Lektionen in Hasspropaganda

Erlaubt es ein Blick in fremde Deutungen der Pariser Anschläge, besser wahrzunehmen, was bei der Betrachtung der eigenen Deutungen verborgen bleibt? Dies soll hier unternommen werden, und zwar ausgehend von Deutungen aus Israel/Palästina über amerikanische bis hin zu deutschen Interpretationen von ISIS, seinen Gegnern und seinen Verbündeten.

„The Times of Israel“: Palästinenser spinnen

„The Times of Israel“, nach Angaben ihres Gründers David Horovitz „an independent, fair-minded journalistic venture“, „not attached or affiliated with any political party“,[1] meldete am 15. November:

„Op-ed in official PA daily: Israel carried out Paris attacks
Al-Hayat al-Jadida opinion piece claims Mossad orchestrated the massacres to scupper EU plans to label settlement goods“[2]
Übersetzung in etwa:
Kolumne in offizieller Zeitung der Palästinensischen Autonomiebehörde: Israel führte die Pariser Anschläge aus
Kommentar in Al-Hayat al-Jadida behauptet, Mossad habe die Massaker orchestriert, um EU-Pläne zur Kennzeichnung israelischer Siedlungsprodukte zu torpedieren

Um diese Darstellung zu untermauern, zitierte „The Times of Israel“ ausführlich eine Quelle, hier im Kontext und ohne eigene Anführungszeichen und Auslassungen wiedergegeben:

The op-ed was translated by Palestinian Media Watch, a media monitoring group.
“It is not a coincidence that human blood was exploded in Paris at the same time that certain European sanctions are beginning to be implemented against settlement products, and while France leads Europe in advising the [UN] Security Council that will implement the two-state solution, Palestine and Israel — which the Israelis see as a warning of sudden danger coming from the direction of Europe, where the Zionist, occupying, settling endeavor was born…” the piece states.
“The wise and correct thing is to look for who benefits,” the op-ed continues. “In short: They need to search the last place reached by the octopus arms of the Mossad… It is clear that its ‘Mossad’ will burn Beirut and Paris in order to achieve [Prime Minister Benjamin] Netanyahu’s goals. He, who challenged the master of the White House, hides in his soul enough evil to burn the world.”[2]

Demnach müssen beim Leser in etwa folgende Eindrücke entstehen (in Klammern ergänzt, was nicht explizit da steht):

Das Sprachrohr der Palästinenserregierung von Mahmud Abbas, „Al-Hayat al-Jadida“, vertrete eine Verschwörungstheorie. Diese laute im Kern, die Pariser Anschläge seien zeitlich und kausal verknüpft mit europäischen Sanktionen gegen Produkte aus Siedlungen sowie der französischen Führungsrolle im Vorantreiben einer Zwei-Staaten-Lösung durch den UN-Sicherheitsrat. Da (alle) Israelis dies als Warnzeichen aus Europa sähen, wo der Zionismus entstanden sei (sei das Siedlungsprojekt gefährdet, so dass Israel habe aktiv werden müssen, um Europa wieder für den Zionismus zu gewinnen). Man müsse fragen, wer (von den Anschlägen) profitiert (um zu erkennen, wer für sie verantwortlich ist). Danach müsse man dort suchen, wohin der Mossad seine Tentakel zuletzt ausgestreckt habe. Der Mossad verbrenne Beirut und Paris, um Netanyahus Ziele zu erreichen. Netanyahu habe Obama herausgefordert, und die Bosheit seiner Seele könne die Welt verbrennen.

Kritik versus Propaganda

Wenn „The Times of Israel“ bei ihren Lesern diese Eindrücke erwecken will, dann kann man fragen, ob sie das tut, um Hasspropaganda zu verbreiten? Wenn man ihnen entsprechende Vorhaltungen macht, werden Journalisten üblicherweise darauf verweisen, dass es gar nicht darum gehen könne, was sie selbst wollen, da es ihre Aufgabe sei, bloß zu berichten, wie es eigentlich gewesen. Die Ignoranz des Aspekts, für welche Position sie eigentlich durch ihre (be)schreibende Tätigkeit gerade Werbung machen, lässt einen Fokus der Kritik auf diesem Aspekt wichtig erscheinen.

