Erbloggtes wieder

Erbloggtes war seit dem 3. April und bis kurz vor Mitternacht nicht zu erreichen, etwas über 24 Stunden. „This blog has been archived or suspended for a violation of our Terms of Service“, war stattdessen hier zu lesen.

Besorgte Nachfragen, Solidaritätserklärungen und Problemlösungsansätze erreichten die Redaktion während der gesamten Zeit. Nirgends war Hämisches zu vernehmen.

Streisand-Dialektik

Schiebener hat einige Reaktionen und Spekulationen zusammengefasst. Auch vom Streisand-Effekt war angesichts der anscheinend brisanten Ware, die nun als verbotene Kontrabande hoch gehandelt werden konnte, bereits die Rede.

Der Streisand-Effekt ist ein allgegenwärtiger, aber trügerischer Freund der Online-Zensur-Gesellschaft. Was plötzlich verschwindet, daran muss jemand enormes Interesse haben, oder besser gesagt: dagegen muss jemand enormes Interesse haben. Das Verbotene gewinnt Bedeutung durch die Autorität des Verbotes, und wer die Kontrolle über das ausübt, was in den unendlichen Weiten dieses Internet nicht mehr existieren darf, der muss übermenschliche Autorität besitzen.

Mit diesem Spannungsfeld befasste sich auch eine jüngere Artikelreihe zur Causa Reitzenstein. Um sie zusammenzufassen: Das Interesse an den verbotenen Passagen war sehr ungleich verteilt zwischen ihren Proponenten und ihren Opponenten. Daher blieb die im wissenschaftlichen Konflikt wünschenswerte Wahrheitssuche auf der Strecke, als Justitia herbeigerufen ward. Blind wie sie ist, schritt sie mit ihrem Flammenwerfer über das Schlachtfeld, und die Überlebenden verkrochen sich in den Gräben und reagierten mit Giftgas.

In dieser Atmosphäre des totalisierten Meinungskampfes war der sich verbreitende Verdacht nachvollziehbar, der altböse Feind habe nun heimtückisch und ohne Vorwarnung weitere Verwüstungen weit hinter der Front angerichtet. Wichtig wird in Zukunft sein, mit dem ultimativen Vergeltungsschlag abzuwarten, bis zumindest empirische Indizien vorliegen, die die eigenen Intuitionen zu bestätigen oder zu widerlegen geeignet sind. (Der Kalte Krieg hätte das Ende der Menschheit bedeutet, wenn es damals schon Twitter oder Facebook gegeben hätte.)

Dialektik der Aufklärung

Zeitgleich mit dem Ende der Suspendierung von Erbloggtes ging hier eine E-Mail ein, in der Community Guardian Theophile freundlich versicherte:

„Your site was flagged by our automated anti-spam controls. We have reviewed your site and have removed the suspension notice.“

Diese Mitteilung lässt sich so interpretieren, dass allein die Aktivität von Algorithmen zur Suspendierung eines umfangreichen und vielfältigen Blogs geführt habe. Natürlich stellt das die Fähigkeit dieser Algorithmen zur Unterscheidung zwischen Spam und Nichtspam stark in Frage. Aber wer sagt, dass Algorithmen einfache Aufgaben zuverlässig erfüllen können, wenn die Rahmenbedingungen von ihren Testfällen abweichen? Dazu ein Video:

Aber fiele es nicht auch unter „automated anti-spam controls“, wenn jemand etwa das Beschwerdeformular von WordPress.com aufriefe und dort ankreuzte, ein Blog verbreite „spam“ oder sei „abusive“? WordPress definiert „Spam or machine-generated content“ andernorts so: „You know what this is […] these are just guidelines — interpretations are up to us“. Ein weites Feld. Theophile dazu:

„We greatly apologize for this error and any inconvenience it may have caused.“

Das Problem bleibt bestehen: Die Angewiesenheit des heutigen Menschen auf Plattformen zur Online-Kommunikation und seine Abhängigkeit von der zuverlässigen Evaluation der Realität und der Richtlinien durch Algorithmen und Guardian Theophile, bzw. durch das LG Hamburg. Löschen (lassen) oder Gegenrede? Täglich stehen verzweifelte Nutzerinnen und Nutzer vor dieser Alternative. Das zeitgenössische Kommentariat zeichnet sich dabei dadurch aus, dass es keinerlei Klassenbewusstsein entwickelt hat, vulgo: nicht zu sich selbst gekommen ist.

So kann es den Kampf gegen die Autoritäten nicht aufnehmen, Macht und Schicksal nicht selbst ergreifen, und muss weiter furchtsam auf die Omina der Macht schauen, die sich sodann im Streisand-Effekt chaotisch und doch kunstvoll arrangiert erscheinend entladen.

„Möge die Macht mit dir sein.“
— Michel Foucault

Wie könnte das „machine-generated content“ sein?

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2 Antworten zu “Erbloggtes wieder

  1. Hallo,

    schön dass Erbloggtes wieder da ist! Ich habe mir schon echt Sorgen gemacht, was da wohl los ist. Und alles bloß wegen so einer automatischen Allegorie. Das ist schon ganz schön unheimlich. Für die Zukunft jedenfalls alles, alles liebe und viel Erfolg!

    Ihre
    cand. theol. von der Grafik

  2. Pingback: Umleitung: Noch vor Ostern ist Erbloggtes wiederauferstanden, Fischblog ist auch schon 10 Jahre alt, die AfD im Abwärtsgang und ein Blogger leidet Qualen. | zoom

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