Politiker-Plagiate: Wasserstand Anfang Oktober 2013

Erwartete Sachlagenverschiebungen in Plagiatsdingen sind in den vergangenen Tagen bei fünf prominenten Fällen eingetreten: Schavan, Steinmeier, Friedman/Grün, Guttenberg und Lammert. Vielleicht geht das sogar Schlag auf Schlag so weiter:

Was gibt es Neues?

Causa Schavan hat ein Gratulationsbüchlein für die neue Hochschulrätin der LMU München eingerichtet und sammelt darin zumeist kopfschüttelnde oder schamesrote Kommentare, nachdem ein Bericht der Süddeutschen diese, ähm, fragwürdige Personalentscheidung einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht hatte. Bis dahin war die Strategie der LMU weitgehend aufgegangen, Schavan am Montag nach der Bundestagswahl, als alle noch mit anderen Dingen beschäftigt waren, in aller Stille die Aufsicht über die wissenschaftliche Exzellenz der größten deutschen Präsenzuniversität zu übertragen. Weiterhin mit Spannung erwartet wird der Prozess.

Im Fall Steinmeier sind sich alle einig, dass Uwe Kamenz‘ „Prüfbericht“ Mist ist,[1][2][3][4] aber nicht, wie darüber hinaus eigentlich die richtige Frage lautet. Hat Steinmeier plagiiert? Besteht ein hinreichender Anfangsverdacht? Sollte die Universität Gießen nun die Prüfung aufnehmen? Wem nutzt die Affäre eigentlich? Und welche Auswirkungen wird sie auf den Plagiatsdiskurs insgesamt haben?

Die Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) teilt derweil mit:

„Die JLU hat am Montag, den 30. September 2013, beschlossen, im Rahmen ihrer bewährten standardisierten Verfahren zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis den in der Computeranalyse enthaltenen Daten und Werten nachzugehen. Das Verfahren zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis besteht darin, dass die Ombudsperson der JLU eine Vorprüfung vornimmt. Zudem wird im Anschluss die Kommission zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis mit dem Abschluss des Verfahrens betraut. Für den Fall, dass ein Promotionsverfahren betroffen ist, wird der jeweilige Promotionsausschuss einbezogen.
Dr. Frank-Walter Steinmeier ist ein verdienter und hochangesehener Alumnus der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er hat daher in besonderer Weise Anspruch darauf, dass die vorliegenden Vorwürfe vollständig und zweifelsfrei nach wissenschaftlichen Kriterien einer Klärung zugeführt werden.“

Das könnte man in mehrerlei Hinsicht bissig kommentieren.

Der Fall Friedman/Grün schmort unbeachtet von den Massenmedien seit dem 4. September[5] vor sich hin. Doktorvater Klaus-Jürgen Grün sagt, er habe von seinem Doktoranden Michel Friedman plagiiert.[6] Das Gegenteil ist kaum zu beweisen. Deshalb kommt der Suche nach externen Quellen in diesem Fall besondere Bedeutung zu. Ein ehemaliger VroniPlag-Mitarbeiter hat nun die Abhängigkeit eines zentralen Argumentationsschritts (zur rechtsphilosophischen Kritik an Kants Theorie der Willensfreiheit) sowie des gesamtem Fazits aus Friedmans Dissertation von einer Schrift des Rechtsphilosophen Reinhard Merkel (der sich parallel zu Grün in Frankfurt habilitierte) in einer Synopse (Download) nachgewiesen. Friedmans Dissertation endet beispielsweise mit den Worten:

„Wir schließen uns dem Fazit Merkels an, der zur Bescheidenheit rät und daran erinnert, dass wir nicht im luftleeren Raum ‚reiner Gerechtigkeit‘ Strafe verhängen, ’sondern allenfalls in jener unreinen Welt, in der sie zu wirken hat‘. Legitimation von Strafe habe sich daher auf diese empirische Welt zu beziehen.“ (Zitate im Zitat aus Merkels Fazit)

