Darf unser Lehrer Dr. Specht Doktor bleiben?

Erbloggtes dokumentiert unten einen Fall akademischen Whistleblowings. Kurz zusammengefasst: Vor 14 Monaten informierte eine E-Mail die Universität Zürich über eine Reihe plagiatsverdächtiger Stellen in einer dortigen Dissertation. Passiert ist nichts.

Dr. Rolf Specht, Uni ZürichNichts, das heißt: Die unten dokumentierten E-Mails gingen hin und her. Darin zeigt die Uni Zürich, wie sie mit vertraulich geäußerten Hinweisen auf wissenschaftliches Fehlverhalten umgeht. Der letzte Satz ist entscheidend. Er bedeutet: Wenn wir etwas unternehmen würden, würde niemand jemals etwas darüber erfahren. Insbesondere die Öffentlichkeit nicht, die jene Dissertation für ein ordnungsgemäß erstelltes originäres Werk hält. Während also in Echtzeit überprüfbar ist, ob jemand seinen Doktorgrad weiterhin führt, ist unüberprüfbar, ob er dazu auch befugt ist.

Persönliches Profil auf der Seite der Zürich School of Management http://www.zsom.de/rolf-specht.html

Profil auf der Seite der Zürich School of Management

Im vorliegenden Fall lässt sich feststellen, dass der im Mai 2012 an die Universität Zürich gemeldete Plagiatsverdacht bis Juli 2013 nicht dazu geführt hat, dass der Doktorgrad aus den Online-Profilen verschwunden ist.[1][2][3][4] Das gilt freilich noch für andere im Mai 2012 gemeldete Plagiatsfälle,[5] in denen allerdings die Universität ihre Arbeit gemacht hat und es nun in der Hand der Gerichte liegt.

Die Chancen, dass auch im Plagiatsverdachtsfall Rolf Specht die philosophische Fakultät der Universität Zürich ihre Arbeit gemacht hat, stehen allerdings eher schlecht. Etwa ebenso schlecht stehen die Chancen, dass Specht stolz seinen Doktor weiter führt, obwohl er ihm bereits entzogen wurde. Die wahrscheinlichste Sachlage dürfte sein, dass seit Zugang der Mitteilung und Klärung der Frage, ob der Whistleblower über ein Ergebnis informiert werden müsste, einfach nichts weiter passiert ist. Hier nun die Dokumentation des E-Mail-Austauschs von Anfang bis Ende, im Inhalt wie erhalten (Auslassungen und Einfügungen in eckigen Klammern), in der Form etwas leichter lesbar gestaltet:

19. Mai 2012: Whistleblower informiert Universitätsanwalt der Uni Zürich

[Anrede]

Hiermit möchte ich Sie darauf hinweisen, dass mir in einer 1984 an der Universität Zürich eingereichten Dissertation Plagiate aufgefallen sind. Bespiele für sehr auffällige Textübereinstimmungen finden Sie in unten stehender Tabelle. Bei der Dissertation handelt es sich um:

Rolf Specht: Die Rhetorik in Lessings „Anti-Goeze“. Ein Beitrag zur Phänomenologie der Polemik. Lang, Bern u. a. 1986, ISBN 3-261-03604-4 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur 937), (Zugleich: Zürich, Univ., Diss., 1984).

Die Übereinstimmungen finden sich bei W. Barner: „Lessing: Epoche – Werk – Wirkung“ (die unten angegebenen Seitenzahlen entsprechen der 3. Auflage von 1977).

Die Dissertation ist zwar schon etwas älter, aber evtl. sollte man der Sache dennoch nachgehen.

[Grußformel]
Specht Barner
Specht Überschrift S. 12

1. Religionskritik als Medium der Emanzipation

Barner S. 248

Religionskritik als Medium der Emanzipation

Specht S. 12

Auch Lessing widmete einen grossen Teil seines Werks und die letzten zehn Jahre seines Lebens fast ausschliesslich der Theologie. Die Auseinandersetzung mit der Theologie war für einen aufklärerischen Schriftsteller im Deutschland des 18. Jahrhunderts offensichtlich unvermeidlich.

