Bonner Winkelzüge: Erträge der Plagiatsrelativierung

Erinnerte sich noch jemand an den Plagiatsfall Martin Winkels, der zur Frühgeschichte von VroniPlag gehört? „Wann die ersten Indizien für jenen Fall der Uni Bonn auftauchten, lässt sich glücklicherweise hier ganz gut nachvollziehen: Am 24. Juni 2011 um 09:09 Uhr. Erbloggtes berichtete damals.“ So hieß es hier vor fast einem halben Jahr, als der Fall sich zum Paradebeispiel für lange unabgeschlossen gebliebene Plagiatsverfahren stilisieren ließ.

Inzwischen sind es ja über drei Jahre, aber inzwischen ist der Fall auch heimlich, still und leise von der Uni Bonn ad acta gelegt worden, wie nun Hermann Horstkotte im Bonner General-Anzeiger berichtet.[1] Die Verfahrensverwerfungen, die für diese lange Verfahrensdauer verantwortlich zu sein scheinen, sind im erwähnten Erbloggtes-Artikel skizziert. Die dortige Prognose, es laufe auf einen Doktorentzug hinaus, hat sich allerdings nicht bestätigt:

„Jetzt hat die Philosophische Fakultät der Hochschule beschlossen, ‚den Doktortitel nicht abzuerkennen‘. Allerdings werde das Prädikat ‚auf den niedrigsten Grad, der vergeben werden kann, herabgesetzt‘, sagt Dekan Professor Paul Geyer. Auf GA-Nachfrage erklärt Dr. W., den Uni-Beschluss ‚zur Kenntnis genommen‘ zu haben. Die Sache ist für ihn damit erledigt.“[1]

Nicht nur Kommentatorin Yolanda wundert sich:

„In Bonn steht in § 20 Abs. 2 der Promotionsordnung von 2010, dass auch das Vorliegen einer Täuschung lediglich eine Änderung der Bewertung der entsprechenden Promotionsleistungen zur Folge haben kann. Anders ausgedrückt: Betrügen darf man dort ohne ernsthafte Konsequenzen, wenn man es nur nicht allzusehr übertreibt.“[2]

Entsprechend können sich auch alle Plagiatsexperten nur die Augen reiben. Wolfgang Löwer, Volker Rieble und Hermann Horstkotte drücken im Generalanzeiger ja bereits ihre Skepsis über die Rechtfertigbarkeit dieser Entscheidung aus. Besonders die Aussage des Dekans Paul Geyer, dass die „Stärken der Dissertation durch die nachgewiesenen Plagiatsstellen nicht entscheidend gemindert“ würden, klingt einerseits wie Realsatire, bedient aber andererseits sehr schön einen Diskurs, der sich unter hochwichtigen Leuten seit der Schavan-Affäre größter Beliebtheit erfreut. Simone G. hat ihn jüngst als „Legende vom wissenschaftlichen Restwert“ bezeichnet und beschrieben.

Dabei ist auch wieder an zwei inzwischen mehr oder weniger historische Fälle der Uni Bonn zu erinnern:

„Vor 2011 war die Universität Bonn eher für eine Abbügelung prominenter Plagiatsfälle bekannt, die Hermann Horstkotte ‚Bonner Nachsicht bei Plagiaten‘ nannte: 1991 sprachen Kommissionen der Uni Bonn fast zeitgleich Margarita Mathiopoulos und Elisabeth Ströker von einer Täuschungsabsicht frei und sahen – trotz offensichtlich sich durchziehender Mängel – von einer Doktorentziehung ab. Strökers Dissertation provozierte damals einen Dauerkonflikt mit der Nachbaruniversität in Köln, die darauf bestand, dass ein solches Machwerk in Köln weder zum Entstehungszeitpunkt 1955 noch bei der Überprüfung 1991 als Dissertation gelten dürfte.“[3]

