Verjährungsdebatte: Zur Ersitzung des Doktorgrades

Ersessenes wird auf Dauer zum Besitz. Das ist bekannt seit Kindergartentagen: „Das ist mein Platz!“ krakeelte allmorgendlich die halbe Krabbelgruppe im Kampf um die beste Ausgangslage, historisch unumstößliche Sitzgewohnheitsrechte reklamierend. Schon diese Rechtsstreitigkeiten verliefen regelmäßig ungerecht in hohem Grad. Und auch bei der Deutschen höchstem Grad ist Ersitzung kein unter allen Umständen sicherer Weg zu dauerhaftem Besitz. Ist das etwa gerecht?

Plagiatsexperte Volker Rieble hat in der neuen Open-Access-Zeitschrift „Ordnung der Wissenschaft“ eine ausführliche Untersuchung zum Thema Verjährung von Dissertationsplagiaten vorgelegt, die hier eine ausgiebige Vorstellung verdient:

„Hier geht es allein um die Frage, ob es sachgerecht ist, daß ein ein ganzes Erwerbsleben lang getragener ‚Titel‘ entzogen wird, obschon nach dreißig Jahren jede strafrechtliche Ahndung (bis auf Mord) ausgeschlossen ist und wiewohl dreißig Jahre die äußerste Verjährungsfrist auch im Zivilrecht sind und nach dreißig Jahren jede Arglist-Anfechtung ausgeschlossen ist.“

Kommentatoren aller Art haben sich darüber echauffiert, Annette Schavan wäre von der Düsseldorfer Universität mit Mördern auf eine Stufe gestellt worden. Sogar DFG-Ombudsman Wolfgang Löwer sympathisiert mit einer Verjährungsregelung. Riebles Aufsatz lässt sich als Versuch lesen, Löwer von den Schwächen einer solchen Verjährung zu überzeugen. Rieble argumentiert gut verständlich:

„Der Promotionsentzug ist keine Strafe – auch wenn er von Betroffenen wegen der Prangerwirkung so empfunden wird.“ Vielmehr ist es eine „Korrektur von rechtswidrigem Verwaltungshandeln – in dieser Korrektur ist die Behörde nicht frei, sondern muß sich vom Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung leiten lassen.“

Indem Rieble Willkür-Bürokratie und legales Staatshandeln kontrastiert und ersteres mit der Verjährungsoption verknüpft, macht er, gestützt auf Art. 20 Abs. 3 GG, einen starken Grundsatzpunkt gegen die Einführung einer Verjährungsregelung. (Das schavanistische Phantasma einer bereits in der Causa Schavan wirksamen Verjährung muss er gar nicht weiter diskutieren.) Im Vergleich mit anderen Verjährungsregelungen – und ihrem Fehlen, etwa bei der Frage einer widerrechtlichen Verbeamtung – führt Rieble vor:

„Verjährung ist kein universales Rechtsprinzip, Ersitzung ebensowenig.“

Dabei gibt es eine Verjährung, die in Plagiatsfällen regelmäßig zum Einsatz kommt: Wegen falscher Versicherung an Eides Statt wird quasi niemand belangt, weil die fünfjährige Verjährung bei Abgabe der eidesstattlichen Versicherung beginnt und die anschließenden Verfahren bis zur Aufklärung eines Plagiats fast stets länger dauern. Dieser Komplex von langsam mahlender Wissenschaft und wieselflinken Verjährungsfristen macht nach Riebles Darstellung noch weitere Strafandrohungen in diesem Bereich zahnlos.

