Eigenplagiate: Jakob Augstein, Marc Jan Eumann, Frank Schirrmacher

Erbloggtes eigenplagiiert sich heute mal selbst. Anlass ist ein Artikel im „Umblätterer“, der das Format einer Plagiatsdokumentation hat: Kommentarlos reiht Joseph Wälzholz unter dem Titel „Vor- und Nachruf auf Frank Schirrmacher“ ähnliche, übernommene und umformulierte Stellen aus einem Artikel Jakob Augsteins von 2012 und einem aktuellen Augstein-Artikel im „Spiegel“ aneinander:

  • Jakob Augstein: Wir töten, was wir lieben. In: Der Freitag, 16. August 2012
  • Jakob Augstein: „Es gibt keinen anderen wie ihn“. In: Der Spiegel Nr. 25, 16. Juni 2014, S. 114f.

Als Aussage ließe sich formulieren: Augstein recycelt ein Schirrmacher-Porträt zu einem Schirrmacher-Nachruf. Wälzholz enthält sich jedes ausdrücklichen Kommentars. Der Titel muss für sich sprechen. Auf Twitter formulieren Leser das Ungesagte so aus:

Diese beiden expliziten Deutungen der „Plagiatsdokumentation“, bislang die einzigen auf Twitter, sehen das Bemerkenswerte in zwei verschiedenen Bereichen: Lino Wirag findet es wohl sonderbar (oder gar pietätlos?), nach dem Tod zu wiederholen, was man davor schon geschrieben hatte. Dabei handelt es sich um einen Gemeinplatz, dass allerlei Nachrufe in deutschen Redaktionsstuben verstauben und nur darauf warten, dass die Bedachten endlich sterben. Bei Schirrmacher, gestorben mit 54 Jahren, war das wohl nicht der Fall. Doch Augstein hatte zufällig die Skizze eines Schirrmacher-Nachrufs vorbereitet: Schließlich war es in seinem Artikel von 2012 um einen Krimi gegangen, in dem das Mordopfer unverkennbar Schirrmacher nachempfunden war.

Indem er damals erläuterte, warum jemand in einem Schlüsselroman von der Ermordung Frank Schirrmachers phantasieren sollte, hatte er die Kernüberlegungen zu seinem aktuellen Stück schon vorliegen:

„Rache. Das ist ein guter Grund für einen Mord. Sehnsucht nach einer unmöglichen Nähe ist ein anderer. Und das ist kein Widerspruch. […] Es gibt kaum einen einflussreicheren Journalisten in Deutschland als Schirrmacher. Und keinen umstritteneren.“ (Freitag)

Diese Ambivalenz findet Augstein heute in der Betrachtung der zahlreichen Schirrmacher-Nachrufe wieder:

„Schirrmacher hatte viele Feinde. […] Jetzt, da er tot ist, überschütten ihn auch jene mit Lob, die ihn zu Lebzeiten hassten.“ (Spiegel)

Im Unterschied zu diesen gruselnden Nachruf-vor-dem-Tod-geschrieben-Pietätssorgen (die ja auch der „Umblätterer“-Titel andeutet) kritisiert der Tweet von Barbara Kaufmann offenbar eine journalistische Arbeitsweise, in der Textbausteine wiederverwendet werden. Angesichts des „Leistungsschutzrechts“ und der Mythisierung eines „Qualitätsjournalismus“ ist das natürlich wohlfeile Kritik, die sich – etwas polemisch – so ausformulieren ließe:

Die „Qualität“ des „Qualitätsjournalismus“ liegt also darin, dass beim „Spiegel“ jemand das falsch geschriebene Wort „Epistomologie“ findet und rausstreicht, während inhaltlich dasselbe nochmal genauso erzählt wird wie zwei Jahre vorher. So kann man natürlich auch das Leistungsschutzrecht für diese Textschnipsel aktualisieren, denn das läuft ja nach einem Jahr ab.[1] Also immer wieder dasselbe veröffentlichen und es als neue „Leistung“ verkaufen – das soll leistungsschutzberechtigter „Qualitätsjournalismus“ zur Rettung der Demokratie sein?