Man mag es als billigen Ertrag einer Dissertation ansehen, sich einer vorhandenen Position anzuschließen und sie dazu ausgiebig zu reproduzieren. Allerdings zeigt die Synopse zwischen Friedman 2010 und Merkel 2008 sehr deutlich, dass Friedman exzessiv zitiert (hellgrüne Markierungen) und auch außerhalb von ausgewiesenen Zitaten stets deutlich macht, dass er gerade Merkels Position referiert (grünbraune Markierungen). Eine Täuschung über die Urheberschaft muss man daher verneinen, und schlussfolgern, dass Friedman die Erfordernisse und Techniken plagiatsfreien wissenschaftlichen Schreibens gut kannte. Auf dieser Grundlage wird es wohl keinen Doktorentzug geben.

Karl-Theodor zu Guttenberg wurde umgekehrt plagiiert und verklagt nun den Lit-Verlag in Münster. Guttenbergs Name steht nämlich in dem Werk „Von der hohen Kunst, ein Plagiat zu fertigen“, und zwar unter einem Vorwort, das der Baron nicht selbst geschrieben hat. Das satirische Buch möchte Guttenberg nicht mit seinem guten Namen adeln, daher sieht sein Anwalt Persönlichkeitsrechte beschädigt und verlangt, das Buch aus dem Verkehr zu ziehen. Der Verlag weigert sich: „Wir sind der Meinung, dass das Vorwort eindeutig als Satire zu erkennen ist“. Der Fall geht wohl vor Gericht.[7]

Bei Norbert Lammert deutet sich an, dass er sich bei Zusammentritt des neuen Bundestags womöglich aus der Schusslinie des zweithöchsten Staatsamtes zurückziehen könnte. Die Berliner Zeitung schreibt, „der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert“ habe den 22. Oktober als spätestmöglichen Termin für den ersten Sitzungstag vorgeschlagen, und fährt fort: „Dann müssen auch der neue Bundestagspräsident und sein Stellvertreter gewählt sein.“[8] Eine ausdrückliche Erklärung, dass Lammert am 22. Oktober nicht mehr für eine Wahl zum Bundestagspräsidenten zur Verfügung stehen wird, ist allerdings bisher nicht bekannt.

Kreative neue Formen von Wissenschaftsbetrug stellt derweil Michael Schmalenstroer vor: Neues aus der Welt des wissenschaftlichen Fehlverhaltens.

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4 Antworten zu “Politiker-Plagiate: Wasserstand Anfang Oktober 2013

  1. Danke für die Updates. Es ist nicht einfach, den Überblick zu behalten…

  2. Danke für den Hinweis auf die Neuveröffentlichung aus dem LIT-Verlag. Da lohnt es sich, gleich zuzugreifen … frage mich aber, wie der Anwalt des KT den Geist wieder in seine Flasche befördern will. Vielleicht möchte er ja öffentlichkeitswirksam alle ebooks dieses interessanten Werks vor dem Ansitz derer von und zu Guttenplags verbrennen lassen?

  3. Pingback: Blog-Tipps: Parteien, Kanzlerwahl, Plagiate, | Post von Horn

  4. Die Transkriptionsleistung von Herrn Friedman ist beträchtlich. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und Doktorvater Grün lässt sich, so mein Eindruck, ohne Schwierigkeiten einem Syndrom zuordnen, das einer wissenschaftlichen Aufarbeitung harrt. Ich habe es mal (wegen des Prototyp-Charakters) das Rüttimann-Mörgeli-Syndrom genannt. Näheres dazu unter http://youtu.be/FL74pZmYNCk. Natürlich liefert die nachträgliche Aufdeckung einer Schlechtleistung juristisch keinen Grund für eine Aberkennung des Doktorgrades.
    Im Übrigen stellt der Textvergleich Friedmann – Merkel nur einen Ausschnitt der bisherigen und der Gesamtanalyse dar. Der „Wasserstand“ könnte insofern noch eine bedrohlichere Höhe erreichen.

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