Von den Begründungen, die für eine Verjährungsregelung angeführt werden, nimmt Rieble eine besonders aufs Korn, die auch eine spezielle Rolle in der aktuellen „Debatte“ um die „Reform“ der universitären Zuständigkeiten und Verfahren in Plagiatsfällen spielt. Die Praktikabilität:

„Die Aufarbeitung des Plagiatsverdachtes macht mehr Mühe als die Begutachtung der Dissertation: Finden sich verdächtige Textstellen, muß akribisch nach den Originalen gesucht werden – das ist eine Suche ins Blaue. Textvergleichsprogramme sind wenig hilfreich. Sie versagen selbst bei im Netz verfügbaren Quellen – und erst recht helfen sie nicht beim Finden papierner Originale. All dies mündet in eine aufwendige synoptische Gegenüberstellung der Texte, die die marginalen manipulativen Textveränderungen […] sichtbar machen sollen. Den Lehrstuhl des Gutachters kann das über Wochen lähmen.“

Ein einzelner Plagiatsverdacht kann also einen ganzen Lehrstuhl „über Wochen“ zu nichts anderem mehr kommen lassen. Aus der Düsseldorfer Philosophischen Fakultät ist bekannt, dass dort im August 2013 gleichzeitig drei Plagiatsverdachtsfälle in Arbeit waren, binnen zwei Jahren hatte die Fakultät unter 10 Fälle in Arbeit, davon „seit Mai 2012 fast durchgängig mehrere Fälle gleichzeitig“.[1] Der Fall Schavan hatte Gutachter Rohrbacher wohl mindestens für vier Monate bis zur ersten Version seiner Synopse in Anspruch genommen, Lehrveranstaltungsausfälle hat es dort wohl auch gegeben. Rieble weiter:

„So viel Arbeit macht nicht glücklich – zumal eine Fakultät mit der Plagiatsschau keine Meriten erwirbt, sondern nur Unannehmlichkeiten hat. Die Klagelust der Kandidaten auf Promotionsentzug ist ungebrochen.“

Der regelmäßige Leser wird sich an einige Konkretionen dieser Feststellungen erinnern. Besonders zentral findet Rieble eine Stelle, mit der der Allgemeine Fakultätentag, Fach-Fakultätentage und der Deutsche Hochschulverband die Verjährungsüberlegungen im Mai 2013 unterstützten:[2]

„Da keine Fakultät glücklich ist, von Amts wegen auch lange zurückliegende Promotionsleistungen aufgreifen zu müssen und in einem mühseligen Verfahren neu zu prüfen, sprechen sicher auch Praktikabilitätsgründe für eine Verjährungsfrist.“

Wer würde angesichts des geschilderten Aufwandes und der in Düsseldorf gut sichtbar gewordenen Undankbarkeit der Aufgabe kein Verständnis für dieses Argument haben? Rieble:

Diesen Satz muß man sich selbst mehrfach vorlesen, um seine Impertinenz zu begreifen: Weil Fakultäten faul sind, müssen betrügerische Doktoranden davonkommen. Arbeitsunlust zur Korrektur eigenverantworteter Fehler heißt nun: ‚Praktikabilität‘.

Rieble polemisiert freilich kräftig, wenn er Professoren, die eigentlich lehren und forschen wollen, Faulheit und Arbeitsunlust unterschiebt, weil sie sich der rechtswidrigen Verwaltungsakte („Fehler“) ihrer Vorgänger (oft zumindest) auf die leichte Tour zu entledigen wünschen. Für die folgende Passage zum wunderbaren Nutzen einer Verjährung gebührt Rieble der diesjährige Antischavanismuspreis, den die Eichenbach-Stiftung sicherlich noch ausloben wird:

„Eine möglichst kurze Promotionsrücknahmefrist erspart die peinlichen Ausreden der Fakultäten, das verbreitete Schweigen und Bemänteln, das Geschwurbele über die fehlende Täuschungsabsicht, die Bedeutungslosigkeit der geklauten Textstellen im Vergleich zu dem wissenschaftlichen Zentralteil der Arbeit, den erst noch zu ermittelnden hermeneutischen Deutungszusammenhang des mash up.“

Gleichermaßen verwirken Fakultäten, die solcherlei Apologien heranziehen, und jene, die eine Verjährung von Promotionsplagiaten fordern, ihren Anspruch, sich Wissenschaftlichkeit zurechnen zu können. Das ist hart von Rieble, doch: Es stimmt. Riebles Muster-Absageschreiben für künftige Plagiatsmeldungen mit der universellen Begründung Verjährung würde jedenfalls dafür sorgen, dass jede Mitteilung von Plagiatsvorwürfen eine Antwort erhalten könnte – die meisten sogar umgehend, wenn die Mitteilenden bereit sind, die Variablen ihrer Meldung in ein Online-Formular einzugeben.

