Was ist ein Whistleblower? Definitionen, Schutzgesetze, Massenmedien

Erzeugt es neue Wortbedeutungen, wenn in der Öffentlichkeit so viel über Whistleblower diskutiert wird wie zur Zeit? Der Begriff ist vielfältig anwendbar, und es besteht ein starkes Spannungsverhältnis zwischen Denotationen und Konnotationen. Wenn Christian Humborg fragt: „Was ist Edward Snowden?“,[1] dann steht nicht nur die konnotative Unterscheidung zwischen Verräter oder Held zur Auswahl, sondern auch die Denotation als Whistleblower in Frage:

„Für die einen ist Edward Snowden ein leaker, oder noch schlimmer, ein Verräter. Für die anderen ist er ein whistleblower, ein Held eben.“[1]

Doch die von Humborg unterstellte Nähe zwischen den Begriffen Whistleblower und Held ist in der Praxis nicht zwangsläufig. Oft sind es eher Wörter wie Verräter oder Nestbeschmutzer, die bei der Bezeichnung als Whistleblower mitschwingen. Um das zu erläutern, sollen hier zuerst einige Definitionen vorgestellt, anschließend die Begriffsbelegung im Sprechen über Whistleblower-Schutzmaßnahmen herausgearbeitet werden. Die Diskussion schließt mit einer Konfrontation dieser Whistleblower-Konzepte mit der gegenwärtigen massenmedialen Perspektive. In einem Folgeartikel soll die problematische Bedeutung des Wortes Whistleblower in der gegenwärtigen Debatte über wissenschaftliches Fehlverhalten erörtert werden.

Ausgangsdefinitionen

Die Wikipedia definiert einen Whistleblower als

„Person, die für die Allgemeinheit wichtige Informationen aus einem geheimen oder geschützten Zusammenhang an die Öffentlichkeit bringt. Dazu gehören typischerweise Missstände oder Verbrechen wie Korruption, Insiderhandel, Menschenrechtsverletzungen, Datenschutzmissbrauch oder allgemeine Gefahren, von denen der Whistleblower an seinem Arbeitsplatz oder in anderen Zusammenhängen erfährt. Im Allgemeinen betrifft dies vor allem Vorgänge in der Politik, in Behörden und in Wirtschaftsunternehmen.“

Zu beachten ist daran erstens die Beziehung zwischen dem Whistleblower und den weitergegebenen Informationen: Der Whistleblower ist ein Insider, ein in implizit oder explizit geheime Sachverhalte Eingeweihter. Zweitens ist das Verhältnis zwischen Whistleblower und der Struktur, in der die berichteten Missstände bestehen, in der Regel so beschaffen, dass der Whistleblower Teil dieser Struktur ist und ihr dadurch in der einen oder anderen Weise verpflichtet. Auf diesem Umstand basiert die Darstellung von Whistleblowern als Verräter oder Nestbeschmutzer.

Drittens tritt der Whistleblower durch seine Weitergabe geheimer Informationen aus der ihn verpflichtenden Struktur in eine bestimmte Beziehung zur Allgemeinheit ein. Denn es geht um „für die Allgemeinheit wichtige Informationen“ über illegale oder illegitime Wirkungen aus der betreffenden Struktur. Das bedeutet, der Whistleblower bewertet die berechtigten Interessen der Allgemeinheit an der Weitergabe der Informationen höher als die berechtigten Interessen der Struktur an ihrer Geheimhaltung. Damit erweist sich der Whistleblower als illoyal gegenüber der Struktur, der er verpflichtet ist, aber als loyal gegenüber der Allgemeinheit oder dem Gemeinwesen, in dessen Interesse die Beseitigung der Misstände liegt – Grundlage der Darstellung eines Whistleblowers als Held.

Emphase auf das Umschlagen der Loyalität zur geheimhaltenden Struktur in Illoyalität – und der Orientierung auf das Wohl der Allgemeinheit – legt die Satzung des Whistleblower-Netzwerks, wenn sie definiert:

„Whistleblower sind Menschen, die illegales Handeln, Missstände oder Gefahren für Mensch und Umwelt nicht länger schweigend hinnehmen, sondern aufdecken. Sie tun dies intern innerhalb ihres Betriebes, ihrer Dienststelle oder Organisation oder auch extern gegenüber den zuständigen Behörden, Dritten, oder auch der Presse.“

In der Wissenschaft stammt die laut Whistleblower-Netzwerk gebräuchlichste Definition für Whistleblowing in Organisationen von Miceli, Near und Dworkin (2008) und lautet „the disclosure by organisation members (former or current) of ilegal, immoral or illegitimate practices under the control of their employers, to persons or organizations that may be able to effect action“ [Übersetzung des Whistleblower-Netzwerks: „Die Offenbarung durch Organisationsmitglieder (frühere oder gegenwärtige) von illegalen, unmoralischen oder illegitimien Praktiken unter der Kontrolle ihrer Arbeitgeber an Personen oder Organisationen, die in der Lage sein könnten, diesbezüglich aktiv zu werden“].

