Wissenschaftliches Arbeiten mit Theisohn

Erbauliches muss man ihnen schon nahebringen, diesen sozialen Berufen. Etwa wissenschaftliches Denken und Arbeiten, oder ora et labora, das ist dann auch gleich gottgefällig. Dabei hilft eine ambivalente Haltung enorm, denn gemäß kirchlichem Vorbild ist es viel leichter, Wasser zu predigen, wenn man ordentlich Wein intus hat. Eine wunderbare „Einführung ins wissenschaftliche Denken und Arbeiten für soziale Berufe“ nach Kirchenvätersitte hat nun Theodor Maria Bardmann vorgelegt. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine satirische Kunstfigur, die Elemente von Großmeister Karl-Theodor zu Guttenberg, akademischem Science-Fiction-Shooting-Star Rainer Maria Kiesow und dem Comic-Vigilanten Bartman in sich vereint. Wenn man Wikipedia glauben darf, ist Theodor Maria Bardmann Professor für Medienkommunikation an der Fachhochschule Niederrhein und Privatdozent für Soziologie an der RWTH Aachen.[1] Neu erschienen ist von ihm:

  • Theodor M. Bardmann: Die Kunst des Unterscheidens. Eine Einführung ins wissenschaftliche Denken und Arbeiten für soziale Berufe. Springer VS, Wiesbaden 2015. ISBN 978-3-658-08630-5 (Printausgabe 978-3-658-08629-9), DOI 10.1007/978-3-658-08630-5 (Lektorat: Katrin Emmerich, Stefanie Loyal)

Das Buch ist, wie der Titel schon sagt, ein Kunstwerk. Unter regelmäßigem Verweis auf N. Luhrnann füllt der Künstler 331 Seiten mit Seitenzahlen bis 338, oder besser gesagt, die Seiten füllen ihn – und sich. Etwa mit Empfehlungen wie dieser: „Die Seitenformatierung bei Haus- und Seminararbeiten richtet sich nach der Standardeinstellung z. B. von MS Word“ (S. 273 laut Paginierung, sonst S. 267, im Folgenden Seitenzahlen stets nach Paginierung). Über Dutzende Seiten sind Muster für Titelblätter aller möglichen schriftlichen Arbeiten, für Inhaltsverzeichnisse, Literaturverzeichnisse, und was man sonst noch so alles an Mustern aufnehmen kann, abgedruckt. En Détail und in bunten Bildern erklärt man Interessenten „für soziale Berufe“ in Kapitel 10 „Zitieren und Plagiieren“, etwa, dass man bibliographische Angaben dem Schmutztitel einer Publikation und Seitenzahlen von unselbständigen Werken dem Inhaltsverzeichnis entnehme, und derlei Absonderlichkeiten mehr (S. 297-304).

Auch „Das Zitat im Zitat“ kommt als Kapitel 10.1.4 zu eigenen Würden (S. 295), die bildlich womöglich besser darstellbar sind, um nicht dem Zitat-im-Zitat-im-Zitat-im-Zitat-Regress zu verfallen:Bardmann295Nicht anders denn bildlich glaubhaft zu machen ist demnach Fußnote 154 auf Bardmanns S. 307 mit besonderem Fokus auf „Ehrenautorschaft“:
Bardmann307

Solides Internet

Kapitel 10.1.5 „Das fremdsprachige Zitat“ (S. 295) basiert auf dem Ratschlag: „Zitate aus dem Internet sollten nur verwendet werden, wenn die Aktualität und Solidität der Quelle überprüft wurde[sic].“ (S. 295), gefolgt von einem exemplarischen Spiegel-Online-Artikel von 2009, der wie nichts anderes Aktualität und Solidität verkörpert. Auch Autor, Titel, Datumsangaben usw. von Internetquellen seien anzugeben. Nicht zu vergessen:

„Außerdem ist es sinnvoll, Texte aus dem Internet, auf die man sich in seiner Arbeit bezieht, z. B. auf eine beigefügte CD zu speichern, um sie so den LeserInnen der Arbeit auch ohne Internetzugang zugänglich zu machen.“ (S. 296)