Barner S. 248

Trotzdem widmete er einen großen Teil seines Werkes und die letzten zehn Jahre seines Lebens fast ausschließlich der Theologie: nicht aus ,Liebhaberei‘, wenn man das darunter versteht, was man heute ein ,Hobby‘ oder eine ,Neigung‘ nennt, sondern ganz offensichtlich, weil die Auseinandersetzung mit der Theologie für einen aufklärerischen Schriftsteller im 18. Jahrhundert unvermeidlich war.

Specht S. 13

Die Forderung nach rationalistischer Emanzipation in ‚Religionssachen‘ der breiteren Öffentlichkeit mehr oder weniger unzugänglich blieb. Die Forderung, sich seines Verstandes ohne Vormund und Anleitung bedienen zu dürfen, musste, sobald sie ein grösseres Publikum fand, provozierend klingen in einer Zeit, in der Bevormundung auf allen Gebieten des Lebens zum Prinzip erhoben worden war.

Barner S. 252

Diese These, verbunden mit der Aufforderung, sich seines eigenenVerstandes ohne Vormund und Anleitung zu bedienen, mußte provozierend klingen in einer Zeit, in der die Bevormundung auf allen Gebieten des Lebens zum Prinzip erhoben worden war,[…]

Specht S. 14

So sehr daher auch der Konservativismus die entstehende Liberalität primär auf religiösem Gebiet bekämpfte, so sehr war er sich gerade der politischen Implikationen bewusst, die eine Aufweichung der tradierten Dogmen mit sich bringen würde. Hier lag der Grund für den Erlass restriktiver Religionsedikte (wie dasjenige Wöllners von 1788), und nicht in der landesväterlichen Sorge um die Seelenruhe der Untertanen.

Barner S. 252

So sehr der Konservatismus die entstehende Liberalität primär auf religiösem Gebiet bekämpfte, so sehr war er sich gerade der politischen Implikationen bewußt, die eine Aufweichung der tradierten Dogmen mit sich bringen würde. Hier lag der eigentliche Grund für den Erlaß der restriktiven Religionsedikte, der allerdings hinter der landesväterlichen Sorge um die Seelenruhe der Untertanen versteckt wurde.

Specht S. 14

Am Prinzip Öffentlichkeit schieden sich die Geister. Solange die aufklärerische Toleranzforderung im  wesentlichen innertheologisches ‚Gezänk‘ blieb, warf sie keine grossen Wellen. Sobald sie aber in einer breiteren Öffentlichkeit Gehör fand, musste sie zwangsläufig über die Theologie den Staat treffen, denn im Zeitalter des Staatskirchentums waren weltliche und geistliche Obrigkeit darauf bedacht, ihre gut funktionierende Interessengemeinschaft aufrechtzuerhalten durch institutionelle Verklammerung wie durch Beeinflussung des Denkens mittels Verordnungen, Predigt, Unterricht und vor allem auch Zensur. Oft übten beamtete Theologen die staatliche Zensur aus.

Barner S. 248

Im Zeitalter des Staatskirchentums waren weltliche und geistliche Obrigkeitdarauf bedacht, ihre gut funktionierende Interessengemeinschaft aufrechtzuerhalten durch institutionelle Verklammerung wie durch Beeinflussung und Reglementierung des Denkens via Verordnungen, Predigt, Unterricht, Zensur. AufklärerischesRäsonnement, wenn es überhaupt im öffentlich-staatlichen Bereich verändernd wirken wollte, mußte zwangsläufig über den Staat die Theologie oder über die Theologie den Staat treffen. Goezes politische Schlußfolgerungen aus Lessings theologischen und erkenntnistheoretischen Überlegungen sind dafür signifikant (s.u. A 2.4).