„The Times of Israel“ macht hier Werbung für eine Position, die die Palästinenserregierung und deren Presse als verschwörungstheoretisch-wahnsinnig, natürlich antisemitisch, und hetzerisch ansieht. Und das ist der Clou: „The Times of Israel“ wirft „Al-Hayat al-Jadida“ implizit vor, Hasspropaganda zu betreiben, konkret gegen den Mossad und den Staat Israel. Jemand anderem Hasspropaganda vorzuwerfen, ist also selbst möglicherweise Mittel von Hasspropaganda.

Handelt es sich bei diesem Blogartikel also um Hasspropaganda gegen „The Times of Israel“? Das ist nicht ganz auszuschließen. Allerdings will er ja nur berichten, wie es eigentlich gewesen, damit das Publikum sich daran erbaue und die gewonnenen Erkenntnisse auf andere Fälle übertrage. Es geht hier nicht um den Einzelfall, sondern um das Phänomen der Hasspropaganda, an dem „Al-Hayat al-Jadida“ wie „The Times of Israel“ beteiligt sind.

„Al-Hayat al-Jadida“: Verantwortungsverschiebung, aber nicht an „Israel“

Was „The Times of Israel“ aus „Al-Hayat al-Jadida“ zitiert, steht genau so in der Quelle[3], die „The Times of Israel“ angibt. Dabei handelt es sich um „Palestinian Media Watch“ (palwatch.org), ein Blog, dessen letzte Meldungen am vergangenen Samstag zum Beispiel so lauteten:

2-year-old sings: „Daddy, buy me a machine gun… I will defeat Israel,“ says proud Fatah official (Nov. 20, 2015)
The PA’s moral murder: Kill the parents, spare the children (Nov. 19, 2015)
Fatah: All Israelis are Nazis (Nov. 18, 2015)
Fatah official: Murdering Israelis is Palestinian „right“ (Nov. 18, 2015)

Es handelt sich bei palwatch.org wohl um sowas wie einen Medienspiegel-Dienst, der seine Kompetenzen in arabischer Sprache vorwiegend dafür einsetzt, um israelischen Medien Einblick in die Hasspropaganda palästinensischer Medien zu erleichtern. Nun bietet palwatch.org neben dem oben zitierten Zusammenschnitt, den „The Times of Israel“ als Beweis anführt für die Bezichtigung, Israel habe die Pariser Anschläge ausgeführt, auch noch ein längeres Exzerpt des betreffenden Artikels aus „Al-Hayat al-Jadida“ an. Die Übersetzungsproblematik und die Glaubwürdigkeit von palwatch.org-Exzerpten lässt sich vielleicht vernachlässigen, wenn man feststellt, dass die Original-Überschrift aus „Al-Hayat al-Jadida“ nicht halb so verrückt-antiisraelisch klingt wie die Darstellung in „The Times of Israel“. Die Überschrift lautete demnach: “Tribe of bloodthirsty barbarians in Beirut and Paris”, und das könnte ebenso in der französischen oder deutschen Presse gestanden haben, wo „Barbaren“ als Bezeichnung für ISIS eine neue Konjunktur erlebt (und damit Barbaren Unrecht tut).

„Al-Hayat al-Jadida“ verdammt demnach[3] die Anschläge von Paris und Beirut und beschimpft die Terroristen in markigen Worten als unmenschlich, rassistisch und verblendet. Diese Geisteszustände (oder ihre Träger, das bleibt offen) führt der Artikel zurück auf Geheimdienste, Polizeibehörden und andere (ungenannte) Gruppen mit (ungenannten) Zielen, von denen der Leser aber annehmen darf, dass es sich um Macht-Ziele handelt. In der verwendeten Metaphorik sind die Terroristen erkrankt an einem „Wildheits-Virus“, gleichsam blutdurstige Zombies.

Der Zeitung geht es nun darum, die Herkunft dieses Virus aufzuspüren. Denn wer vom Zombie-Virus befallen ist und deshalb Terroranschläge durchführt, das ist ihr nicht wichtig. (Man muss sich die vom Virus Befallenen vom Hals halten, egal wer es ist.) Aber die Herkunft des Virus sieht das Blatt in den Laboren der nach Macht strebenden Organisationen, das heißt, um von der Krankheits-Metaphorik zu abstrahieren, in den Strategien von Geheimdiensten, Polizeibehörden und anderen Gruppen, die man in der US-Einteilung von politischen Strategiehaltungen wohl als „Falken“ bezeichnen könnte.

