnahmeversuche auf den sachlich und rechtlich vorgezeichneten Verlauf des Promotionsüberprüfungsverfahrens Thema. Es waren zunächst die in den Massenmedien verbreiteten Stellungnahmen einzelner Wissenschaftsfunktionäre, die auffielen und durch die sich schon im Mai 2012 die Schavan-Affäre von allen vorherigen Plagiatsaffären abhob. Dann wurde immer deutlicher, dass die gesamte Kaste der Spitzenfunktionäre alles daransetzte, ihre Ministerin zu retten. Diese neue Qualität erhielt den Namen Schavanismus, der sowohl die Einzigartigkeit des Phänomens als auch die zugrundeliegende Verblendung zum Ausdruck bringen sollte.

Der Schavanismus äußerte sich in zahlreichen massenmedialen Statements von Wissenschaftsfunktionären, die ihr verstärkendes Echo in der entsprechenden Kommentierung durch Journalisten fanden. Doch mehr und mehr wird erkennbar: Heftig agiert wurde auch hinter den Kulissen.  Diese versteckte Form des Schavanismus verdient auch nach dem “Ende” der Affäre besonderes Interesse. Denn während die gezielte Beeinflussung der öffentlichen Meinung ein indirekter Ansatz zur Realisierung der eigenen Ziele ist, der immerhin auch öffentlich beobachtbar und kritisierbar ist, muss die persönliche Intervention als direkter und unkontrollierbarer Versuch der Machtprojektion angesehen werden. Das macht sie besonders gefährlich, aber auch faszinierend.

Verschiedene Formen solch heimlichen Schavanismus hinter den Kulissen sind denkbar: Einschüchterung, Drohungen, Bestechungsangebote, aber natürlich auch der schlichte Vortrag sachlicher Argumente könnten schließlich die Realisierungschancen für die gewünschte Entscheidung verbessern. Zwar indirekt, aber auch dem heimlichen Schavanismus zuzurechnen ist die persönliche Intervention bei Stellen, die den Entscheidungsträgern in irgend einer Weise vorgesetzt sind. Die natürliche Autorität renommierter Leumundszeugen könnte ihr Potential natürlich ebenso wie die Sachargumente gleichermaßen oder besser entfalten, wenn sie öffentlich auftreten. Aber in manchen Amtsstuben reagiert man ja in altpreußischer Tradition eher störrisch auf öffentlichen Druck. In welche dieser Kategorien durch Fakultätsflure tobende Senioren fallen, von denen bei anderer Gelegenheit berichtet wurde, kann vielleicht vorerst offen bleiben.

Vertraulich: Schavanismus im Schlüsseldokument

Die wenigen Spuren von solchem Schavanismus, die sich auch im öffentlichen Raum erkennen ließen, fanden hier wiederholt Behandlung, und so kam es, dass in den Kommentaren oder über andere Kontaktwege immer wieder Augenzeugen Hinweise auf die eine oder andere Instanz des vertraulichen Schavanismus gaben. Der heute vorzustellende Fall ist ein echter Leckerbissen in dieser Hinsicht. Denn es handelt sich um die Kopie eines Dokuments, mit dem allerhöchste Stellen Brief und Siegel für ihre Aktivitäten im Sinne des heimlichen Schavanismus geben:

Mitte Januar 2013. Bildungsministerin Dr. Annette Schavan hat Zukunftssorgen. Der Düsseldorfer Promotionsausschuss hat mit 7:0 Stimmen empfohlen, ein Verfahren zur Aberkennung des Doktorgrades einzuleiten. Noch hat der Fakultätsrat nichts beschlossen. Aber das wird noch im Januar erwartet. Da fasst sich Horst Hippler ein Herz, seines Zeichens Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Er greift sich am 15. Januar zwei Blatt seines guten Briefpapiers mit dem HRK-Logo und schreibt:

Persönlich – Vertraulich
An den Dekan der Philosophischen Fakultät
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Herrn Prof. Dr. Bruno Bleckmann
Über den Rektor
Herrn Prof. Dr. Dr. H. Michael Piper
Gebäude 16.11
Universitätsstraße 1
40225 Düsseldorf“[2]

Das wäre schonmal geschafft. Vertraulich fett. Der Stempel „Verschlusssache“ kann immerhin in der Schublade bleiben. Aber wie fängt man so ein Schreiben an? Am besten so:

„Magnifizenz, Spektabilis, sehr geehrte Herren Kollegen Piper und Bleckmann,

als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz möchte ich Ihnen heute die Sorge einer namhaften Zahl der Mitglieder der HRK übermitteln, die das Verfahren zur Überprüfung der Plagiatsvorwürfe gegen Frau Prof. Dr. Annette Schavan und ihre Dissertation betrifft.“[2]

Mit vertraulich brennender Schavanistensorge wandte sich Hippler an die offenbar aus der Frühen Neuzeit stammenden Düsseldorfer Würdenträger, die seinen Brief gewisslich über ihren Talaren entfalteten, die Amtsketten zurechtrückten und sich unter den Doktorhüten kratzten, weil der HRK-Präsident suggerierte, in Düsseldorf würden die Plagiatsvorwürfe überprüft und nicht etwa die Dissertation. Im Raum stand seit dem Beschluss des Promotionsausschusses die Einleitung eines Verfahrens zur Rücknahme der Promotion. Bis zur Sitzung des Fakultätsrats, auf der darüber entschieden werden sollte, war nur noch eine Woche Zeit. Das machte Hippler Sorgen. Und Schavan auch.

Wie man einen Ukas der Autonomie formuliert

Deshalb nutzte der HRK-Präsident all seine Formulierungskunst, um in den folgenden Zeilen zu betonen, wie wichtig die bevorstehende Entscheidung der Universität Düsseldorf nicht nur für die Universität Düsseldorf und ihre ehemalige Doktorandin sei, sondern für alle Universitäten und „die deutsche Hochschullandschaft insgesamt“.[2] Die exorbitante Bedeutung der anstehenden Entscheidung wurde natürlich hervorgehoben, um zu verdeutlichen, dass man da viel falsch machen konnte. Insbesondere, wenn man sich weiter so störrisch verhielt wie das der Promotionsausschuss zuletzt getan hatte, obwohl zuvor doch eine Medienoffensive deutlich gemacht hatte, dass man nicht einfach eine Bildungsministerin behandeln konnte wie eine x-beliebige Plagiatorin, nur beispielsweise von der FDP.

Es könnte ja sein, muss sich Hippler gedacht haben, dass man in Düsseldorf noch eine Argumentationshilfe brauche, warum denn die Befunde plötzlich nicht mehr für eine „leitende Täuschungsabsicht“ sprächen und von einer Doktor-Entziehung keine Rede mehr sein sollte. Und die guten Gründe, die stellte er dann in einer „Erklärung zu Plagiatsverfahren an deutschen Hochschulen“[2] dar, die er seinem persönlichen, vertraulichen Schreiben beifügte. Zur Entstehung dieser Erklärung der Hochschulrektorenkonferenz verwies er pompös auf die besorgten „Mitglieder der HRK“, auf eine „Vielzahl von großen Universitäten, auch von den Gruppen der U15 und der TU9”, auf „Die deutschen Hochschulen insgesamt“, „Insbesondere die Universitäten in der HRK“,[2] vermied aber konkrete Angaben, wer denn nun was sagen wollte außer ihm selbst „als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz“.[2]

Tatsächlich ist das eine sehr merkwürdige Erklärung der HRK, die Horst Hippler da seinem persönlich-vertraulichen Brandbrief nach Düsseldorf beigefügt hat. Wahrscheinlich ist es die einzige HRK-Erklärung, deren alleiniger Adressat eine einzelne Hochschule war – persönlich, vertraulich. Veröffentlicht hat die HRK diese Erklärung bis heute nicht – aber wer weiß, ob der HRK-Präsident nicht öfters Geheimerklärungen an die Mitgliedshochschulen schickt.

Wie uns das Briefpapier verrät, spricht aus der HRK “Die Stimme der Hochschulen”. Es handelte sich also eigentlich um ein Selbstgespräch, das Hippler hier führte. Selbstredend fielen ihm gleich ganz viele gute Gründe ein, wie man das Düsseldorfer Verfahren doch noch in die richtige Spur bringen könnte, allen voran das „Mehraugenprinzip“[2], das wohl aus der Piratensprache kommt und verbietet, dass ein einäugiger Seemann das Ziel anpeilt, weil der ja die Entfernung viel schlechter abschätzen kann als ein mehräugiger Seemann. Da der Düsseldorfer Promotionsausschuss samt seines Vorsitzenden Rohrbacher auf einem gemeinsamen Segeltörn mal unverhofft in eine große Seeschlacht mit einer historischen Bireme außerhalb der vorgeschriebenen Rumpfgeschwindigkeit geraten war, saßen da wohl nur noch Einäugige, die allesamt das Leistungsauge verloren hatten, während ihnen das Plagiatsauge geblieben war.

