Neue Versuche, den Fall Guttenberg zu verstehen

Er bloggte schon Mitte Oktober über drei Artikel, in denen sich Report Psychologie, die Zeitschrift des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen, mit dem Phänomen Guttenberg auseinandersetzte. Inzwischen, der Fall ist um einen Akt reicher, lässt sich das durch sprachwissenschaftliche, gestalttherapeutische und psychoanalytische Ansätze ergänzen. Anschließend ist jedoch auch eine Grundsatzkritik am Psychologisieren im Fall Guttenberg erforderlich.

Sprachwissenschaft: ungewollte Enthüllung der Überheblichkeit

Der Chemnitzer Professor Werner Holly beschreibt Guttenbergs Interview-Buch als vordergründige Inszenierung von Buße, die von Anmaßung und Hochmut konterkariert wird:

„Er [Guttenberg] begibt sich mit großem Trara auf einen Gang nach Canossa, sitzt dabei aber – wie gesagt wurde – auf ganz hohem Ross. Er nimmt ständig eine Täter-Opfer-Verschiebung vor, stellt sich hin als einen, der überfordert war und der sich im Dienste anderer zu viel aufgebürdet hatte. Das ist wieder so laut demütig, dass er noch mit dieser Demut protzt. Dabei stopft der Super-Büßer mit ständiger Selbststilisierung zum moralischen Vorbild jede Satz-Ritze voll. Am Ende überwiegt der Hochmut.“

Holly erklärt es damit für weitgehend irrelevant, was Guttenberg inhaltlich behauptet. Die entscheidende Botschaft vermittle er durch die Art und Weise, wie er es sage. Dabei stellt sich die Frage, ob Guttenberg durch die Plagiatsaffäre zum tragischen Opfer seines adeligen Habitus werden musste, da ihm keine der Situation angemessenen Verhaltensweisen geläufig waren. Zu den Hauptursachen von Guttenbergs Untergang zählt dann sein aristokratisches Gehabe, das zuvor durch den in die Boulevardpresse ausstrahlenden Glanz zu den Gründen seines Aufstiegs gehörte. Holly erläutert weiter, dass Guttenberg offenbar in dem Interview in einen Strudel von Konsequenzen seiner Abwehrversuche gerissen wird, den er nicht durchschaut hat:

„Er weiß nicht mehr genau, welche Details er wo abgeschrieben hat. Er ist sich aber sehr wohl dessen bewusst, im Großen und Ganzen geklaut zu haben. Zudem gibt er an einigen Stellen in dem Interview schlampige Arbeit, Überforderung, Selbstüberschätzung zu. Konsequent ordnet er alle Aussagen monomanisch dem Ziel unter, den Vorsatz des Plagiats auszuräumen, den er für sein Moralapostel-Image am meisten fürchtet. Dabei vergisst er, dass er sich schon mit diesen Äußerungen für jede halbwegs qualifizierte Arbeit disqualifiziert, erst recht für ein Amt. Kein Personalchef dürfte diesen Mann nach Lektüre seines Buches einstellen. Er gibt darin ja zu, mitunter nicht zu wissen, was er tut.“

Welche sprachwissenschaftlichen Methoden genau dieser Interpretation zu Grunde liegen, ergibt sich leider aus dem Interview nicht.

Gestalttherapie: Abwärtsspirale zum emotionalen Suizid

Die Gestalttherapeutin Astrid von Friesen verweist in ihrer Interpretation des Guttenberg-Comebacks auf gestaltpsychologische und psychoanalytische Ansätze. Guttenberg ist für sie ein von Narzissmus geprägter kleiner Junge, der gewohnt ist, dass die Welt sich nach seinen Wünschen richtet. Guttenbergs Selbstbild „Ich-bin-der-integre-moralisch-einwandfreie Polit-Star“ erhielt durch die Plagiatsaffäre erstmals nennenswerten Gegenwind. Seine Reaktion, die Kritik abzubügeln, trieb ihn in eine Abwärtsspirale, vor der er nach Amerika floh, die er aber bei seiner medialen Rückkehr ungebrochen wieder aufnahm:

„Nach der Hilflosigkeit und Ohnmacht, nicht Herr über das eigene Handeln sein zu können, kommt die Wut, das Herausschreien des Schmerzes, nicht geliebt zu werden. Das tut er, indem er die gesamte politische Klasse abwertet, um sich aufzuwerten, sich anzubieten und sich erneut als Retter zu installieren. […] er erreicht genau das Gegenteil von dem, was er so sehnlichst wünscht: Wieder mitspielen und mitregieren zu dürfen. Fast erscheint dies wie ein emotionaler Suizid: Er wertet ab, wird deswegen abgelehnt, wofür er wiederum die anderen beschuldigen kann, aber damit auch erneute schwere narzisstische Kränkungen geradezu provoziert. […] Diese Wut-Reaktion des beleidigten kleinen Jungen in ihm basiert auf der schmerzhaft erlittenen Erkenntnis, dass die Welt leider anders ist, als es sich ein Narzisst vorstellt und ausmalt.“

