Plagiator Nummer 2 der Familie Stoiber: Dominic Stoiber?

Er konnte sich nicht vorstellen, wie es in einer Ministerpräsidentenfamilie zugehen müsse, damit zwei von drei Kindern einen Doktor machen und beide dabei bescheißen. Veronica „Vroni“ Saß, 1977 geborene Tochter Edmund Stoibers, Namensgeberin von VroniPlag, sträubt sich noch gegen die Aberkennung ihres Doktors – ziemlich aussichtslos.[1] Dominic Stoiber, ihr 1980 geborener Bruder, reichte im Februar 2010 seine Dissertation ein, um an der Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Innsbruck  zum Doktor der Philosophie promoviert zu werden.

Als Vroni in Verdacht geriet, lästerte die CSU schnell auch über ihren Bruder Dominic. „Dafür brauchte er ja nur den Papa und dessen Mitarbeiter fragen“, zitiert die Münchner Abendzeitung einen anonymen CSUler. Denn Edmund Stoibers Tätigkeit bei der Föderalismusreform war der Forschungsgegenstand seines Filius‘. Zu dessen Promotionszeit betrieb der Papi auf Steuerzahlerkosten ein Büro, in dem sich Mitarbeiter für 500.000 Euro jährlich mit dem Promotionsthema Dominic Stoibers auseinandersetzten.[2]

Dass es sich dabei allerdings um das teuerste Ghostwriter-Team aller Zeiten handelte, ist unwahrscheinlich. Zu schlecht ist das Manuskript, das Stoiber an der Uni Innsbruck einreichte, nachdem er in München BWL abgebrochen und dann Politikwissenschaft studiert hatte.[3] Beide Töchter Edmund Stoibers wurden Juristinnen; der einzige Sohn aber sollte in die Fußstapfen des Vaters treten und sich der bayerischen Politik widmen.[2] Am 4. März berichtete zuerst Spiegel Online darüber, dass die Uni Innsbruck Stoibers Doktorarbeit wegen Plagiatsverdacht überprüft.[4] Anschließend nahm sich etwa die Tiroler Tageszeitung (TT) des Themas an[5] und stellte fest, dass die Uni schon seit Herbst 2011 prüfe.[6] Peter Nindler ist anscheinend gleich auf eine plagiierte Stelle gestoßen – noch dazu aus einer nicht gerade zitablen Quelle:

„Recherchen der TT ergaben, dass es interessante Text-Vergleiche zwischen Stoibers Doktorarbeit und einer 1997 an der Universität Siegen verfassten Hausarbeit ‚Deutscher Föderalismus‘ gibt.“[6]

Die Hausarbeit stammt von einem Politikstudenten, der damals im 3. Semester war. Sie wurde im Seminar „Grundbegriffe und -probleme der Politikwissenschaft II“ eingereicht,[7] und das ist nach einem ersten Eindruck auch etwa das Niveau, auf dem sich Dominic Stoibers Dissertation bewegt. Auf Seite 9 und 10 der Hausarbeit finden sich etwa 13 Zeilen, die fast genau so auch auf Seite 83 von Stoibers Manuskript zu finden sind. Das deutet nicht auf schlampiges Arbeiten hin, sondern darauf, dass man seinen Doktorvater für blöd hält und sich selbst für ganz schön gerissen.

Das notwendige Vertrauen eines Promotionsbetreuers, das seit Guttenberg häufig gegen einen Generalverdacht ins Feld geführt wurde, scheint bei Stoibers Erstgutachter Günther Pallaver vorhanden gewesen zu sein. Denn die Hausarbeit, die hier als Vorlage diente, hätte er seit 1999 online finden können, wenn er gesucht hätte.[8] Angesichts der Häufung der seit einem Jahr entdeckten Plagiatsfälle entpuppt sich dieses Vertrauen als Gutgläubigkeit. Oder als Blindheit.

Denn die Dissertation ist inhaltlich streckenweise so schwach, dass – selbst ohne Plagiatsverdacht – die Prüfer sich fragen lassen müssen, warum eine solche Leistung zur Verleihung eines Doktorgrades ausreichen soll. Auf Seite 29 beispielsweise beginnt Teil „III. Geschichtlicher Rückblick: Entwicklung des Föderalismus in Deutschland“. Nach kurzen einleitenden Sätzen folgt der Abschnitt „Entwicklungen des 19. Jahrhunderts“. Legt man daneben ein Internet-Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung, das mit „Geschichtlicher Rückblick“ überschrieben und von Ursula Münch und Kerstin Meerwaldt verfasst ist,[9] dann wird schnell deutlich, auf welche Weise Stoiber junior sich hier hat inspirieren lassen.

