Das Leistungsschutzrecht, die Hegemonie und die Revolution

Erquickt es oder erschreckt es, dass die Fanfaren wieder einmal zum Endkampf zwischen Gut und Böse, Vernunft und Dummheit, Zivilisation und Barbarei blasen? Nein, diesmal geht es nicht um VroniPlag, wo derlei Manichäismus gleichwohl auch seine Anhänger findet.[1] Diesmal geht es um „den finalen Endgegner“,[2] um einen Kampf der Generationen,[3] um Wahrheit und Heuchelei,[4] um ein „Kartell der Propaganda“[5] und um die Glaubwürdigkeit der Presse.[6] Zugleich ist es ein Kampf gegen „Schnorrer und Soziale-Hängematten-Bewohner“,[7] gegen eine „Gratiskultur“,[8] und ein Kampf der „Altmedien“[9] gegen den Fortschritt. (Die Frankfurter Rundschau, einst Sturmgeschütz der Sozialdemokratie, reiht sich übrigens nahtlos in die Reihe der Alten Mächte ein.[10])

Die Presse kämpft gegen das Netz

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Bogenoffsetdruckmaschine, Foto: Stefan Kühn, CC-BY-SA 3.0

„Die Presse“ ist eine Metapher, in der ein industrielles Produktionsmittel von Kulturgütern, eine Maschine, die Druckerpresse, als Bild für den gesamten Produktionskomplex dieser Kulturgüter steht. „Das Netz“ ist hingegen eine Metapher für ein postindustrielles Produktionsmittel von Kulturgütern und dessen gesamten Komplex.

Eine Presse ist ein großes Ding in Privatbesitz. Das Netz ist ein riesiges Ding und Kollektiveigentum; seine kleinsten Bestandteile sind allerdings in Privatbesitz. Dennoch gibt es Konzentrationstendenzen: Google, Facebook und Co. sammeln Punkte bei der Abhängigmachung der vernetzten Kulturproduktion und -distribution von ihren privaten Produktionsmitteln. Mit diesem Argument fordern Presseverlage seit langem die Festschreibung eines Leistungsschutzrechtes, das ihnen im Netz gegen Google helfen soll.

Die Frage des Leistungsschutzrechtes (aber auch vieler anderer Netzgesetze, z.B. ACTA) scheint nun zu sein, inwiefern das Privateigentum an den industriellen Produktionsmitteln, den metaphorischen Druckerpressen, hinübergerettet werden kann in rechtliche Privilegien im Netz. Können die Alten Mächte das kollektive postindustrielle Produktionsmittel auf diesem Wege in ihr Privateigentum umwandeln? Wird Neuen Mächten, Technologiefirmen, eine Privatisierung und Monopolisierung gelingen? Oder bleibt das Internet Kollektivgut?

„Das Leistungsschutzrecht entwickelt sich zu einem Supersymbolbild für einen grundsätzlichen deutschen[?] Kulturkonflikt.“[9]

Insofern es einen Kulturkonflikt um das Leistungsschutzrecht gibt, muss es sich in der Tat um einen Kampf um die kulturelle Hegemonie handeln, wie Antonio Gramsci sie beschrieben hat. Und vermutlich ist es tatsächlich analytisch sinnvoll, zwei antagonistische Klassen anzunehmen, die gleichzeitig um die gesellschaftliche und kulturelle Hegemonie ringen. Irritierenderweise kommt man nicht umhin, unter solchen Voraussetzungen den Untergang der einen Klasse zu prophezeien:

Das Bürgertum, das mit der Industrieproduktion aufkam, ist der postindustriellen Gesellschaft offenbar nicht mehr angemessen. Aber welche Klasse ringt mit ihm und wird es beerben? Und ist das wirklich „alternativlos“, um mit der in Marxismus-Leninismus geschulten Kanzlerin zu sprechen? Ist das Joch der „Avantgarde“ von Netzkonzernen wirklich schlimmer als das Joch der Reaktion? Und wer von ihnen kann die Macht über den Staat erringen und behaupten? Das Volk etwa?

Die Geschichte geht weiter

Es ist ziemlich reizvoll, nach Jahrzehnten der stillgestellten Geschichte, deren Ende bereits ausgerufen ward, sich in einem historischen Ringen wiederzufinden, in dem (wieder) die klar erkennbar technisch fortschrittlichen Kräfte gegen die Mächte der Vergangenheit kämpfen. Im Kalten Krieg warfen sich ja die technisch deutlich zurückgebliebenen Kräfte in die revolutionäre Pose, während der technische Forschritt nichts mehr fürchtete als das Wort Revolution.

Nun also wird wieder das Revolutionslied gepfiffen, wenn auch in ganz anderer Form, als der alte Marx sich das ausgemalt hätte. „Das ist ein wundervolles Thema für eine Ballade!“, würde König Alfons sagen. So ist es.

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4 Antworten zu “Das Leistungsschutzrecht, die Hegemonie und die Revolution

  1. Schönes Stück. Inklusive des Fragezeichens hinter „deutsch“.
    Ich lese gerade in Gert Lovinks „Das halbwegs Soziale“ den Satz: Es „hat sich gezeigt, dass die Idee der Netzkritik als Fortsetzung der Frankfurter Schule eine Sackgasse ist.“ Mit Frankfurter Schule ist natürlich nicht die FAZ gemeint 🙂

    P.S. Weiß auf Schwarz lesen führt zu Migräne.

  2. Danke sehr! Tatsächlich war dies zuerst ein Kommentar unter dem inspirierenden Altmedien-Artikel, der sich dann auswuchs.
    Über den Lovink-Satz könnte ich lange meditieren, ad hoc verstehen kann ich ihn nicht – vielleicht weil ich nicht weiß, was Netzkritik ist. Wer kritisiert da was?
    Das Netz dürfte der Schauplatz des künftigen Ringens um die kulturelle Hegemonie sein. Das irdische Gondor sozusagen:

    Weil die Orks aus der Dunkelheit kommen, ist es hier auch so düster. Dass das die Lesbarkeit vermindert, ist nicht beabsichtigt. Soll ja keine Flaschenpost sein. Jeder Relaunch wird zur Umkehrung des Farbschemas führen, das verspreche ich! Aus Gandalf dem Grauen wurde ja auch Gandalf der Weiße. 😉

  3. Die Auseinandersetzung zu einer Glaubensfrage zu erheben ist ein netter Gedanke. Fehlt nur noch der Glaubenssatz. Wie z. B: Journalismus ist immer das wofür man ihn hält.

  4. Pingback: Zahlen, Berechnungen, Prognosen zum Effekt des Leistungsschutzrechts | Erbloggtes

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