Mehraugen-Prinzip-Casting-Show

Eine Liste zertifiziert leistungsäugiger Freibeuter mit ministeriellem Kaperbrief legte Hippler seinem besorgten Brief leider nicht bei, aber aus dem Verwaltungsgerichtsurteil lässt sich rekonstruieren, dass schon seit Monaten eine ganze Reihe Gutachten in Düsseldorf vorlagen, deren Autoren summa summarum gemeinsam mit dem Promotionsausschuss mindestens zwölf Augen besessen haben dürften. Da heißt es:

„Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. November 2012 und begleitender persönlicher Stellungnahme der Klägerin, der weitere Stellungnahmen von Fachvertretern bzw. Erziehungswissenschaftlern (Prof. Dr. h.c. [Ludger Honnefelder], Prof. Dr. [Dietrich Benner], Prof. Dr. [Heinz-Elmar Tenorth], Prof. Dr. [Helmut Fend] und Prof. Dr. h. c. mult. [H. H.]) beigefügt waren, äußerte sich die Klägerin zu den Vorwürfen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht.“[3]

Die Auflösungen der gerichtlich verschlüsselten Namen sind natürlich einigermaßen spekulativ, aber wenn man das hier außerordentlich nützliche Personenregister von Causa Schavan heranzieht, bleiben keine Deutungsspielräume für die jeweiligen Initialen offen. Nur beim letztgenannten H. H. zeigen Heinrich Heine und Hermann Horstkotte, dass die Initialen recht häufig sind, natürlich kommt nur ein Professor als H. H. in Frage, also Horst Hippler!? Doch ist Hippler auch „Dr. h. c. mult.“, mehrfacher Ehrendoktor? Den Brief nach Düsseldorf hat er nicht so unterzeichnet, nichtmal mit dem einen Ehrendoktor, den die Wikipedia für ihn aufführt. Es bleiben Zweifel, zumal die Wikipedia allein sechs überwiegend emeritierte PädagogikProfessoren mit diesen Initialen kennt, die gut auch den einen oder anderen Ehrendoktor haben könnten.

Mehräugige Mängelliste

Doch zurück zu Horst Hippler. Armin Himmelrath porträtierte ihn zu Beginn der heißen Phase der Schavan-Affäre so:

„Sie werfen ihm Intransparenz vor, Alleingänge und bezeichnen seine Wahl als Fehler: Viele Uni-Rektoren fühlen sich vom neuen Präsidenten ihres Verbandes vor den Kopf gestoßen […]. Werden sie den Aufstand gegen Horst Hippler wagen?“[4]

Sie wagten ihn nicht, auch wenn Himmelrath schon „über anonymisierte E-Mail-Adressen, die eigens eingerichtet und später wieder gelöscht werden“,[4] berichten konnte. Denn Hippler wechselte mit seiner Intransparenz und seinen Alleingängen aus der Öffentlichkeit in die Vertraulichkeit. Alle wussten:

„Zwar nehme der neue Präsident für sich in Anspruch, für alle deutschen Hochschulen zu sprechen, doch die Hippler- Positionen seien ’nicht das Ergebnis einer HRK-internen Diskussion'“.[4]

Doch das hinderte Hippler nicht daran, mit seinem blauen Brief nach Düsseldorf gut anzukommen bei den anderen großen Wissenschaftsorganisationen (dazu unten mehr), die zu Beginn von Hipplers Präsidentschaft noch gedroht hatten, „auf eine weitere Teilnahme an HRK-Veranstaltungen verzichten“ zu wollen.[4] Heute sitzt er fest im Sattel, so scheint es, und kann zusätzliche Milliarden einfordern.[5] Da war es wohl ein guter Strategiewechsel, nur noch vertraulich zu sagen, dass er universitätseigene Gutachter nicht für kompetent und unabhängig genug hält, um eine Dissertation (einer Bildungsministerin) auf Plagiate zu untersuchen:

Denn er verlangte im Januar 2013 zur „Entlastung und Unabhängigkeit der einzelnen Begutachtenden“[2] per Mehraugenprinzip die Bestellung auswärtiger Gutachter. Aber nicht nur das, Hippler hatte noch mehr völlig neutrale Beratungsangebote vorbereitet und im Namen der „Universitäten in der HRK“ verlangt, dass die Universität Düsseldorf „den selbstverständlichen Grundsätzen wissenschaftlicher Beurteilungspraxis folgt“[2]:

„Zu den etablierten Grundsätzen wissenschaftlicher Beurteilungspraxis gehört, dass Beschuldigte zu erhobenen Vorwürfen angehört werden und gegenüber den befassten Hochschulgremien detailliert Stellung nehmen können. […] Gutachterliche Stellungnahmen und Entscheidung sind personell getrennt zu halten. Ebenso gehört zu den Prinzipien wissenschaftlicher Beurteilungsverfahren, dass sie im Interesse sämtlicher Beteiligter bis zur Entscheidung streng vertraulich behandelt und in einem angemessenen Zeitrahmen abgeschlossen werden.“[2]

Diese Sätze über das selbstverständlich Etablierte, das im Verwaltungsverfahrensrecht überwiegend anders vorgeschrieben ist, erklären sich so: 1. Die Schavanisten bemängelten fortwährend, Schavan sei nicht zur Sache angehört und damit ihn ihren Verfahrensrechten zutiefst verletzt worden. 2. Die Schavanisten bemängelten, Stefan Rohrbacher entscheide ja als Prodekan im Fakultätsrat über den Doktorentzug, nachdem er bereits ein ausführliches Gutachten zu dieser Frage verfasst hatte (das etwas ungünstig ausgefallen war). 3. Die Schavanisten bemängelten, die Universität hätte quasi amtlich das Rohrbacher-Gutachten an den „Spiegel“ weitergegeben. 4. Die Schavanisten bemängelten, dass das Düsseldorfer Verfahren sich – ganz anders als die Guttenberg-Oper – bereits im neunten Monat befand.

Hippler trug also dem Dekan und dem Rektor – ganz vertraulich – die angeblichen Mängel vor, die seit Mitte Oktober öffentlich in zahlreichen Varianten zur Apologie Schavans verkündigt worden waren und von Schavan auch vor Gericht angeführt wurden – natürlich erfolglos,  weil entweder falsch oder irrelevant. Glücklicherweise verschonte Hippler die Düsseldorfer mit der älteren schavanistischen Leier, dass „die Methode digitaler Textvergleichung“ nicht angewandt werden dürfe, weil sie den Plagiatoren damals ja noch nicht bekannt war und so nun ein Klima der Bedrohung und Transparenz erzeuge, das „das Verhältnis der Wissenschaft zur Öffentlichkeit beschädigt“.[6] Nur auf einen Verweis auf die alleinige Qualifikation von „Fachexpertise“[2] zur Plagiatsbegutachtung konnte Hippler nicht verzichten.

Semantische Selbstentlarvung

Mindestens zwei weitere Stellen in Hipplers Schreiben sind bemerkenswert: Es gelte im „aktuellen Verfahren“ unter Beweis zu stellen, „wie wir in autonomer Weise die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis ausüben“,[2] schwurbelt Hippler sich zurecht. „wir“, nämlich „die deutsche Hochschullandschaft insgesamt“, üben also „die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis aus“? Mit Regeln kann man verschiedene Dinge tun, positiv kann man sie vor allem einhalten oder befolgen und sie anwenden oder durchsetzen. Ausüben kann man Regeln nicht. Ausüben kann man einen Beruf oder Macht. Sofern hier die berufliche Ausübung gemeint ist, hieße das, die Universität solle unter Beweis stellen, wie ihre Wissenschaftler in autonomer Weise die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis befolgen. Das ist ja wunderbar, denn wenn alle die Regeln befolgen, muss man auch keine Doktortitel entziehen. Wenn mit dem Ausüben aber die Macht gemeint ist, dann ist das auch wunderbar, denn dann heißt Hippler die Düsseldorfer unter Beweis zu stellen, wie sie ihre Macht nutzen, um das gewünschte Ergebnis zu realisieren. (Bestanden noch Zweifel, welches das gewünschte Ergebnis war?)

Zum Abschluss betont Hippler nochmals, dass es nicht etwa um die Überprüfung von wissenschaftlichen Arbeiten auf das Vorliegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens gehen könne, sondern vielmehr um „die Überprüfung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens“, die „jederzeit sorgfältig, verlässlich, fair und zügig erfolgen“ solle.[2] Verlässlichkeit zumindest hatte Hippler damit seiner Brötchengeberin demonstriert.