Nach Friesen treibt sein schmerzhafter Narzissmus Guttenberg in diesen Teufelskreis. Wie schon in Hollys Deutung kann Guttenberg nicht anders, aber diesmal ist nicht der familiär antrainierte adelige Habitus die Hauptursache, sondern die Mischung aus erlerntem hohem Ross und unverwindbarem tiefem Fall. Das gehört, so darf vermutet werden, zu Guttenbergs Lebenserfahrungen seit frühester Kindheit. Die Wikipedia erklärt die kindliche Überforderung durch elterliche Ansprüche zur allgemeinen Bedingung von auffallendem Narzissmus:

„Neben Prädispositionierung ist das Elternhaus ein entscheidender Faktor für narzisstische Persönlichkeiten. Es finden sich überwiegend sehr unempathische, wenig akzeptierende Eltern, die das Kind nicht selten schon früh überfordern. So findet in der kindlichen Erziehung vor allem ein Verhalten Beachtung und Verstärkung, das – in gewisser Intoleranz gegenüber anderen – die eigenen Fähigkeiten und Wertigkeit betont und sie nach außen hin gut darstellt.“[1]

Astrid von Friesen  empfiehlt jedenfalls aufgrund ihrer Beschreibung des Guttenbergschen Narzissmus, der Freiherr möge sich der Aufgabe widmen, der Allgemeinheit Gutes zu tun. Entscheidend ist dabei die Notwendigkeit, aus dem narzisstischen Teufelskreis auszubrechen: „Heilsamer und erwachsener für ihn wäre dies jedoch jenseits aller Kameras und ohne sich beständig in den Augen seiner Fans zu spiegeln!“[2]

Exkurs: Narzisstische Persönlichkeitsstörung (DSM-IV)

Jeder Küchenpsychologe könnte Guttenbergsche Verhaltensweisen zu den meisten der neun Kriterien finden, die laut Diagnosehandbuch (DSM-IV) der American Psychatric Association (APA) eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ausmachen.[3]

Da ist die Rede von der Übertreibung der eigenen Wichtigkeit, eigener Leistungen und Talente, von der Vorstellung eigener Überlegenheit, von grenzenlosen Erfolgs-, Macht- oder Schönheitsphantasien, von der eigenen Einzigartigkeit, die nur von anderen Besonderen oder Hochgestellten verstanden werden könne, vom maßlosen Bedürfnis nach Bewunderung, von starkem Anspruchsdenken auf Besserbehandlung und die Erfüllung der eigenen Erwartungen durch andere, von rein instrumentellen Beziehungen zu anderen Menschen, von Empathiemangel, von Neid und von starken Phantasien über fremden Neid, zuletzt von allgemein arroganten Verhaltensweisen oder Ansichten.

Zur Diagnose einer Persönlichkeitsstörung ist allerdings zusätzlich notwendig, dass die beschriebenen Verhaltensweisen situationsangemessenes Verhalten verhindern. Eine psychische Erkrankung setzt voraus, dass eine Person nicht anders kann als in der spezifisch ausgeprägten Weise zu agieren. Meist ist dadurch die „persönliche und soziale Funktions- und Leistungsfähigkeit“ beeinträchtigt.[4] Dass Guttenbergs Verhalten in der Plagiatsaffäre nicht als situationsangemessen gelten kann, dürfte gut abgesichert sein. Die obigen psychologischen Deutungen besagen zudem, dass er nicht aus seinen eingeübten Verhaltensmustern ausbrechen konnte.

Da die Situationsangemessenheit eines Verhaltens jedoch stark von den Parametern der Situation abhängt, „Medienzirkus“ zweifellos eine vom Normalen deutlich abweichende Situation ist, und Guttenberg als Person regelrecht im Medienzirkus verfangen scheint, bleibt die Möglichkeit offen, dass nicht Guttenberg an einer Persönlichkeitsstörung leidet, sondern der Medienzirkus an einer Situationsstörung.