Die explizite Beschränkung auf „Whistleblowing in Organisationen“ verweist darauf, dass es auch Whistleblowing von Nichtmitgliedern einer Organisation geben kann, die Informationen weitergeben können. Das scheint aber nicht als typisch zu gelten, da man dann in der Regel keinen Zugang zu geheim gehaltenen Informationen aus der entsprechenden Organisation erhält. Dennoch wird das Verhältnis zwischen Whistleblower und geheimhaltender Struktur häufig zum Schwerpunkt der Betrachtung gemacht, so dass die Illoyalität des Whistleblowers automatisch besondere Betonung erfährt.

Entwürfe deutscher Whistleblower-Schutzgesetze

Instruktiv sind in dieser Hinsicht auch die 2012 in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfe der SPD „zum Schutz von Hinweisgebern – Whistleblowern“ und der Grünen „zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern (Whistleblower-Schutzgesetz)“. Die SPD widmet sich ausschließlich dem durch Whistleblowing womöglich getrübten Verhältnis zwischen Beschäftigten und Vorgesetzten und definiert:

„Hinweisgeberinnen oder Hinweisgeber sind Beschäftigte, die auf einen Missstand aufmerksam machen, der tatsächlich besteht oder dessen Bestehen die Hinweisgeberin oder der Hinweisgeber, ohne leichtfertig zu sein, annimmt. […] Ein Missstand im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn in einem Unternehmen, Betrieb oder im Umfeld einer unternehmerischen oder betrieblichen Tätigkeit Rechte und Pflichten verletzt werden oder unmittelbar gefährdet sind. […] Hinweise sind tatsachenbezogene Äußerungen oder entsprechende sonstige Handlungen, die dazu dienen, auf einen Missstand aufmerksam zu machen. Sie können schriftlich oder mündlich ohne Angabe der Identitätsdaten erfolgen.“

Der Regelungskern des SPD-Gesetzentwurfes soll das Benachteiligungsverbot für Whistleblower sein:

„Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber im Sinne des § 2 Absatz 2 dürfen wegen ergangener Hinweise nicht benachteiligt werden.“

Davon abgesehen erkennt man handwerkliche Schwächen in dem Gesetz, wenn es anschließend zwischen rechtmäßigen und nicht rechtmäßigen Hinweisen unterscheidet. Vorstehendes ist so zu interpretieren, dass auch nicht rechtmäßig gegebene Hinweise nicht zu einer Benachteiligung führen dürfen. Die Erläuterungen behaupten dagegen auf S. 7, nur aufgrund rechtmäßiger Hinweise seien Benachteiligungen ausgeschlossen. Die Formulierung „nicht rechtmäßig“ zu verwenden, ist zumindest verwirrend. Denn die folgenden Konsequenzen werden nur bei „rechtmäßigen“ Hinweisen ausgeschlossen: Maßregelung, Kündigung, Schadensersatzforderung. Inwiefern aber eine Kündigung keine Benachteiligung sein soll, als deren Beispiel „insbesondere auch Beeinträchtigungen von beruflichen Entwicklungs- und Karrierechancen“ aufgeführt werden, dürfte schwer zu klären sein.

Der SPD-Gesetzentwurf sieht speziell folgende beiden Verläufe eines Falles von Whistleblowing vor:

  1. Der Hinweisgeber gibt seine Hinweise auf dem Dienstweg. Er wird nicht benachteiligt, sonst drohen 50.000 Euro Geldbuße (§ 14). Die Öffentlichkeit erfährt nur davon, wenn Menschenleben oder Umwelt in Gefahr sind, oder wenn die zuständige Behörde untätig bleibt (§ 6).
  2. Der Hinweisgeber überspringt den Dienstweg und wendet sich an Dritte, z.B. Stellen, von denen er glaubt, dass sie Abhilfe schaffen könnten, etwa ein unzuständiges Ministerium, an den Bundestag oder die Öffentlichkeit. Er wird nicht benachteiligt, sondern entlassen und auf Schadensersatz verklagt.

