SAQ: Schavanly Asked Questions

Erarbeitete Schavans Unterstützerkreis womöglich in einer ungewollt dialektischen Wendung selbst die Abwehrstrategie, mit der die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) in der Causa Schavan ihre Unabhängigkeit gegen Einflussversuche verteidigen konnte? Klar ist, dass man in Düsseldorf einigen Aufwand betreiben musste, um ein Überprüfungsverfahren durchzuführen, das den rechtlichen und wissenschaftlichen Erfordernissen gerecht werden konnte. Dabei half auch der HHU-Ehrensenator, ehemalige nordrhein-westfälische Kulturstaatssekretär, Staatskanzleichef und Schavan-Vertraute aus alten Neusser Tagen, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU), tatkräftig mit.

Komplexe Anforderungen seit Beginn der Schavan-Affäre

Dass es kein ganz normales Verfahren werden würde, ahnte man an der Philosophischen Fakultät der HHU wohl schon Anfang Mai 2012. Aber die grundlegenden rechtlichen und wissenschaftlichen Anforderungen, die standen da schon fest: Juristisch musste das Vorgehen den einschlägigen Vorschriften entsprechen, insbesondere dem Verwaltungsverfahrensgesetz von NRW und der Promotionsordnung. Denn wenn sich der von Schavanplag vorgeführte Plagiatsverdacht als richtig erweisen würde, dann sollte das universitäre Verfahren der erwartbaren gerichtlichen Überprüfung standhalten können. Wäre der Plagiatsverdacht falsch gewesen, hätte es ohnehin keine realistischen Szenarien gegeben, einen entsprechenden Fakultätsbeschluss juristisch anzugreifen. Wissenschaftlich sah das aus der Perspektive vom Mai 2012 etwas anders aus: Wenn ein Plagiat vorlag, sollte dies überzeugend nachweisbar sein. Wenn keines vorlag, musste eine schlüssige Argumentation erarbeitet werden, warum sich ein HHU-Beschluss von den Schavanplag-Befunden unterschiede.

Juristische und wissenschaftliche Perspektive dieser Anfangstage der Affäre waren zudem eng miteinander verknüpft, da die zuständige Fakultät als Behörde gesetzlich dazu verpflichtet war, „den Sachverhalt von Amts wegen“ zu ermitteln und „alle für den Einzelfall bedeutsamen […] Umstände“[1] zu berücksichtigen. Wissenschaftliche Selbstachtung und juristischer Gleichheitssatz geboten außerdem, zum selben Ergebnis zu kommen, wie wenn der Plagiatsverdacht einen Hans Müller oder eine Erna Klein beträfe. Schließlich hätte man sich mindestens heimlich schämen müssen, wenn man damit fortfahren wollte, betrügerisch erworbene Doktortitel abzuerkennen, solange die Delinquenten nicht reich, mächtig oder prominent genug wären, hinreichenden Gegendruck zu erzeugen.

Gleicher als gleich: Verwaltungsverfahren zuungunsten prominenter PolitikerInnen

Der Gegendruck, der sich in der Causa Schavan von Mai 2012 bis März 2014 entfaltete, war enorm. Die sofortige Offensive, die wohl nur in Teilen durch medienwirksame Statements namhafter Erziehungswissenschaftler und Wissenschaftsfunktionäre auch an die Öffentlichkeit drang, hat an der HHU sicherlich frühzeitig erkennen lassen, dass man sich in Gefahr begab. Absehbar war dann, dass die wohl von Anfang an bestehende Absicht, bei entsprechender Faktenlage Schavans Doktor zu entziehen und sich auch einer anschließenden juristischen Auseinandersetzung zu stellen, nicht nur massive Angriffe von außen auslösen, sondern auch intern eine gewaltige Zerreißprobe bedeuten würde. Die Universitäten Gießen und Bochum gingen 2013 den anderen Weg und entschlossen sich, die inkriminierten Dissertationen mächtiger Prominenter lieber nicht sorgfältig auf Plagiate zu überprüfen. Juristisch folgenlos, wissenschaftlich desaströs. Und mit vorhersehbaren Neben- und Nachwirkungen.

