Wie die Universität Bochum mit Norbert Lammert verfährt

Erläuterte sich ein Plagiatsverfahren nicht von selbst, so lassen sich doch heute schon einige Prognosen abgeben, wie das Verfahren in der Causa Lammert aussehen dürfte. Als Vergleich bietet sich erneut die Causa Schavan an, über deren Verfahrensablauf inzwischen einiges bekannt ist. Zunächst war die Universität Düsseldorf sehr zurückhaltend, was den Ablauf anging. Glücklicherweise bot RA Bongartz als Kenner des nordrhrein-westfälischen Verwaltungsrechts damals Orientierung[1] und beseitigte sogar die Desorientierung[2] einiger der größten Köpfe der Republik.

Flussdiagramm Plagiatsverfahren Schavan

Flussdiagramm Plagiatsverfahren Schavan, Quelle: Uni Düsseldorf

Die Universität Düsseldorf fasste sich später ein Herz und erklärte der Öffentlichkeit, in der die abstrusesten Legenden kursierten, wie sie bis dahin verfahren war und wie sie weiter verfahren würde. Die Korrektheit dieses Vorgehens bestätigte nicht nur ein Rechtsgutachten des Bonner Professors Klaus F. Gärditz, sondern auch eine retrospektive Analyse von RA Bongartz, die einen Vergleich mit dem Bayreuther Guttenberg-Verfahren vornahm. Es dauerte lang in Düsseldorf. Aus Bochum ist noch mehr Länge zu erwarten:

Die Uni prüft und prüft und prüft bis der Rektor entscheidet

Norbert Lammert rief am Montag den 29. Juli 2013 Prof. Dr. Elmar Weiler, den Rektor der Ruhr-Universität Bochum (RUB) an, der Rektor die Ombudsperson. Und die prüfe nun „unter Beteiligung der zuständigen Gremien“ den Sachverhalt, heißt es.[3] Die Ombudsperson der RUB, das ist der Mediziner und Neurophysiologe Ulf Eysel.[4] Die Ombudsperson ist ein Emeritus, der im kommenden Jahr 70 wird,[5] seine Stellvertretung hat ein über 80 Jahre alter „Altrektor“ inne, der Maschinenbauingenieur Wolfgang Maßberg.[4] Hoffentlich können die beiden die Muße finden, sich ausgiebig mit solchen Vorwürfen zu befassen. Und hoffentlich erkennen sie die hier diskutierten Erfordernisse zur Prüfung der Vorwürfe.

Generationell bedingt sind dem Ombudsman und seinem Stellvertreter die Verhältnisse Mitte der 1970er Jahre gut bekannt, weniger wohl die Gepflogenheiten in der Politikwissenschaft. Wie es in den 1970ern in der Politikwissenschaft zuging, hat ihnen daher Manfred G. Schmidt schon einmal vorsorglich erläutert. Nun wurde der Fall Lammert also den Bochumer Ombudsleuten zugeführt, und zwar auf Grundlage der „Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis und Grundsätze für das Verfahren bei vermutetem wissenschaftlichen Fehlverhalten“. Darin heißt es:

„Die Ombudsperson berät diejenigen, die sie über ein vermutetes wissenschaftliches Fehlverhalten informieren, und prüft die Vorwürfe unter Plausibilitätsgesichtspunkten auf Konkretheit und Bedeutung und im Hinblick auf Möglichkeiten der Ausräumung der Vorwürfe.“[6]

Die Ombudsperson ist eine Schlichtungsstelle. Gut, wenn dafür erfahrene, gelassene Hochschullehrer herangezogen werden. Da lässt sich vielleicht schon etwas machen im Hinblick auf Möglichkeiten der Ausräumung der Vorwürfe. Wenn nicht, dann folgt der nächste Schritt:

„Falls die der Ombudsperson mitgeteilten Informationen einen hinreichenden Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten begründen, bittet sie das Rektorat um die Einsetzung einer Kommission. […] Im Einzelfall setzt das Rektorat auf Bitten der Ombudsperson eine Kommission zur Aufklärung des Sachverhalts bei vermutetem wissenschaftlichen Fehlverhalten ein. Die Kommission wird für die Dauer des jeweiligen Verfahrens eingesetzt.“[6]