Psychoanalyse: Selbstverhältnis und Gefühlsarmut

Der Bremer Psychoanalytiker und Sozialpsychologe Hans-Jürgen Wirth attestiert Guttenberg im Stern eine „narzisstische Persönlichkeit, frei von Scham- und Schuldgefühl“. Er arbeitet sich an den obigen Diagnosekriterien ab, ohne explizit von einer Störung oder psychischen Erkrankung zu sprechen. Die Dysfunktionalität von Guttenbergs Beziehung zu sich selbst drückt Wirth aber durch eine Betrachtung des Guttenbergschen Gefühlslebens aus:

„Letztlich fühlt sich Guttenberg nicht schuldig. In dem ganzen langen Interview kommen an keiner einzigen Stelle die Worte Schuldgefühl oder Schamgefühl vor, obwohl doch Schuld und Scham die zentralen Gefühlsreaktionen auf eine solch demütigende Demontage darstellen müssten.“

Stattdessen erscheinen bei Guttenberg selbst „seine tiefsten Überzeugungen“, auf die er gern pocht, nur simuliert, um eigene Grandiosität zur Schau stellen zu können. Die Analyse des Interview-Buchs demonstriert Guttenbergs Unfähigkeit zum situationsangemessenen Verhalten. Er verprellt selbst seine Unterstützer mit maßloser Politiker-Schelte, die ihn selbst ins rechte Licht, die Gloriole des Heilsbringers, setzen soll.

„[So] bricht beim Thema Charisma seine ganze Verachtung für die politische Klasse, seine eigenen Parteifreunde eingeschlossen, aus ihm heraus. Mit spöttischer Herablassung formuliert er genüsslich, es gebe ‚jedenfalls keine Inflation der Charismatiker‘, womit er wohl im Klartext sagen will, dass er sich für den einzigen Charismatiker weit und breit hält.“

Charisma hält Guttenberg fälschlich für eine in der Demokratie anstrebenswerte Eigenschaft. Die von Max Weber beschriebene Charismatische Herrschaft zerstört jede Demokratie – Paradebeispiel: Adolf Hitler. Wiederum ist Hitler der Prototyp, der zum Vergleich mit Guttenberg herangezogen wird – diesmal frappierenderweise von diesem selbst, indem er sich als Charismatiker bezeichnet. Darüber geht Wirth hinweg und wendet sich Guttenbergs emotionaler Störung zu:

„Was Guttenberg nicht kann und in dem ganzen Interview an keiner einzigen Stelle tut, ist das Zulassen von Gefühlen. Jeder Mensch muss im Laufe seines Lebens die Erfahrung des Scheiterns machen. Und dann fühlt man tiefe Verzweiflung, entsetzliche Scham, bodenlose Niedergeschlagenheit, auch ohnmächtige Wut auf andere und auf sich selbst. Aber nichts davon taucht in dem Interview auf. Es ist geradezu so, als ob Guttenberg alles daran setzen würde, diese Gefühle zu vermeiden und nicht empfinden zu müssen.“[5]

Das ist der Grund für seine fehlende Authentizität – und dafür, dass es egal ist, was er sagt, solange er es so sagt wie ein Guttenberg. Abschließend empfiehlt Wirth eine Psychoanalyse, in der Guttenberg „von seinen Grandiositätsphantasien Abschied nehmen könnte. Er würde dabei erfahren, wie das Zulassen und Durcharbeiten von Gefühlen der Verzweiflung, der Beschämung, der Ohnmacht zu einem tieferen Verständnis seiner selbst führen kann – aber auch zu einem veränderten Verhältnis zur Politik.“[5]

Ergänzung: Kindliche Zurückweisung und Überkompensation

An der erhellendsten Stelle des Zeit-Interviews wechselt di Lorenzo auf die Meta-Ebene. Dort zeigt sich das gestörte Selbstverhältnis Guttenbergs deutlich an seiner Redeweise.

„ZEIT: Sie reden von sich selbst in der dritten Person, Sie sprechen davon, dass »man sich damals bereits entschuldigt hat«. Ist es für Sie schwierig, zu sagen: »Ich bitte um Entschuldigung«?

Guttenberg: Nein, im Gegenteil. Faktisch ist das ein ich. Das »man« soll auch keine Distanzierung bedeuten. Es ist ein anerzogener Sprachgebrauch, der sich bei mir wahrscheinlich über die Jahre hinweg eingeschliffen hat, der eine gewisse Form von Zurückhaltung zum Ausdruck bringen soll und den man zu Recht kritisieren kann.“[6]

In den Untertönen ist aber zugleich das Leiden mitzuhören: Dem kleinen Karl-Theodor wurde nicht nur eine Sprache anerzogen, die „eine gewisse Form von Zurückhaltung zum Ausdruck bringen soll“. Zugleich verweigerten seine Bezugspersonen ihm jede Anerkennung für kindliche Leistungen – ein Guttenberg ruft nicht: „Mama, Mama, guck mal – ich habe ein Bild gemalt!“ Ein Guttenberg hält sich vornehm zurück und wartet, dass seine angeborene Höherstellung von der Umwelt formvollendet gewürdigt wird.