Specht S. 17 f.
„Der Verfasser [bis] und veröffentlichte“

Der Verfasser dieser Fragmente ist der angesehene Hamburger […]

Barner S. 290

[siehe dort]

Specht S. 18

Der Inhalt der Fragmente ist heute nur noch von historischem Interesse. Ihre Brisanz lag in der Tatsache der Veröffentlichung nicht im Inhalt. Dieser war der theologischen Fachwelt keineswegs neu. Neu war allenfalls die Kompromisslosigkeit und Radikalität, mit der Reimarus seine Thesen vortrug. Die grundlegende Problematik jedoch, die Beziehung zwischen Vernunft und Offenbarung, war genaugenommen so alt wie das Christentum selbst.

Barner S. 256

Die Brisanz der Fragmente lag in der Tatsache ihrer Veröffentlichung, nicht in ihrem Inhalt. Dieser war der theologischen Fachwelt keineswegs neu. Neu war allenfalls die Kompromißlosigkeit und Radikalität, mit der Reimarus seine Thesen vortrug. Die zugrundeliegende Problematik jedoch, die Beziehung zwischen Vernunft und Offenbarung, zwischen Philosophie und Theologie, war genau genommen so alt wie das Christentum selbst.

Specht S. 21

Lessings brillante Polemik verführt leicht dazu, in Goeze das Urbild der krassesten und verlolgungssüchtigsten [hier hat wohl die Zeichenerkennung versagt] Orthodoxie zu sehen – oder aber eine komische Figur, die sich vergeblich abmühte, es Lessing gleichzutun. An der Zeichnung dieses Charakterbildes war Lessing nicht gerade unbeteiligt. Das macht es von vornherein verdächtig. Die Wirklichkeit sieht tatsächlich anders aus. Goeze war zwar weniger wortgewandt, aber seine Argumentation hatte die Mächtigen auf ihrer Seite. Und obgleich uns Lessing (aus unserer heutigen, geistesgeschichtlich mehr oder weniger liberalen Perspektive) auch publizistisch als der Überlegene erscheint – faktisch war er der Verlierer. Für die unmittelbare gesellschaftliche und politische Zukunft wurde die Argumentation bestimmend, die sich Goeze zu eigen gemacht hatte.

Barner S. 257

Die Schärfe der Auseinandersetzung, die auf beiden Seiten nicht ohne persönliche Reminiszenzen war, wird bereits spürbar, wenn man Lessings Schriften für sich betrachtet. Ihre brillante Polemik verführt jedoch leicht dazu, in Goeze nur eine komische Figur zu sehen, die sich vergeblich abmühte, es Lessing gleichzutun. Goeze war zwar weniger wortgewandt, aber seine Argumentation hatte die Mächtigen auf ihrer Seite. In der publizistischen Fehde blieb Lessing der Überlegene – obgleich er faktisch den kürzeren zog –, für die weitere soziale und politische Entwicklung wurde jedoch die Argumentation bestimmend, die sich Goeze zu eigen gemacht hatte.

Specht S. 23

Lessings Beschäftigung mit dem Christentum war im Grunde nicht theologisch, sondern historisch motiviert.[3] Er betrieb keine Theologie, sondern Geschichtsphilosophie.

[Fußnote 3 enthält eine bunte Sammlung von Literatur, eingeleitet mit „Zu diesem Problem u.a.“, aber nicht die Vorlage.]
Barner S. 256

Von daher gesehen, ist Lessings Beschäftigung mit dem Christentum nicht theologisch, sondern historisch motiviert, er betreibt keine Theologie, sondern Geschichtsphilosophie.

Specht S. 23 f.

??die Logik als willkommenes Mittel [bis] die Argumentation?

Barner S. ??
[Bei diesen vier Zeilen war sich der Whistleblower offenbar nicht sicher.]
Specht S. 24

Goeze glaubte an die Existenz objektiver Wahrheit als Gegenstand des christlichen Glaubens. Für ihn gab es „absolute Gewissheit“, „unwidersprechliche“ Wahrheiten, deren Besitz es zu sichern galt.

Barner S. 271

Für Goeze gibt es absolute Gewißheit, „unwidersprechliche“ Wahrheiten, genau das, was Lessing als Besitz der Wahrheit kritisiert hatte.