LeserInnen ohne Internetzugang sollten also ein Laufwerk für eine Compact Disc (CD) bereithalten. Auch diesen Ratschlag hat Bardmann leider nur gepredigt, beim Abfassen dieser und ähnlicher Fußnoten dann aber wohl lieber Wein getrunken:
Bardmann311
Denn hinter der angegebenen URL verbirgt sich heute das Heft-Archiv der Zeitschrift Forschung & Lehre, und das war am 13. Oktober 2013 schon so, und am 26. März 2014 immer noch, so dass Bardmanns Versicherung, in der Zwischenzeit habe sich dort eine „Chronologie des Falls K.-Th. zu Guttenberg“ befunden, nach aller Erfahrung unglaubhaft ist.

Lehrbuch zum Plagiieren

Aber wer wird denn schon Fußnoten überprüfen, und sei es nur stichprobenartig? Sowas machen doch nur „anonyme Akteure, die Jagd auf Plagiate machen“ (S. 316). Und so gilt das Kerninteresse der Betrachtung hier Kapitel „10.2 Plagiieren“ (S. 305-325), schließlich handelt es sich ja um eine „Einführung ins wissenschaftliche Denken und Arbeiten für soziale Berufe“, also Sozialarbeiter, Politikerinnen, Minister, Diplomatinnen, Wissenschaftsmanager, Journalistinnen u.v.a.m. Was so ein Plagiat überhaupt sein soll, das wird bestechend klar aus den einleitenden Begriffsklärungen (S. 305):
Bardmann305
In der Tat hat ja die Aussicht auf Patentrechte o! der Forschungs- und Preisgelder schon manchen Wissenschaftler ins Stolpern gebracht. Um des schnöden Mammons willen ist schon ganz anderes unvermittelt gewechselt worden als bloß eine Zeile. In den Sozialwissenschaften lockt allerdings kaum die Versuchung ökonomischer Vorteile. Deshalb geht es gleich weiter zu Kapitel „10.2.1 Formen des Plagiats“ (S. 305f.): Bei diesem Kapitel scheint es sich um einen komprimierten Ausschnitt aus einem Aufsatz zu handeln, der im Literaturverzeichnis falsch verzeichnet ist. Als Quelle für diese assoziative Unterscheidung von Plagiatstypen ist er aber immerhin angegeben.

Kapitel „10.2.2 Was begünstigt Plagiatsversuche?“ basiert sodann auf den bekannten DFG-Empfehlungen zur „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ von 1998, und behandelt entsprechend Wissenschaftsspionage, Missbrauch von Peer Reviews, Ghostwriting, Ehrenautorschaft und Digitalisierung ununterscheidbar als Plagiat („Plagiieren wird zur Ware.“ S. 308). Die „Kunst des Unterscheidens“, ach, was soll man sich darüber aufregen, das hat der Bardmann sich ja nicht selbst ausgedacht, sondern eben nur seine Vorlagen verwurstet, die er immerhin mehr oder weniger schlecht angegeben hat. Einblick in die Wurstküche gibt er auch:

„Dadurch wird es einfach gemacht, sich ohne Mühe fremdes Wissen anzueignen: Das flinke Auffinden von Textstellen per Suchmaschinen, das problemlose Markieren von Textpassagen, das nahezu handlungsfreie Kopieren und Einfügen der markierten Passagen in den eigenen Text per Mausklick lädt geradezu zum Plagiieren ein. Man schöpft aus einem Übermaß an Vorhandenem, spielend leicht Zugänglichem und aufwandlos Verfügbarem155: Plagiieren quasi als easy-going-practice.“ (S. 307f.)

