Von einem neuerdings verliehenen vornehmen Titel aus Lübeck

Erledigte sich am besten alles in einem raschen Aufwasch, was eben noch zu erledigen blieb, so war alsdann der Weg bereitet zum güldenen Ruhm der gnädigen Ruhe im ewigen Rom. Ex-Professorin Dr. h.c. Exzellenz in spe Annette Schavan hat alles in eine Woche gepackt, was bis zum Kabinettsbeschluss über die Legation zum Heiligen Stuhl die Laune noch trüben könnte. Eine interessante Strategie, wenn man die Einhelligkeit des öffentlichen Unmuts beachtet, der am Freitag Abend mit der Verwendung der Chiffre „Schavan“ auf Twitter einherging. Aber vielversprechend, wenn man die Vergesslichkeit der Öffentlichkeit vorausdenkt.

Zunächst musste man sich am Freitag noch einer Unannehmlichkeit entledigen: Der Honorarprofessur an der FU Berlin. Was läge da näher, als sie unter Verweis auf die bevorstehenden Aufgaben für beendet zu erklären?[1] Doch wer würde einräumen, dies für den eigentlichen und wahrhaftigen Grund für das Ende der Ehrenprofessur zu halten?

Dann folgte der Festakt. 50 Jahre Universität Lübeck, Motto: „50 Jahre im Focus das Leben“. Nur übertroffen von 58 Jahren Ehrwürdigkeit. Für diese 58 Jahre im Focus das Leben zu sehen hat Simone G. keine Mühen gescheut. Nach dem ultimativen tabellarischen Lebenslauf hat sie nun die ehrwürdigen Stationen im Leben der Annette Schavan besucht und sich vor Ort einen ehrwürdigen Eindruck verschafft. Erkenntnisträchtig:

Da sitzt nun Annette Schavan in der ersten Reihe im Audimax der kleinen, feinen und ganz famosen Universität, die ihr an diesem 11. April 2014 die Ehrendoktorwürde verleihen wird. 250 geladene Ehrengäste wohnen dem heutigen Hochamt bei. […]

Annette Schavan … Wer ist das überhaupt? Und wo wollte sie hin?

Letztere Frage wenigstens ist rasch beantwortet: Nach vorne und nach oben. Und weil die kleine Annette Schavan, die aus sogenannten “kleinen Verhältnissen” stammte, mit einer raschen Auffassungsgabe gesegnet war, verstand sie früh, worum es ging. Zum Beispiel darum, in der Schule dort zu sitzen, wo es von der Lehrerin sofort bemerkt wurde, wenn man das Schreibheft als erste auf dem Tisch hatte.

Weiterlesen… noch 2855 Wörter.

So eingestimmt konnte es ja losgehen. Fernsehteams waren auch da.

Zunächst würdigte Schavan andere für etwas, oder gratulierte ihnen zu etwas, oder so. Ungeliebte andere.

Die Text-Bild-Schere mag dem Umstand geschuldet sein, dass die Geschehnisse des Jahres 2010, in denen man gemeinsam schwelgte, sich so darstellten:

Conservatio Universitatis Lubecensis, anonymes Fresko, 2010, Foto von https://twitter.com/TVLuke/status/454542134020825088

Und im Angesicht der Herabgestiegenen erstrahlte die Universität zu Lübeck, wie sie nie zuvor erstrahlt war:

Und das war kein Wunder, bei all der Bescheidenheit.

Begeisterung brandete auf.

Und die Musik spielte dazu. Doch statt eines Himmels voller Geigen gab es Krach:

Die bis zum 7. Mai verbliebene Gnadenfrist, sich ungestraft Dr. phil. nennen zu lassen, wurde noch ein letztes Mal ausgekostet:

Wenn das kein Grund zum Feiern ist?

Die Grundlage kam mit den besten Empfehlungen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kommentierte bissig. Der Präsident der Universität hatte Kant zitiert:

„‚Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.‘ Er meint das nicht als Warnung vor dem Abschreiben fremder Gedanken, sondern als Lob unkonventioneller Methoden – so bei Schavans Rettungsaktion.“[2]

Es hätten sich noch andere Kant-Zitate angeboten.

Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie [1796]

Der Namen der Philosophie ist, nachdem er seine erste Bedeutung: einer wissenschaftlichen Lebensweisheit, verlassen hatte, schon sehr früh als Titel der Ausschmückung des Verstandes nicht gemeiner Denker in Nachfrage gekommen, für welche sie jetzt eine Art von Enthüllung eines Geheimnisses vorstellte. […] Wenn nun ein Erkenntniß des Übersinnlichen (das in theoretischer Absicht allein ein wahres Geheimniß ist) gäbe, welches zu enthüllen in praktischer Absicht dem menschlichen Verstande allerdings möglich ist: so würde doch ein solches aus demselben, als einem Vermögen der Erkenntniß durch Begriffe, demjenigen weit nachstehen, welches als ein Vermögen der Anschauung unmittelbar durch den Verstand wahrgenommen werden könnte; denn der discursive Verstand muß vermittelst der ersteren viele Arbeit zu der Auflösung und wiederum der Zusammensetzung seiner Begriffe nach Principien verwenden und viele Stufen mühsam besteigen, um im Erkenntniß Fortschritte zu thun, statt dessen eine intellectuelle Anschauung den Gegenstand unmittelbar und auf einmal fassen und darstellen würde. – Wer sich also im Besitz der letztern zu sein dünkt, wird auf den erstern mit Verachtung herabsehen; und umgekehrt ist die Gemächlichkeit eines solchen Vernunftgebrauchs eine starke Verleitung ein dergleichen Anschauungsvermögen dreist anzunehmen, imgleichen eine darauf gegründete Philosophie bestens zu empfehlen: welches sich auch aus dem natürlichen selbstsüchtigen Hange der Menschen, dem die Vernunft schweigend nachsieht, leicht erklären läßt. […] Mit Wissenschaften, welche Arbeit erfordern, als Mathematik, Naturwissenschaft, alte Geschichte, Sprachkunde etc., selbst mit der Philosophie, sofern sie sich auf methodische Entwicklung und systematische Zusammenstellung der Begriffe einzulassen genöthigt ist, kann mancher wohl auf pedantische Art stolz thun; aber keinem andern, als dem Philosophen der Anschauung, der nicht durch die herculische Arbeit des Selbsterkenntnisses sich von unten hinauf, sondern, sie überfliegend, durch eine ihm nichts kostende Apotheose von oben herab demonstrirt, kann es einfallen vornehm zu thun: weil er da aus eigenem Ansehen spricht und Keinem deshalb Rede zu stehen verbunden ist. […] Es ist doch ein Unterschied zwischen Philosophiren und den Philosophen machen. Das letztere geschieht im vornehmen Ton, wenn der Despotism über die Vernunft des Volks (ja wohl gar über seine eigene) durch Fesselung an einen blinden Glauben für Philosophie ausgegeben wird. […] So sind die Gleichmacher der politischen Verfassung nicht bloß diejenigen, welche nach Rousseau wollen, daß die Staatsbürger insgesammt einander gleich seien, weil ein Jeder Alles ist; sondern auch diejenigen, welche wollen, daß Alle einander gleichen, weil sie außer Einem insgesammt nichts seien, und sind Monarchisten aus Neid: die bald den Plato, bald den Aristoteles auf den Thron erheben, um bei dem Bewußtsein ihres eigenen Unvermögens selbst zu denken die verhaßte Vergleichung mit andern zugleich Lebenden nicht auszustehen. Und so macht (vornehmlich durch den letzteren Ausspruch) der vornehme Mann dadurch den Philosophen, daß er allem ferneren Philosophiren durch Obscuriren ein Ende macht.

Weiterlesen… noch zahlreiche Wörter.

Oder anders gesagt: Wer sich im unmittelbaren Besitz der Wahrheit dünkt, dem steht ein vornehmer Ton wohl an. Er macht die Wissenschaftlerin ohne jede Wissenschaft.

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3 Antworten zu “Von einem neuerdings verliehenen vornehmen Titel aus Lübeck

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