Unbeachtetes Anti-ACTA-Argument: ACTA umgeht UNO

Er dachte, schon einiges über ACTA gelesen zu haben, aber einen wesentlichen Punkt noch nicht. Gegenargumente gibt es viele, einige sind nicht unumstritten.[1] Sogar das formale Argument, dass ACTA das Ergebnis von Geheimverhandlungen ist, wollen manche nicht gelten lassen.[2] Sich bei ACTA-Kritik auf den reinen Vertragstext (hier zu lesen) zu beschränken, dürfte aber keine gute Idee sein. Die Genese des Vertrags ist ein entscheidender Punkt, nicht nur, was die Intransparenz angeht, sondern auch hinsichtlich der begrenzten Zahl der Beteiligten. Die Geheimhaltung der Verhandlungen wirkt weiter fort, etwa in der Frage, ob es Geheimdokumente zu ACTA gebe.[3] Sicher kann man sich da nicht sein.

Gibt es ein Geheimes Zusatzprotokoll zu ACTA?

Gibt es ein Geheimes Zusatzprotokoll zu ACTA?

Bestenfalls ganz am Rande, eher aber gar nicht, wird in der Debatte erörtert, was es bedeutet, dass ACTA ein Vertrag zwischen Industrieländern und einigen von ihnen abhängigen Schwellenländern ist. Wenn die USA mit der EU, Japan und Australien einen Vertrag schließen, dann mag das für diese Länder bindend sein. Für alle von „Produktpiraterie“ bedrohten Interessen dürfte es aber ein schwerer Schlag sein, dass Länder wie China, Russland, Indien oder Brasilien nichts mit ACTA zu tun haben. Warum wollen die ACTA trotzdem?

Erbloggtes kann – ohne eingehende Recherchen – nur vermuten, dass der kleine Kreis der an ACTA-Verhandlungen beteiligten Staaten daher rührt, dass die zahlreichen anderen Staaten (1.) nicht mitmachen wollten und (2.) nicht als Hauptmarkt für die von ACTA geschützten Interessen angesehen werden. Wenn letzteres stimmt, dann ist es im Interesse der ACTA-Initiatoren, einen Vertrag auch ohne größere internationale Beteiligung zu schließen. Wenn ersteres stimmt, muss man sich fragen, woran das liegen könnte.

Die naheliegende Mutmaßung lautet, dass ACTA nicht den Interessen der nicht beteiligten Staaten entspricht. Daraus ergibt sich ein zweiteiliges Argument gegen ACTA:

1. ACTA richtet sich gegen die Interessen von Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Sicherung der Verwertungsbedingungen für „geistiges Eigentum“ dient dem Nutzen von Gruppen, die über dieses geistige Eigentum in größerem Ausmaß verfügen. Für Entwicklungsländer sind beispielsweise Generika-Debatten oder Saatgut-Patente Bereiche, in denen Abkommen wie ACTA der Bevölkerung massiv schaden könnten. Durch ACTA wird der Gegensatz zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zementiert; die Reichen verbünden sich gegen die Armen, indem sie gemeinsam beschließen, stets die Rechte der Reichen zu schützen.

2. Grundsätzlicher ist zu fordern, dass multilaterale internationale Abkommen im Rahmen der Vereinten Nationen (UNO) entwickelt und diskutiert werden. Von solch weitreichenden Regelungen hinsichtlich „geistigem Eigentum“, Patent- und Markenrecht, dem Internet, Kulturgütern und moderner Technologie ist jedes Land der Erde betroffen. Deshalb sollte auch jedes Land an einer Lösung der damit verbundenen Probleme im Interesse aller beteiligt sein. Sonst schaffen einige wenige Länder eine „Lösung“ in ihrem eigenen Interesse und erzeugen dadurch einen Gegensatz zu allen anderen Ländern – mit fatalen Folgen.

Zuständig wäre im Rahmen der UNO die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO). Doch in dieser haben Entwicklungsländer gleiches Stimmrecht wie Industrieländer. Demokratie also, aber den Interessen der Geistiges-Eigentum-Profiteure nicht dienlich. Die WIPO wurde schon in den 1990er Jahren marginalisiert, als „geistiges Eigentum“ als Thema von der Welthandelsorganisation (WTO) an sich gerissen wurde. Damit war der Lobbyvereinigung von 13 US-Großkonzernen, Intellectual Property Committee (IPC), erstmals gelungen, was sie nun mit ACTA erneut versuchen: Ihre Regierung dazu zu bringen, mit anderen Regierungen Abkommen zu schließen, um ihre Privatinteressen auf dem Weltmarkt durchzusetzen.

Westliche Staaten predigen immer, die Menschenrechte weltweit durchsetzen zu wollen, einschließlich Demokratie. Demokratie aber heißt, dass alle von Entscheidungen Betroffenen an diesen Entscheidungen beteiligt werden. An ACTA sind die stark betroffenen Entwicklungs- und Schwellenländer nicht einmal am Katzentisch beteiligt. Vielmehr dürfte nach Durchsetzung des Abkommens im Westen ökonomischer Druck aufgebaut werden, um die Entwicklungs- und Schwellenländer zur Umsetzung der ACTA-Regelungen zu nötigen. Das ist womöglich der eigentliche Skandal von ACTA. Aber für den würde im Westen niemand auf die Straße gehen.

Deutschland sollte auch weiterhin nicht unterzeichnen.[4]

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3 Antworten zu “Unbeachtetes Anti-ACTA-Argument: ACTA umgeht UNO

  1. Na! Da kann ich Licht ins Dunkel bringen. Genau die Sache habe ich nämlich im Juni 2008 bei der Stakeholder-Anhörung der Kommission gefragt. Es ist ganz einfach: Es geht um Forum Shopping. Es gibt keine Mehrheiten dafür in WTO und WIPO.

  2. Danke, den Begriff Forum Shopping kannte ich noch nicht. Was war die „Stakeholder-Anhörung der Kommission“?

  3. Als ob das jemals anders gewesen waere. Die WIPO ist nur ein tool. Im Falle kopiergeschuetzter CDs etc kann man des ganz prima en detail studieren. Entscheidend ist immer, was die Bundesregierung daraus macht. Mangelnde Transparenz gibt es schon durch die Mischung der Akteure, die die normalen demokratischen Verhaeltnisse verdrehen. Es entstehen politische Zwaenge, die es an sich nicht gibt. Usw.

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