Dass die HHU diesen leichten Weg einschlagen könnte, auf dem man dem manifesten Druck ausweicht, befürchtete womöglich auch der Maulwurf, der im Oktober 2012 Informationen über das Rohrbacher-Gutachten und die „leitende Täuschungsabsicht“ an den „Spiegel“ gab. Wie die Affäre ohne dieses Leck weitergegangen wäre, ist nicht leicht zu sagen, aber wahrscheinlich hätte Schavan größere Probleme gehabt, Unterstützer für das folgende mediale Bombardement zu mobilisieren. Parallel zum Medienbombardement entfaltete sich (wohl unabhängig von dem Gutachten-Leak) ein heimliches Bombardement, das erst im Rückblick langsam Kontur gewinnt. Zu diesem heimlichen Bombardement gehört auch die Intervention Hans-Heinrich Grosse-Brockhoffs, eines Düsseldorfer Honoratioren. Doch anders als andere Schwergewichte, die die Waagschale mit wenig mehr als ihrer Willensbekundung zugunsten Schavans zu senken beabsichtigten, trug der selbstreflektierte Staatssekretär a. D. Grosse-Brockhoff zur Entwicklung des Falls Schavan einiges bei:

Man wird ja wohl noch fragen dürfen

Schon unmittelbar nach Bekanntwerden des Rohrbacher-Gutachtens im Oktober 2012 hat sich Grosse-Brockhoff öffentlich zu dem Fall geäußert. Der frühere Neusser Stadtdirektor machte dem Düsseldorfer Prodekan das angesichts von Erbsenzähler-Vorwürfen deutlich vergiftete Kompliment, er habe ihn damals als „sehr peniblen Historiker“ kennen gelernt, und empfahl der Universität, die Überprüfung der Dissertation seiner Duz-Freundin nun „an einen mit externen Fachleuten besetzten unabhängigen Gutachter-Ausschuss zu vergeben.“[2] Wäre es nach dem Ehrensenator gegangen, dann hätte man an der HHU das sehr penible Gutachten also ohne weitere Umstände verworfen und zugleich das für Schavan gefährlich gewordene Verfahren der zuständigen Fakultät entzogen.

Dazu kam es bekanntlich nicht. Die Universität blieb auf ihrem verhängnisvollen Kurs. Am 3. Februar 2013, also zwei Tage bevor der philosophische Fakultätsrat Schavans Doktor aberkannte, wandte Grosse-Brockhoff sich deshalb in einem dreiseitigen Brief an den zuständigen Dekan und die Mitglieder des Fakultätsrates, an den Rektor der HHU und an den Hochschulrat, also das Honoratiorengremium, das den Rektor berät und wählt, und aus dem wenige Tage später „Schavans Mann vor Ort“ Ernst Theodor Rietschel aus Protest gegen die Doktoraberkennung zurücktrat.[3] An die Öffentlichkeit wandte sich Grosse-Brockhoff diesmal ausdrücklich nicht, das hätte womöglich dem Ansehen der Universität, deren Ehrensenator er seit 2005 ist, geschadet – vielleicht aber auch dem Ansehen des Ehrensenators.

In dem Brief stellte Grosse-Brockhoff als advocatus diaboli quasi alle „Fragen“, die irgendwelche Schavanisten sich ausdenken könnten. Die HHU griff das begeistert auf und beantwortete mehrfach alle erdenklichen und unerdenklichen Fragen gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber den eigenen Mitarbeitern: Am 12. Februar 2013 veröffentlichte die HHU „Hintergrundinformationen zum Verfahren zur Überprüfung der Promotion von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Annette Schavan“ in Form klassischer FAQ. Am 22. Februar legte der Düsseldorfer Rektor Piper in einem Schreiben an die Mitarbeiter nach, in dem er unter anderem beklagte, dass selektiv informierte Kommentatoren aus offensichtlich parteipolitischen Gründen die HHU angriffen.

