Ergibt es einen Sinn, dass die Berliner Zeitung dem Publikum ihrer Online-Ausgabe eine Kommentarfunktion anbietet, die etwaige Kommentare umgehend in unauffindbare Tiefen versenkt? Tagsüber bekommt man solche Kommentare nur noch zu Gesicht, wenn man bereit ist, die Sicherheitseinstellungen seines Browsers zu deaktivieren. Nachts ist selbst das nicht möglich: Kommentare gibt es bei der Berliner Zeitung nur von 8 Uhr morgens bis 9 Uhr abends zu lesen und zu schreiben. Entsprechend lebendig ist die Diskussionskultur.
Annette Schavan dürfte das recht sein, denn sie kennt die jungen Leute:
„Die kippen Sachen in ihren Computer, auch jetzt, während wir hier [auf einer abendlichen Wahlkampfveranstaltung] sitzen. Nach 23 Uhr ist es am schlimmsten“.[1]
Glücklicherweise arbeitet das Netzwerk von Informanten, die Erbloggtes von Zeit zu Zeit mit Netzfunden beliefern, im Schichtbetrieb. Diesmal ist jemand am hellichten Tag in die Kommentarspalten zur Plagiatsaffäre um den Berliner CDU-Bundestagsabgeordneten Frank Steffel hinabgestiegen und hat dort einen Kommentar über einen Kommentar ausgegraben, der den Fall Steffel mit dem Fall Schavan parallelisiert.
Die Vorgeschichte
Miet-Plagiatsjäger Martin Heidingsfelder soll im November 2017 eine Plagiatsanzeige an die FU Berlin geschickt haben, nachdem er von einem anonymen Auftraggeber dafür engagiert worden sei.[2] Offenbar hat er sich im Mai an einige Medien gewandt, die seitdem die etablierten Plagiatsverdacht-Routinen abspulen.
„Klappern gehört zum Geschäft.“
(Martin Heidingsfelder)
Was an den Vorwürfen dran ist, darüber kann man auf Basis von Heidingsfelders Präsentation für die Öffentlichkeit nur spekulieren. Oder man wartet die Untersuchung der FU Berlin ab.
Monika Grütters, neben vielem anderen ebenfalls Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete, nutzte diese Gelegenheit, um sich in der schwierigen Landesgruppe[3] hervorzutun und sich als ganz besonders treue Parteifreundin zu präsentieren. Die Berliner Zeitung bot ihr dazu die passende Bühne, hochinteressiert an internen CDU-Querelen, aber desorientiert in Sachen Plagiatsaffären. Also erzählt Elmar Schütze für die Berliner Zeitung in freihändiger Würdigung nach, was Grütters so über Plagiatsfälle denkt:
„Im Übrigen erinnerten sie die Vorwürfe gegen Steffel an ein ‚bereits bekanntes Muster‘, sagt die Politikerin. Bei solchen Vorwürfen gehe es oft weniger um sauberes wissenschaftliches Arbeiten, als um die Beschädigung oder sogar gesellschaftliche Vernichtung bürgerlicher Existenzen. Grütters geht noch weiter: ‚Es ist auffällig, dass es bei Vroniplag regelmäßig Politiker und Persönlichkeiten des bürgerlichen Lagers trifft.‘ […] Der damaligen Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) war 2013 nach Plagiatsvorwürfen ihre Doktorarbeit aus dem Jahr 1980 aberkannt worden, Schavan gab daraufhin ihr Ministerinnenamt auf. ‚Zu Unrecht‘, wie Grütters bis heute findet. Die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf habe bei der Aberkennung voreilig und gegen die Expertise mehrerer Wissenschaftler gehandelt.