Ob dabei das zeremonielle Küssen des Siegelringes eine Rolle spielt, oder die regelmäßige Anrede als Hochwohlgeboren, ist lediglich eine symbolische Frage. Noblesse kann man mit gegeltem oder ungegeltem Haar, mit Brille oder ohne ausstrahlen. Und jene niederen Standes können sie durch traditionelle oder moderne Unterwürfigkeitsgesten bezeugen. Für ein Kind kann dies die Spaltung zwischen narzisstischer Kränkung und aristokratischer Überkompensation bedeuten, die zur Herausbildung einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur führen kann.

Kritik: Probleme der Fern-Psychologie

Solche und ähnliche Versuche, Guttenbergs Verhalten aus seiner psychischen Verfassung heraus zu verstehen, bergen weitreichende Probleme. Grundsätzlich versuchen Menschen meist, auch das Seelenleben des Gegenübers zu berücksichtigen, wenn sie ihn zu verstehen versuchen. Wenn diese Form der Alltagsverständigung jedoch sprachlich und inhaltlich in den Bereich der Psychiatrie hinüberwechselt, geschehen verschiedene fragwürdige Dinge.

Im 19. und 20. Jahrhundert entwickelten sich aus der philosophischen Seelenlehre mehrere Strömungen, denen die Psychologie vor allem als Mittel zur Behandlung von Krankheiten dient. Die therapeutische Ausrichtung psychologischer Theorien und Methoden hat jedoch ihren Preis:

Sie sind für einen Einsatz im Arzt-Patient-Verhältnis entwickelt worden. Jenseits davon fehlt einerseits eine Zuverlässigkeitsabschätzung: Psychologische Ferndiagnosen sind sehr kritikanfällig, da psychologische Diagnostik grundsätzlich darauf baut, die wichtigsten Informationen vom Patienten selbst zu erhalten. Andererseits fehlt die ethische Legitimation, die sonst aus der Zustimmung des Patienten und der ärztlichen Schweigepflicht gewonnen wird.

Deutlich tritt der letzte Punkt hervor, wo die Sprache des Analytikers in die Sprache des politischen Kritikers umschlägt: Einem Therapeuten liegt in erster Linie das Wohl des Patienten am Herzen; dem Kritiker – vielleicht – das Wohl der Gesellschaft. Holly und von Friesen merkt man ihre Empörung über Guttenberg an. Wirth lässt ihr sogar freien Lauf, schimpft etwa über die „an Dreistigkeit kaum zu überbietende[…] Selbstinszenierung“, die „schier unglaubliche Unverschämtheit und Unverfrorenheit“ Guttenbergs, seine „Frechheit“, die er „dummdreist“, nämlich „dreist und dumm zugleich“ zur Schau trägt.[7] Der Analytiker muss sich zwar seiner Gefühle gegenüber dem Patienten bewusst werden; doch das Ziel der Analyse stellen sie nicht dar.

Alternativen zum Distanz-Psychologisieren

Der Psychoanalytiker und Wissenschaftstheoretiker Alfred Lorenzer hat die Begrenztheit der Psychoanalyse auf die klinische Situation klar gesehen, kritisierte Sigmund Freuds psychoanalytische Theoreme auch auf dieser Grundlage. Um die klinisch-therapeutische Grundlage der Psychoanalyse hinter sich zu lassen, entwickelte er die Tiefenhermeneutische Kulturanalyse, die zwar an Grundprämissen der Psychoanalyse anschließt, das Arzt-Patient-Verhältnis als Grundsituation der Psychoanalyse aber überwindet:

Indem er die sprichwörtliche Couch aus dem Erkenntnisprozess eliminiert, trifft Lorenzers Kulturanalyse keine Aussagen mehr über etwaige psychische Störungen einzelner beobachteter Personen. Die Kulturanalyse richtet sich nicht darauf, was im Leben eines „Patienten“ schief lief, sondern auf eine gesellschaftliche Konstellation und das gesellschaftlich Verdrängte und Unterdrückte. Zugang dazu liefert nicht der „Patient“ mit seinen Schilderungen, sondern der Analytiker durch seine Selbstbeobachtung im Hinblick auf die zu untersuchenden Phänomene.