Sensation: Es gibt sie doch, die Plagiatsverjährung

Wer auf der Suche nach einem Schlupfloch bis hierher durchgehalten hat, verdient auch den Geheimtipp: An die LMU München sollte sich wenden, wer nur eine plagiierte oder von einem Ghostwriter verfasste Dissertation vorlegen kann. Da steht nämlich, inmitten der Kernsatzung der größten und großartigsten Exzellenz, wie Rieble dem staunenden Leserkreis offenbart, in der „Promotionsordnung der Ludwig-Maximilians-Universität München für die Grade des Dr. phil. und Dr. rer. pol.“[3] der Satz:

„Eine Entscheidung nach Abs. 1 und 2 [Aberkennung der Doktorprüfung] ist nur innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Erteilung des Bescheids gemäß § 12 Abs. 3 möglich.“

Das sei zwar rechtswidrig, argumentiert Rieble. Aber auch auf eine rechtswidrige Satzung müsse sich der ehrbare Plagiator verlassen können. Unter diesem Gesichtspunkt war natürlich die Berufung Annette Schavans in den LMU-Hochschulrat völlig angemessen. Dementsprechend hat Rieble auch einen Tipp für plagiatsprüfungsgeplagte Professoren:

„[W]er für seine persönliche Restdienstzeit vor allem in Ruhe gelassen werden will, dem ist die womöglich rechtswidrige aber doch faktisch wirksame Befristungsregelung in den Promotionsordnungen zu empfehlen. Sie erregt wenig Aufsehen, verschafft Promotionsbetrügern einen sicheren Titel und schützt Professoren davor, langweilige Arbeiten erneut anschauen zu müssen.“

Insgesamt gesehen ist natürlich Riebles Fazit beizupflichten:

„Die Wissenschaft muß sich selbst befragen, was ihr wichtig ist: Ruhe an der Promotionsfront und Verschonung von nervigen Prüfverfahren oder Verteidigung der wissenschaftlichen Standards, auch und gerade durch Aufdeckung und Korrektur des Fehlverhaltens.“

Um einer Tendenz in die letztere Richtung den nötigen Nachdruck zu verleihen, empfiehlt sich wohl zunächst die Aberkennung des Promotionsrechts der LMU München. Dann hat man dort nicht nur keinen Aufwand mehr mit der Qualitätskontrolle vergangener Arbeiten, sondern auch keinen mit dem Anfall neuer Promotionsprüfungen, und das ist doch sicher im besten Interesse von LMU-Präsident Bernd Huber.

Wettbewerbsvorteile in der Konkurrenz um plagiierende (dafür aber politisch gut vernetzte) Doktoranden

Der ließ sich gerade von Marion Schmidt interviewen und fand nun doch, dass die Berufung von Annette Schavan in den Hochschulrat irgendwie ein Fehler gewesen sei. Aber wahrscheinlich hat er einfach Riebles Denkschrift noch nicht gelesen. Jedenfalls verzichtete er auch darauf, der breiten Öffentlichkeit stolz die Verjährungsregelung an der eigenen Uni zu präsentieren, als er ausdrücklich nach Konsequenzen aus dem Fall Schavan hinsichtlich einer Verjährungsregelung gefragt wurde.

Dabei wäre das Zeit-Interview doch eine vorzügliche Möglichkeit gewesen, massenhaft willige und rasch mit der Arbeit fertige Doktorandinnen und Doktoranden anzuziehen: Die Bedingungen für nachhaltige Exzellenz sind nirgendwo besser als an der LMU. Seit es diese Regelung in der Promotionsordnung gibt, ist dort gewiss kein einziger Dr. phil. oder Dr. rer. pol. mehr wegen Plagiaten entzogen worden.

