Die Schavan, die Süddeutsche und die Quellen

Erscheint es als Plagiatsdokumentation, wie die Süddeutsche Zeitung sie in den ersten Tagen der Guttenberg-Affäre lieferte (Erbloggtes berichtete), was sie nun zum Fall Schavan beiträgt?

Guttenberg-Plagiat-Synopse, 16. Februar 2011

Plagiatsdokumentation der Süddeutschen zu Guttenberg (Screenshot von sueddeutsche.de, 16. Februar 2011)

Die Süddeutsche verwirrt mit einer solchen „interaktiven Grafik“, wie sie hier zu finden ist, mehr als sie informiert. Darauf hat auf der Plattform für geistes- und sozialwissenschaftliche Blogs hypotheses.org nachlesenswert hingewiesen: Plagiatsverwirrung leichtgemacht (25. Oktober) und Plagiatsverwirrung – Update (27. Oktober). Dies sorgte für Diskussionen, unter anderem mit der Süddeutschen, die unter dem Motto „Qualitätspresse vs. Twitter“ nachzulesen sind (Teil I, Teil II).

Schavan, S. 62, laut SZ

Plagiatsverwirrung der Süddeutschen zu Schavan (Screenshot von sueddeutsche.com, 29. Oktober 2012)

Detailstudien an Seite 78

Wie ungenügend es ist, einen Text wie das Düsseldorfer Schavan-Gutachten einfach irgendwie einzuscannen und dann irgendwelche Farbmarkierungen darin vorzunehmen, kann exemplarisch eine kurze Stelle zeigen, die sich auf Seite 78 von Schavans Dissertation bezieht. Die Süddeutsche schreibt in der verlinkten Grafik, dass Gustav Bally, Einführung in die Psychoanalyse Sigmund Freuds, auf S. 93-94 ein Freud-Zitat aus dessen Gesammelten Werken, Band XIII, S. 298, so wiedergebe:

„Das Es … hat Mittel, dem Ich Liebe oder Haß zu bezeugen.“

Die Süddeutsche schreibt auch, Schavan zitiere auf S. 78 ihrer Dissertation diese Stelle von Freud wie folgt:

„Das Es … hat kein Mittel, dem Ich Liebe oder Haß zu bezeugen.“

Das steht, einschließlich des Wörtchens „kein“, tatsächlich in Schavans Dissertation, ausgewiesen als Zitat von Freud. Wenn die Darstellung der Süddeutschen wirklich stimmt, hätte Schavan die Freud-Zitate nicht einfach von Bally abgeschrieben, sondern verändert. Dann hinge es davon ab, was in Freuds Gesammelten Werken, Band XIII, S. 298, wirklich steht, ob Schavan das Zitat im Original überprüft und Ballys Fehler korrigiert hätte – oder ob Schavan das Freud-Zitat selbst verfälschte (wofür der Grund der Zusammenhang mit den folgenden Sätzen des Freud-Zitats sein könnte). Der Vergleich der Originaltexte von Freud, Bally und Schavan könnte also, je nachdem wie er ausfällt, drei Dinge zeigen:

  1. Er könnte Schavan entlasten, dass sie (zumindest hier) nicht hirnlos aus der Sekundärliteratur abgeschrieben hat, sondern bei Ungereimtheiten das Original überprüft hat.
  2. Er könnte Schavan belasten, dass sie nicht einfach nur abgeschrieben, sondern das Abgeschriebene auch noch durch Hinzufügungen verändert und in sein Gegenteil verkehrt hat.
  3. Er könnte die Sorgfalt der Süddeutschen bei der Erzeugung der Gegenüberstellung in Zweifel ziehen.

Quellenvergleich

In Schavans Dissertation steht, wie oben erwähnt:

„Das Es … hat kein Mittel, dem Ich Liebe oder Haß zu bezeugen.“

In Ballys fast 100.000 mal verkaufter Einführung steht:

„Das Es … hat kein Mittel, dem Ich Liebe oder Haß zu bezeugen.“

In Freuds Gesammelten Werken, Band XIII, S. 298, steht:

„Das Es, zu dem wir am Ende zurückführen, hat keine Mittel, dem Ich Liebe oder Haß zu bezeugen.“

Festzustellen ist, dass Schavan dasselbe schreibt wie Bally, und zwar auf das Zeichen genau, einschließlich der identischen Auslassung und des Wortes „kein“. Welche Auswirkung hat dies auf die obigen drei Hypothesen? Hypothese 1 und 2 sind damit widerlegt, Hypothese 3 ist bestätigt. Der Vergleich zeigt tatsächlich, dass Schavan hirnlos aus der Sekundärliteratur abgeschrieben hat und nicht aus dem Original zitierte. Zusätzlich zu der identischen Auslassung wie bei Bally ist nämlich festzustellen, dass sie Ballys Zitierfehler („kein“ statt „keine“) übernimmt. Zudem zitiert Schavan die nächsten Sätze Freuds ebenso lang und mit demselben Abschlusszeichen (nämlich Anführungszeichen ohne davorstehenden Punkt) wie Bally.