Den mit- und nachlebend staunenden Beobachtern hat er zugleich demonstriert, wie man Druck ausübt, „in autonomer Weise“ heteronomen Ansprüchen nachzukommen. Im Rückblick führte er auch sich selbst – vertraulich – vor, da das Scheitern seiner Intervention und die ausdrückliche Zurückweisung seiner Forderungen durch das Verwaltungsgericht den Präsidenten der HRK als Hampelmann dastehen lässt, dem sowohl das Recht als auch die Regeln und die Autonomie der Wissenschaft völlig egal ist, sobald es heißt, das Vorliegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens in einem hinreichend lukrativen Fall zu leugnen. Denn merke: Um wie die HRK „die Hochschulen und ihre Interessen in Politik und Öffentlichkeit zu vertreten“,[2] können Wahrheit, Recht und Wissenschaftlichkeit gegenüber Propaganda, PR und Plagiatsleugnung nur hintanstehen.

Folgen und Systemursachen

Hipplers Dokument des vertraulichen Schavanismus eröffnet allerdings noch weitere Perspektiven. Die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen, deren Mitglied die HRK ist, veröffentlichte nämlich nur drei Tage nach Hipplers vertraulichem Schreiben eine „Gemeinsame Erklärung“,[7] von der die Textarchäologie nicht vor allzu große Herausforderungen gestellt wird: Die Universität Düsseldorf hatte zufällig bereits am Tag nach Hipplers Brief ein Rechtsgutachten von Klaus Ferdinand Gärditz erhalten, das ihr verfahrensrechtlich völlige Korrektheit bescheinigte.[8] Darauf reagierte die „Allianz“ mit der Wiederholung von Hipplers obigen Forderungen (markant: „Mehraugen-Prinzip“) und der Behauptung, „verfahrensrechtliche Korrektheit“ könne „die Entscheidung über die Aberkennung eines Doktorgrades“ nicht hinreichend legitimieren.[7] Das bedeutet, der Rechtsstaat stehe arglistiger Täuschung quasi hilflos gegenüber und müsse zusehen, dass das DFG-Ombudssystem wirksam werde, dessen Konzept Plagiatsexperte Volker Rieble vor einiger Zeit so zusammenfasste:

„Dass nämlich jedwede Redlichkeitsverfehlung im Geheimen bleiben soll, damit das blitzblanke Ansehen keinen Schaden nimmt.“[9]

Genau so lautet ja auch das Grundkonzept des vertraulichen Schavanismus, und damit zeigt sich, dass der Fall Schavan nicht nur zufällig eine Einheitsfront der großen Wissenschaftsorganisationen erzeugte, sondern deren prinzipielle Einstellung zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten in einer Weise ansprach, die notwendig zu dieser Aneinanderreihung von Peinlichkeiten führen musste. Der Grundwiderspruch, der im gegenwärtigen Wissenschaftssystem wohl nicht gelöst werden wird, ist und bleibt doch:

„Es gibt kein Problem mit Wissenschaftsbetrug – solange niemand drüber redet“

[Update: Siehe nun auch Die Causa Schavan – nur eine Plagiatsaffäre?]

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20 Antworten zu “Vertraulicher Schavanismus – oder: Wie die HRK das Schavan-Verfahren manipulieren wollte

  1. Pingback: Umleitung: Wer all diese Links wirklich gelesen hat, ist klüger – die “Zoom-Garantie” | zoom

  2. Dr. Bernd Dammannn

    Folgt man der Logik der Verschlüsselung der Klarnamen im Urteil des VG Düsseldorf vom 20. März 2014, so trägt der dort als „Prof. Dr. h. c. mult. I2. I4.“ aufgeführte Hochschullehrer (Rd.-Nr. 13) den Vornamen „H e i n z“! Es darf also weiter gesucht und gerätselt werden.

  3. Das ist in der Tat überzeugend, weil es den Nummerncode erklärt, der mir bisher völlig nutzlos erschien. Wenn ich nun nach der Phrase „Prof. Dr. h. c. mult. Heinz“ google, dann finde ich bereits nur drei Namen, die mir aber alle unwahrscheinlich vorkommen (ein Geobotaniker, ein Informatiker und ein Medizinhistoriker). Immerhin sind die drei alle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geboren, was dafür spricht, dass die Kandidaten (Professoren mit Vorname Heinz) heute das Rentenalter erreicht haben. Nur schade, dass keiner der oben gefundenen Pädagogen mit seiner „Fachexpertise“ Heinz heißt.