Düsseldorfer Unverständnis für Münchner Rahmenbedingungen

Dieser Umstand dürfte auch einem Leserkommentator unbekannt sein, der unter dem Interview „Herrn Hubers Vorstellungen vom künftigen Umgang mit Plagiaten“ in Frage stellt. Es ist jener „Stefan Rohrbacher“, der im August 2013 schon einmal auf Zeit online einen Leserkommentar hinterließ (Erbloggtes berichtete), und der mit hoher Wahrscheinlichkeit als ehemaliger Düsseldorfer Prodekan und Schavan-Gutachter identifiziert werden kann. Wüsste Rohrbacher, wie in München philosophische und politische Plagiatsfälle zu handhaben sind, müsste er ja nicht auf den „sehr großen Aufwand“ hinweisen, den auch nach seiner Erfahrung offenbar – übereinstimmend mit Riebles Darstellung – die Erarbeitung eines „Sachbericht[s] mit umfassender Dokumentation der Befundstellen“ macht. Rohrbacher weiter:

„Man wird unter Umständen Monate darauf verwenden müssen. Mit den Ausmaßen einer normalen Gutachtertätigkeit hat das wenig zu tun. Ein derart aufwendiges [externes] Gutachten würde die Fakultät übrigens aus welchem Topf bezahlen? Und welche externen Kollegen stünden für Derartiges zur Verfügung – außer vielleicht im politisch prominenten Fall? Prominenz ist aber auch unter Plagiatoren eher selten.“

Solche Fragen stellen sich ja nun an der LMU glücklicherweise gar nicht. Wenn andere Unis kein Geld haben, um die hochfliegenden Pläne zur Auslagerung von Plagiatsgutachten an „externe Experten“ zu bezahlen, dann können sie ja auch einfach ihre Promotionsordnungen so anpassen, dass das nur alle Jubeljahre mal vorkommen dürfte.

In Rohrbachers Kommentar werden freilich noch andere Aspekte der Schavan-Affäre mehr oder weniger ausdrücklich angesprochen, daher hier im Ganzen:

Rohrbacher-Kommentar in Zeit online, 24. April 2014

Rohrbacher-Kommentar in Zeit online, 24. April 2014

Tatsächlich soll es in der Vergangenheit ja schon vorgekommen sein, dass externe Gutachten nicht nur außerordentlich rasch, sondern auch zu allgemeinem Wohlgefallen erstellt worden sind. Rohrbacher betont demgegenüber gerade die Bedeutung von Kollegialprüfung und Kollegialentscheidung durch die verantwortliche Fakultät. Das in der Kritik an Düsseldorf regelmäßig angemahnte „Mehraugenprinzip“ war dort demnach gerade ein bestimmendes Element des Verfahrens. Die Vorstellung, dass eine Entscheidung der Fakultät ohne „zweite Meinung“ zustandekommen könnte, übersieht im Übrigen die Verfahrensrechte der „betroffenen Person“. Sie kann „während des gesamten Verfahrens“ Unterlagen einreichen, die das Gremium „selbstverständlich […] in seine Beratung und Entscheidungsfindung einzubeziehen“ hat: „An ‚zweiten Meinungen‘ ist in der Regel also kein Mangel.“

Dass solche nüchternen Mitteilungen nun auch unter Schavanisten zur Entstehung von zweiten Meinungen führen werden, ist dagegen nicht sicher zu erwarten.

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3 Antworten zu “Verjährungsdebatte: Zur Ersitzung des Doktorgrades

  1. „Sensation: Es gibt sie doch, die Plagiatsverjährung“

    Dieser Plagiatsfall (LMU, Pädagogik, Dr. phil.) ist wohl verjährt?

    http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Xg
    http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Xg/Befunde

  2. Pingback: Plagiatsnotizen: Verjährung, Leiden des jungen Barz, PlagitPop | Erbloggtes

  3. Pingback: Schluckimpfung ist süß, Plagiatsvorwürfe sind bitter | Erbloggtes

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