Analysegrundlagen aus uralten Zeiten

Derartige Quellenanalysen beschrieb Ernst Bernheim 1905 in seiner klassischen Einleitung in die Geschichtswissenschaft (hier Ausgabe von 1907) so:

„Diese Methode beruht auf den denkbar einfachsten Grundsätzen; jeder Lehrer, der herausbringt, daß Schüler voneinander abgeschrieben haben, wendet sie unbewußt an, das wird wohl schon seit uralten Zeiten geschehen sein“. (S. 122f.)

Für einen Fall der Analyse dreier Quellen wie er hier vorliegt schrieb Bernheim:

„[W]enn aber zwei von den drei Quellen in den Abweichungen von der dritten durchweg übereinstimmen, so haben nicht beide direkt aus der dritten geschöpft, sondern nur die eine von ihnen, und diese hat der anderen als Vorlage gedient.“ (S. 124)

Die Konklusion, dass Schavan keineswegs aus Freuds Gesammelten Werken zitierte, sondern lediglich aus einer gängigen Einführung dazu abschrieb, ist zwingend. Ballys Buch kommt aber in Schavans Fußnoten nie vor, nur ins Literaturverzeichnis hat sie es aufgenommen – obwohl sie weiter und immer weiter daraus abschrieb – wie Schavanplag dokumentiert.

Ein Detail sei noch zur Grafik der Süddeutschen erwähnt, die ja sehr sorgfältig auch einzelne identische oder ähnliche Worte grafisch hervorhebt:

Chaos: Ein Kessel brodelnder Erregung

Links: Schavan, S. 78. Rechts: Bally, S. 93. – Die Darstellung der Süddeutschen kommt ohne jede Hervorhebung aus. Ein Computer sieht offenbar keine Ähnlichkeit. (Screenshot von sueddeutsche.com, 29. Oktober 2012)

Warum hat sie es nicht ordentlich gemacht?

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15 Antworten zu “Die Schavan, die Süddeutsche und die Quellen

  1. Pingback: Plagiatsverwirrung – Update | TEXperimenTales

  2. Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

    Ich möchte mich heute systemkritisch äußern und abstrahiere von meinem Fall: Wir haben uns offenbar daran gewöhnt, dass die Würde des Amtes, jedes Amtes, hemmungslos angefeindet werden kann. Ein prominenter Mann ist daran zerbrochen; eben hüpfte er noch wie ein kleiner Junge die Treppe in der Ferienwohnung hinunter und pfiff unbeschwert die Melodien von Frau Lena Meyer-Landrut. Diese Akte ist geschlossen. Nun haben sich die „Plagiatsjäger“ eine Ministerin vorgeknöpft. Zitate hin, Bauernopfer her – ich frage, ob uns dieses Niveau wirklich gut zu Gesicht steht oder ob es nicht wichtigere Probleme gibt; ich erinnere an Griechenland und die Arbeitslosigkeit in unserem Lande. Doch dazu äußern sich die „Plagiatsjäger“ bezeichnenderweise nicht.

    Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

  3. Danke für die stichhaltige (und sehr viel detaillierter als meine ausgefallene) Analyse einer weiteren Seite der eigentlich gar nicht mehr lustigen Grafik von der Süddeutschen Online. Wir haben uns ja am Freitag gefragt, weshalb die Zeitung die Verlinkung nicht einfach weggeschmissen hat und stattdessen mit einer doch relativ seltsamen Erklärung zur Rechtfertigung daherkam. Vielleicht haben sie damit ja noch was vor. Mal sehen.

  4. Generelle Überlegungen sollte man auch angesichts der offenbar nötigen Detailbetrachtungen nicht vernachlässigen. Das deckt heute Stefan Sasse mit seinem Artikel Annette Schavan und der Plagiatsvorwurf ab.

  5. Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

    Heute lege ich den Finger in die Wunde und frage: Womit verdienen „Plagiatsjäger“ ihren Lebensunterhalt? Sind es schlechtbezahlte Assistenten oder handelt es sich um Selbständige, denen Kopfgelder winken, sagen wir 3.000 EUR für jeden Doktor, mit dem Schlitten gefahren werden soll? Mit Blick auf die zweite Variante würde mich übrigens der Inhalt der Gewerbeanmeldung sehr interessieren. Eine hochdotierte Vortragstätigkeit traue ich jedenfalls solchen Leuten nicht zu, die lediglich nach Übereinstimmungen von Textstellen suchen. Man gebe diesen Herrschaften eine vernünftige Arbeit, dann fielen sie nach der Schicht ausgelaugt auf die Ottomane und würden kaum noch Lust verspüren, lang und breit die Metaphysik der Fußnote zu entwickeln.

    Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

  6. InzuchtistkeineLösung

    @Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach
    Bei den Plagiatsjägern handelt es sich um Menschen die unbedingt Betrüger in Führungspositionen sehen wollen. Es handelt sich bei diesen Denunzianten um Menschen die gerne für Lumpen und Heuchler arbeiten und das auch durch das Studium der entsprechenden Hochstaplerliteratur (gemeint sind die Doktorarbeiten) zu würdigen wissen. Schließlich wollen Werke dieser Wissenschaftsbetrüger nicht nur gelesen, sondern akribisch zerlegt und auswendig gelernt sein.

  7. Es ist mir ein Herzensbedürfnis, Herrn von Eichenbach meinen tiefempfundenen Dank zum Ausdruck zu bringen – ach was: darzubringen! für die Verwendung des Wörtleins „Ottomane“. So lange ist es verschollen gewesen, längst schon war es verloren geglaubt in diesen Zeiten der sprachlichen Armut!
    P.S. Der Kettenhund im karg, aber redlich bewirtschafteten Bergbauernhof meiner freudlosen, also pädagogisch wertvollen Kindheit hieß „Sultan“. Er hörte aber nicht darauf, zumal er ohnehin stets und mit Hingabe verdroschen wurde. Die genaueren Kausalzusammenhänge harren jedoch noch der Erforschung (Antrag bei DFG läuft! Humboldt-Stiftung!! Exzellenz-Initiative!!!). Eine eher abwegige Theorie (vertreten von Götz Aly und solchen Typen) will besagen, dass der Hofhund nur aufgrund seiner kettenhaltungsbedingt optimierten verdreschtechnischen Verfügbarkeit „Sultan“ genannt wurde, so dass „Sultan“ verdroschen werden konnte. Fehlt nur noch der abgeschmackte Hinweis auf Parallelen in der Geschichte gewisser Minoritäten.
    Jedenfalls ließ sich die Prozedur, auf der an geeignete Stelle gerückten Ottomane ruhend, sozusagen als innerosmanisches Schauspiel betrachten.

  8. Heute lege ich den Finger in die Wunde und frage: Womit verdienen Trolle ihren Lebensunterhalt? Sind es schlechtbezahlte Assistenten oder handelt es sich um Selbständige, denen Kopfgelder winken, sagen wir 3.000 EUR für jeden Blogbetreibenden, den sie in den Wahnsinn getrieben haben? Mit Blick auf die zweite Variante würde mich übrigens der Inhalt der Gewerbeanmeldung sehr interessieren. Eine hochdotierte Vortragstätigkeit traue ich jedenfalls solchen Leuten nicht zu, die lediglich irgendwelches sinnlose Zeug zusammenstöpseln. Man gebe diesen Herrschaften eine vernünftige Arbeit, dann fielen sie nach der Schicht ausgelaugt auf die Ottomane und würden kaum noch Lust verspüren, lang und breit die Metaphysik der ideenlosesten Äußerung zu entwickeln.

  9. Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach

    Man muss recht genau lesen, um den Kommentar von @jhermes zu verstehen. Die Tücke liegt wie immer im Detail.

  10. Text, dem ich folgen kann, plus bunte Bilder 🙂 Danke, Erbloggtes.

  11. Freut mich wirklich! Ich bemühe mich um Verständlichkeit.

  12. Hier bedankt sich ein angehender Doktorand eines technischen Faches für diesen Artikel. Das freut mich sehr.

  13. Pingback: Plagiat im Boulevard oder die nichtswissende Müllpresse | Erbloggtes

  14. Anlässlich der Online-Veröffentlichung von Peer Steinbrücks Stasi-Akte bemerkt Michael Schmalenstroer, irgendjemand sei „ganz schlecht im Kopieren und Scannen. Die Qualität dieses Aktenscans ist ja geradezu gruselig, so als wär sie erst kopiert, dann gefaxt und dann gescannt worden.“[1]
    Das hat mich spontan an die obige miese Grafik der Süddeutschen zum Schavan-Gutachten erinnert. Die sieht bei nochmaliger Betrachtung so aus, als sei mit ihr genau so verfahren worden: kopieren, faxen, scannen – und dann auch noch eine automatisierte OCR ohne Plausibilitätsprüfung.

    Da ist es dann auch kein Wunder, wenn die schönen bunten Markierungen verblasst sind, die das Gutachten laut FAZ enthielt.[2] Merke: Die Süddeutsche besaß wahrscheinlich niemals mehr als das Fax einer Kopie des Gutachtens. Die FAZ hingegen hatte jedenfalls eine mehrfarbige Seite davon.

  15. Pingback: Nach dem Rohrbacher-Gutachten kommt jetzt: Der Rohrbacher-Kommentar | Erbloggtes

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