Im Abschnitt „Entwicklungen des 19. Jahrhunderts“ paraphrasiert, plagiiert oder verschleiert er fröhlich Abschnitt für Abschnitt, lässt es sich dabei aber nicht nehmen, den Text mit seiner eigenen dümmlichen Note zu versehen. In der Quelle heißt es beispielsweise zum Rheinbund:

„Unter dem Protektorat von Napoleon I. schlossen sich 1806 16 süd- und westdeutsche Reichsstände zum Rheinbund zusammen, dem nach der Niederlage Preußens gegen Frankreich 1806/07 noch zahlreiche weitere Staaten beitraten. Es handelte sich jedoch nur um einen losen Staatenbund, und der föderalistische Zusammenhalt beschränkte sich auf die militärische Unterstützung des französischen Kaisers. Der Rheinbund zerfiel 1813, als sich die meisten Mitgliedstaaten in den Befreiungskriegen gegen Napoleon dem Bündnis von Preußen, Russland und Österreich anschlossen.“[9]

Stoiber drechselt sich daraus:

„[…] schlossen sich, aufgrund des Drucks von Frankreich, die 39 deutschen Staaten zu einem Bund zusammen, der unter dem Protektorat Napoleons I.[Fn86] stand. Der Name ‚Bund‘ täuscht hier etwas, denn es war lediglich ein loser Staatenbund. Es gab zwar eine Rheinbundakte mit 40 Artikeln, doch es wurden nur tatsächlich die verwirklicht, die sich auf die militärische Unterstützung Frankreichs bezogen.[Fn87]
Dieser Bund hielt nicht ewig. Er zerfiel 1813, als sich die meisten Mitgliedsstaaten in den Befreiungskriegen gegen Napoleon dem Bündnis von Preußen, Russland und Österreich anschlossen.[Fn88]“ (Stoiber 2010, S. 29f.)

Die drei Fußnoten verweisen natürlich nicht auf den geschichtlichen Rückblick der Bundeszentrale. Stattdessen gibt Stoiber zweimal den dtv-Atlas Weltgeschichte, Band 2, als Quelle an, einmal ein Lehrbuch von 1997. Doch damit nicht genug. Inhaltlich entsprechend der Vorlage, stilistisch ein echter Stoiber, dichtet der Doktorand weiter:

„Damit war die föderale Geschichte Deutschlands aber erst am Anfang. 1815 auf dem als ‚Wiener Kongress‘ bezeichneten Treffen europäischer Monarchen bekam die Geschichte schon ein neues Kapitel.“ (Stoiber 2010, S. 30)

Leider ist das nicht das letzte Kapitel, das über den Stoiber-Dominic zu schreiben ist. Er schreibt nicht einmal ordentlich ab, sondern reißt die Qualität durch seine höchstpersönlichen Zugaben so nach unten, dass man den Prüfern wünschen würde, sie wären einfach einem Promotionsbetrüger aufgesessen. Tatsächlich haben sie größtenteils Unwissenheit vorgefunden – und für doktorwürdig erklärt. Wenn Stoiber in der Weimarer Republik einen Kompetenzzuwachs für die „Bundesregierung“ sieht (Stoiber 2010, S. 34), dann findet er die folgende Nazi-Maßnahme nicht etwa diktatorisch, sondern „sinnbildlich“ (S. 35), also symbolisch:

„In Ländern, die nach der Reichstagswahl noch keine NS-Regierung hatten, wurden Reichskommissare eingesetzt.“ (Stoiber 2010, S. 34)

Im Original lautete dieser erste Punkt einer Aufzählung, die dann auch bei Stoiber referiert wird, übrigens so:

„In den Ländern, die noch keine NS-Regierung hatten, wurden nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 Reichskommissare eingesetzt.“[9]

Dominic Stoiber gerät damit – gleich seiner Schwester – in Not: Wie sie, so hat auch er eine eidesstattliche Erklärung abgegeben. Wie sie, wird auch er alle Mittel ausschöpfen müssen, damit der Plagiatsvorwurf keinen Bestand hat. Denn wie ihr, so droht auch ihm laut § 156 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren – falls deutsches Recht überhaupt anwendbar ist.[10]