Die Bonner Nachsicht bei Plagiaten ist also wieder da, nachdem die Uni Bonn zwischenzeitlich bei den in der VroniPlag-Ära öffentlichkeitswirksamen Fällen Georgios Chatzimarkakis und Margarita Mathiopoulos (Wiederaufnahme) hart geblieben war und die plagiierten Dissertationen kassiert hatte. Pech für Chatzimarkakis, dessen Doktorentzug rechtskräftig ist. Mathiopoulos hingegen könnte nun vor dem Oberverwaltungsgericht Münster, wo ihre Klage gegen die Doktorentziehung inzwischen anhängig ist, Gleichbehandlung mit Martin Winkels verlangen – und damit durchkommen!? Eher nicht, wenn man die bisherige Spruchpraxis der Gerichte betrachtet.

Dennoch stellen solche „Lösungen“ wie im Fall Winkels natürlich ein politisches Problem dar. Doktor und Wissenschaft ganz wegzurationalisieren, dazu wollte sich die Politik noch nicht durchringen. Alternativ zur Streichung des Doktorgrades aus Ausweispapieren und der Alltagskultur käme es auch in Frage, zur ständigen Angabe des Herkunftsorts eines Doktors zu verpflichten. Beim Dr. med. (Münster), Dr. phil. (München) oder Dr. phil. (Bonn) müssten dann jedenfalls die akademischen Warnleuchten zu blinken beginnen.

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9 Antworten zu “Bonner Winkelzüge: Erträge der Plagiatsrelativierung

  1. Die Bonner Promotionsordnung ist reformbedürftig. In § 20 Absatz 6 heißt es da:

    „Der Doktorgrad kann von der Fakultät entzogen werden, wenn der Doktorand wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist oder wenn er wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig verurteilt worden ist, bei deren Vorbereitung oder Begehung der Doktorgrad eingesetzt worden ist.“

    Das geht so nicht. Hier sollte z.B..der Sonderfall der Begehung oder Vorbereitung einer Straftat während des Urlaubs in Österreich berücksichtigt werden, wo man z.B. beim Banküberfall unweigerlich als „Herr Doktor“ tituliert werden wird, wegen der hierbei allerdings unverzichtbaren dunklen Brille. Auch in solchem Fall dürfte höchstens die Note herabgesetzt werden.

  2. War mit einer solchen (irgendwie auch etwas rheinisch-katholisch anmutenden) Entscheidung nicht auch zu rechnen?

    Interessant übrigens, dass und wie sich der einstige Winkels-Gutachter vor einigen Monaten in anderer Sache äußerte:

    http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_66360734/frank-walter-steinmeier-entscheidung-setzt-den-plagiatsjaegern-grenzen.html

    „Politologe Tilman Mayer von der Uni Bonn sieht in der Entlastung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier ein wichtiges Signal: „Für die ganze Plagiatsjägerei dürfte damit eine Grenze erreicht sein“, sagte er im Gespräch mit t-online.de. […] Eventuellen Schnellschüssen der Plattform „VroniPlag“ sei allgemein mit äußerster Vorsicht zu begegnen. Mayer rechnet nun mit gebremstem Jagdfieber.“

    Aha, „allgemein mit äußerster Vorsicht zu begegnen“ – also auch beim Fall Winkels? Klingt irgendwie, als sei hier einer ziemlich angefressen. Die Gespräche hinter den Bonner Kulissen beim Umgang mit dem Fall Winkels und der Suche nach dem, was man dort womöglich für eine „salomonische Lösung“ hält, dürften jedenfalls interessant gewesen sein.

    Vielleicht ist mit solchen Entscheidungen wie der jüngsten aus Bonn eine stille Hoffnung der Art verbunden: Möglichst viele Fälle durchwinken und damit den Vroniplag-Leuten konsequent „Erfolgserlebnisse“ verweigern, dann verlieren die schon irgendwann die Lust und bald ist wieder Ruhe und es kann weiter ungestört renommiert werden, ohne Sorgen um Klingelschilder und Visitenkarten haben zu müssen.