Das bezog sich auch auf Kurt Biedenkopf, der wie Ernst-Ludwig Winnacker in der schavanistischen Presse die Grosse-Brockhoffschen Fragen in Form empörter Einwände zum Besten gegeben hatte. Aber die HHU war durch ihren Ehrensenator vorbereitet und sogleich bereit, auf ihrer Homepage detailliert zu antworten. So lief ihre Intervention ins Leere, und der Rektor konnte in offenen Briefen die Respektlosigkeiten der hohen Herren anprangern.

Entsetzen und ein Vorschlag zur Güte

„Als Verwaltungsjurist“ beriet Grosse-Brockhoff in seinem Brief die HHU dahingehend, dass er „absolut sicher“ sei, „dass die Universität mit einem solchen Verfahren spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht Schiffbruch erleiden würde“. Wie viele andere Kommentatoren erzählte auch Grosse-Brockhoff die Geschichte vom Prodekan, der Schavan als Gutachter durch sein Votum bereits vorverurteilt hatte und nun im Wechselspiel mit dem Dekan das gesamte Verfahren beherrschte. Er bereicherte diese Geschichte sogar um eine pikante Wendung: Verständlich sei es ja, wenn die Fakultätsratsmitglieder die Versuchung spürten, ihren in Bedrängnis geratenen Vorsitzenden trotz aller offenkundiger Verfahrensfehler auf Gedeih und Verderb beizustehen – zumal „entsetzlicherweise inzwischen Prof. Dr. Rohrbacher antisemitischen Angriffen übelster Art ausgesetzt“ sei. Psychologisch geschickt oder perfide?

Dem gewieften Taktiker Grosse-Brockhoff war damit jedenfalls das Kunststück gelungen, den Mitgliedern des Fakultätsrats blinden Gefolgschaftsgehorsam aus den ehrbarsten Motiven zu unterstellen, aus dem sie nun unbedingt befreit werden mussten – am besten, indem man sie von ihrer unbequemen Aufgabe befreite. Der Verwaltungsjurist konnte sogleich mit einem zielführenden Vorschlag zur weiteren Gestaltung des Verfahrens aufwarten: Man solle doch die „Meinungsbildung“ einem Gremium überlassen, dessen Mitglieder Erziehungswissenschaftler sein und sowohl von der Universität als auch von Annette Schavan benannt werden sollten. Für den Vorsitz solle man einen unabhängigen Juristen gewinnen.

So bereinigt offenbar der erfahrene Verwaltungsjurist am Rhein Unstimmigkeiten. Warum sollten solche Prüfverfahren nicht auch – zur allseitigen Zufriedenheit – so ablaufen? Die Frage der arglistigen Täuschung ließe sich doch auf diesem Wege gewiss ebenfalls einer einvernehmlichen Klärung zuführen.

An seiner Universität ist der Ehrensenator jedoch mit diesem Vorschlag zur Güte nicht durchgedrungen. Nachdem der Fakultätsrat dann die Aberkennung des Doktorgrades beschlossen hatte, erwog Grosse-Brockhoff dem Vernehmen nach, es seinem Mitstreiter Rietschel gleichzutun und der HHU den Rücken zu kehren. Dass er es dann doch nicht tat, soll von Schavan übel aufgenommen worden sein. – Auch ein Schavanör hat’s eben manchmal schwör.

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3 Antworten zu “SAQ: Schavanly Asked Questions

  1. Es macht schon Vergnügen, wie diese Herrenreiter hoch traben, aber sich schon bei der Anrede akademisch vergaloppieren. Mit „Spektabilis“ begann HRK-Chef Hippler seinen Brief, durch den er die Heine-Uni unter Druck setzen wollte. Die Philosophen an der Uni werden es wohl gemerkt und sich amüsiert haben. Als „Spectabilität“ betitelte dafür später der Düsseldorfer Prodekan seinen Dekan. Mit „Magnifizens“ versucht es jetzt CDU-Mann Große-Brockhoff beim Düsseldorfer Rektor. Wer weiß was da noch alles auftaucht. Ein Schreiben des Dekans an „Mangifisenz“ ist sicher noch drin.

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