Die erwähnte Fußnote 155 lautet dann so treffend und differenziert wie gewohnt:

„Breiter als an Texten wird die Diebstahlsproblematik an Bildern, Filmen und mehr noch an Musik diskutiert.“

Für soziale Berufe muss man das „wissenschaftliche Denken und Arbeiten“, in die das Buch einführen soll, wohl auf Komposition, Fotografie und Filmkunst ausdehnen, um die „Kunst des Unterscheidens“ … naja. Entsprechend präzise laufen die Unterscheidungen auf S. 308 darauf hinaus, dass Danksagungen entweder Hinweis auf Plagiate sind, oder die Bedankten in die Autorenangabe eines Werks aufgenommen werden sollten, dass Whistleblower unverzichtbar sind (vgl. seine Bemerkungen über Plagiatssuche im Internet unten), und dass Plagiate gar kein echter Betrug seien, „Open Access“ und „Open Data“ hingegen Schlagworte von Anti-Wissenschaftsbetrugs-Bewegungen. Das ist zu wirr, als dass man es glauben kann? Ist aber so:
Bardmann308
Das skizzierte Kapitel „10.2.2 Was begünstigt Plagiatsversuche?“ ist also vor allem eine verquere Rezeption der DFG-Empfehlungen. Kapitel „10.2.3 Berechtigte Aufregung?“ erklärt dann vor dem Hintergrund jüngerer Plagiatsaffären, dass Plagiatsskandale ja irgendwie berechtigt sind, ihre Bagatellisierung falsch sei, denn:

„Dabei wird unterschlagen, dass Plagiieren eine Form des Erschleichens von Ehre, Anerkennung und Ruhm bedeutet. Es wird unterschlagen, dass manche Positionen mit entsprechend attraktiven Befugnissen und Entlohnungen nur aufgrund des akademischen Titels zu besetzen sind. Es wird unterschlagen, dass man mit dem erschlichenen Titel Kompetenzen vortäuscht, die man nie redlich nachgewiesen hat. Und ganz wesentlich erscheint mir: Es wird unterschlagen, dass eine Bagatellisierung des Plagiierens den wissenschaftlichen Nachwuchs demotiviert, demoralisiert und zynisch werden lässt: ‚Warum sollte ich mich an die Regeln halten, wenn andere sie konsequenzenlos brechen dürfen?‘163“ (S. 310f.)

Das abschließende Zitat ist freilich fingiert (siehe oben die Bemerkung zur Guttenberg-Chronologie). Aber das ändert ja nichts daran, dass hier der Autor hervortritt und verkündet, was ihm persönlich „wesentlich erscheint“. Er findet Bagatellisierung von Plagiaten demnach nicht gut, „wie unsere Kanzlerin Frau Dr. Merkel“ sie im Fall Guttenberg betrieben habe (S. 310). Aber unter die Schavanisten ist Bardmann nicht gefallen, wenn man seiner anschließenden Positionierung zum Fall Schavan (und ihrer Transliteration) glauben darf:
Bardmann310

Unterscheidungskunst

Wo genau Bardmann allerdings beim Plagiat die „Kunst des Unterscheidens“ zwischen Bagatelle und üblen Machenschaften einsetzt, das ist sehr interessant und wird am Übergang seiner plagiatskritischen Tirade ins apologetische Anything-Goes schön deutlich:

„Und vergessen Sie bitte nicht: Oft werden die beklagten Machenschaften mit Drittmittelgeldern in Millionenhöhe sowie mit fünf- bis sechsstelligen Preisgeldern honoriert. Das kann niemand gutheißen.
Trotz alledem muss man eingestehen, dass das Thema Plagiieren nicht so einfach ist, wie es scheint. Die Übergänge zwischen ‚Verzicht auf Zitation‘, ‚schlampigem Zitieren‘ und ‚bewusster Täuschung‘ sind oft fließend. Irren ist menschlich, und jeder weiß, wie leicht man vergisst, eine notierte Idee mit ihrer Quelle zu versehen. Wie geht man mit Sachlagen um, in denen Beschuldigte beteuern, nicht bewusst getäuscht zu haben?“ (S. 311f.)