Übertragen auf den Fall Guttenberg bedeutet dies, dass nicht die Kindheit des Barons Gegenstand der Erkenntnis sein kann und sollte. Individualpsychoanalyse macht demnach nur im Gespräch mit dem Patienten Sinn, und nur wenn sie auf Behandlung psychischer Erkrankungen ausgerichtet ist. Sozialpsychologie und Kulturanalyse müssen dagegen nach gesellschaftlichen Konfigurationen fragen, die den Fall Guttenberg zu dem machen, was er ist: Zeichen für die – weit über die Person Guttenberg hinaus reichende – bisher größte Krise von Politik und Wissenschaft im 3. Jahrtausend.

Als solche – und hier kehrt Max Webers Herrschaftstheorie zurück – stellt diese Politik-Krise die Rationalität und damit Legitimität der Legalen Herrschaft stärker in Frage als Finanzkrise, Klimawandel und Terrorismus. So erweist sich Guttenberg unfreiwillig – und da ist er auch wieder, der kleine Hitler – als Feind der parlamentarischen Demokratie.

Alternativen zur Analyse Guttenbergs

Sind solche gesamtgesellschaftlichen Überlegungen noch zu hypothetisch und unabgesichert, so empfiehlt es sich, die Person Guttenberg außen vor zu lassen. Karl-Theodor thematisieren die bunten Blätter ohnehin, da muss die ernsthafte Publizistik nicht mitmachen. (Oder etwa doch, Herr di Lorenzo?) Stattdessen stets lohnenswert ist der Blick auf die Meta-Ebene: Wer macht Guttenberg alltäglich zu dem, was er ist? Wessen Interessen plustern einen Gockel zum Leviathan auf? Der Deutschlandfunk hat sich auf diese Weise von der Guttenbergomanie emanzipiert:

„Wer kassiert da in welcher Funktion eigentlich welche Summen? Egal ist das nicht. Denn Rezipienten fragen durchaus mal nach den Motiven von Akteuren. Und da wäre es interessant zu erahnen, ob neben unreifem Narziss vielleicht gar noch Gier mit im Spiel sein sollte?“

„Guttenberg bleibt indes nur ein besonders drastischer Beleg für ein Systemversagen der Medien, das weit über diesen Fall hinaus reicht. Medien sind schon lange nicht mehr der Spiegel, durch den sich die Gesellschaft aus kritischer Distanz selbst beobachtet. Sie sind Plattformen für PR-Strategien geworden, in denen Reflexion durch Inszenierung, Relevanz durch Auffälligkeit verdrängt wird.“

Angriffsfläche ohne Gel - Zoon politikon vor dem Brillen-Wunder

Wenn man aber doch etwas über Guttenberg persönlich schreiben muss, sei es, weil der Chefredakteur es will, sei es, um die persönliche Empörung abzubauen, dann steht ein Weg auch in den nächsten Jahren offen: Satire, Polemik, der Lächerlichkeit preisgeben. Angriffsfläche bietet der Baron auch ohne Gel genug. So verfahren etwa Karasek und Martenstein:

„Auf die Frage, warum es ihn denn zurück nach Deutschland und in die deutsche Politik dränge, sagte er, stolz wie ein Pennäler, er sei schließlich ein ‚Zoon politikon‘. […] Einfach nur angeberisch. Ein Zoon politikon ist nicht etwa ein politischer Mensch, sondern einfach der Mensch an sich, als geselliges Wesen, jemand, der wie Schaf und Mensch am liebsten in der Herde lebt.“

„Noch erstaunlicher ist es, wenn, wie im Falle Guttenberg, das eine Auge, das kurzsichtige, sich in Richtung Weitsichtigkeit entwickelt, während das andere Auge, das weitsichtige, in seiner Entwicklung die genau umgekehrte Richtung einschlägt. Dies sind Vorgänge, die man nur mit Jesu Wandeln über das Wasser vergleichen kann. Guttenbergs Körper gehört nicht in die Politik, er muss der Wissenschaft zur Verfügung stehen.“

Sein Körper ja. Die Psyche sollte man ihm nicht nehmen, sonst kann er sie auch nicht behandeln lassen.

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2 Antworten zu “Neue Versuche, den Fall Guttenberg zu verstehen

  1. ..und schon geht’s weiter mit Guttenberg. Der neue Job als Berater der EU-Kommission stellt uns erneut vor Rätsel und rollt die Frage nach Guttenbergs Ziel neu auf.

    Gebe Stephan Detjen übrigens Recht – es geht meist nur noch um’s Auffallen und um’s Unterhalten. Traurig aber wahr.

  2. Pingback: Drei Jahre Plagiatsdebatte | Erbloggtes

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