Zu diesen „Falken“, die man etwas weniger zahm und in Anlehnung an historische deutsche Namen „Kriegspartei“ nennen könnte, zählt die Zeitung Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und den Mossad, aber nicht nur diese beiden. Netanjahu wird auch in der Tat dämonisiert, der Mossad zu den Quellen des Übels gezählt. Aber deren unmittelbare Verantwortlichkeit für die Terroranschläge, wie die Überschrift „Israel carried out Paris attacks“ in „The Times of Israel“ suggeriert, behauptet „Al-Hayat al-Jadida“ nicht.

Vielmehr bezichtigt die Zeitung Netanjahu und den Mossad, aber auch CIA, Scotland Yard und andere Gruppen, das „Virus“ entwickelt und den Nährboden geliefert zu haben, auf dem die Terroristen gedeihen konnten. Die Skrupellosigkeit der Genannten wird verdammt, aber ihre Verantwortlichkeit für den Terror wird erkennbar als indirekt geschildert – jedenfalls, wenn man der vorliegenden Darstellung von palwatch.org[3] glauben kann.

Dokumentation des palwatch.org-Exzerpts aus „Al-Hayat al-Jadida“

Damit diese Interpretation jeder nachprüfen kann, sei hier das Exzerpt von palwatch.org vollständig, mit allen Auslassungen, Ergänzungen und Anführungen, aber ohne eigene Anführungszeichen, wiedergegeben:

Headline: “Tribe of bloodthirsty barbarians in Beirut and Paris”
“Whoever makes a connection between the bloodlust of savages, their terror and barbarity, and any other matter in the world, especially the Palestinian matter, is mistaken. Those who blew up the chests and hearts of our Lebanese brethren two days ago [Nov. 12, 2015] in Burj Al-Barajneh in the Al-Dahieh quarter in the capital, Beirut, who continued their crimes against humanity in Paris last night [Nov. 13, 2015]… and those who burned the Jordanian pilot [Moaz]Al-Kasasbeh in a cage while still alive, beheaded Muslim, Christian and Kurdish civilians in sister Iraq, slaughtered Coptic Egyptians and Muslims in Lybia, took women hostage and sold them like house furnishings – have no interest but satisfying their bloody desires and urges. They are sick with all the mental and sexual illnesses that scientists and doctors throughout the world can think of. They have no religion and no faith. They have no connection to humanity aside from the appearance…

They are a result of racist mentality and that of negating the other… They belong to a type of people that see no way other than the spilling of human blood, which they turn into waves which they ride to their hell, a hell which their masters and creators of their brain cells have described to them as paradise…

They are a product of labs of the CIA, the Mossad [Israeli Secret Intelligence Service], Scotland Yard, and others whose desire is to achieve a goal in the world… They set this ‘savage virus’ loose in their labs, groups of mentally ill with no mercy in their heart… It is not coincidence that human blood was exploded in Paris at the same time that certain European sanctions are beginning to be implemented against settlement products, and while France leads Europe in advising the security council that will implement the two-state solution, Palestine and Israel – which the Israelis see as a warning of sudden danger coming from the direction of Europe, where the Zionist, occupying, settling endeavor was born.

It does not matter who carried it out; who will benefit is more important. The Lebanese authorities are likely to find names and evidence proving the involvement of people with various citizenships, and also the French authorities. However, the wise and correct thing is to look for who benefits. In short: They need to search the last place reached by the octopus arms of the Mossad. This is because the State of Israel, which does not take to account the settlers (the Jewish ISIS) who burned the Dawabsheh family, and the rabbi who burned the boy Muhammad Abu Khdeir. It is clear that its ‘Mossad’ will burn Beirut and Paris in order to achieve [Israeli Prime Minister Benjamin] Netanyahu’s goals. He, who challenged the master of the White House, hides in his soul enough evil to burn the world.”
[Al-Hayat Al-Jadida, Nov. 15, 2015][3]

Zustimmendes Gegenbeispiel: Glenn Greenwald

Dass Geheimdienste und andere Interessenvertreter der „Kriegspartei“ an der Entstehung von Terrororganisationen wie insbesondere ISIS beteiligt waren, ist nichtmal mehr umstritten. Jeder weiß das, referierte Glenn Greenwald neulich:

„The origins of ISIS are not even in dispute. The Washington Post put it simply: ‚almost all of the leaders of the Islamic State are former Iraqi officers, including the members of its shadowy military and security committees, and the majority of its emirs and princes.‘ Even Tony Blair — Tony Blair — admits that there’d be no ISIS without the invasion of Iraq: ‚“I think there are elements of truth in that,“ he said when asked whether the Iraq invasion had been the „principal cause“ of the rise of ISIS.'“[4]

