Er hörte sie früher einmal ganz gern, Die Toten Hosen. Doch das war früher.
„Wir hören Musik von früher
Schauen uns verblasste Fotos an
Erinnern uns, was mal gewesen warUnd immer wieder
Sind es dieselben Lieder
Die sich anfühlen
Als würde die Zeit stillstehen“[1]
Dieser Text aus „Altes Fieber“ (2012) erklärt den inhaltlichen Bankrott einer Band, die lange, lange vorher eine andere Einstellung zu sentimentaler Vergangenheitsverherrlichung präsentiert hatte:
„Früher war alles besser
Früher war alles gut
Da hielten alle noch zusammen
Die Bewegung hatte noch WutFrüher hör auf mit früher
Ich will es nicht mehr hör’n
Damals war es auch nicht anders
Mich kann das alles nicht stör’nIch bin noch keine sechzig
Und ich bin auch nicht nah dran
Und erst dann möchte ich erzählen
Was früher einmal warSolange Johnny Thunders lebt
Solange bleib ich ein Punk
Solange es was zu trinken gibt
Dauern alle unsere Feste an“[2]
Die zuletzt zitierte Strophe von „Wort zum Sonntag“ (1986) wurde nach dem Tod von Johnny Thunders 1991 so entstellt, dass von Punk nicht mehr die Rede sein konnte. Sänger Campino singt zwar noch immer, dass er keine sechzig ist, aber dafür schwelgt er in Nostalgie, als ob er der Frontmann von Karat wäre.
Auch möglichen Einstellungswandel im Lebensverlauf hat die Band bereits im „Wort zum Sonntag“ einbezogen:
„Und wenn ich wirklich einmal anders bin
Ist mir das heute noch scheißegal“[2]
Doch wohin der Wandel die Texte der Band führen würde, das hätten sie sich wohl 1986 noch nicht träumen lassen. Sonst hätten sie sich wahrscheinlich damals weniger abgebrüht geäußert. Aber wer konnte ahnen, was der andauernde Vermarktungserfolg aus einer Punkrock-Band machen würde?
Karneval der guten Laune
In „Tage wie diese“ (2012) schildern sie recht detailliert und dicht an ihrem beruflichen Erleben, was aus ihnen geworden ist. Oder besser: Sie versetzen sich textlich in die Rolle ihrer Fans beim Konsum ihrer Musik und bilden damit einen emotionalen Zirkel, der a) eine Stimmung in der Aufführungssituation einfängt, b) diese Stimmung wiederzugeben versucht, um c) die Stimmung reproduzieren und verstärken zu können. Damit wird die ursprünglich womöglich in der Konzertsituation tatsächlich vorhandene Stimmung allerdings zum Produkt industrieller Reproduktion. Dieselbe Methode verwendete auch „Altes Fieber“.
Damit betrügen die Texte interessanterweise nicht nur die Konsumenten des technisch reproduzierten Kunstwerks um dessen Aura, sondern auch die live einer Aufführung Beiwohnenden, die ja gerade wegen der auratischen Erfahrung zur Teilnahme an einem solchen Großevent sich entschlossen haben. Die Texte sind also inhaltlich, nicht technisch, Playback.
Ein Textvergleich
Wie lässt sich das vorführen? Durch Gegenüberstellung von Texten. In der folgenden Übersicht steht links also das Vorbild, „So ein Tag“, ursprünglich „das Auf- und Abtrittslied der Mainzer Hofsänger für die Fastnachtskampagne 1952“[3], ein Karnevalsschlager, der bierseeliges bräsigdeutsches Wohlbefinden vermittelt. Rechts stehen – wie von fünf Schimpansen aus dem Gelsenkirchener Zoo angeordnet – Phrasen aus „Tage wie diese“, laut Rheinischer Post 2012 „Lied des Sommers“, das den „Soundtrack zum gemeinschaftlichen Hochgefühl“ liefere und sich zur „Beschallung von Volksfesten ebenso [eigne] wie zur Feier eines Sieges bei der Fußball-EM“.[4] Na dann Prost!
So ein Tag | Tage wie diese |
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So ein Tag, so wunderschön wie heute, | An Tagen wie diesen […] Erleben wir das Beste |
So ein Tag, der dürfte nie vergehn. | An Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit / An Tagen wie diesen haben wir noch ewig Zeit |
So ein Tag, auf den man sich so freute, | Ich wart’ seit Wochen auf diesen Tag |
Und wer weiß, wann wir uns wiedersehn. | Komm’ dir entgegen, dich abzuholen, wie ausgemacht / Zu derselben Uhrzeit, am selben Treffpunkt, wie letztes Mal |
Schau die bunten Sterne | Wir stehen nicht still für eine ganze Nacht |
Am Firmament hier steh’n, | Wir lassen uns treiben, tauchen unter, schwimmen mit dem Strom / Drehen unsere Kreise, kommen nicht mehr runter, sind schwerelos |
Ach, ich blieb‘ so gerne, | Das hier ist ewig, |
Doch leider muß ich geh’n: | ewig für heute |
Ach wie bald entschwinden schöne Stunden, | Wir stehen nicht still für eine ganze Nacht |
Und die Tage im Wind verwehn. | Wir lassen uns treiben, tauchen unter, schwimmen mit dem Strom / Drehen unsere Kreise, kommen nicht mehr runter, sind schwerelos |
So ein Tag, auf den man sich so freute, | In dieser Nacht der Nächte, die uns soviel verspricht |
So ein Tag, der dürfte nie vergehn. | Erleben wir das Beste, kein Ende ist in Sicht |
Und jetzt alle…
Wer ganz mutig ist, darf sogar versuchen, den einen Text zur Melodie des anderen Lieds zu singen. Kein Wunder, dass der Titel, den Focus Online als typisch für Die Toten Hosen und perfekten Ausdruck „für ihren Wandel im Laufe der Zeit“ ansah, Coverversionen von Helene Fischer und angeblich auch der Schweizer Rechtsrock-Band Amok erhielt.[4]
Zum Abschluss, und um wieder in eine heitere, gelassene Stimmung zu finden, noch ein Musikvideo von den erwähnten großen deutschen Songtextern:
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