Augstein-Nachruf: Zwei Spiegel-Seiten und die Stellen, die so ähnlich schon zuvor im Freitag standen

Augsteins Schirrmacher-Nachruf im Spiegel, in gelb die Stellen, die der Umblätterer so ähnlich schon im Freitag von 2012 aufspürte

Wenn man aber davon ausgeht, dass Genialität und schöpferische Größe bloß hohle Worte eines vom Untergang bedrohten Bildungsbürgertums sind, das durch seine Diskurshoheit Chimären wie „Qualitätsjournalismus“ und „Leistungsschutzrecht“ etablieren konnte, dann kann man zugestehen: Wenn es der Darstellungsabsicht dient, ist gegen ein Recycling von bereits Geschriebenem nichts einzuwenden. Das Eigenplagiat an sich ist nicht verwerflich. Das gilt im Journalismus (in dem tagtäglich Textschnipsel hin- und hergeschoben werden) wie in der Wissenschaft: Klaus Graf hat das in seinem Text „Wider die Eigen-Plagiate-Hatz“ zum Fall Eumann ausbuchstabiert.

Verwerflich ist allerdings die Verschleierung des Selbstabschreibens. Im Fall Eumann scheiterte die von Schirrmachers FAZ wie von der Dortmunder Hochschulleitung forcierte Doktorentziehung letztlich daran, dass man Eumann keine Täuschung über das Eigenplagiat nachweisen konnte.[2] Der Frankfurter Allgemeinen allerdings durchaus, wie Graf feststellte:

„Ein Vergleich der Arbeiten, die der F.A.S. vorliegen, zeigt: Eumanns Doktorarbeit ist nicht viel mehr als eine – gewissenhaft angefertigte – Neuauflage der Magisterarbeit. An wenigen Stellen hat er neue Archivquellen eingebaut. Auch hat Eumann die seit 1991 erschienene Literatur zum Thema fleißig eingearbeitet.“ (25. Juni 2013)

„Ein Vergleich der beiden Arbeiten, die FAZ.NET vorliegen, zeigt: Eumanns Doktorarbeit ist nicht viel mehr als eine – gewissenhaft angefertigte – Neuauflage der Magisterarbeit. An wenigen Stellen hat er neue Archivquellen eingebaut. Auch hat Eumann die seit 1991 erschienene Literatur zum Thema fleißig eingearbeitet.“ (19. Juli 2013)

Graf dazu:

„Im Qualitäts-Journalismus etwa der FAZ ist das Eigenplagiat unverzichtbar.“[3]

Bei Jakob Augsteins Schirrmacher-Nachruf allerdings lässt sich der unredliche Verschleierungsversuch durchaus feststellen: Der Text im „Freitag“ von 2012 ist rückstandsfrei aus dem Onlineangebot verschwunden, nur über den Google-Cache noch aufrufbar, beim Freitag auch nicht als Anreißer über die Suchfunktion zu finden. Ist das so üblich, dass die Verleger und Chefredakteure beim „Freitag“ ihre eigenen Texte löschen, um sie andernorts neu zu verwursten?

Verwerflich ist auch die aufgesetzte Empörung, mit der selbstplagiierende Praktiken zurückgewiesen werden. Der entscheidende Parallelfall zu Eumann ist der Fall Frank Schirrmacher, den „Der Spiegel“ 1996 beschrieb: Schirrmacher erhielt seinen Doktorgrad an der Gesamthochschule Siegen für eine Arbeit, die auf einem in Heidelberg als Magisterarbeit eingereichten Text basierte, der im Wesentlichen zwischen Magister und Promotion veröffentlicht worden war. Der Spiegel wetterte damals heftig gegen Eigenplagiate. Heute druckt er selbst welche.

Als ob es so schwierig wäre, in einem Nebensatz zu bemerken, dass man sich wie im vorstehenden Absatz auf eigene frühere Texte stützt. Im Internet kann man dazu sogar einen Link setzen. Aber nein, wer vor allem anderen die eigene Originalität und Schöpferkraft feiern will, dem fiele davon ja nicht nur ein Zacken aus der Krone, sondern der ganze hohle Kopf ab.

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30 Antworten zu “Eigenplagiate: Jakob Augstein, Marc Jan Eumann, Frank Schirrmacher

  1. Gut geschrieben! Gefällt mir sehr, was Du u.a. aus meinem kleinen Tweet gemacht bzw. analysiert hast. LG! BK

  2. Eine seltsame Diskussion. Ich halte „Eigenplagiate“ bereits im Bereich der Wissenschaft – in dem Plagiate offenbar aus funktionalen Gründen ein besonderes Problem darstellen – nur unter sehr bestimmten Gesichtspunkten für problematisch (nämlich in der Regel mehr mit Blick auf Ressourcen-Allokation denn auf eigentlich wissenschaftliche Fragen). Im Journalismus, der funktional ganz anders kontextualisiert ist, scheinen sie mir gänzlich harmlos, wenn nicht gar notwendig zu sein.