  4. Blumentopf

    Beim Googeln ein emeritus dazu?

  5. Keine Funde. Aber Google bot mir als Autocomplete „Prof. Dr.-Ing Dr.-Ing. E.h. mult. Dr. med. h.c. Heinz Haferkamp“ an. Das wäre lustig, da er in einen anderen Plagiatsfall verwickelt ist, aber auch deshalb halte ich das für sehr unwahrscheinlich.

  6. Es dürfte sich um Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Heinz Häfner handeln, der auch als Verfasser der Quellen Häfner 1959 und Häfner 1967 auf schavanplag genannt wird. Das Gericht hat bei ihm den „normalen“ Doktor offenbar unterschlagen.

  7. Volker Rieble

    Vielen Dank für diese grandiose Aufdeckung – die für sich genommen nicht nur als sachwidrige Unterstützung der betroffenen A.S. und als verfahrensfehlerhafte Einmischung eines gar nicht legitimierten Verbandes („zuständig“ wären doch allenfalls Fakultätentage, weil das Promotionsrecht allein den Fakultäten zusteht) zu bemängeln ist. Schade, daß die HHU solche Repressionsversuche nicht selbst schon damals öffentlich gemacht hat. Erstaunlich ist vor allem die Halbseitigkeit solcher Repressionversuche: Von vergleichbaren Briefen in Verfahren mit weichem Ausgang (Althusmann, Steinmeier, Haferkamp) ist nichts zu hören. Und von HRK-Briefen, die eine Besorgnis bei offenkundig und öffentlich plagiierenden Professoren ausdrücken … ebensowenig.

  8. Guter Vorschlag, Yolanda! Unterschlagung des normalen Dr. hat das Gericht auch bei „Prof. Dr. h.c. M. I1.“ (Honnefelder) so gehandhabt. Und Helmut Fend ist ja ebenfalls als plagiierter Autor in diesem Sinne in Erscheinung getreten. Aber ein 86jähriger Psychiater, der sich für eine Ministerin in die Bresche wirft?

    Danke Herr Rieble, die Legitimität von HRK und Allianz in solchen Angelegenheiten ist ein interessanter Aspekt. Aber wer am meisten Macht und Geld zu verlieren hat, der fühlt sich wohl rasch legitimiert. Gewinnen kann man in diesem Spiel auch nur, indem man hochstehende Persönlichkeiten vor dem wissenschaftlichen Pranger rettet, nicht indem man sie (oder irgendwelche anderen Plagiatoren) anprangert.

  9. Ich denke schon, daß der schwach anonymisierte H.H. ein 86-jähriger Psychiater ist:

    Psychiatrie-Professor Heinz Häfner etwa entlastet Schavan in einem Brief, der der „Welt“ vorliegt: „Das Vorgehen von Frau Schavan scheint mir, soweit es meinen Handbucheintrag ,Das Gewissen in der Neurose‘ von 1959 betrifft, weder unüblich zu sein noch die Voraussetzungen eines Plagiats zu erfüllen“, sagte Häfner dieser Zeitung.

  10. Das ist allerdings eindeutig. Danke schön!

  11. Heinz Häfner ist offenbar auch ein alter Recke in Sachen Wissenschaftsorganisation. In seinem aktuellen Curriculum Vitae stellt er sich so vor:

    Heinz Häfner
    Prof. em., Dr. med., Dr. phil., Dr. med. h.c. (Universität Helsinki),
    Dr. rer. soc. h.c. (Universität Konstanz)

    Dem CV können wir entnehmen, dass Häfner schon Mitglied des Wissenschaftsrats war, als Schavan noch an ihrer Dissertation bastelte. Später wurde er dann auch ein Vorreiter „guter wissenschaftlicher Praxis“: 1997-2001 war er „Mitglied der ‚Gemeinsamen Kommission der DFG, betroffener Forschungsinstitute und medizinischer Fakultäten zum Fälschungsfall Brach/Herrmann'“ (Skizze). Dann dürfte er ja wissen, was er tut.

    Ein Versuch, in der Wikipedia Häfners jüngste Auszeichnungen und wichtige Publikationen nachzutragen, scheiterte neulich jedoch: Ein nicht angemeldeter Nutzer machte die ersten Schritte des Benutzers „HaefnerH“ kommentarlos rückgängig.

