Erlerntes bleibt länger im Gedächtnis, wenn man es mit anschaulichen, lebensnahen Beispielen verankert. Das weiß auch der Düsseldorfer VWL-Professor Justus Haucap, weshalb er seine Prüflinge im Wintersemester 2011/2012 nach Partys und Urlaubsreisen des „Bundesprominente[n] Chris Fox und seine[r] neue[n] Frau Betty“ fragte. Auf dem Höhepunkt der Wulff-Affäre waren diese Klausurfragen ein gefundenes Fressen für zahlreiche Medien bis hin zur FAZ. Kurz darauf trat Wulff zurück. Die Kommentarspalten-Ökonomen stritten sich weiter um die Lösung.
Aktuelle Probleme der Nutzenmaximierung
Nun soll Haucap den Prüflingen der Mikroökonomie erneut Fragen zur wirtschaftlichen Lösung eines politischen Problems vorgelegt haben, diesmal allerdings versehen mit etwas Lokalkolorit. Die Textaufgabe zur Nutzenmaximierung aus Teil 1 der jüngsten Nachschreibeklausur (Volltext-PDF) beginnt so:
„Die junge Studentin Annette Scharlatan möchte ohne Abschluss an der Harry-Heine-Universität promovieren, sich aber zugleich in der Politik engagieren. Frau Scharlatan weiß, dass ihre tägliche Wissenschaftsproduktionsfunktion …“
Von besonderem Interesse für die Diskussion um die Höhe von Politikerdiäten ist Frage c), die voraussetzt, bei einem Plagiat handle es sich um das Ergebnis einer Nutzenoptimierungsabwägung:
„Nehmen Sie an, dass Frau Scharlatan 160.000 Euro verdienen kann, wenn sie durch Abschreiben früher mit ihrer Dissertation fertig ist. Nehmen Sie auch an, dass ein Plagiat aber mit einer Wahrscheinlichkeit von 25% entdeckt wird. Wenn das Plagiat auffliegt, geht Frau Scharlatan in ein Kloster in Rom und verdient nur noch 10.000 Euro. Wenn die (von-Neumann-Morgenstern)-Nutzenfunktion von Frau Scharlatan u(x)=√x ist, wobei x für das Einkommen steht, wie hoch muss das Einkommen von Frau Scharlatan bei einer späteren Promotion (ohne Abschreiben) mindestens sein, damit sie nicht abschreibt?“
Der Verdacht bleibt nicht aus, dass es sich um recht schwierige Aufgaben für die vorgesehene Bearbeitungszeit von 30 Minuten handelt, zumal einige weitere, hier nicht thematisierte Aspekte in Annette Scharlatans Nutzenmaximierungskalkül einfließen sollten. Aber wer die zugehörige Vorlesung „BV04 – Märkte und Preise“ (als Videoreihe online) erfolgreich absolviert hat, für den ist das vielleicht gar kein Problem.
(Vorschläge zur Lösung des Problems – gleichzeitig Beiträge zur Stärkung der marktkonformen Demokratie – bitte in die Kommentare!)
Derweil im Vatikan
Wie das Auswärtige Amt im Bundesanzeiger mitteilte, wurde die „außerordentliche und bevollmächtigte Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl, Frau Annette Schavan,“ [ohne Doktor] am 18. September empfangen von Seiner Heiligkeit, dem Papst.[1] Glücklicherweise darf die Illustrierte „Bunte“ zu dieser Gelegenheit der Stadt und dem Erdkreis die frohe Botschaft übermitteln:
„Ich bin mit mir im Reinen“.[2]
Denn Schavan habe, so klärt das unterhaltsame Blatt das Publikum auf, die „Plagiatsvorwürfe und die Aberkennung ihres Doktortitels inzwischen verarbeitet“ und könne sagen: „Ich habe in meinem Leben niemanden getäuscht.“[2] Dass sie sich da mal nicht täuscht, bei all dem blinkenden Geschwurbel der wunderbaren Persönlichkeit um Aura und Freundlichkeit und Schlusspunkte und Macht, ach nein, um Macht darf es mit keinem Wort gehen in den Antworten an die Regenbogenpresse. Aber was die ganze Show soll, kontextualisiert „Die Welt“ so:
„Schavan war früher Vizepräsidentin des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken und gilt immer noch als enge Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).“[3]
Man glaubt ja gern, es gebe kein Zurück in die Politik für überführte Betrüger. Aber Schavan will ihre in der Politik gesammelten Erfahrungen auch weiterhin einsetzen, kündigt sie an.[3] Nach den erneuten hoffnungsvollen Ansätzen eines bekannten Promotionsbetrügers lassen sich Schavans Aussichten nicht per se als illusorisch abtun. Und eine Nachfolgerin für irgendwelche Parkpositionen abgehalfterter Politpromis findet man doch leicht, dachte sich auch die LMU München und hat nun als Schavan-Ersatz eine Frau Münch in ihrem Hochschulrat.[4] Währenddessen laufen die Proben für den Großen Zapfenstreich im Petersdom auf Hochtouren. Die Orden, die man Schavan zu dieser Gelegenheit zu verleihen gedenkt, quillen dem Butler (Mitte) aus allen Taschen.
Bleibt nur zu hoffen, dass die Klausurfragen für die nächsten Jahre nicht lauten:
- Wieviel Macht bringt der CSU Guttenbergs Rückkehr, und wieviel Macht kostet sie?
- Wieviel Macht bringt der CDU Schavans Rückkehr, und wieviel Macht kostet sie?
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