    Was genau ist also – auch in dieser Analyse – der Vorwurf?

  3. Ich verstehe den Vorwurf so, dass Gedanken, selbst die eigenen, nicht mehr frei sind, es sei denn du sagst dazu: „das habe ich schon mal so gedacht“.

  4. „Wenn es der Darstellungsabsicht dient, ist gegen ein Recycling von bereits Geschriebenem nichts einzuwenden. Das Eigenplagiat an sich ist nicht verwerflich. […] Verwerflich ist allerdings die Verschleierung des Selbstabschreibens. […] Verwerflich ist auch die aufgesetzte Empörung, mit der selbstplagiierende Praktiken zurückgewiesen werden.“

    Die Vorspiegelung von Originalität dient dem Kult um das schöpferische Individuum, den „Urheber“, dessen geistige „Leistung“ niemals genug gewürdigt werden könne. Das gehört zur verlogenen Legitimationsideologie eines Bildungsbürgertums, das vielfach eigentlich als Müllverwertungsarbeiter im „Recycling von bereits Geschriebenem“ tätig ist, sich aber gern für was besseres halten will.

    Das ist kein Vorwurf an Jakob Augstein, Marc Jan Eumann oder Frank Schirrmacher. Die können ja nichts dafür, dass sie zu diesem Bildungsbürgertum gehören und seinen selbstverherrlichenden Denkmustern verfallen sind. Aber natürlich sind auch im Journalismus, in der Dichtkunst usw. die „Eigenplagiate“ vor allem „mit Blick auf Ressourcen-Allokation“ problematisch. Nämlich die Ressourcen-Allokation, wer das Geld verdient und warum.

  5. „Die Vorspiegelung von Originalität dient dem Kult um das schöpferische Individuum, den “Urheber”, dessen geistige “Leistung” niemals genug gewürdigt werden könne.“

    Meinen Sie, Augstein habe den Text nicht selbst geschrieben bzw. keine geistige Leistung erbracht? Wer hat dann den Text geschrieben? Ein Schreibprogramm? Sie? Ich? Bei allem Respekt, aber Sie scheinen mir hier ziemlich viele Verrenkungen zu brauchen, um Ihre Empörung zu rechtfertigen.

    „Nämlich die Ressourcen-Allokation, wer das Geld verdient und warum.“

    Welches Geld? Das der Verlage? Augstein verdient sein Geld, weil er seine Arbeit macht. Wie die meisten Menschen. Seine Arbeit war hier, einen Nachruf zu liefern. Alles weitere dürfte zwischen dem Verlag und ihm vertraglich geregelt sein.

  6. Wessen Empörung?

    Das mit der geistigen Arbeit, die Augstein mache, scheint doch etwas diffiziler zu sein, als Sie es darstellen. Die Lieferung eines Textes zum geforderten Thema hat nämlich auch Guttenberg ge“leistet“ und daran viele Stunden ge“arbeitet“. Nur nicht so wie vorgesehen. Deshalb hielt man seinen Dr. landläufig für unverdient. Und wenn Augstein den Nachruf geliefert hat wie vorgesehen, warum wurde dann zeitgleich die Vorlage gelöscht?

    Was ist geistige Arbeit? Und wie misst man sie? In Zeit? In Zeichenzahl? Gemäß wissenschaftlicher und journalistischer Ideologie misst man sie in Originalität, Neuigkeit, Kreativität. Aber wie berechtigt ist das angesichts der Praxis?

  7. „Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken, / Das nicht die Vorwelt schon gedacht! -„, resümiert unser aller Meph im Faust II, nachdem der forsche Baccalaureus, das junge Originalgenie, die Szene verlassen hat und gemeint hatte: „Hat einer dreißig Jahr vorüber, / So ist er schon so gut wie tot. / Am besten wär’s euch zeitig totzuschlagen.“ Dann wär‘ man die Last der Originalität, Neuigkeit, Kreativität zumindest los. (Ich weiß, ist nicht ganz zum Thema…)

  8. „Die Lieferung eines Textes zum geforderten Thema hat nämlich auch Guttenberg ge”leistet” und daran viele Stunden ge”arbeitet”.“

    Ich schrieb ja schon, dass ich die Analogisierung von Wissenschaft und Journalismus im Kontext von „Plagiaten“ und „Eigenplagiaten“ für eher unsinnig halte. Daher erst einmal kein Kommentar dazu.