Specht S. 24

Lessings Wahrheitsbegriff war ein subjektiver, seine Methode der unvollständigen Induktion[1] führte stets nur zu einer vorläufigen, ‚hypothetischen‘ Wahrheit.[2]

[Siehe auch Fußnote 2 und Barner S. 270!]
Barner S. 270

Lessing geht dagegen von einer unvollständigen Induktion aus, die nur zu einer vorläufigen, hypothetischen Wahrheit führt.

Specht S. 24

Diesen radikalen Schritt konnte ein rechtgläubiger Protestant vom Schlage Goezes nicht nachvollziehen, wenn er nicht sich selbst und seine theologische Position aufgeben wollte.

Barner S. 271

Diesen radikalen Schritt konnte ein rechtgläubiger Protestant vom Schlage Goezes nicht nachvollziehen, wenn er sich nicht selbst und seine theologische Position aufgeben wollte.

Specht S. 25

Der Vorwurf, Lessing verstosse gegen die „Grundsätze der Logik“, war prinzipieller, von Goeze aus gesehen aber auch taktischer Natur, denn die Diskussion um das richtige Denken und die akademische ‚Wohlanständigkeit‘, der Hinweis auf übertretene Konventionen und auf logische Fehler, überhaupt auf unlogisches Denken, liess Inhaltliches zweitrangig erscheinen. Mit der ‚Theaterlogik‘ eines Komödienschreibers brauchte man sich als rechtschaffener Theologe nicht abzugeben. Der Hinweis auf die nicht eingehaltenen „Grundsätze der Logik“ ersetzte die inhaltliche Stellungnahme.

Barner S. 269

Dieser Vorwurf zielte auf Lessings Wissenschaftlichkeit. Er war prinzipieller,von Goeze aus gesehen aber auch taktischer Natur, denn die Diskussion um das richtige Denken und die akademische Wohlanständigkeit, der ständige Hinweis auf übertretene Konventionen und auf logische Fehler, überhaupt auf unlogisches Denken, ließ Inhaltliches zweitrangig erscheinen. Mit der „Theaterlogik“ (ebda., S. 7f., passim) eines Komödienschreibers brauchte man sich als rechtschaffener Theologe nicht abzugeben. Der Hinweis auf die nicht eingehaltenen „Grundsätze der Logik“ (ebda., S. 12) ersetzte die inhaltliche Stellungnahme.

22. Oktober 2012: Whistleblower fragt beim Universitätsanwalt nach

[Anrede]

mich würde interessieren, ob in der unten gemeldeten Angelegenheit etwas unternommen wurde.

[Grußformel]

25. Oktober 2012: Büro des Universitätsanwalts bittet Whistleblower um Rückruf

[Anrede]

Rufen Sie mich doch bitte, wenn Sie Zeit haben sollten, kurz zu diesem Verfahren nochmal an. Meine Rufnummer lautet […].

[Grußformel]

26. Oktober 2012: Whistleblower erläutert Büro des Universitätsanwalts Hintergründe

[Anrede]

ich bin weder in Zürich noch in der Schweiz; einmal schnell anzurufen ist daher nicht so einfach möglich. Ich kenne Herrn Specht auch nicht weiter. Der Hinweis auf die (möglichen) Plagiate war vor einiger Zeit an mich herangetragen worden von jemandem, der meine damalige GuttenPlag-Affinität kannte. Ich hatte die ersten Fundstellen anhand der Bücher überprüft, danach hatten wir überlegt, was zu tun ist. Da wir nichts davon halten, nicht-bekannte Personen im Internet anzuprangern, wie es von VroniPlag in Deutschland getan wird, beschlossen wir, der Universität Zürich eine Meldung zu machen.

Aufgeschreckt durch die aktuellen Meldungen über Deutschlands Bildungsministerin Schavan wollten wir dann jetzt einmal nachfragen, was aus der Meldung wurde, da es bisher keine Rückmeldung gab.

[Grußformel]

26. Oktober 2012: Büro des Universitätsanwalts erklärt sich unzuständig

[Anrede]

Für meine Bitte um Rückruf möchte ich mich entschuldigen. Mir waren diese Informationen vorher nicht bekannt.