Ganz anders verhalte es sich freilich mit Karl-Theodor zu Guttenberg, sagt Grütters. Dessen Doktorarbeit wurde ebenso untersucht und schließlich für so unhaltbar befunden, dass die Universität Bayreuth ihm den Doktortitel aberkannte. […] Dennoch trat der CSU-Politiker nach öffentlichem Druck als Verteidigungsminister zurück. ‚Das war etwas anderes. Das war ja viel offensichtlicher als bei Frau Schavan‘, sagt Monika Grütters.“[4]
Das Netzfundstück
Auf diese Äußerungen reagierten zwei etwas unerwartete Online-Kommentatoren unter dem Artikel der Berliner Zeitung: Stefan Rohrbacher und Bruno Bleckmann, regelmäßigen Erbloggtes-Leserinnen und -Lesern wohlbekannt als Hauptverantwortliche für das Schavan-Verfahren der Uni Düsseldorf, fanden Grütters‘ Äußerungen so schlimm, dass sie eine scharfe Entgegnung formulierten. Trotz des ungewöhnlichen Ortes der Wortmeldung gibt es kaum Anlass, an der Authentizität des Kommentars und an der Identität seiner Verfasser zu zweifeln – zumal sie auch früher schon an unerwarteter Stelle Online-Kommentare hinterlassen haben. Hier nun schreiben sie:
„Die empörenden Äußerungen der Kulturstaatsministerin Grütters zum Fall Schavan sind für die damals mit dem Plagiatsfall befasst gewesenen Wissenschaftler der Universität Düsseldorf ehrverletzend. Sie suggerieren, dass die Verantwortlichen der Fakultät sowie die damalige Hochschulleitung nicht aus sachlich zwingenden Gründen, und nicht der Rechtslage entsprechend, sondern anderen, unehrenhaften Motiven folgend gehandelt haben. So hat es ja auch Frau Schavan selbst öffentlich suggeriert, indem sie die Aberkennung ihres Doktorgrades als ‚denkbar wissenschaftsferne Entscheidung‘ bezeichnet hat.“[5]
Grütters wird hier vor allem deshalb zurechtgewiesen, weil sie die üblichen Verteidigungsformeln des Schavanismus bedenkenlos reproduziert, auch Jahre nachdem letztinstanzlich geklärt ist, was von ihnen zu halten war. Das zeigt wohl, dass unbequeme Tatsachen es in der Politik schwer haben, allgemeine Anerkennung zu finden. Trump ist insofern kein Sonderfall, sondern nur ein Exemplum für den Sachverhalt.
Wegen der über den Einzelfall hinausweisenden Bedeutung, und weil man es offenbar nicht oft genug wiederholen kann, hier die weiteren Belehrungen für Grütters von Rohrbacher und Bleckmann im Volltext:
„Die Überprüfung der Doktorarbeit Schavan, bei der es sich der Sache nach eigentlich um einen ganz banalen Plagiatsfall handelte, ist durch die Fakultät in einem zweistufigen Verfahren äußerst gründlich, umsichtig und fair vorgenommen worden – zunächst im Promotionsausschuss und dann im Fakultätsrat. Zur Fairness gehörte selbstverständlich – wie in jedem derartigen Fall – die Berücksichtigung der Zeitumstände und die Suche nach alternativen, entlastenden Plausibilitäten. Zur Fairness gehörte es allerdings nach unserem Verständnis nicht, unsere Einschätzung der Sache von der „Expertise mehrerer Wissenschaftler“ abhängig zu machen, wie es Frau Grütters richtig gefunden hätte: Nämlich von substanzlosen Meinungsartikeln verschiedener, ausnahmslos in der einen oder anderen Weise mit der Ministerin verbundener Herren, die uns schon seit Mai 2012 permanent unter die Nase gehalten worden sind.
Die Universität Düsseldorf hat alles andere als voreilig entschieden. Kein anderer Plagiatsfall an unserer Fakultät – und es gab einige – ist mit derart großem Aufwand behandelt worden – diesen Effekt immerhin hat der öffentlich und hinter den Kulissen ausgeübte Druck auf die Fakultät gehabt. Wäre es um eine x-beliebige Person gegangen, hätte das Verfahren sicher rascher zum gleichen Ergebnis geführt. Jedenfalls ist an unserer Fakultät auch in anderen, weniger gravierenden Fällen der Doktorgrad entzogen worden. Immer ging es um nachweislich vorsätzliche Täuschungshandlungen, nie um „Mängel“ oder „Fehler“, wie sie jedem von uns jederzeit unterlaufen können. Um auch das deutlich zu sagen: Ein Verfahren, das nachträglich wegen bloßen „Mängeln“ zu einer Sanktion wie der Aberkennung des Doktorgrades führt, hätten wir für unanständig gehalten. Wir kennen auch keinen Wissenschaftler, der sich für ein solches Verfahren zur Verfügung gestellt hätte.