    „Und wenn Augstein den Nachruf geliefert hat wie vorgesehen, warum wurde dann zeitgleich die Vorlage gelöscht?“

    Das können wohl nur die Beteiligten erklären.

    „Gemäß wissenschaftlicher und journalistischer Ideologie misst man sie in Originalität, Neuigkeit, Kreativität. Aber wie berechtigt ist das angesichts der Praxis?“

    Nun, die Medien, um die es hier geht, existieren noch. Daraus kann man vielleicht vorsichtig schließen, dass zumindest der Durchschnittskonsument dieser Medien den Eindruck hat, genügend Originalität, Neuigkeit und Kreativität zu erhalten – für sein Geld, für seine Zeit. Dass Sie diesen Eindruck womöglich nicht haben, weil Sie zufälligerweise durch jemanden darauf aufmerksam gemacht wurden, dass ein Teil (!) eines Textes schon einmal an anderer Stelle erschienen ist, spricht für Ihre kritische Einstellung. Es dürfte aber für den Normalbetrieb der Medien eher irrelevant sein.

    Sie können natürlich annehmen, dass der Durchschnittskonsument sich täuscht und nur als originell und kreativ erlebt, was nicht originell und kreativ ist. Dann wäre allerdings die Frage nach dem Maßstab für Originalität und Kreativität zu stellen. Sie versuchen diese Frage mit dem Verweis auf das (teilweise) Eigenplagiat objektiv zu beantworten, aber das ist ein eher philologischer Hinweis, der wohl jenseits der Erfahrung der normalen Leser liegt. Das wiederum dürfte daran liegen, dass Eigenplagiate im Journalismus für das gewöhnliche Publikum unterhalb einer kritischen Wahrnehmungsschwelle bleiben.

    Um dem Kampf gegen das (Eigen-)Plagiat echten Wert zu geben, müssten Sie letztlich doch konkret sichtbar machen, weshalb Eigenplagiate schädlich sind. Dazu bräuchten Sie vermutlich einen Raum, in dem der Gedanke des Fortschritts und der permanenten Weiterentwicklung prominent gesetzt wird. Einen solchen Raum gibt es in der Wissenschaft. Im Journalismus gibt es ihn (wage ich zu behaupten) eher nicht.

  9. Schirrmacher promovierte zu früh, um noch von dem Institut des Doktor auf Probe zu profitieren und er starb zu früh, als dass er Anspruch arauf erheben könnte, den Methusalem-Komplott verwirklicht zu sehen.

  10. Pingback: Umleitung: von Traumfrauen und Eigenplagiaten, außerdem Pommes in Oberhausen, Antisemitismus, Muslime in die Politik und noch viel mehr. | zoom

  11. @sepp: Echt, der einzige Maßstab für die Rechtfertigung von Praktiken ist die ökonomische Existenz? Das ist für das Pressewesen, das wohlgemerkt *noch* existiert, natürlich eine schlimme Sache. Darüber hinaus empfehle ich, den Beitrag oder die zitierten Ausschnitte im obigen Kommentar nochmal sorgfältig zu lesen. Da steht nämlich drin, was ich von Eigenplagiaten halte. (Tipp: Nicht, was Sie denken.)

    @FeliNo: Also mein Mephisto ist von Klaus Mann, und es ist keineswegs meine These, dass Originalität, Neuigkeit und Kreativität die geistige Arbeit ausmachen. Ich stelle diese Behauptung in Frage.

  12. „Echt, der einzige Maßstab für die Rechtfertigung von Praktiken ist die ökonomische Existenz?“

    Die ökonomische Existenz (was immer das sein mag) ist kein Maßstab der Rechtfertigung, sondern ein Indikator für Realitäten.

    Ansonsten ist es ein amüsanter hermeneutischer Schachzug, einfach dazu aufzufordern, der je andere möge doch genau (!) lesen, was man geschrieben hat. Ich gebe die Aufforderung gerne zurück und denke, damit sind wir genug in eine wechselseitige Exegese verstrickt, um die Diskussion vorerst zu beenden.

  13. Erbloggtes führt hier einen merkwürdigen Zweifrontenkrieg. Einerseits erhebt er die Originalität zum vermeinlichen Fetisch eines vom „Untergang bedrohten Bildungsbürgertums“, übt also beißende Kritik an einer angeblich „verlogenen Legitimationsideologie“. Andererseits macht er sich exakt diese Ideologie zu eigen, indem er das sog. Selbstplagiat zum Gegenstand eines Skandals macht.
    Was nun, lieber Autor? Entweder Sie akzeptieren die Ideologie oder Sie akzeptieren Augsteins Praxis. Nur mit dem moralischen Zeigefinger auf die Kluft hinzuweisen ist schlichtweg Bigotterie. Aber beim Lesen des Blogs entsteht der Eindruck, als sei „Originalität“ auch für Erbloggtes die heiligste Kuh von allen.