„Vorschläge zur Zusammensetzung der Kommission“, die eine „Aufklärung des Sachverhalts bei vermutetem wissenschaftlichen Fehlverhalten“ im Fall des Politikwissenschaftlers Norbert Lammert leisten soll, unterbreitet dem Rektorat die Ombudsperson – also der Neurophysiologe Eysel oder sein Stellvertreter, der Maschinenbauingenieur Maßberg. Unter den Aufklärern dürfen gern „auch hochschulexterne Persönlichkeiten“ sein, inklusive „auswärtiger Sachverständiger“.[6] Eines der Kommissionsmitglieder soll zum Richteramt befähigt sein. Dass jemand mit Kenntnissen im Bereich Plagiatsprüfung hinzugezogen wird, ist dagegen offenbar nicht vorausgesetzt.

Entscheidend ist, was nach dem Versuch der Aufklärung geschieht:

„Wenn die Kommission den Verdacht nicht bestätigt sieht, beendet sie das Verfahren und teilt die Beendigung dem Rektorat mit. Andernfalls unterbreitet sie den Vorgang dem Rektorat. […] Das Rektorat entscheidet aufgrund des Berichts der Kommission, ob weitere Maßnahmen zu ergreifen sind.“[6]

Wenn also die Ombudsperson und die auf Vorschlag der Ombudsperson eingesetzte Kommission kein wissenschaftliches Fehlverhalten erkennen, hat die Angelegenheit damit ihr Ende gefunden. Die Kommission „teilt die Beendigung dem Rektorat mit“, und damit hat es sich. Das Rektorat erhält nur diese Mitteilung, von Begründungen, Untersuchungsergebnissen oder Dokumentationen ist nicht die Rede. Selbst wenn im Rektorat – vielleicht nach privater Lektüre von Lammertplag – jemand der Auffassung sein sollte, dass die Kommission da womöglich etwas übersehen hat: Die Bochumer Leitlinien sehen in einem solchen Fall keine weitere Befassung mit der Sache vor. So wollen es ja auch die „Empfehlungen“ oder „rechtsklaren Regeln“ der DFG und – noch deutlicher – der HRK. (Problem erkannt? Hier unterschreiben zur Unterstützung eines Offenen Briefs an DFG und HRK.)

Auch die Umgehung der Fakultäten entspricht dem Willen von DFG und HRK. Eine Fakultät, die die Beendigung des Verfahrens für falsch hält, muss demnach dulden, dass der von ihr verliehene Doktorgrad weiterhin ohne Beanstandung geführt wird. Sie hat sich mit der Sache gar nicht erst zu befassen. Reformen in Sachen wissenschaftliches Fehlverhalten müssten eigentlich anstreben, dass die Zuständigen nicht mehr wegschauen können. Tatsächlich nötigen sie die Fakultäten im Zweifelsfall genau dazu.

Sollte die Kommission jedoch wissenschaftliches Fehlverhalten ausmachen, geht das Verfahren weiter, denn dann „unterbreitet sie den Vorgang dem Rektorat“. In diesem Fall bleibt also alles am Rektor Elmar Weiler hängen. Insofern war es sehr weise von Lammert, sich gleich an ihn zu wenden. Schließlich entscheidet Weiler ja den Fall. Stellt sich die Frage, ob weitere Maßnahmen zu ergreifen sind. Und was dann passiert.