Zu Ihrem Anliegen:

Der Universitätsanwalt ist für die benannte Angelegenheit nicht zuständig ist und somit auch nicht befugt Massnahmen einzuleiten. Angesichts dessen haben wir damals die Angelegenheit an die zuständige Fakultät weitergeleitet. Über den Fortgang des Verfahrens können wir Ihnen somit leider auch keine Auskunft geben und bitten Sie sich an die insoweit zuständige Fakultät zu wenden.

Für Ihr Engagement und Ihre Bemühungen möchten wir uns recht herzlich bei Ihnen bedanken.

[Grußformel]

28. Oktober 2012: Whistleblower wendet sich an das zuständige Dekanat der philosophischen Fakultät

[Anrede]

vom Büro des Universitätsanwalts habe ich erfahren, dass die unten aufgeführte Angelegenheit an Ihre Fakultät gemeldet wurde. Da dies nun schon einige Monate zurückliegt und ich nie eine Rückmeldung erhalten habe, wollte ich mich erkundigen, wie die Fundstellen von Ihnen bewertet wurden, ob der Sache weiter nachgegangen wurde oder nicht.

[Grußformel]

5. November 2012: Eingangsbestätigung aus dem Dekanat

[Anrede]

Vielen Dank für Ihre E-Mail vom 28. Oktober 2012. Wir haben Ihre Mitteilung an den Studiendekan der Philosophischen Fakultät weitergeleitet.

[Grußformel]

20. November 2012: Studiendekan bittet Whistleblower um Anschrift und Hintergrundinformationen

[Anrede]

Wir haben Ihr mail erhalten und ich möchte Sie bitten, mir Ihre Adresse bekanntzugeben (damit es keine „anonyme“ Anfrage ist) und mir den Zusammenhang zu nennen, in dem Sie auf das Plagiat gestossen sind und sich zu einer Meldung entschlossen. Aufgrund welcher Unterlagen haben Sie davon Kenntnis erhalten und haben Sie noch mehr Stellen oder längere Passagen entdeckt, denen Sie Plagiatsstatus zuschreiben würden?

[Grußformel]

20. November 2012: Whistleblower erklärt Studiendekan Hintergründe und Beweggründe

[Anrede]

jemand, der über meine frühere Zugehörigkeit zu GuttenPlag wusste, hatte diese Sache an mich herangetragen mit der Frage, wie man damit umgehen sollte. Ich hatte die Fundstellen, die er mir genannt hatte, überprüft und diese dann im Frühjahr an den Universitätsanwalt geschickt. Da ich bisher keine Rückmeldung bekommen hatte, wollte ich nun einfach einmal nachfragen, ob der Sache weiter nachgegangen wurde.

Ich kenne weder Herrn Specht noch die Person, die mich per Internet auf die Fundstellen aufmerksam gemacht hat, ich war sozusagen nur Mittelsmann (und muss aufgrund der früheren GuttenPlag-Aktivitäten anonym bleiben).

Da ich nicht vom Fach bin, hatte ich erst einmal nicht nach weiteren Fundstellen geschaut. Der Finder der ersten Fundstellen hatte diese bemerkt, weil er das Buch von Barner kannte, dadurch fielen ihm die übernommenen Ausführungen bei Specht sofort auf.

Ich war davon ausgegangen, dass aufgrund meiner Meldung aus dem Frühjahr mittlerweile jemand an Ihrer Fakultät, der es besser einschätzen kann, sich vielleicht einmal die Dissertation angesehen hätte, um festzustellen, ob es noch mehr Auffälligkeiten gibt oder ob die Übernahmen aus Barner evtl. auf einem Versehen beruhen. Sollte es Übernahmen aus weiteren Standardwerken wie Barner geben, dürften diese einem Fachmann schnell auffallen. Ich kann gerne einmal beim eigentlichen Finder nachfragen, ob ihm in der Zwischenzeit noch mehr aufgefallen ist, die Meldung liegt ja nun schon einige Monate zurück.