  14. Muss ich simpler schreiben, weniger originell, mit mehr und klarerem Skandal und weniger Dialektik? Oder mit Lesehilfen wie tl;dr? Es nützt ja nichts, von BloggerInnen verstanden zu werden, wenn BlogkommentatorInnen was ganz anderes lesen wollen.

  15. Nimmer an den Leser denken oder: Wers nicht versteht ist selber blöd?
    So einfach ist es nicht. Denn Sie machen sich den Begriff des Selbstplagiats nicht nur zu eigen, sondern stellen auch Regeln auf, die über Legitimität und Illegitimität entscheiden. Die Dailektik liegt im Unterschied zwischen gutem und schlechtem Eigenplagiat: „Als ob es so schwierig wäre, in einem Nebensatz zu bemerken, dass man sich wie im vorstehenden Absatz auf eigene frühere Texte stützt.“

    Den Presseartikel will ich sehen, der das jemals getan hätte! Warum genügt es nicht, wenn der Name des Autors am Text angegeben wird? Ist damit Urheber und Quelle der Sätze nicht ausreichend benannt? Die These „Verwerflich ist allerdings die Verschleierung des Selbstabschreibens“ ist vor diesem Hintergrund durchaus kritikwürdig, weil sie das Prinzip der Originalität mit Zähnen und Klauen verteidigt. Oder habe ich das nun erneut falsch verstanden?!?

  16. @Redleff: Leider ja. Ich möchte nicht als Schulmeister jede einzelne Ihrer Aussagen zensieren. Daher nur wenige kurze Ausschnitte:

    „Nur mit dem moralischen Zeigefinger auf die Kluft hinzuweisen ist schlichtweg Bigotterie.“

    Bigotterie nennt man landläufig einen Widerspruch („Kluft“) zwischen den gepredigten Normen und den beim eigenen Handeln befolgten Normen. Auf so einen Widerspruch hinzuweisen, wie ich es an den Beispielen Schirrmacher, FAZ, Augstein, Spiegel tue, ist keine Bigotterie. Die Dialektik liegt auch nicht „im Unterschied zwischen gutem und schlechtem Eigenplagiat“, denn das würde man üblicherweise Unterscheidung oder Analytik nennen. Die Dialektik liegt in der Auflösung des Widerspruchs zwischen Originalitätsnorm und Eigenplagiatspraxis. Wie ist diese dialektische Auflösung möglich? Meiner Ansicht nach ist es dafür erforderlich, den Widerspruch auf seine ökonomischen Grundlagen zurückzuführen. Diese ökonomischen Grundlagen sind in der Konkurrenz um die Erträge geistiger Arbeit zu suchen.
    Augstein und Schirrmacher befinden sich da in einer ambivalenten Position: Verleger und Herausgeber haben das Hauptinteresse, dass sich das Produkt gut verkauft – dazu dient der Unique Selling Point der Originalität. Schreiberlinge haben das Interesse, mit einem guten Stundenlohn für ihren Lebensunterhalt zu sorgen – dazu dient das Eigenplagiat. (Auch das Plagiat kann dazu dienen, ist aber als Diebstahl „geistigen Eigentums“ [der Ergebnisse der Arbeit zum Lebensunterhalt von Dritten] weit stärker verpönt.) Augstein und Schirrmacher sind oder waren also gewissermaßen Unternehmer und Arbeiter zugleich. Damit sind wir beim kapitalistischen Grundwiderspruch angelangt. Der Interessenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit nimmt heute angesichts der gesellschaftlichen Relevanz geistiger Arbeit neue Formen an.

    „Den Presseartikel will ich sehen, der das jemals getan hätte!“

    Suchen hilft. Beispielsweise nach der Formel „Bildblog berichtete“, oder allgemeiner „(wir berichteten)“.

