Rubinowitz Roadkill

Erinnert es nicht an Guttenberg und Hegemann, wenn Dirk Wesenberg, der sich als Zeichner und Autor Tex Rubinowitz nennt, von den „Der Umblätterer“-Machern Frank Fischer und Josef Wälzholz nun der buchweisen Plagiatscollage beschuldigt wird?

  • Frank Fischer, Josef Wälzholz: „Wikipedia-Autor“ Rubinowitz: Plagiarismus, getarnt als Recherche. In: FAZ.net, 18. August 2015 (Archiv).

Wesenberg war vom Feuilletonblog „Der Umblätterer“ bereits Anfang des Jahres als „Tex Rubinowitz, der Guttenberg des Feuilletons“ entlarvt worden, nachdem er einen Magazintext aus Stoff des „Umblätterers“ und aus der Wikipedia zusammengestückelt hatte. Was eine derartige Transposition Guttenbergs ins Feuilleton rhetorisch ist, nämlich eine Vossianische Antonomasie, hatten Fischer/Wälzholz kurz zuvor in der FAS erläutert.

Bachmannpreis: Der Friedensnobelpreis des Literaturbetriebs

Nun ist Rubinowitz aber eher die Helene Hegemann der Wikipedia, weil sein Plagiat Literarizität statt Wissenschaftlichkeit vortäuscht, seine Recherchen und Entnahmen aber in der Wikipedia statt in einem Berliner Blog erfolgten. Wie man das macht, dass man definitorische Enzyklopädie-Sätze so rekombiniert, dass daraus gefeierte Literatur entsteht, diese Frage wurde im Plagiatsfall Wesenberg leider noch nicht angegangen. Wenn man das wüsste, ließe sich vielleicht mit Hilfe eines Skripts ein Best-of-Wikipedia-Roman zusammenstellen, der durch Creative-Commons-Lizenznutzung vielleicht sogar legal produzierbar wäre.

Dann würde mit einem Schlag der ganze Literaturbetrieb überflüssig. (Der Bachmann-Preis taugt ja wohl auch nicht mehr als Qualitätssiegel.) Denn die Wikipedia hält bereits Stoff für die nächsten Jahrhunderte computergenerierter Höhenkammliteratur bereit. Unter Höhenkammliteratur, auch Hochliteratur genannt, versteht man die anerkannte, in Schule und Wissenschaft als hochstehend angesehene Literatur. Darunter fallen unter anderem die Klassiker. Der Begriff wird als Gegensatz zur Trivialliteratur (Schemaliteratur) verwendet.

Hätten Sie’s gewusst?

Was für einen literarischen Stil muss man eigentlich pflegen, damit Wikipedia-Übernahmen weder im Lektorat (gibt’s das noch?) noch im Publikum (gibt’s das noch?) sofort auffallen? Über vorstehenden Absatz sind hoffentlich alle gelegentlichen Leserinnen und Leser dieses Blogs gestolpert und haben sich bereits gedacht, dass er überwiegend nur aus einem Nachschlagewerk abgeschrieben sein kann.

Plagiate sind wohl stets Ergebnisse einer Arbeitsweise, die mit der Speicherung von Textschnipseln auf 80 Disketten beginnt, manchmal auch mit Exzerpten auf Karteikarten, und damit endet, dass ein Produkt als originelles, eigenes Werk eines Schöpfers inszeniert wird, was ihm auf verschiedenen Feldern, etwa Kunst oder Wissenschaft, einen gewissen Stellenwert verschafft.

Wesenberg hat als Schriftsteller den Vorteil gegenüber Politikern, die ähnliche Arbeitsweisen pflegen, sich straflos dumm stellen zu können. In einer 2003/2004 entstandenen Kurzdokumentation erklärte er etwa:

„Ich hab auch zu vielem keine Meinung, weil ich es einfach – das nicht durchschaue mit dem ganzen Apparat und wie die Dinge funktionieren, also wer weiß das schon so genau?“

Da kann die Wikipedia natürlich Abhilfe schaffen. Und entsprechend fuhr er im Februar 2015 fort, seinen damals aufgedeckten „Wikipediaraubzug“ zu erläutern:

„ich glaube das ganze Problem ist, dass ich in meinen Text, der ein bisschen wissenschaftlich tut, aber in Wirklichkeit ja gaga ist, auch wissenschaftlich unterfüttern wollte, also so zu tun, ich fand dann diese Passage der Erklärung über VA [Vossianische Antonomasien], es wäre so verdammt einfach, den umzuschreiben, aber hab das eben nicht gemacht, und das hängt ja nun praktischerweise auch noch gleich hier mit drin in der Anklage, und auch das ist gut, wenn es nicht so peinlich und armselig wäre, weiss ich zumindest jetzt, dass das alles unberührbare Texte sind (bei Wiki), und ich doch lieber beim fiktionalen Schreiben bleiben soll“.[1]

An selbiger Stelle gibt es noch mehr von dieser Art direkter Diskussion mit Plagiator, Plagiierten und Plagiatsaufdeckern. Was soll man auch anderes machen? Die Arbeitsweise ist’s, und das ist beim Schreiben ein meist einsames Gericht (und durch mehr Köche wird’s nicht unbedingt besser).

Die Kunst geht nach Brot! Oder?

Und irgendwie ist es ja auch eine moralisch-schöpferische Überforderung, von Werkschaffenden zu verlangen, dass sie zum Abgabetermin an der Abgabestelle erklären, das Vereinbarte nicht liefern zu können, weil das mit der eigenen geistigen Schöpfung nicht wie gewünscht geklappt hat, sondern das vorliegende Werk viele Fragmente enthält, die eher am Wegesrand aufgelesen als selbst geschöpft sind.

Wie könnte man mit dieser Überforderung umgehen? Anstatt sie zu leugnen und zu hoffen, dass sich schon niemand hinreichend für den Text interessieren wird, um die Plagiate zu finden?

1. Man könnte einfach erklären, der Text enthalte viele übernommene Fragmente. In der Wissenschaft ist das, Fußnote sei Dank, weitgehend üblich. Im Gefolge des Hegemann-Skandals wurde diese Praxis in der Literatur fester etabliert. Das fällt im Rubinowitz-Fall nun dem Plagiator auf die Füße: „Denn Rowohlt hat dem Buch ein recht kleinteiliges Quellenverzeichnis angehängt – in dem allerdings keine einzige der Wikipedia-Stellen verzeichnet ist.“[2] Wie in vielen Wissenschaftsplagiatsfällen ergibt sich daraus, dass andere Quellen ordnungsgemäß angegeben sind, der Beweis, dass die plagiierten Stellen wider besseres Wissen entstanden.

2. Man könnte die Abgabetermine dynamischer gestalten, so dass die Peinlichkeit, den Termin weiter zu verschieben, stets geringer bleibt als die mögliche Peinlichkeit, als Plagiator entlarvt zu werden.

3. Man könnte die Peinlichkeit des Zugebens von Erfolglosigkeit reduzieren, so dass dies die attraktivere Option gegenüber der späteren Aufdeckung von verheimlichter Erfolglosigkeit würde.

4. Man könnte die Ansprüche an eigene geistige Schöpfungen überdenken, die in verschiedenen Feldern gelten sollen: Es gibt nichts Neues unter der Sonne,[3] die Neuigkeit von Erkenntnis oder Kunst ist lediglich eine Illusion, die durch ständige Re-Inszenierung im Glauben des Publikums verankert ist. Leider, leider wären mit der gesellschaftlichen Dekonstruktion dieser Illusion weitreichende Folgen verbunden, die vom Lebensunterhalt durch Einkommen aus geistiger Arbeit bis hin zu „geistigem Eigentum“ auf Pflanzen oder Tiere reichen. Der richtige Weg, wenn man diese Richtung einschlagen will, ist es zweifellos weniger, sich die geistigen Schöpfungen anderer schamlos anzueignen und bei Entdeckung des Verstoßes über „alles unberührbare Texte“ in der Wikipedia zu polemisieren, sondern eher, die eigene Schöpferkraft in den Gemeinbesitz an geistigem Eigentum einzubringen, indem man etwa zur Wikipedia beiträgt, seine Schöpfungen unter freie Lizenzen stellt oder ähnliches.

5. Man könnte, das folgt aus vorstehendem Problem, Kunst und Wissenschaft zur Liebhaberei erheben. Für die Kunst klingt das weniger utopisch als für die Wissenschaft: Wenn jeder ein Künstler ist, bedeutet die oben bereits avisierte Abschaffung des Literaturbetriebs (wie anderer „künstlerischer“ „Betriebe“) nicht die Abschaffung der Kunst, sondern ihre Entprofessionalisierung. Das wäre gar kein so großer Schritt für Künstler, die ohnehin von etwas anderem als Kunst leben, z.B. vom Kellnern, Taxifahren, Literaturpreisgelderkassieren oder von der Stütze.