Wie gesagt, ich kenne Herrn Specht nicht und war hier nur Mittelsmann, weil jemand nicht wusste, wie er mit seinem Fund umgehen sollte. Da Herr Specht mE keine Person des öffentlichen Interesses ist, entschied ich mich für eine diskrete Meldung direkt bei der Universität. Das öffentliche Anprangern unbekannter Personen, wie es mittlerweile anscheinend auf Seiten wie VroniPlag üblich ist, halte ich da eher für unpassend.

[Grußformel]

2. Dezember 2012: Whistleblower reicht Studiendekan weitere plagiierte Stelle ein

[Anrede]

aufgrund Ihrer Fragen hatte ich mir die Dissertation von Herrn Specht noch einmal angesehen und bin bei einer nur oberflächlichen Suche sehr schnell erneut fündig geworden, diesmal in Helmut Thielicke, Lessing contra Goeze, in: Text und Kritik 26/27 S. 39. Der folgende Abschnitt findet sich nur leicht verändert, aber ohne jegliche Quellenangabe bei Specht auf den Seiten 21/22:

„Der Hauptpastor an der Hamburger St. Katharinenkirche Johan Melchior Goeze gibt seinem Kontrahenten Lessing an militanter Streitlust und charaktervoller Wucht nichts nach. […] Goeze führte mit dem Rücken an der Wand einen Vielfrontenkrieg gegen Pietisten, Rationalisten, Calvinisten – selbst Melanchthon blieb nicht verschont – und außerdem gegen das, was er als moralische Versumpfung der Schaubühne seiner Zeit empfand. Lessing bildete nur eine von diesen mancherlei Fronten, wider die er sich nicht nur verteidigte, sondern die er auch angriff.“

Die Übernahmen aus Barner scheinen also kein Versehen gewesen zu sein. Ich gehe davon aus, dass man bei einem Abgleich mit der weiteren Standardliteratur zu diesem Thema weiter fündig wird. Es wäre nett, wenn Sie mich informieren könnten, ob Ihre Fakultät in der Sache tätig wird oder nicht.

[Grußformel]

3. Dezember 2012: Studiendekan sagt Whistleblower Prüfung und Information zu

[Anrede]

Die Fakultät prüft die von Ihnen geäusserten Vorwürfe. Sie werden über das Resultat informiert werden.

[Grußformel]

10. Dezember 2012: Studiendekan widerruft: Whistleblower wird nicht informiert

[Anrede]

In mein mail hat sich ein Fehler eingeschlichen: Die Fakultät prüft Ihre Vorwürfe, kann Sie aber selbstverständlich nicht über das Resultat informieren.

[Grußformel]

Kommentar

Sicher: In der Schweiz ist vieles anders. Vieles ist nicht bundesweit geregelt. Das Universitätsgesetz (UniG) des Kantons Zürich regelt aber:

„§ 47. Ein unrechtmässig erworbener Titel wird durch die Instanz entzogen, die ihn verliehen hat. Vorbehalten bleiben die strafrechtlichen Bestimmungen über die unbefugte Führung akademischer Titel.“[6]

Derartige strafrechtliche Bestimmungen waren jedoch nicht auffindbar. Es gab zwar mal Spekulationen über die Implementierung einer einheitlichen Strafbarkeit in ein neues Hochschulrahmengesetz;[7] diese wurden aber nicht umgesetzt.[8] Verfolgbar wäre ein unrechtmäßiges Führen des Doktortitels daher wahrscheinlich nach Gesetzen gegen unlauteren Wettbewerb, wenn etwa konkurrierende Lehrkräfte sich davon benachteiligt fühlten, dass unser Lehrer Dr. Specht Seminare über das Führen von Führungskräften mit seinem Dr. bewirbt.[9]

Mit seiner Promotion reüssiert Rolf Specht bis heute auch an der philosophischen Fakultät der Universität Zürich. Dort wird er als beruflich erfolgreicher Absolvent auf einer eigenen Unterseite vorgestellt:

„Aus ‚reiner Neigung‘, wie Specht sagt, habe er Germanistik, Literaturkritik, Theaterwissenschaften und Theologie an der Universität Zürich studiert und promoviert. Anschliessend arbeitete er als Mittelschullehrer, entschloss sich aber bald, diesen Beruf aufzugeben. Stattdessen bildete er sich in Kommunikationspsychologie und Rhetorik weiter und begann, in der Erwachsenenbildung tätig zu werden.“[10]

Es ist ja verständlich, wenn eine Fakultät ihren Studierenden Berufsperspektiven erläutern möchte und dazu gut vernetzte Experten aus dem eigenen Hause heranzieht. Aber vielleicht ist das nicht so empfehlenswert, wenn diese in ihren Ratschlägen darauf hinweisen, dass das ordentliche Studium einen nicht weiterbringe, sondern man stattdessen unwissenschaftliche Fähigkeiten erwerben solle:

„Rolf Specht findet es völlig legitim, nicht zielgerichtet zu studieren und sich dafür eine Generalistenausbildung anzueignen. Man müsse sich einfach bewusst sein, dass ein solches Studium eben keine Berufsausbildung sei. Man müsse sich anschliessend ganz gezielt die Fähigkeiten aneignen, die für den angepeilten Beruf nötig sind.“[10]

Welches Vorbild gibt die Universität ihren Studierenden damit? Zweifellos ein gutes, denn solange Wissenschaftsbetrug folgenlos bleibt und auch niemand darüber redet, bietet er beste Karrierechancen. Dr. Specht empfiehlt, sich hinzustellen und zu rufen: „Leute, ich kann das!“[10]

Wem es komisch vorkommt, den von der Gesamtgesellschaft aufwendig finanzierten Wissenschaftsbetrieb auf die Füße Prahlerei und Aufschneiderei zu stellen, der kommt an der Einsicht nicht vorbei: Gegen wissenschaftliches Fehlverhalten hilft nur Öffentlichkeit. Öffentlichkeit von Vorwürfen diskreditiert den Vorwerfenden, wenn die Vorwürfe unhaltbar sind. Öffentlichkeit des Verfahrens sichert seine Rechtmäßigkeit. Und Öffentlichkeit der Ergebnisse sichert ab, dass die erforderlichen Konsequenzen gezogen werden. Wo es um die Suche nach der Wahrheit geht, kann man sich dann auch nicht mehr einfach dumm stellen,[11] ohne das Vertrauen der community zu gefährden, dass man selbst auch an Wahrheit interessiert ist.

Dazu empfiehlt sich eine einfache Ergänzung von § 30 (Geheimhaltung) des Verwaltungsverfahrensgesetzes um den Satz:

Geheimnisse mag es in der Esoterik geben, aber nicht in der wissenschaftlichen Arbeit.

Update, 28. Juli 2013: Die Universität Zürich hat in Reaktion auf die internationalen Normierungsbestrebungen gegen Wissenschaftsbetrug um die Jahrtausendwende am 11. November 2003 eine Weisung zum Verfahren beim Verdacht der Unlauterkeit in der Wissenschaft erlassen, die besagt, dass eine Vertrauensperson der Fakultät in Verdachtsfällen ermittelt und die Universitätsleitung auf dieser Grundlage entscheidet. (Die Aberkennung von Doktortiteln ist jedoch, wie oben aus dem UniG zitiert, eine Entscheidung der Fakultät.) Über die Öffentlichkeit heißt es in der Weisung:

㤠5 Weitergehende Information
Die Universitätsleitung entscheidet, ob weitere Instanzen informiert werden und unter welchen Umständen eine öffentliche Mitteilung erfolgt.
Ein abschliessender Befund muss veröffentlicht werden, wenn bereits die Einleitung der Ermittlung öffentlich bekannt gemacht wurde oder wenn die des Fehlverhaltens verdächtigte Person dies verlangt.“[12]

Diese Regelung ist durchaus im Interesse eines Verdächtigten, da sie auf dem Prinzip beruht, einen Verdacht nach Klärung zu bestätigen oder zu widerlegen, um die Unsicherheit des Verdachts zu beseitigen. Das soll ja in der Wissenschaft ein übliches Vorgehen sein. Die letztliche Entscheidung des Studiendekans, den Whistleblower nicht über die Ergebnisse seiner Verdachtsmitteilung in Kenntnis zu setzen, erstaunt daher umso mehr.