    „Warum genügt es nicht, wenn der Name des Autors am Text angegeben wird? Ist damit Urheber und Quelle der Sätze nicht ausreichend benannt?“

    Sie tun ja so, als ob Zeitungen prinzipiell keine Quellenangaben machen würden. Da empfehle ich die Suche in Google News nach der Formel „nach Berichten der“. Wenn wir uns da einig sind, können wir vielleicht nochmal darüber reden, warum höchstens in Ausnahmefällen im „Spiegel“ etwas steht wie z.B. „Wie ich bereits vor einiger Zeit im ‚Freitag‘ anmerkte“. Das könnte daran liegen, dass manche Leute den „Spiegel“ als „Top-Qualitätsmedium“[1] ansehen und er sich auch selbst so darstellen möchte (Originalitätsideologie, s.o.). Dass man nochmal dasselbe schreibt, was schon in einem Sub-Prestigemedium stand, das gibt man so ungern zu, um seinen Unique Selling Point zu schützen. Stattdessen kann man sich auch mit einem verschleierten Quellenhinweis aus der Affäre ziehen, etwa so: „Interessante Gedanken zum Thema finden sich auch hier.“[1]

  17. Ich scheine einen wunden Punkt getroffen haben, wenn der werte Blogger sich nurmehr auf Begriffsebene zu wehren weiß. Dann eben doch die gegenseitige Exegese, auf die sepp aus gutem Grund keine Lust hatte.

    „Bigott“ definiert mein kleiner Fremdwörterduden als „a) übertrieben glaubenseifrig; b) scheinheilig“. Beides trifft zu: Sie definieren selbstherrlich Normen und zwar, indem Sie sich kritisierte Positionen zu eigen machen. FeliNo versteht Sie schon richtig: Dass „Gedanken, selbst die eigenen, nicht mehr frei sind“, das ist Ihre Annahme. Denn sonst müsste man doch nicht darauf hinweisen, was man wo schon einmal gesagt hat. Übrigens: Ihre Formulierung „Wie ich bereits…“ findet sich bei google news nur in Interviews, nicht in journalistischen Artikeln. Sie stellen hier ganz offenbar eine höhere Norm jenseits der existenten Praxis auf (siehe: übertrieben glaubenseifrig). Bekennen Sie sich doch wenigstens dazu (sonst: scheinheilig)!

    Zur Definition von „Dialektik“ bediene ich mich der wikipedia, wenn ich zunächst sie als „Lehre von den Gegensätzen in den Dingen bzw. den Begriffen“ bezeichne. Sie markieren die Differenz zwischen (verwerflichem) Originalitätsdenken und verwerflich verschleiertem Selbstplagiat. Die Synthese besteht in der Forderung, künftig einfach einen Herkunftsnachweis anzubringen. Stringent wäre es hingegen, geistiges Eigentum vorbehaltlos als solches anzuerkennen und es als letztlich unveräußerlich zu bestimmen. Dann müsste sich auch niemand mehr über die genannten Praktiken aufregen.
    Mit dem Verweis auf den „kapitalistischen Grundwiderspruch“ kommen Sie nicht weiter – er ist innerhalb des Systems per definitionem nicht auflösbar. Die zweite Differenzierungsleistung zwischen „gutem“ und „verwerflichem“ Selbstplagiat vermögen Sie ebenfalls nicht zu synthetisieren, weil Sie sie selbst in die Welt gesetzt haben.

    Ich wünsche weiterhin viel Vergnügen beim Zwei-Fronten-Krieg. Das schöne am Plagiatsbegriff ist ja, dass seine Grenzsäume nicht genau bestimmt sind. So wird derjenige, der eifrig Plagiat schreit, immer ein paar Follower finden, die sich erst recht keine ernsthaften Gedanken machen – danke für den entsprechenden link.

  18. Nehmen wir es doch einmal ökologisch und vermeiden für einen kurzen Moment das pöhse (Eigen-) P-Wort. Augstein betreibt demnach grünen Qualitätsjournalismus: er recycled, wo er nur kann. Vielleicht setzt er stattdessen eine (sehr) subtile Note, indem er für den Qualitätsherausgeber und -journalisten Schirrmacher nurmehr Recyclat übrig hat. Was für ein Nachruf! Ist das nicht schon Kunst?!

  19. Das pöhse Wort ist wahrscheinlich das Problem mancher Leute, die argumentativ vom Schlieffenplan ausgehen und nirgendwoanders hin wollen.

  20. Warum bleiben Genies nur immer wieder unverstanden? Ist es die Originalität? Oder der Ausdruck?

  21. eichenbach

    Die Meinungen sind ausgetauscht. Noch eine letzte Runde, meine sehr geehrten Damen und Herren, dann wird hier dichtgemacht.