Derzeit könne die Uni Innsbruck wegen der österreichischen Gesetzeslage keine Auskünfte geben, heißt es.[6] In Österreich scheint es aber auch mit der Öffentlichkeit von Dissertationen nicht weit her zu sein. Was sich bei Helmut Kohls Doktorarbeit als Ente herausstellte – dass das Buch nirgends mehr öffentlich zugänglich sei – scheint nun im Fall Dominic Stoiber tatsächlich eingetreten.[11] Der derzeitige oberbayerische Bezirksrat musste nur drei Exemplare bei der Universität einreichen. Sie sei „gesperrt aufgrund eines Plagiatsverdacht“, heißt es offenbar an allen drei Bibliotheken, die das Werk besitzen.[11] Stoiber selbst wollte dem politischen Gegner – seinem Bezirksratskollegen Klaus Weber (Linke) – auch nicht mit einer Kopie des Werkes aushelfen, als der ihn im Januar darum bat.[11]

Unter solchen Umständen wären Plagiatswikis wie VroniPlag aufgeschmissen, und die Universität Innsbruck könnte die laufende Untersuchung monopolisieren. Es wäre dann sogar denkbar, die fragliche Arbeit für immer in der Versenkung verschwinden zu lassen. Gut, dass es gewöhnlich gut informierte Kreise gibt, die Öffentlichkeit für ein essentielles Prinzip der Wissenschaft halten und daher gern bereit sind, Einblick in die Geheimakte „Die Föderalismusreform I der Bundesrepublik Deutschland. Beschreibung und Bewertung der Reform und eine Analyse der Bewährung in der Praxis anhand des Nichtraucherschutzes“ zu gewähren.

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6 Antworten zu “Plagiator Nummer 2 der Familie Stoiber: Dominic Stoiber?

  1. „Die klügsten Menschen kommen aus Bayern“
    Edmund Stoiber am politischen Aschermittwoch im Februar 2012.

    Die Bayern sind so schlau, wenn man da Kontakte hat, kann man auch promovieren. Wenn es zur Promotion in Bayern nicht langt, wird man halt ins benachbarte Ausland geschickt.

    Bei Edmund Stoiber denke ich zuerst an die Hypo Group Alpe Adria. Wie schlau die Bayern sind, sieht man an solchen Geschäften und wie schnell sie von der breiten Masse vergessen werden.

    Von den CSU-Ede-Fanatikern in Passau wird deshalb bestimmt noch der ein oder andere Wissenschaftspreis zu erwarten sein.

    In Passau war in Stoibers Gefolge, der „Chronisch Schlauen Union“, schon das ein oder andere helle Licht zu erblicken. Schilder wie „Edmund Stoiber Superstar“ haben mich dann letztendlich nachdenklich gemacht.

    Conclusion:
    Aus Bayern kommen vielleicht wirklich die klügsten Menschen. Wahrscheinlich sind die klugen Bayern an diesem Tag nicht in Passau.
    Kluge Menschen sind selten in der Mehrheit.

    Further research is needed…. #vroniplag

  2. Pingback: Dominic Stoibers Doktorarbeit: Papa ist toll | Erbloggtes

  3. Pingback: Deutschland und Österreich im Plagiatsvergleich | Erbloggtes

  4. Alllllso, nein, der Edmund- das ist aber wirklich nicht nett. Wo doch der Stoiber Edmund sooooo schlau ist.

  5. Die Untersuchung der Universität Innsbruck ergab, dass die Doktorarbeit gravierende Mängel hatte. Der Senat der Universität Innsbruck entschied dann, Stoiber dürfe den Doktor behalten, werde nicht gerügt, und auch sonst nichts.
    spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/uni-innsbruck-dominic-stoiber-darf-doktortitel-behalten-a-898831.html

    Stoiber behauptete daraufhin, dass es „mehrere eindeutige wissenschaftliche Gutachten gegeben“ habe. In welche Richtung die Gutachten eindeutig waren, sagte er nicht. Aber das Untersuchungsergebnis ist da ja aussagekräftig.
    merkur-online.de/aktuelles/politik/dominic-stoiber-behalte-meinen-doktor-titel-zr-2893954.html

    Dominic Stoiber – ein Plagiatsverdachtsfall, mit dem sich Österreich mal wieder als das bessere Bayernland präsentiert.
    abendzeitung-muenchen.de/inhalt.plagiatverdacht-nicht-bestaetigt-dominic-stoiber-kann-doktortitel-behalten.c558d4e6-164e-411d-b044-dfa345c8f358.html

  6. Pingback: BdV-Präsident Bernd Fabritius: Dr. plag. auf Rumänisch? | Erbloggtes

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