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8 Antworten zu “Darf unser Lehrer Dr. Specht Doktor bleiben?

  1. Hartmut Lindner

    Das Problem ist einfach, dass es zuviele Spechte gibt – auch im Schuldienst.
    Unser TV-Lehrer Dr. Specht hat nie plagiert.
    Er ist seiner Sache immer treu geblieben.

  2. Pingback: Heinzelmännchen im Internet: es gibt sie doch. Plagiatsvorwürfe gegen Dr. Specht werden öffentlich. | zoom

  3. Er ist hier unter Literatur verlinkt:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Fragmentenstreit

    Und hat es auch ins Lessing Yearbook XXI geschafft:

    http://books.google.de/books?id=cvG5NmjMzbUC&pg=PA222&lpg=PA222&dq=rolf+specht+z%C3%BCrich&source=bl&ots=MymoEf9OZi&sig=KI_eAofV0hkCCMe_sy8Q_57l8l0&hl=en&sa=X&ei=EG8KUrOyIcPUswa9pYGYBA&redir_esc=y#v=onepage&q&f=false

    Scheint also zumindest keine Dissertation zu sein, die nur in Regalen verstaubt. Da fragt man sich schon, ob oder warum bisher sonst niemandem aufgefallen ist, dass Teile aus der Standardliteratur stammen. Oder es ist schon anderen zuvor aufgefallen und nichts wurde unternommen. Leider wird man das wohl nie erfahren.

  4. Update: Bei einem gelegentlichen Check auf den oben erwähnten Online-Profilen [1][2][3][4] fällt auf: Auf dreien steht der Doktor noch, auf dem ersten – bei der Zürich School of Management – ist er allerdings verschwunden, zugunsten von leerem Raum:

  5. Soweit ich es sehe, ist der Dr. bei allen zitierten ETH-Seiten verschwunden:

    https://www1.ethz.ch/entrepreneurship/cse_results/index_EN?qs=Specht&ie=utf8&oe=utf8&q=site%3Awww.entrepreneurship.ethz.ch+Specht&GO.x=0&GO.y=0

    http://www.zsom.de/rolf-specht.html

    XING ist noch außen vor: https://www.xing.com/profile/Rolf_Specht

    Und ebenfalls zoominfo[sic! ich war es nicht] http://www.zoominfo.com/p/Rolf-Specht/1118508456

    Die letzten beiden Websites sind ja lediglich Karrierenetzwerke.

  6. Die ethz-Suche funktioniert für mich nicht. Auf https://www1.ethz.ch/entrepreneurship/people/affiliated_members/rspecht sehe ich aber noch „Dr. Rolf Specht“. Dass das andere Karrierenetzwerke sind – und deshalb womöglich nicht aktuell – stimmt natürlich.

  7. Stimmt! Bei mir wird allerdings lediglich Titel Vorname Name gezeigt, ohne weitere Profilinformationen wie bei den drei weiteren „Affiliated Members“.

    Die Suche funktioniert bei mir.

    Das Ergebnis
    https://www1.ethz.ch/entrepreneurship/cse_results/index_EN?qs=Specht&ie=utf8&oe=utf8&q=site%3Awww.entrepreneurship.ethz.ch+Specht&GO.x=6&GO.y=8

    verzweigt dann einmal hierhin:
    https://www1.ethz.ch/entrepreneurship/education/lectures/BMS

    und hierhin:
    https://www1.ethz.ch/entrepreneurship/people/affiliated_members/uclaesson

    Die Präsentation ist jedenfalls nicht konsistent, es werden auch bei anderen „Affiliates“ mal lediglich Namen und dann aber im Profil Titel genannt.

  8. Pingback: Vom Doktor weiß ganz allein der Wind | Erbloggtes

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