Im Fall der Literatur ist der entscheidende Punkt die Ausschaltung der Verlage. Dieser Schritt ist durch die Transaktionskostenminimierung im Internet bereits vorgegangen. Amazon trägt das Seine bei, und in nicht allzu ferner Zukunft erfolgt der Genuss literarischer Kunst überwiegend außerhalb der Warenform, die das bürgerliche Zeitalter vorgab. Das naheliegendste Beispiel ist Arne R., der sein literarisches Schaffen in Kontaktanzeigen mit k.f.I. – keine finanziellen Interessen – beschreiben könnte. Seine Publikationen erscheinen auch nie durch Termindruck und die Peinlichkeit erfolgloser Schaffensbemühungen in unverantwortlich nachlässigem Zustand: Alle ihre Mängel sind schierer Unfähigkeit trotz aller Liebhaberei geschuldet.

Zu den Folgen einer derartigen Entwicklung zählt womöglich ein Verschwinden des Starkults, der als Ausdruck kapitalistischer Konzentrationsprozesse obsolet werden könnte, ferner schwindet wohl die Möglichkeit zur Kanonisierung und damit die allgemeine, institutionalisierte Kenntnis bestimmter Werke (Bibel, Faust, Glocke und Buddenbrooks), die allerdings auch bisher bloß bürgerliche Fiktion und Distinktionsmerkmal war.

Mit Qualitätsargumenten lässt sich, das führt der Rubinowitz Roadkill wieder einmal vor Augen, die Notwendigkeit einer marktförmig organisierten Kunstwelt nicht mehr rechtfertigen.

Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.

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5 Antworten zu “Rubinowitz Roadkill

  1. Dem Wikipedia-Satz würde ich glatt jegliche Schöpfungshöhe absprechen, womit auch das Urheberrecht entfällt.
    Wikipedia-Texte sind ubiquitär, werden überall massenhaft abgeschrieben – warum sich denn noch die Mühe machen, solche kurzen Absätze noch ein wenig umzustellen, damit kein Plagiatsfvorwurf erhoben wird? Ohne Schöpfungshöhe kein Urheberrecht, also auch kein Plagiat.

    Siehe Wikipedia zur Schöpfungshöhe im deutschen Urheberrecht:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%B6pfungsh%C3%B6he#Die_Sch.C3.B6pfungsh.C3.B6he_im_deutschen_Urheberrecht

  2. Die Begriffe „Schöpfungshöhe“ und „Urheberrecht“ kommen oben nicht vor. „Ohne Schöpfungshöhe kein Urheberrecht, also auch kein Plagiat“, schreibst du, und erklärst Plagiat damit zu einem reinen Rechtsbegriff (was es nicht ist), oder zu einem auf eine juristische Bewertung reduzierbaren Sachverhalt (was es auch nicht ist).
    In der Wissenschaft gilt als Plagiat das Versäumnis, alle Quellen anzugeben. In der Kunst gilt als Plagiat hingegen die Vortäuschung von Originalität. Daran ist noch nichts juristisch.
    Es ist auch von Seiten des Plagiators unstrittig, dass seine Praxis (jedenfalls in dem älteren Fall) ungehörig, ihre Aufdeckung peinlich ist. Dazu wollte er nichtmal anführen, dass ja „alle“ aus der Wikipedia abschrieben. Wie sollte das auch über die Peinlichkeit der Originalitätsvortäuschung hinwegtrösten – wo doch „alle“ sich nicht als Künstler inszenieren? (Vgl. Punkt 4)

  3. Peter Proost

    Zeit Online hat einen Edelfeder-Buchstabensalat zu diesem Thema online gestellt, mit der steilen These, dass copy&paste kein Plagiat begründet. Ich glaube, diese kruden Theorien hatten wir bereits an anderer Stelle. Schurrnalissmuss?

  4. Ja, danke, gut beschrieben als Buchstabensalat. Hat er wahrscheinlich als „künstlerische, schöpferische Tätigkeit“ gemacht, und nicht als „Arbeit“. Das ist dann für Die Zeit auch kostenlos. Win-win.

    (Bin irritiert, weil WordPress mir mitteilt, einem „Snänng!“ habe mein obiger Kommentar, nicht der Artikel, gefallen. Ich sehe nichtmal einen Button, wo man das bekunden könnte.)

  5. Pingback: Umleitung: Homophobie, Plagiate, Journalismus überflüssig, Radwege, Rassismus, Griechenland, kein roter Teppich für Windräder in Winterberg und mehr. | zoom

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