  12. Die Hippler-Intervention steht nicht allein da. Auch Peter Gruss (MPG), Peter Strohschneider (DFG) und andere haben im Januar 2013 direkt vor der Entscheidung der Fakultät über den Beginn des Entziehungsverfahrens persönlich massiv interveniert.

  13. Adolph Freiherr von Knigge

    Liebe Leser,

    keinesfalls möchte ich Ihre akademische Reputation in Frage stellen. Allerdings trete ich wohl niemandem zu nahe, wenn ich feststelle, nicht jeder einzelne von uns erhält regelmäßig Briefe vom Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz. Nicht auszuschließen ist demnach, dass sich unter Ihnen der eine oder andere findet, dem die Anrede Magnifizenz, Spektabilis nicht gänzlich geläufig ist.
    Will aber derjenige die Stimme der Hochschulen dennoch verstehen, sei ihm das Werk „Von Erlaucht bis Spektabilis: Kleines Lexikon der Titel und Anreden“ von Otto Krabs aus dem bekannten Verlag C.H. Beck empfohlen.
    Gemäß Kurzbeschreibung erklärt es demjenigen, der sich fragt: „Wem gebührt welche Anrede?“ die „Entstehung und Herkunft der gebräuchlichsten Titel und führt damit ein in die Hierarchien des Adels und der Geistlichkeit, die Welt der Universität, des Militärs und der Administration.“

    Ihr Adolph Freiherr von Knigge

  14. Heißt das nicht eigentlich Spektabilität bzw. Spectabilis? Nicht, daß hinterher noch herauskommt, daß der Präsident der HRK nicht einmal weiß, wie man einen Dekan richtig anschreibt.

  15. Was für eine unverschämte Insinuation! Selbstverständlich weiß der Präsident der HRK höchst genau, welchen Würdenträger er wie zu adressieren hat. Das gehört zu seinen vornehmsten Aufgaben.
    Und dann noch die versteckte Spitze gegen einen renommierten Fachbuchverlag, die darin liegt, bei einem Thema, für das Hochwohlgeboren Freiherr von Knigge ein Werk von C.H. Beck als maßgeblich empfahl, schnöde auf die Wikipedia zu verweisen!

    Spektabilität und Spectabilis sind überzeugende Wortformen, die eine deutsch, die andere lateinisch. Dass sich Hippler der Mischform „Spektabilis“ (mit unlateinischem „k“) bedient, kann nur Pedanten aufhorchen lassen. Das ist ja so, als ob man „Spectabilität“ mit „c“ schriebe. Leider, leider gibt es sowohl hier als auch in Düsseldorf Pedanten. Daher interpretiere ich diese Anrede des Dekans Bleckmann durch seinen Prodekan als Insider-Gag, mit dem sich die beiden Altphilologen staubtrocken über niemand geringeren als den ehrenwerten HRK-Präsidenten lustig machten.

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  19. Die Rheinische Post hat am 19.1.13 über die Intervention der Allianz berichtet und wusste damals schon von Hipplers erstem Versuch: „Auch aus der HRK selbst soll es Forderungen nach einem geordneten Verfahren an den Rektor der Düsseldorfer Uni, Hans Michael Piper, geben.“
    Meines Erachtens nach kann es keinen Zweifel daran geben, dass die RP von Schavan oder von Schavans direktem Umfeld ständig gezielt gefüttert worden ist. Immer wieder ist es die RP gewesen, die als erste über Bewegungen von Schavan berichten konnte, z.B. die eingereichte Stellungnahme an die Fakultät. Das ist auch überhaupt kein Wunder, wenn man mit den Verhältnissen etwas vertraut ist und einige der Personen kennt. Besonders interessant ist hier der frühere RP- und jetzige dpa-Chefredakteur Gösmann, dessen Nachfolger Bröcker ein im Vergleich bescheidenes intellektuelles Kaliber ist und einfach nur so holzt und bolzt, wie es ihm gesagt wird. Noch viel interessanter sind die Eigentümerverhältnisse bei der RP: Alles Familie Arnold, also der Uradel des rheinischen CDU-Katholizismus mit starkem Standbein in Neuss (Werhahn).
    Meiner Auffassung nach hat die RP in dieser Affäre laufend und massiv gegen den Pressekodex verstoßen. Nicht als einzige, aber so massiv wie kein anderes Blatt.

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