Das Gesetz ist völlig überflüssig. Ungerechtfertigte Benachteiligung im Sinne von Mobbing ist ohnehin verboten. Seine Vorgesetzten auf Missstände oder Behörden auf Rechtsverletzungen hinzuweisen ist ohnehin erlaubt. Dann enthält das Gesetz noch Kannbestimmungen (§ 11). Es ist unverschämt, dem Gesetzentwurf den Namen „Hinweisgeberschutzgesetz“ zu geben, und es täuscht über den eigentlichen Sinn des Gesetzentwurfs hinweg.

Die Grünen zielen in dieselbe Richtung –  und widmen sich Mobbing und arbeitsrechtlichen Konsequenzen aus arbeitsbezogenem Whistleblowing:

„Oft besteht ein großes öffentliches Interesse an diesen Informationen, zu denen nur ein begrenzter Personenkreis Zugang hat, wie im Pflegebereich oder bei der Aufdeckung von Lebensmittelskandalen. Dennoch drohen diesen Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern (Whistleblowern) neben Mobbing häufig auch arbeits- und dienstrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung. Hierdurch entsteht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Gewissenskonflikt: Sie müssen entscheiden, ob sie über Missstände sprechen oder lieber schweigen.“ (S. 1)

Als Lösung sehen auch die Grünen Regeln an, „unter welchen Voraussetzungen sie sich an eine außerbetriebliche zuständige Stelle bzw. direkt an die Öffentlichkeit wenden dürfen.“ (S. 2) Statt von einem „Whistleblower-Schutzgesetz“ sollte man also auch hier eher von einem Whistleblowing-Regulierungsgesetz sprechen. Das Konzept unterscheidet sich aber etwas vom SPD-Entwurf. So wollten die Grünen einen „§ 612b Anzeigerecht“ ins BGB einführen. Der sollte in Absatz 1 besagen:

„[Ein Whistleblower hat] sich zuerst an den Arbeitgeber oder eine zur innerbetrieblichen Klärung zuständige Stelle zu wenden.“

Man stelle sich das im Fall Snowden vor: Was, wenn er 2012 zu einem Vorgesetzten gegangen wäre und gesagt hätte, dass er die NSA-Überwachungs-Praxis illegal und unerträglich findet und sie bitte sofort abgestellt werden soll? Die Grünen haben für diesen Fall durch Absatz 2 vorgesorgt:

„Der Arbeitnehmer hat das Recht, sich an eine zuständige außerbetriebliche Stelle zu wenden, wenn […] der Arbeitnehmer aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung ist, dass […] eine innerbetriebliche Abhilfe nicht oder nicht ausreichend erfolgen wird.“

Snowden hätte also nicht zu seinem Vorgesetzten gehen müssen, sondern sich vielleicht sogar direkt an den US-Präsidenten wenden können. Man stelle sich das vor. Der Effekt ist derselbe wie bei einer Wendung an den Vorgesetzten. Absatz 3 regelt daher die Möglichkeit, sich direkt an die Öffentlichkeit zu wenden:

„Der Arbeitnehmer hat das Recht, sich direkt an die Öffentlichkeit zu wenden, wenn das öffentliche Interesse am Bekanntwerden der Information das betriebliche Interesse an deren Geheimhaltung erheblich überwiegt.“

Das öffentliche Interesse wird insbesondere bei Vorliegen von Anhaltspunkten für „eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr für Leben, Körper, Gesundheit, Persönlichkeitsrecht“ usw. bejaht. Doch wie groß muss ein öffentliches Interesse sein, um das betriebliche Interesse eines Geheimdienstes an Geheimhaltung erheblich zu übersteigen? Oder in anderen einschlägigen Fällen: Wie groß muss ein öffentliches Interesse sein, um das betriebliche Interesse an einer Geheimhaltung zu übersteigen, die Betriebsgrundlage ist?

Die Gesetzentwürfe zeigen, dass Whistleblower primär als Gefahr für Geheimhaltung und Macht angesehen werden. Gegen diese Interessen wagen es weder SPD noch Grüne, ein Gesetz zu entwerfen, nicht einmal ein aussichtsloses Gesetz in der Opposition. Also werden ihre Gesetze zum Schutz von Whistleblowern vor der Rache der Macht zu Gesetzen zum Schutz der Macht vor den Whistleblowern. Dies schützt natürlich auch die Whistleblower, oder besser die Menschen, die so vom Whistleblowing abgehalten werden.