  3. Bisher habe ich Sie als scharfsinnigen und sprachgewandten Diskussionspartner geschätzt, der eine durchaus differenzierte Sicht auf die Dinge an den Tag legte. Das scheint sich geändert zu haben. Tausende Doktorandinnen und Doktoranden der genannten Fakultäten pauschal unter den Verdacht der wissenschaftlichen Täuschung und Dünnbrettbohrerei zu stellen, ist ein schlichtes Unding. Nur ein missglückter Plot? Hier sollten Sie sich erklären.

  4. Bei meinem nächsten Diebstahl goldener Löffel werde ich nun auch dementsprechend auf ein salomonisches Urteil plädieren. Gut zu wissen.

  5. Lieber EJay, vielen Dank für das Kompliment, das ich gern zurückgebe. Ich verstehe die Unding-Vorhaltung so, dass sie sich auf meinen letzten Satz bezieht:

    „Beim Dr. med. (Münster), Dr. phil. (München) oder Dr. phil. (Bonn) müssten dann jedenfalls die akademischen Warnleuchten zu blinken beginnen.“

    Dabei handelt es sich um ein dystopisches Szenario, das die stattgefundenen Ungleichbehandlungen von verschiedenen Plagiatsfällen weiterdenkt, überspitzt und extrapoliert, dass entweder die Promotion insgesamt zur Wertlosigkeit absinkt, oder dass eine Differenzierung zwischen verschiedenen Doktortiteln vorgenommen wird, so wie das heute mit im Ausland erworbenen Titeln gemacht wird. Da bietet sich natürlich eine Differenzierung nach Ort/Fakultät an.
    Wenn die Promotionsorte in der vorgestellten Weise angegeben würden, müsste man sich fragen, was der jeweilge Ort zu bedeuten habe, und so entstünde gewissermaßen ein Ranking, wie sicher man sich sein kann, dass ein Doktor ehrlich erworben ist. Besonders sicher könnte man natürlich da sein, wo Plagiatsvorwürfe konsequent untersucht würden und bei Feststellung einer Täuschungsabsicht der Doktor entzogen wird. Das ist in Bonn (phil) wegen der Restwerttheorie nicht der Fall, wie Mw zeigt. In München (phil) ist es nicht der Fall, weil es die 5-Jahres-Ersitzung gibt, und in Münster (med) sind es nicht mehr nur Einzelfälle, sondern regelrechte Texttauschkreise.
    Ich warne davor, dass bei Weiterbeschreiten dieses Weges tausende Doktorandinnen und Doktoranden der genannten Fakultäten pauschal unter den Verdacht der wissenschaftlichen Täuschung und Dünnbrettbohrerei gestellt werden. Dafür weise ich die Verantwortung aber von mir.

  6. Vielen Dank für die Klarstellung, auch für mich fürwahr eine schaudererregende Dystopie. Ich mahne dennoch zur Vorsicht, denn genau das ist es, was die Plagiatsdebatte vielen verhaßt macht: Sie beschädigt die ehrlichen Doktoranden als schwächstes Glied in der Kette. Wir sollten uns hüten, diesen Pfad zu beschreiten.

    Zu Frage der „Restqualität“: Ich bekenne, dass ich den berühmten Leitsatz „Auf den Umfang der abgeschriebenen Stellen sowie auf die Frage, ob die Arbeit auch ohne das Plagiat noch als selbständige wissenschaftliche Arbeit hätte angesehen werden können, kommt es grundsätzlich nicht an.“ als erschreckend wissenschaftsfern empfinde. Der VGH hatte hier der Universität größtmögliche Handlungsfreiheit gewährt. Nach akademischen Maßstäben sollte die Frage der wissenschaftlichen Qualität aber niemals marginalisiert werden. Die Argumentationsfigur „Restqualität“ mag sich bei Verharmlosung von Plagiaten bewährt haben. Dies geschieht aber nicht von ungefähr, sondern gründet auf ihrer breiten Akzeptanz in der akademischen Welt. Die Güte einer Arbeit definiert sich eben nicht ausschließlich an ihrer formalen Korrektheit. Alles andere wäre im Wortsinne geistlos. Das würde auch ich so unterschreiben und dann wohl Teil der „schwarzen Legende“ werden. Andererseits würde ich argumentieren: Richtige Zitierpraxis ist keine hinreichende, aber in jedem Fall eine notwendige Voraussetzung zum Erwerb akademischer Grade.