Doch nicht nur für die Entstehung von ISIS lassen sich Mitverantwortliche in den USA finden:

„Then there’s the related question of how ISIS has become so well-armed and powerful. There are many causes, but a leading one is the role played by the U.S. and its ‚allies in the region‘ (i.e., Gulf tyrannies) in arming them, unwittingly or (in the case of its ‚allies in the region‘) otherwise, by dumping weapons and money into the region with little regard to where they go (even U.S. officials openly acknowledge that their own allies have funded ISIS). But the U.S.’s own once-secret documents strongly suggest U.S. complicity as well, albeit inadvertent, in the rise of ISIS“.[4]

Der Unterschied zwischen Glenn Greenwalds Ausführungen und denen der „Al-Hayat al-Jadida“ vom selben Tag ist nicht besonders groß, aber markant: Greenwald spricht von den Alliierten der USA im Nahen Osten, meint damit aber „Gulf tyrannies“ und nicht Israel. Seine Argumentation über Verantwortlichkeiten basiert auf gut belegten Tatsachen, nicht auf interessegeleiteten Spekulationen über Interessen und Motive. Die Akteure in Greenwalds Erzählung bewirken schlimme Dinge, aber zumindest zum Teil unwillentlich. Insbesondere Waffenlieferungen in die Region waren laut Greenwald von den USA nicht dazu gedacht, einen Terror-Nachfolger für Al-Qaida zu bewaffnen, haben aber mehr oder weniger indirekt genau dazu geführt. Und – sehr deutlich – steht am Ende von Greenwalds Erklärung zum Aufstieg von ISIS nicht das „Urböse“ in Gestalt von Netanjahu.

Zu leichte Argumente

Das ist eine besonders hervorzuhebende Differenz: Greenwald sucht nach unbestrittenen Tatsachen und ignoriert notwendigerweise spekulative Motive. Für „Al-Hayat al-Jadida“ sind dagegen die Bösartigkeit von Netanjahu und Mossad leichte Argumente, weil sie davon ausgehen, dass sie sich darin mit allen ihren Lesern einig seien. Auf solchen Grundlagen der vermeinten Einigkeit mit ihrem Publikum können zahlreiche Medien sich darauf beschränken, Geschichten zu erzählen, im Vertrauen darauf, dass das Publikum keinen Anlass sehen wird, diese Geschichten kritisch zu hinterfragen.

Dasselbe Phänomen: Vertrauen auf ein unkritisches Publikum, begegnet nicht nur bei „Al-Hayat al-Jadida“, sondern offensichtlich auch bei „The Times of Israel“. Wer auch immer die eingangs genannte Überschrift formulierte, meinte offenbar nichtmal überprüfen zu müssen, ob der Zusammenschnitt der Quelle zielgerichtet erfolgte und womöglich wesentliche Informationen wegließ. „The Times of Israel“ konnte sich mit ihrem Publikum einig fühlen, dass der Palästinenserregierung und ihren Organen jegliche dumme Bosheit zuzutrauen wäre.

Wer sind „Wir“? Und wer „Die“?

Auf beiden Seiten basieren die Erfolgsaussichten von Hasspropaganda also auf der Identifikation des propagierenden (d.h. nicht unangreifbar belegenden) Mediums mit seinem avisierten Publikum und dessen Interessen und Vorurteilen. Wirksam ist die Propaganda dann, wenn auch das Publikum sich mit der Perspektive des Mediums identifiziert, anstatt die erzählte Geschichte so lange anzuzweifeln, bis sie lückenlos belegt ist (was streng genommen nie zu erreichen ist).

Zusammenfassend lässt sich vielleicht sagen, dass Medien dann propagandistisch erfolgreich sein können, wenn es ihnen gelingt, ein „Wir“ mit ihrem Publikum zu konstruieren, dem das „Die“ entgegengestellt werden kann, gegen das das „Wir“ miteinander (intellektuell) einig und (interessenmäßig) verbündet ist. Gegen das „Die“ fällt dann Hasspropaganda leicht. Nicht nur das: Das Medium wird es sogar schwerer haben, negative Voreinstellungen gegenüber dem „Die“ nicht zu bestätigen, gerade weil es positive Aspekte des „Die“ aufwändiger begründen und belegen müsste, damit sein Publikum sie glaubt.