Unmittelbar anschließend folgen Meditationen über Begriffe wie „geistiges Allgemeingut“, „Patch-Writing“, „Pastiche“ und den „Tod des Autors“, die weder zu den vorher formulierten Einstellungen passen, noch auf ihre Bedeutung für das „wissenschaftliche Denken und Arbeiten für soziale Berufe“ hin reflektiert werden. Ein solcher Bruch inmitten eines Textes gilt üblicherweise als Hinweis auf ein mögliches Plagiat, aber hier wird die Quelle einfach erst zu Beginn des nächsten Kapitels, 10.2.4, genannt. Dennoch – oder gerade deshalb? – sind Bardmanns plagiatsskeptische Überlegungen (S. 312-314) bloß ein unverstandenes Wiederkäuen von eklektisch aus allen Winkeln postmoderner Theorie zusammengerafften Ideenfetzen, die ihre unheimliche Präsenz im Präsens entfalten:

„Jeder Text ist immer hier und jetzt. Schreiben ist Performation, ein Akt, der immer in der ersten Person und nur im Präsenz[sic] vorkommt. Der Text enthält und enthüllt nicht die geheimen Botschaften eines Autor-Gottes […]. Schreiben und Reden ist immer nur Imitation.
Nicht die Stimme, nicht der Autor sind der Ursprung dessen, was gesagt wird oder geschrieben steht, sondern die Lektüre. Der Leser (der Hörer, der User etc.) bestimmt den Sinn einer Botschaft“. (S. 313f.)

Das bildet wie gesagt lediglich ein Vorgeplänkel für Kapitel „10.2.4 Zur Ethik geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter“, und damit für Bardmanns exzessive Lektüre Philipp Theisohns, dessen Grundbegriffe also bereits vorgestellt sind und sich im Folgenden zu einer bekömmlichen Bardmann-Theisohn-Lektüre verquirlen lassen:

Rekultivierung des Plagiats – besser als das Original

Bardmann will der „Unkultur des Plagiats“ nachgehen, um „für eine Rekultivierung des Plagiats“ zu plädieren. „Philipp Theisohn (2012) hat dazu ein lesenswertes Essay verfasst, das hier abschließend in Kurzform referiert wird.“ (S. 314) Und zur Sicherheit nochmal ebenda als Fußnote:
Bardmann314
„Niemand weiß um die wahre Motivation der Verdächtigten“ (S. 315), also kann man genau wie in jeder anderen Situation anderen Menschen nicht in den Kopf schauen. Ja, sapperlot, das ist ja mal ein Hebel, mit dem man mitsamt dem Plagiat die ganze Welt aus den Angeln heben kann! Um die Kenntnis von der Motivation der Atome ist es ja auch eher schlecht bestellt. Für ein Plagiat braucht es also „vor allem die überzeugende und wirkungsvolle Darstellung ‚des Falls‘. Bewiesen ist mit alledem noch nichts.“ (S. 315) Bewiesen ist nämlich alles nur dann, wenn es jemand als bewiesen anerkennt – vorzugsweise der Plagiator selbst. Ein typischer Theisohn. So wie die entscheidende rhetorische Figur zur Desavouierung von Plagiatsvorwürfen:

Wenn vom Plagiat die Rede ist, gehen viele davon aus, dass es Menschen gibt, die Ordnungs- und Regelverletzungen verfolgen und zum Skandal erklären. Das stimmt, aber schauen wir genauer hin, wer hier verfolgt und skandaliert, so sind es in der Regel nicht die VertreterInnen der Wissenschaft, die sich ethisch der korrekten Zitation verschreiben, sondern mediale Agenten, denen wissenschaftliche Belange wenig bis gar nicht am Herzen liegen.“

Die „wahre Motivation“ der des Plagiats Verdächtigten kennt also niemand, sie ist auch absolut unergründlich. Was allerdings den „Agenten“ aus dem Reich des Bösen (Internet) am Herzen liegt, und in welchem Ausmaß genau, das ist ja offensichtlich! Dass sich „die VertreterInnen der Wissenschaft“ allerdings nicht „der korrekten Zitation verschreiben“, das ist schon ganz schön gemein von dem Theisohn-Bardmann. Als ob Wissenschaftler allesamt Verbrecher wären. Nicht fehlen darf auch der Vorwurf der Machtergreifung:

„Die Ordnungshüter, die öffentlich in Erscheinung treten, sind allerdings andere: Es sind medial versierte Agenten, die sich selbst zu Wächtern ernennen.
Warum verhandelt man Plagiatsfälle in den Medien? Medien sind nicht der Ort, wo diese Debatten zu führen wären. Das Fernsehen z. B. hat gar keinen Platz für schriftliche Texte.“ (S. 316)