Ablehnende Pressereaktionen

Für die FAZ war am 12. Juli 2013 Whistleblower-Großkampftag. Mindestens vier Artikel widmet sie der Snowden-Affäre, davon drei Kommentare, überschrieben mit Whistleblower I, Whistleblower II und Whistleblower III. Wer erwartet, dass sich das Zentralorgan der bürgerlichen Presse im Namen des Informationsinteresses der Öffentlichkeit (warum existieren Zeitungen noch gleich?) für Transparenz, Bürgerrechte und Demokratie einsetzt, irrt fahrlässig.

Stattdessen verhöhnt das Blatt Politiker, die sich für den jüngst für den Friedensnobelpreis nominierten Whistleblower Snowden einsetzen, und zeichnet in drei Kommentaren nach, was für Bösewichte sich mit Whistleblowern und Whistleblowerschutz abgeben oder auch nur für die Behebung der von Whistleblowern veröffentlichten Missstände plädieren. Es handelt sich um die Bösewicht-Gruppen der scheinheiligen Liberalen, der Sozialdemokraten und der Lateinamerikaner, die wegen ihrer positiven Bezugnahme auf Whistleblowing verächtlich gemacht werden, wie Dietrich Klose erläutert.

Ein Whistleblower wird demnach von der bürgerlichen Zeitung im Verbund mit den angeblich linken Parteien zentral als Nestbeschmutzer verstanden. Er ist zu identifizieren und zu regulieren, damit er keinen Schaden anrichtet. Seine Tätigkeit – das Aufmerksammachen auf Missstände, also Nestbeschmutzung – ist in so enge Vorgaben zu zwängen, dass der Whistleblower keinesfalls der Öffentlichkeit gegenüber als gerechtfertigt auftreten kann, da er sich im Fall der Wendung an die Öffentlichkeit automatisch ins Unrecht setzen muss. Da sind sich Presse und Legislative einig.

So lässt sich effektiv von Missständen ablenken, indem man das erwiesene widerrechtliche Verhalten des Whistleblowers und allgemein seine moralische Verdorbenheit stattdessen zum Hauptthema des öffentlichen Diskurses macht. Nirgends ist das besser sichtbar als in der Behandlung der Prism-Affäre durch US-Medien, die sich auf Kritik am Enthüller konzentrieren, nicht am Enthüllten:

„In Amerikas Mainstream-Medien spielt die NSA-Schnüffelei kaum noch eine Rolle. Stattdessen finden sich Whistleblower Edward Snowden und der ‚Guardian‘-Journalist Glenn Greenwald im Kreuzfeuer der Kommentatoren.“[2]

Vielen Massenmedien sind Whistleblower suspekt. Das ist schizophren, denn nach traditionellem Verständnis von Massenmedien sollen diese im Allgemeininteresse Informationen an die Öffentlichkeit bringen, die sie häufig nur von Whistleblowern erhalten können. Auch die Kontrolle von Mächtigen können Massenmedien nur leisten, wenn sie Informationen über Missstände erhalten. Aber offenbar wirkt sich im Fall von Whistleblowern besonders aus, dass Vertreter von Massenmedien weithin mit Polit- und Wirtschaftseliten im Bett liegen, wie Uwe Krüger analysiert hat. In den USA kommt hinzu, dass in der nationalen Verteidigungshysterie jedes gegen Regierungsmacht gerichtete Wort als unpatriotisch gebrandmarkt wird: „Obama jagt Geheimnisverräter gnadenloser als sein Vorgänger“,[3] beschrieb bereits vor zwei Jahren das dortige Anti-Whistleblower-Klima.

Festzuhalten ist:

  • Whistleblower tragen Betriebsgeheimnisse im Namen eines übergeordneten Allgemeininteresses nach außen.
  • Die Begriffe Whistleblower und Hinweisgeber werden synonym verwendet.
  • Die Lakaien der Macht hassen Whistleblower und machen sie als Verräter verächtlich, die gegen Ordnung und Macht aufbegehren (die Worte „gottgegeben“ und „gottgewollt“ mag man nach Belieben verteilen).

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2 Antworten zu “Was ist ein Whistleblower? Definitionen, Schutzgesetze, Massenmedien

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