  22. Da ich mich mehrfach wiederholen musste, kann’s an der Originalität ja am Ende nicht mehr gelegen haben. Am Ausdruck vielleicht. Auf Wiedersehen auf heftig.co, wenn es dort heißt: 10 rührende Gründe, warum Genies immer unverstanden bleiben. Voll originell.

  23. Dürrenmatt meinte mal (sinngemäß, ich die Quelle nächtens nicht ad hoc zur Hand), dass die Gegenwart beschwerende Themen nur als Komödie behandelbar seien. (Darf eigentlich noch gelacht werden angesichts per se unauflösbarer Dialektik?)

  24. Marx meinte einmal, dass Hegel irgendwo bemerkt habe, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereigneten. Er hat vergessen hinzuzufügen: dass er sich das bloß ausgedacht hat. Die Farce daran ist, dass Marx sich als Farce zur Tragödie des Originalgenies Hegel stilisiert, ohne es zu sein.

    Das Dumme ist: Die Dialektik wird auch durch die Farce nicht aufgelöst. Man darf lachen, aber es hilft nicht.

  25. Moritz Pfeil

    Die Meinungen sind wahrlich ausgetauscht, als Journalist möchte ich allerdings noch folgende Anmerkung geben: Dass die Neujahrsansprache zum Jahr 1987 praktisch die gleiche war wie jene zum Jahr 1986 zeigt letztlich nur, dass die vorhergehende schon nahezu perfekt war. Zumal die Fernsehzuschauer mit beiden sehr zufrieden waren. Je länger eine geistig-moralische Wende also andauert, desto ähnlicher werden sich die Ansprachen bis sie irgendwann gleich sind, weil nichts mehr zu verbessern ist.
    Das Eigenplagiat bestätigt somit nur die Reife des frühen Werkes. Ob es zwinged ist, bei einer Neujahrsansprache darauf hinzuweisen ist, dass es sich auch um die Ansprache des letzten Jahres handelt, möchte ich bewußt offen lassen. Entscheidend ist zu wissen, dass der Nachruf als notwendigerweise später Text nichts essentiell Neues bringen kann, es sei denn die betreffende Persönlichkeit wäre vorher vollkommen verkannt worden, oder der Nachrufende verfügte weder über ein eigenes Oeuvre, noch über die Fähigkeit zur Recherche.

    Insofern erwarte ich von einem Nachruf auf eine Person der Zeitgeschichte keinen genuin neuen Text, sondern typischerweise die gekonnte Variation eines früheren Werkes, sei es nun eigener oder auch fremder Genese, natürlich unter Einbeziehung der aktuellen Randbedingungen, zum Beispiel des tatsächlichen Todestages oder der jeweiligen Jahreszahl des betreffenden Neujahrs.
    Ich sage bewußt, die gekonnte Variation, denn nicht ohne Grund weist Milan Kundera in „Die Kunst des Romans“ darauf hin, dass gerade die Variation das Schwierigste sei.
    Beethoven soll zum Beispiel seine Eroica-Variationen dem Verlag Breitkopf & Härtel mit den Worten, sie seien „auf eine wircklich ganz neue Manier bearbeitet“, zum Druck angeboten haben. Eine Aussage, die gewiss jeder, der sich das zugrundeliegende Thema und die Variationen anhört, bestätigen möchte.

    Zur Bewertung von Jakob Augsteins Nachruf stellt sich mir also primär die Frage, hat er seinen Vorruf gekonnt variiert, gar den Vorruf auf eine wirklich ganz neue Manier bearbeitet? Interessant wäre eine aufrichtige Selbsteinschätzung.

  26. alleszuspaet

    Zitat Erbloggtes:
    „Neuerdings reden Katholiken gern über die Armen. Ich frage mich dann
    immer, ob sie nicht ein e vergessen haben.“
    Das ist sicher kein Plagiat, aber ein Beispiel dafür, warum Genies immer unverstanden bleiben. (Das war jetzt von mir nicht originell.)

  27. eichenbach

    „Ein Freund bestärkt mich in der Überzeugung, dass man beim besten Willen nichts Neues schreiben kann. Er anerkennt meinen Fleiß. Fachlich könne er wenig Qualifiziertes beisteuern; jedenfalls würde ein Buch, so gut oder schlecht wie jedes andere, dabei herauskommen.“ (Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach: „Aufzeichnungen zu seiner Dissertation“, Schloss Eichenbach 2014, S. 4).