Über das Verhältnis von Wissenschaft und Medien haben die Écrivains und eCretins wohl eingehend nachgedacht. Denn Medien, das ist ja sowas vulgär-boulevardeskes wie „Fernsehen“ oder gar „Internet“. „Schrift“ und „Buch“ hingegen, das sind doch die Orte, „wo diese Debatten zu führen wären.“ (Das wird von namhaften Buchwissenschaftlern eindringlich bestätigt.) Wie gut, dass Wissenschaft von Medien völlig frei ist, erfahren wir von einem Professor für Medienkommunikation, der einen Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft lektüriert. Die sind ja auch zu nichts zu gebrauchen, da könnte ja jeder Hinz und Kunz daherkommen und etwas in ein Medium packen, und dann stünde das da, und niemand kennt den toten Autor oder seine „wahre Motivation“. Das wäre ja, das wäre ja … Jakobinismus!

Ächte Gesinnung

„Im Netz finden sich anonyme Akteure, die Jagd auf Plagiate machen. Ein Schwarm von Leuten durchforstet Texte auf Parallelitäten hin. Diese Namenlosen betreiben nichts als Textabgleiche, dies aber mit scheinbar großer Begeisterung. In den Tiefen der Netze, jenseits aller Kontrollen, scheinen sie ‚Autoritäten‘ auszumachen, die sich an fremden Texten vergangen haben. Wie nennt man eine solche Veranstaltung? Ist diese Form der Plagiatsjägerei demokratisch? Wohl kaum, denn sonst würde die Jagd nicht anonym vonstattengehen. Darf jeder Missstände verfolgen, aufdecken, anklagen, auch der, der kein Gesicht zeigt? Darf man von den Interessen und der Motivation des gesichtslosen Jägers absehen?“ (S. 316)

Da scheint es alles nur so zu scheinen, um den Anschein von dunklen Motiven zu vertuschen. Der gesichtslose Jäger etwa ist eine klassische Figur billiger Horrorfilme, die seine Motivation detailliert und blutig ausloten. Und das alles auch noch in der Öffentlichkeit? Sakrileg! Das geheime Kabinett, allenfalls die verschlossene Studierstube in Stock 53 des Elfenbeinturms, das ist der Ort der Wissenschaft, was darüber ist, das ist von Übel!

„Wir geraten damit in eine Diskussionslage, die das eigentliche Plagiatsproblem aus den Augen verliert. Der Diskurs wird aus der Wissenschaft, in der er stattzufinden hätte, ausgelagert und in eine Arena mit einem Millionenpublikum verschoben, wo das wissenschaftliche Anliegen kaum noch eine Rolle spielt. Statt über literarisches Eigentum, Textverfahren, wissenschaftliche Standards und Prototypen der Unredlichkeit, schlussendlich über eine Ethik des Schreibens zu diskutieren, inszenieren Menschen unterschiedlichster Provenienz und Prominenz rituelle Schaukämpfe coram publico.“

Coram publico? Vor aller Augen, in aller Öffentlichkeit, in der Arena? Schon erstaunlich, wie man Wissenschaft und Ansprüche auf Geheimhaltung, enge Zulassungsbegrenzung und Namhaftigkeit als Bedingung für Beteiligung in einem Atemzug unterbringt. Wo sie das wohl herhaben? Aus der Tradition der Alchemie oder ähnlicher Geheimlehren? Aus dem Priestertum, wo das Allerheiligste nur Eingeweihten zugänglich ist? Irgendein aufklärerischer Wissenschaftsbegriff kann dem wohl kaum zu Grunde liegen. Glücklicherweise hat Bardmann viel früher schon die Kunst des Unterscheidens in dieser Hinsicht angewandt, und zwar zur Unterscheidung zwischen Weisheit und Wissen:

„Die Weisen verfolgen nicht das Ziel, die Welt bis in die letzten Winkel hinein zu erforschen, wie dies von WissenschaftlerInnen erstrebt wird. Ihnen bleibt die Welt – gerade aufgrund ihrer weisen Einsichten – unbegreiflich und voller Zauber und Geheimnis. Sie wollen nicht alles wissen, wohl aber das, was wirklich wichtig ist. Ihnen geht es um die Beantwortung der durch und durch praktischen Frage: ‚Wie soll ich leben?‘
Dazu unterscheiden die Weisen günstige und ungünstige Lebenssituationen in einer ansonsten nebulösen Welt. Die Aufgabe der Weisen ist weder Aufklärung noch Entzauberung, denen sich erst die WissenschaftlerInnen verschreiben. Die Arbeit der Weisen besteht in einer ganz praktischen Lebensberatung in der Form von Divination (Ahnung, Wahr- und Voraussagekunst), die allerdings mit reichlichen Unschärfen (Bildern und Metaphern) arbeitet, so dass sich Hörerinnen und Hörer den Sinn selbst zurechtlegen müssen. Mit ihrem exklusiven Expertenwissen übernahmen die Weisen politische wie auch private Beratungsaufgaben.“ (S. 46)

Wer da nicht Philipp Theisohn, seinen divinatorischen Stil, seine Politikberatung und seine Mysteriengeilheit wiedererkennt, außerdem seine prominente Open-Access-Ablehnung (bei Bardmann referiert auf S. 314 und 324), der hat gewiss Plagiate auf den Augen. Und während die „Digital Humanities“ sich verzweifelt bemühen, Geisteswissenschaften an der Digitalisierung teilnehmen zu lassen, schlägt bei Theisohn und seinen Freunden Aufklärung in Mythologie zurück.

Und wie so oft in solchen „Lehrbüchern“ endet das Kapitel in der Lernfortschrittsüberprüfung:
Bardmann325
Das PDF ist hier abrufbar (Open Access, oder, wie man mit Theisohn sagen würde: digitaler Literaturstalinismus). Diese Lernfortschrittsüberprüfung sollten nun auch alle Leserinnen und Leser ausfüllen und dann versenden nach Belieben, zum Beispiel direkt an Theodor M. Bardmann.

P.S.: Man sollte Bardmann nicht als Plagiatsapologeten missverstehen. Sein Theisohn-Kapitel ist bloß der verzweifelte Versuch, wieder Boden und den Füßen zu finden. Echt:Bardmann315Insofern ist das doch sehr soziale Arbeit, die Bardmann da leistet.

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4 Antworten zu “Wissenschaftliches Arbeiten mit Theisohn

  1. Wohl in Erregung hat der Professor geschrieben: „Ist diese Form der Plagiatsjägerei demokratisch? Wohl kaum, denn sonst würde die Jagd nicht anonym vonstattengehen. Darf jeder Missstände verfolgen, aufdecken, anklagen, auch der, der kein Gesicht zeigt? Darf man von den Interessen und der Motivation des gesichtslosen Jägers absehen?” Die Antwort anständiger Menschen liegt auf der Hand. Wenn man in die Wade gezwackt wird, möchte man schon ganz gern wissen, von was. Oder anders: Mit wem spreche ich überhaupt? Es ist klar, dass das Wort eines hohen akademischen Würdenträgers oder/ und renommierten Adligen ein ganz anderes Gewicht hat als das Herumgestänkere von Namen- und Gesichtslosen.

    von Eichenbach

  2. Die folgende Stelle hat mich, weil sie von mir sein könnte, einigermaßen beunruhigt: „Irren ist menschlich, und jeder weiß, wie leicht man vergisst, eine notierte Idee mit ihrer Quelle zu versehen. Wie geht man mit Sachlagen um, in denen Beschuldigte beteuern, nicht bewusst getäuscht zu haben?” Es soll Leute geben, welche die Quellen ihrer Ideen deshalb nicht angeben, weil die Ideen nicht von anderen, sondern von ihnen selbst stammen. Das kann sich unsereiner gar nicht recht vorstellen.

    von Eichenbach

  3. Wie wahr, wie weise, Herr von Eichenbach!

  4. Pingback: Umleitung: Plagiate, Geschichte, Papst und Klimawandel, Griechenland, Journalismus, Emoji, Duisburg-Marxloh und am Ende Grönemeyer | zoom

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