Daraus folgt, dass es billiger (d.h. weniger zeit- und kostenaufwändig) ist, Hasspropaganda gegen beliebige „Die“-Gruppen zu produzieren, sofern man sich mit seinem Publikum einig weiß. In Zeiten langandauernder Medienfinanzierungskrisen ist daher mit mehr Hasspropaganda zu rechnen. Greenwald hat bei „The Intercept“ hingegen ein Medium gefunden, das, so ist zu vermuten, großzügig finanziert ist. Und Greenwald weiß, dass er sich mit seinem hauptsächlichen(?) Publikum, der politischen Klasse der USA, nicht grundsätzlich einig ist, weshalb er sich genötigt sieht, häufig auf unstrittige Belege zu verweisen. (In einigen Bereichen, etwa dass ISIS etwas Schlimmes ist, weiß sich sicher auch Greenwald mit 99% der US-Bürger einig, so dass er dafür nicht mehr eigens argumentieren muss.) Snowden als Verräter und Massenüberwachung als Gebot der nationalen Sicherheit anzusehen, wogegen sich Greenwald wendet, das sind ja keine rechtsradikalen Minderheitenmeinungen in den USA.

Diese Konstruktion von „Wir“ und „Die“ im Zusammenspiel von Massenmedien und Publikum funktioniert natürlich nicht nur zwischen Nationen, Ethnien oder Religionen, sondern auch zwischen politischen Lagern, und ihrer jeweiligen Presse. Beispielsweise kann linksorientierte Presse in Israel die schadenfreudigsten Statements von israelischen Rechten über die Pariser Anschläge berichten, ohne genaue Belege zu liefern, und mit ähnlich zweifelhaften Zusammenschnitten wie im obigen Beispiel gesehen.[5] Das „Wir“-Gefühl ist groß heutzutage, gerade im Angesicht von Bedrohungsgefühlen suchen Menschen Möglichkeiten zur Identifikation mit einem größeren Ganzen, das Sicherheit verspricht. Im Fall der Anschläge von Paris möchte die israelische Regierung ebenso wie die Palästinenserregierung an der Seite der Opfer stehen (wo sich auch „der Westen“ sieht) und den Sachverhalt so darstellen, als ob ihr jeweiliger Gegner mit den Tätern der Anschläge und damit mit ISIS assoziiert sei.

Das Beispiel aus dem Nahostkonflikt ist deshalb so gut geeignet, um diese Propagandamechanismen zu untersuchen, weil es so plakativ ist – und weil hier kaum jemand sich so stark mit den dabei agierenden Gruppen identifiziert, dass ihm der Blick auf den Sachverhalt verstellt wäre. Aber ähnliche Prozesse laufen auch in der deutschsprachigen Öffentlichkeit ab: Von rechts werden Flüchtlinge wahnwitzig mit ISIS assoziiert. Von links wird (wie auch in diesem Artikel) darauf verwiesen, dass Sicherheitsbehörden durch Militarisierung, Überwachung und ihre Auswüchse genau das tun, was den Interessen von ISIS dient: Den von der „Kriegspartei“ propagierten „Kampf der Kulturen“ betreiben, der ISIS erst Erfolge bei der Rekrutierung von Kämpfern und Unterstützern ermöglicht.

Viel billiger Mediencontent lässt sich damit produzieren, dass man den Zuschnitt der Gruppen „Wir“ und „Die“ entsprechend den eigenen Wünschen zu bestimmen versucht. Dabei geht es auch eigentlich gar nicht um Fakten, sondern lediglich um Zugehörigkeiten und damit verbundene Gefühle. Schavanisten und andere regelmäßige Leser dieses Blogs können vielleicht ein Liedchen davon singen, dass zuweilen Inhalte auf dünnen, auch spekulativen Grundlagen entstehen. Aber wenn die Bewertung eines Sachverhalts schon vor dem Schreiben feststeht, dann sind es wohl die sachlich weniger interessanten Artikel. Dafür können sie identitätspolitisch um so spannender sein. Schließlich sucht auch das Publikum in Blogs häufig nicht die Sachinformation, sondern eher Identifikation und damit verbundene Emotion.

tl;dr: Der Wir-Die-Subtext der meisten Nachrichten ist billig, spricht aber das Publikum an. Deshalb ist dieses zu Hasspropaganda tendierende Element das hauptsächliche Produkt der meisten Massenmedien. Penibel auf Belegbarkeit geprüfte und systematisch in Zweifel gezogene Erforschung und Beschreibung der Gegenwart ist dagegen teuer, anstrengend und vielfach unattraktiv.

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Eine Antwort zu “Lektionen in Hasspropaganda

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