Düstere Einsichten

Erscheint es als Anbruch neuer Dunkler Zeiten, was die Welt derzeit durchmacht? Ist es ein Zerbröckeln von Ordnung auf globaler, kontinentaler, nationaler Ebene, in politischer, wirtschaftlicher, kultureller Hinsicht? Besonderes Erschaudern kann den Beobachter ergreifen, wenn er gewahr wird, dass es nicht – wie gern erzählt und gern geglaubt wird – eine dunkle Bedrohung von außen ist, die jede Sicherheit hinwegzufegen sich anschickt.

Die Taten der anderen

Zwar sind die Feindbilder stets „die da“, ob nun Brexit-Briten, Putin, Trump, Rechtspopulisten überall, das Silicon Valley, die Wall Street, Flüchtlinge, Steuerhinterzieher und so weiter und so fort. Doch der unangenehme, verunsichernde Gedanke, der anlässlich einer akademischen Online-Debatte über die Europäische Union, ihre Legitimitätsprobleme und ihren drohenden Zerfall den Leser erfassen kann, er lautet: Er ist immer mitten drin. Es sind gar nicht die anderen.

Es sind nicht die anderen, die die EU kaputt machen, indem sie ihre Demokratie und Legitimität aushöhlen. Es sind nicht die anderen, die technische und wirtschaftliche Entwicklungen vorantreiben, unter denen mehr Menschen leiden als von ihnen profitieren. Es sind auch nicht die anderen, die politische Entwicklungen blockieren, die das ändern könnten. Es sind nicht die anderen, die den Frieden bedrohen. Es sind nicht die anderen, die Terror und Waffen produzieren und von beidem profitieren. Es sind nicht die anderen, die Autoritarismus fördern – weltweit wie hierzulande.

Die Zeigefinger der anderen

Es sind die Bürger von Deutschland, ihre Unternehmer und ihre Politiker, ihre Wissenschaftler und Journalisten. Jaja, auch andere EU-Bürger sind beteiligt, und Amis und Russen auch, sogar Bürger von anderswo, aber der Finger, der auf „die da“ zeigt, weist immer auch auf den Zeigenden zurück. Sie tun es auch nicht aus Bosheit, sondern aus Angst vor den Dunklen Zeiten, die da kommen mögen, und zur Sicherung ihrer materiellen Interessen. Als ein Präsident aber offen aussprach, warum das Land die Welt mit Krieg überziehen müsse, war das so wahr, und die Einsicht in die herrschenden Maximen so schmerzhaft, dass er zurücktreten musste. Einem Trump wäre das nicht passiert.

Doch das sind ja schon wieder die anderen, die da agieren. Die Frage ist doch: Was tun mit der erschreckenden Einsicht, selbst Teil des Monsters zu sein, das man fürchtet und hasst? Angst und Hass im Internet auszuleben – das scheint zwar eine Option, aber doch keine Lösung.

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Eine Antwort zu “Düstere Einsichten

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