Dominic Stoibers Doktorarbeit: Papa ist toll

Er forschte selbst, wird Dominic Stoiber wohl auf Fragen nach dem Plagiatsverdacht zu seiner Doktorarbeit antworten – wenn überhaupt. Und das ist stellenweise unbestreitbar in seiner 2010 eingereichten Arbeit über „Die Föderalismusreform I der Bundesrepublik Deutschland“. Niemand sonst hätte sich einige der Inhalte ausdenken können. Als Sohn des großen Edmund Stoiber, des Vaters der „Mutter aller Reformen“, ist Dominic Stoiber quasi der ältere Bruder der 2006 aus der Taufe gehobenen Föderalismusreform. Als solcher übt er sich in familiärer Solidarität zu diesem Erstgeborenen der von der Großen Koalition 2005-2009 hervorgebrachten Monstren. Sein Fazit beginnt Stoiber mit der These:

„Die Föderalismusreform I ist trotz der hier beschriebenen Anfangsschwierigkeiten ein Erfolg. Es wurden durch die Reform viele Ziele, die sie selbst sich gegeben hatte, erreicht.“ (Stoiber 2010, S. 243)

Die Formulierungsnot des Brüderchens überstrahlt selbst die Kairosseligkeit Guttenbergs. Er erklärt die Reform gleichsam zu ihrem eigenen unbewegten Beweger. Die Assoziation eines Gottes als entrückter Vaterfigur kann nicht ausbleiben – vor allem dann nicht, wenn der Autor selbst einen sechzehn Jahre lang ins Ministerpräsidentenamt entrückten und vergotteten Vater erlebte.

Nichtraucherschutz – Bildungspolitik – Umweltpolitik

Dabei sieht Stoiber junior allenthalben das Scheitern der väterlichen Reform, er will es nur nicht wahrhaben. Beim Nichtraucherschutz „hat das Bundesverfassungsgericht den Ländern die Gesetzgebung vorgeschrieben, die sie nun ausfüllen müssen.“ (Stoiber 2010, S. 243). In der Bildungspolitik handelten Bund und Länder fortan gegen die Reform:

„Nur allzu bereitwillig ließen es die Länder zu, dass der Bund quasi über einen ‚goldenen Zügel‘ Einfluss auf die Inhalte der Bildungspolitik nahm. Sie nahmen die vom Bund zur Verfügung gestellten Gelder hin, anstatt sich allgemein für eine bessere Finanzausstattung einzusetzen, die ihnen die Umsetzung eigener Konzepte ermöglicht hätte. Die Föderalismusreform I wollte einen endgültigen Schlussstrich unter diese Praxis ziehen“. (Stoiber 2010, S. 244)

Und wie dort, so haben auch Umweltpolitiker die Unsinnigkeit der „Mutter aller Reformen“ in der Praxis eingesehen:

„Auch das hier schon erwähnte Umweltgesetzbuch ist ein weiteres Indiz für die noch nicht in den Köpfen der Akteure angekommene Grundidee der Föderalismusreform I. Hier haben bereits durchgeführte Gesetzgebungsverfahren offenbart, dass die Fachpolitiker auf Bundes- und auch auf Landesebene zentralistischen Tendenzen anhängen und nur geringes Interesse an den im Rahmen der Reform von Seiten der Länder erkämpften Gestaltungsspielräumen haben.“ (Stoiber 2010, S. 245)

Im Namen des Vaters schimpft der Sohn: „Dies widerspricht klar dem Geist der Föderalismusreform I.“ (Stoiber 2010, S. 245) Und wer fest im Glauben ist, für den bleibt stets Hoffnung auf ein zukünftiges Leben. So schließt Dominic Stoiber sein Elaborat mit den Worten:

„Es bleibt hier zu hoffen, dass den zu beobachtenden gegenläufigen Tendenzen im Bereich der Bildungs- und Umweltpolitik wirksam begegnet wird und letztlich allen Beteiligten das große Potential der Reform zur Stärkung des Föderalismus in unserem Land bewusst wird.“ (Stoiber 2010, S. 248)

Föderalismusreform revidiert – Dissertationsthesen widerlegt

Durch die Koalitionsbeschlüsse vom 4. März 2012 lässt sich nun vorhersehen, dass eine der basalen Grundgesetzänderungen der Föderalismusreform revidiert wird. Die Föderalismusreform gilt heute weithin als großer Schritt in die falsche Richtung (Stoiber 2010, S. 248: „ein großer Schritt in die
richtige Richtung“). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung teilte am Tag nach dem Beschluss mit:

„Der Koalitionsausschuss der Bundesregierung hat gestern Abend beschlossen, die Kooperationsmöglichkeiten von Bund und Ländern im Wissenschaftsbereich zu erweitern. Eine entsprechende Änderung des Artikels 91b des Grundgesetzes soll noch in dieser Legislaturperiode realisiert werden. Künftig sollen Bund und Länder gemeinsam nicht nur ‚Vorhaben‘, sondern – dauerhaft – auch ‚Einrichtungen der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen‘ fördern können. […] ‚So viel Kooperation war noch nie‘, sagte Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung. Bund und Länder hätten damit nach einer solchen Grundgesetzänderung mehr Möglichkeiten zur Zusammenarbeit im Wissenschaftsbereich als vor der Föderalismusreform 2006.“[1]

Wolfgang Lieb erklärt auf den NachDenkSeiten, warum das die notwendige Abkehr von der Föderalismusreform ist[2] und verweist darauf, dass er schon 2005 vor dem Wechsel vom „kooperativen Föderalismus zum Wettbewerbsföderalismus“ gewarnt hatte, der „das Recht des Stärkeren“ ins föderale System einführen wollte.[3]

Der wissenschaftliche Wert der Doktorarbeit Dominic Stoibers geht gegen Null. Das lässt sich leider nicht darauf zurückführen, dass sie in Österreich eingereicht wurde. Denn an deutschen Universitäten sieht es nicht deutlich anders aus, wie ein Blick auf VroniPlag zeigt. Trotzdem könnte Stoibers Dissertation noch einiges an Nutzen generieren, wenn daraus nun die richtigen Schlüsse gezogen werden. Die verfehlte Reform der Bildungszuständigkeiten – die Stoiber so gefeiert hatte – wird schon zurückgenommen. Ein Schritt vor nach einem zurück, das kann man aber noch nicht als Fortschritt bezeichnen.

Ein Fortschritt wäre, wenn die Universitäten sich grundlegend bewegen würden, ihre Leistung in der Bildung und Ausbildung junger Menschen deutlich erhöhten, damit solche Doktorarbeiten nicht mehr vorkommen können. Die Bildungspolitik müsste das durch einen Paradigmenwechsel unterstützen, nach dem der Lehre wieder angemessene Bedeutung an den Universitäten zukommt. Wenn selbst Ministerpräsidentenkinder eine so ungenügende Bildung erhalten, dann zeigt das, wie schlecht es um die vielbeschworene Elitenförderung steht.

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