    Vor dem OVG Münster wird vermutlich nur der Grundsatz bestätigt, dass es keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gibt. Mitunter ist die Justiz eben doch salomonisch.

  7. Pingback: Umleitung: Wem das Spiel um Platz 3 langweilig wird, lese hier über Plagiatsrelativierung, Brettspiele in die Vergangenheit und das Druckzentrum Hagen. | zoom

  8. Es ist kein anderer Pfad in Sicht, und Sie sind schon drauf, EJay, wenn Sie Wahrhaftigkeit (Täuschungsabsichtsfreiheit) nicht als notwendige Bedingung jeder Wissenschaft (und des Nachweises wissenschaftlicher Befähigung erst recht) ansehen. Ich bin, muss ich wohl einsehen, auch schon drauf. Jetzt können wir noch versuchen, uns vor diesem Pfad zu hüten, d.h. zu bremsen. Das hilft aber nicht. Wie so oft nützt die Bremshaltung des „Früher war’s doch mal besser“ nichts. Man verpasst, während die technische und gesellschaftliche Entwicklung voranschiebt und man selbst vor sich hin bremst, eine Abbiegung nach der anderen. Es ist natürlich auch nicht so, dass wir sonderlich viel Treibstoff in den Steuerdüsen hätten. Vielleicht reicht es noch, um eine der nächsten Abzweigungen anzusteuern. Aber wahrscheinlich eher nicht. Schließlich wird es genug Leute geben, die gegensteuern.

    Nach einem wissenschaftlichen Zeitalter, das uns bis zur Massenvernichtung und zum Mond geführt hat, könnte dann vielleicht nochmal ein dunkles Zeitalter dräuen, in dem Wissenschaft an sich ihren Wert und ihr Ansehen verliert. Wichtig wird dann sein, zu archivieren. Vielleicht meißelt mal jemand die Texte in diesem Blog in Stein, damit man in der Renaissance dann nachlesen kann, wie das war, damals, als die Staaten des wissenschaftlichen Fortschritts ihr Interesse am Forschen verloren haben, nach und nach nur mehr ein Spiel spielten, das so ähnlich aussah. Es waren wilde Zeiten, und Wissenschaft so etwas wie eine Ersatzreligion, von manchen regelrecht vergottet, von anderen weniger, und abgelöst von dieser anderen Ersatzreligion.

    Fußball, möchte man heute hoffen.

  9. @EJay Veranlassung zum Entzug des Doktorgrades gibt in aller Regel die vorsätzliche Täuschung und jedenfalls nicht, wie von Schavan et.al. suggeriert, ein kleines Zitierfehlerchen. Auch der zitierte Leitsatz steht ja in solchem Zusammenhang. Die Diskussion einer „Bagatellgrenze“ ist vorausgesetzt. Der Leitsatz besagt, dass sich der Bagatellcharakter allerdings nicht am mehr oder weniger geringen Umfang, sondern an der Qualität der indizierten Stellen bemisst. Vor diesem Hintergrund verstehe ich nicht, was erschreckend wissenschaftsfern sein soll an der Feststellung, dass bei der „Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades“, wie das früher hieß, nicht beschissen werden darf. Bei jeder Seminarklausur disqualifiziert ein entdeckter Täuschungsversuch die Klausurarbeit als solche, da wird ja auch nicht geschaut, was der Kandidat denn ansonsten noch so bringt oder wie die Arbeit zu bewerten wäre, wenn er nicht getäuscht hätte.

    Gerade wenn man die ehrlichen Doktoranden vor Beschädigung schützen will, kann man nicht hingehen und Unrehrlichkeit mit dem Argument übergehen, dass zugleich mit dem Beschiss ja auch ganz Ordentliches vorgelegt worden ist.

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