Exkurs: Kurzer Prozess der Sozialwissenschaft

Doch zunächst ein Rückblick, wie es in den dunklen Zeiten an der Fakultät für Sozialwissenschaft der RUB aussah, damals, im Winter 07/08, Jahre bevor diese weise Ordnung für das wissenschaftliche Fehlverhalten alles zum Besseren wendete:

„Am Ende des Wintersemesters 2007/2008 ist ein Bachelor-Student an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr Universität Bochum als Plagiator aufgefallen. Im Rahmen einer aufwändigen Recherche konnten Mitarbeiter der Fakultät umfangreiche Täuschungen bzw. Täuschungsversuche […] nachweisen. Trotz eines bereits recht frühzeitig bestehenden Verdachts hat sich der Student als wenig einsichtig gezeigt und die Täuschungsversuche jeweils erst nach Vorlage umfangreichen Beweismaterials eingeräumt. In allen Fällen hatte der Student längere Textpassagen wortgleich aus anderen Quellen übernommen, ohne diese Übernahme in irgendeiner Form kenntlich zu machen. […] Der Dekan hat die ausführliche Dokumentation mit dem Nachweis der Plagiate an den Prüfungsausschuss der Fakultät für Sozialwissenschaft übergeben. Der Prüfungsausschuss hat angesichts des vorgelegten Materials den Fall an den Kanzler der Ruhr-Universität mit der Bitte weitergeleitet, den Vorfall mit einem Ordnungsgeld nach § 63 Abs. 5 Hochschulgesetz zu ahnden.“[7]

Lammerts Fakultät hat das damals also so geregelt: Fakultätsmitarbeiter untersuchen, der Dekan schaut sich das an und übergibt es dem Prüfungsausschuss, der Prüfungsausschuss entscheidet, welche Maßnahme angemessen ist, und der Kanzler soll die dann umsetzen. Schlimm war das, da ging es ja nur um die Wahrheit, und die wurde unten ermittelt und dann nach oben weitergegeben. Vom Kanzler zu vollstreckende Maßnahme laut heutigem Gesetz: „Geldbuße von bis zu 50.000 Euro“.[8] Und das alles in weniger als drei Monaten! Gut, dass das jetzt das Rektorat in der Hand hat.

Kompetenzverwirrung

Aber warum eigentlich? „Robert Schmidt“, Dokumentar von Lammertplag, schickte am Sonntag, 28. Juli 2013, ein Fax nach Bochum. Aber doch nicht an den Rektor, der ist ja gar nicht zuständig, sondern an das Dekanat der Fakultät für Sozialwissenschaft. Soviel sickerte durch.[9] Indem Lammert den Rektor anrief, und der dann aktiv wurde, hat er entweder das Problem verlagert, oder ihm zu einer problematischen Doppelstruktur verholfen, wie man sie in der Causa Guttenberg erleben konnte.[10] Das zeigt sich schon, wenn eine RUB-Sprecherin falsch behauptet: „Bis zu diesem Anruf [Lammerts am Montag] hat die Uni nichts von den Vorwürfen gewusst“.[11]

Wenn es der RUB nicht gelingt, das Lammert-Verfahren bereits an einer der oben beschriebenen Stellen niederzuschlagen, dann kommt es zur Entscheidung des Rektors über Maßnahmen. Was bedeutet das? Wenn wissenschaftliches Fehlverhalten festgestellt wird, muss der Rektor die Maßnahme treffen, die Sache an die Fakultät weiterzuverweisen, damit diese ein Verfahren zur Aberkennung des Doktorgrades einleiten kann. Eines ist dabei sicher: Die Bundestagswahl ist bis dahin schon lange vorbei, auch das Amt des Bundestagspräsidenten ist (sinnvollerweise neu) besetzt. Was passiert dann?

Heike Schmoll behauptet, eine „damals gültige Promotionsordnung der sozialwissenschaftlichen Fakultät“ von 1967 zu haben,[12] doch das ist bestenfalls journalistisch-simplifizierende Realitätszurechtbiegung. Die heutige „Fakultät für Sozialwissenschaft“ existiert überhaupt erst seit 1984, zu Lammerts Promotionszeit bedeutete Fakultät in Bochum noch etwas ganz anderes. Aber sei’s drum, vielleicht hat das Schriftstück, auf das sich Schmoll bezieht, ja wirklich etwas mit dem Fall zu tun, dann besagt § 12 (2) der Ordnung: „Für die Entziehung des Doktorgrades gelten die gesetzlichen Bestimmungen“.[12]