    Man muss eben mit seiner geistigen Spreu zufrieden sein. Das könnte ein gutes Schlusswort zu dieser leidigen Diskussion sein.

    von Eichenbach

  28. Ein Genie ist von uns gegangen – und Sie wollen ein Schlusswort !

  29. Das Schlusswort gebührt natürlich Leuten irgendwo anders im Netz, so weit distanziert vom Lesen, dass allein der Print-„Spiegel“ und niemand anderes entscheiden muss, ob er so was haben will, aber keinesfalls irgendein Leser, weshalb man aber trotzdem eine Artikelserie draus macht. Denn das ist ja eigentlich vollkommen uninteressant, so uninteressant, dass es eigentlich schon wieder interessant und dann wieder uninteressant ist. Halbwelt des Feuilletons. Schirrmacher hätte seine Freude dran.

  30. eichenbach

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es noch weitere Wortmeldungen? Oder können wir endlich Feierabend machen? Zur Überbrückung der Bedenkzeit biete ich eine Trauerrede, die an anderer Stelle u.d.T. „Entwurf zur Trauerrede anlässlich des dereinstigen Todes von Hans Alois Seemüller“ publiziert worden ist. Ich weise das Ganze ausdrücklich als sog. Eigenplagiat aus:

    „Liebe Merna, liebe Trauergäste,

    jemand sagte mir einmal: ‚Irgendwann stirbt jeder.‘ Diese Binsenwahrheit wird uns heute, in dieser Stunde, mehr oder weniger unangenehm bewusst. Als Merna mich fragte, ob ich die Trauerrede halten würde, zögerte ich zunächst, denn ich hatte die Sorge, aufgrund meiner Freundschaft mit meinem Lehrer Hans Seemüller zu dessen Verherrlichung zu neigen. Sicher, durch eine Apotheose würde ich den anerkannten Regeln der Trauerredekunst nachkommen, doch was würdest Du, teurer Hans, dazu meinen, wenn ich Deiner in letztlich nichtssagender Weise gedächte, als hättest Du in der Art eines überflüssigen Beamten auf irgendeiner Behörde herumgesessen und Deine Lebenszeit verdöst?

    Wie verlief nun das Leben von Hans? Geboren als Sohn eines Bergarbeiters und einer Näherin, wuchs Hans Alois Seemüller in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Hinterhauswohnung auf. Nach dem Besuch der Knabenschule schlug er die Beamtenlaufbahn ein. Um das Jahr meiner Geburt trat er dem Verein für christliche Geschäftsprinzipien bei, in welchem er schnell Karriere machte. Von den Auszeichnungen, mit denen er überhäuft wurde, möchte ich nur die Ehrennadel des Rassegeflügelzuchtverbandes und die Ehrenprofessuren nennen. Das Schicksal entschied, dass Hans kein zweiter Methusalem werden sollte. Sein vorzeitiges Hinscheiden zwingt uns innezuhalten, es gibt uns zu denken, dass die Zeit für die Freude an Auszeichnungen, für irdische Freuden überhaupt, zuweilen und aus ganz verschiedenen Gründen recht kurz, erschreckend kurz bemessen sein kann. Hans hatte eine dumpfe Ahnung davon und genoss daher sein Leben so gut es ging. Nicht jedermanns Sache war es zu erleben, wie Hans, der Merna ewige Treue geschworen hatte, bei einer Tagung das Podium betrat und, vermutlich angeregt durch seine Aufenthalte in Sex-Kinos und die Bibelworte von der Mehrung der Menschen, lautstark damit prahlte, endlich auch außerehelich Vater zu werden. Doch wer will hier richten, wer den Stab brechen über einen Menschen? Ja, auch Hans war ein Mensch von Fleisch und Blut und vertat sich mehr als ein Mal. Wer erinnert sich bei diesen Worten nicht an Hans, der volltrunken in einer Schneewehe schlief und den ich in eine Schubkarre lud, um ihn nach Hause zu fahren? Einige von Ihnen, liebe Trauergäste, müssen jetzt schmunzeln; Sie waren damals dabei, als Hans den Stammtisch verließ und lallte, er schaffe es allein zurück.

    Dein vertrautes Lächeln, liebe Merna, erleichtert mir den Schluss meiner Rede ungemein. Außerdem rennt die Zeit, und die Sargträger scheinen heute ganz besonders ungeduldig zu sein. Nur noch eins: Wenn wir nachher, lieber Hans, beim Leichenschmaus von Herzen lachen, werden wir sicher sein, dass Du Dir genau das gewünscht hättest.

    Theo-Ullrich Ludwig von Eichenbach“

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