Im Fall Schavan hätte die Kulturstaatsministerin ja jederzeit die Gelegenheit gehabt, sich über den tatsächlichen Sachverhalt zu informieren. Leider nicht durch Lektüre der Verfahrensunterlagen der Universität, deren Veröffentlichung Frau Schavan bis heute nicht zustimmen mag. Öffentlich ist aber immerhin die gut 50-seitige schriftliche Fassung des Urteils des Verwaltungsgerichts, das die Anfechtungsklage gegen die Aberkennung des Doktorgrades zurückgewiesen und nicht nur das Verfahren der Fakultät, sondern auch die Plagiatsbefunde minutiös untersucht hat. Sehr geehrte Frau Grütters, Frau Schavan hat arglistig getäuscht. So sah es die Fakultät, und niemand war in der Lage, eine alternative, harmlose
Lesart auch nur halbwegs plausibel zu machen. Und so sah es dann auch das Gericht.“[5]
Blick zurück nach vorn
Für jene, die sich nicht mehr so gut an die heiße Phase der Schavan-Affäre (Mai 2012 bis März 2014) erinnern können wie die Professoren Rohrbacher und Bleckmann, hier nochmal ein Link zum Verwaltungsgerichts-Urteil vom 20. März 2014 und ein Link zu einem kurzen Nachrichtenvideo von Reuters, in dem der Gerichtssprecher das Schavan-Urteil erläutert.
Kurz darauf ging Annette Schavan als Vatikan-Botschafterin nach Rom, wofür sie der Bundesregierung mit ihrem Neusser Abitur qualifiziert schien. Nach vier Jahren wird sie Ende Juni 2018 dort abgelöst von Michael Koch, der als Jurist mit zwei Staatsexamen, als ausgebildeter Diplomat seit 1986, als Dr. jur. (1990 in Bonn zum Thema „Zur Einführung eines Grundrechtskataloges im Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland“) der Bundesregierung ebenso qualifiziert erschien, womöglich weil er katholisch ist.
Und Schavan? Die hat sich zur obersten Papstkennerin stilisiert und wird vermutlich als solche durch die Lande tingeln. Auch als Lobpreiserin Merkelscher Flüchtlingspolitik als besonders christlich ist sie wiederholt hervorgetreten. Bei der Suche nach einer Anschlussverwendung ist aber noch kein künftiges Amt bekannt geworden. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) fragte im November 2017 danach:
„Schavan: Ich werde bis zum Sommer nächsten Jahres hier sein, dann sind vier Jahre rum.
KNA: Was machen Sie dann?
Schavan: Wie sagt der Italiener: Vediamo – schauen wir mal …
KNA: Es gab in den vergangenen Wochen die Debatte um Ihren möglichen Vorsitz bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. Ist dieses Kapitel für Sie abgeschlossen?
Schavan: Das ist für mich definitiv abgeschlossen. Ja.
KNA: Bis zum Sommer überlegen Sie, was Sie stattdessen machen?
Schavan: Ich habe schon jetzt viele ehrenamtliche Aufgaben, etwa in verschiedenen Stiftungen wie der Ökumenischen Stiftung Bibel und Kultur, die ich wieder wahrnehmen kann, wenn ich nach Deutschland zurückkehre. Daneben bin ich Gastprofessorin an einer Universität in Shanghai. Ich freue mich darauf, wieder mehr Zeit für diese Aufgaben in Deutschland und China zu haben.“[6]
————————————————————
Schön auch dieser Spruch: „Das war etwas anderes. Das war ja viel offensichtlicher als bei Frau Schavan“. Schlimm ist also nicht, was die beiden getan haben, sondern dass Guttenberg sich so besonders leicht dabei erwischen ließ.
Pingback: Aufgelesen: Erbloggtes zur Causa Schavan nebst aufschlussreichen Kommentaren in der Berliner Zeitung | zoom
Pingback: Grütters mag Schavan | Archivalia
Geklonte Wiedergängerin der Annette Schavan – aus der „Kaderschmiede“ der Konrad-Adenauer-Stiftung
Wenn die CDU-Kulturstaatssekretärin Prof. Monika Grütters (Jg. 1962) hier schon ein signifikantes „Muster“ ausmachen zu können glaubt, dann doch wohl eher, wenn überhaupt, im Blick auf das Reproduktionsmuster ihrer selbst, in dessen Bezugsrahmen sie sich als lernresistente ‚Schavanistin‘ outet: Jg. 1962, Stipendiatin des Begabtenförderungswerkes der Konrad-Adenauer-Stiftung, bescheidener Studienabschluss 1989 als ‚Magister Artium‘ (MA), Berufspolitikerin im bundesdeutschen Politikbetrieb seit 1995, Honorarprofessorin (ohne eigenen Doktorgrad) an der FU Berlin seit 1999, röm.-kath. und ledig, Mitglied im ‚Zentralkomitee der deutschen Katholiken‘ (ZdK). – Das alles wirkt so prägend, dass Einfältigkeit und Bösartigkeit der ihr zugeschriebenen Argumentation kaum noch überraschen können.