Gesetzliche Kompetenzklarheit

Das ist eine komfortable Regelung, denn dann gilt keine Extrawurst, sondern das, was im Verwaltungsverfahrensgesetz NRW und im Hochschulgesetz NRW steht. Einige Beispiele aus dem Hochschulgesetz:

  • „Fachbereiche […] sind die organisatorischen Grundeinheiten der Hochschule.“
  • „Das Promotionsstudium wird vom Fachbereich durchgeführt.“
  • „Dem Fachbereichsrat obliegt die Beschlussfassung über die Angelegenheiten des Fachbereichs“.
  • „Sonstige Gremien, Funktionsträgerinnen und Funktionsträger haben Entscheidungsbefugnisse nur, soweit es in diesem Gesetz bestimmt ist.“ (Nein, Ombudsleute und -kommissionen werden im Gesetz nicht erwähnt.)

Und aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz:

  • „Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; […] Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.“
  • „Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann […] zurückgenommen werden.“
  • „Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde“.

Das ist alles keine Hexerei. Es bedeutet: Der Fachbereichsrat (Fakultätsrat) entscheidet über die Rücknahme einer rechtswidrigen Promotion. Die Fakultät ist „von Amts wegen“ verpflichtet, den Sachverhalt zu ermitteln, „Art und Umfang der Ermittlungen“ zu bestimmen und „alle für den Einzelfall bedeutsamen“ Umstände zu berücksichtigen. Sie kann sich beraten lassen. Aber sie kann sich nicht zu einer bestimmten Entscheidung nötigen lassen. In der obigen Grafik aus Düsseldorf heißt das: „Fakultätsrat prüft bis zur Entscheidungsreife“. Alles, was vor der Verfahrenseröffnung durch den Fakultätsrat liegt, ist nur Vorverfahren.

Auf dieses Vorverfahren bezieht sich, was Rektor Weiler zu SpOn gesagt hat, und wodurch SpOn nun von „offiziellem Plagiatsverfahren“ spricht.[13] Weiler erwartet, dass das Rektorat auf Empfehlung der Ombudsperson eine Kommission zur Prüfung einsetzen wird, und denkt darüber nach, die Kommission extern zu besetzen.[13] Damit wäre dann ein Verfahren, das eine Behörde von Amts wegen zu führen hätte, bereits in seiner Vorphase vollständig ausgelagert.

tl;dr: Aus den „Leitlinien“[6] und der Pressemitteilung[3] der RUB ergibt sich, dass bereits das Vorverfahren bunt und langwierig werden dürfte. Und wenn alle bis zum Rektor entschieden haben, dann kommt erst die gesetzliche Entscheidungsinstanz ins Spiel, der Fakultätsrat, der alles nochmal aufarbeiten muss.

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3 Antworten zu “Wie die Universität Bochum mit Norbert Lammert verfährt

  1. RA Bongartz

    Hat dies auf Causa Schavan rebloggt und kommentierte:
    Wenn die Universitäten ihre Verfahren ab sofort nicht mehr nach HG und VwVfG, sondern nach Empfehlungen, Hinweisen, Regeln oder Leitlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Hochschulrektorenkonferenz und anderer eingetragener Vereine oder Stiftungen bürgerlichen Rechts gestalten wollen, ist das eine gute Nachricht für alle akademischen Sünder und ihre Anwälte. Insbesondere ist im Interesse bedrängter Seelen dringend zu wünschen, dass recht regelmässig und intensiv möglichst viele „Instanzen“ an den Verfahren (gerne auch den jeweiligen Vorverfahren) beteiligt werden, die lediglich nach den Empfehlungen, Hinweisen usw. dieser Vereine und Stiftungen gebildet wurden. Die Aussichten, die sich nach ungünstigem Ausgang des Verfahrens für diese armen Sünderlein durch eine Klage vor Gericht eröffnen, wären unter solchen Umständen radikal verbessert. Für das akademische Jungprekariat ist es sicherlich auch erfreulich, dass die überzeugende Darlegung der Verfahrensfehlerhaftigkeit jederzeit auch kostengünstigen Neulingen im Anwaltsberuf anvertraut werden könnte.

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