Drittelparität und Plagiatsbekämpfung: alter Wein, neue Gründe

Er bloggte schon mehrfach zum Plagiatsfall an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin und zum als Vertuschungsversuch kritisierten Umgang der Hochschulleitung mit diesem Fall. Dabei kam zur Sprache, dass die Untersuchung in Händen der FNK (Kommission für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs), die Ahndung bei der Hochschulleitung lag und die Informationen darüber – zunächst ausschließlich – an den Akademischen Senat (AS) flossen.

Studierendenbeteiligung und Professoreninteressen

Die HTW stellte in der vergangenen Woche dar, dass sie keinerlei Kritik an ihrem Vorgehen gelten lässt, da alles „buchstabengetreu gemäß unseren Richtlinien“[1] gelaufen sei. Das billige Zugeständnis von Hochschulpräsident Michael Heine für den künftigen Umgang mit Plagiatsfällen lautete, dass er „offen“, aber unzuständig sei, was die stärkere Berücksichtigung von Studierenden bei der Besetzung der FNK betreffe. Diese Forderung hatten Studierende der HTW erhoben; und sie wollen sie im AS weiter verfolgen, wie ein Kommentator hier mitteilte: „Unter den Studierenden wird ein entsprechender Antrag an den Akademischen Senat bereits vorbereitet.“

Dass Studierende in Plagiatsfällen eine Tendenz zu schärferen Urteilen haben als Lehrende, hat HTW-Dekanin Debora Weber-Wulff festgestellt. Dass professorendominierte Hochschulgremien (und Hochschulleitungen) eher ein Interesse daran haben, Plagiate im eigenen Haus kleinzureden als sie aufzubauschen, dass sie womöglich sanftere Maßstäbe an plagiierende Professoren anlegen als an Studierende, und dass die Öffentlichmachung von wissenschaftlichem Fehlverhalten den betroffenen Hochschulen einen Imageschaden bereitet, das alles sind strukturelle Bedingungen der Hochschullandschaft, die den Nährboden für Plagiarismus bieten.

Die Analysen von Götz Aly in der Berliner Zeitung (I, II, III) und im Deutschlandradio Kultur[2] besagen darüber hinaus, dass sich Professoren freuen, wenn ihre Studenten gute Seminararbeiten abliefern, und dass viele gar nicht wissen wollen, ob es sich dabei um Betrug handelt. Denn schlechte Studenten deuten auf schlechte Lehrende hin, so die Denkweise der ein bis zwei Augen zudrückenden Dozenten. Solche Skrupel haben die Kommilitonen üblicherweise nicht, womit Weber-Wulff Erkenntnis wieder aufgenommen wäre.

Daraus ergibt sich als schlüssige Konsequenz eine stärkere Beteiligung von Studierenden an den Hochschulgremien, die die wissenschaftliche Qualität sichern sollen. Das würde zugleich die Beseitigung der absoluten Mehrheit der Professoren in solchen Kommissionen bedeuten. Doch diese Maßnahme hat derzeit wenig Aussicht auf Umsetzung. Deshalb kann HTW-Präsident Heine solcherart Vorschläge gefahrlos begrüßen.

Drittelparität: Geschichte einer gescheiterten Demokratisierung

Die Demokratisierung der Hochschulen und das Ende der Professoren-Vorherrschaft in der Selbstverwaltung gehörte zu den zentralen Forderungen der Hochschulreform in der Studentenbewegung der 1960er Jahre. Das „Bremer Modell“ sollte dies an der neugegründeten Uni Bremen ab 1971 umsetzen und den „Muff von 1000 Jahren“ unter den Talaren vertreiben. Dabei bestanden Hochschulgremien zu gleichen Teilen aus Professoren, Mitarbeitern und Studierenden: Diese Bremer Drittelparität enthielt als Besonderheit, dass die Mitarbeitergruppe sowohl wissenschaftliche als auch sonstige Universitätsmitarbeiter umfasste. Auch die in der Verwaltung, in der Haustechnik, in den Sekretariaten und in der Mensa Tätigen konnten also ihre Stimme erheben und beispielsweise gemeinsam mit den Studierenden die Professoren überstimmen – wenn denn die Fronten so einheitlich verliefen.

Diese echte Reform war jedoch von Anfang an scharfen Angriffen von Seiten der Verfechter einer traditionellen Universitätsstruktur ausgesetzt. Die Vorentscheidung im Kampf um die Drittelparität fiel bereits im Mai 1973 durch das Bundesverfassungsgericht, das die Wissenschaftsfreiheit aus Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes im Sinne der Professorenvorrechte interpretierte:

„b) Bei Entscheidungen, welche unmittelbar die Lehre betreffen, muß die Gruppe der Hochschullehrer der ihrer besonderen Stellung entsprechende maßgebende Einfluß verbleiben. Diesem Erfordernis wird genügt, wenn diese Gruppe über die Hälfte der Stimmen verfügt.
c) Bei Entscheidungen, die unmittelbar Fragen der Forschung oder die Berufung der Hochschullehrer betreffen, muß der Gruppe der Hochschullehrer ein weitergehender, ausschlaggebender Einfluß vorbehalten bleiben.
d) Bei allen Entscheidungen über Fragen von Forschung und Lehre ist eine undifferenzierte Beteiligung der Gruppe der nichtwissenschaftlichen Bediensteten auszuschließen.“
BVerfGE 35, 79 („Hochschul-Urteil“, 29. Mai 1973), S. 80.

Gegenwärtige gesetzliche Grundlagen und Geschäftsordnungen

Das 1976 erstmals in Kraft getretene Hochschulrahmengesetz (HRG) besagt dazu (in der Fassung vom 12. April 2007):

„In nach Mitgliedergruppen zusammengesetzten Entscheidungsgremien verfügen die Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer bei der Entscheidung in Angelegenheiten, die die Lehre mit Ausnahme der Bewertung der Lehre betreffen, mindestens über die Hälfte der Stimmen, in Angelegenheiten, die die Forschung, künstlerische Entwicklungsvorhaben oder die Berufung von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern unmittelbar betreffen, über die Mehrheit der Stimmen.“
HRG § 37, Abs. 1

Selbst wenn – wie seit 2007 als Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegend, aber immer wieder vertagt – das HRG abgeschafft werden sollte, sind solche Regelungen in den Landesgesetzen und Hochschulordnungen so festgezurrt, dass da bis auf weiteres nichts zu machen ist. Beispielsweise heißt es im Bremischen Hochschulgesetz (1. Juli 2010) zur Zusammensetzung jedes Bremer AS: „Die Hochschullehrergruppe […] hat jeweils die absolute Mehrheit.“ (§ 80, Abs. 2) – zur Zusammensetzung der Fachbereichsräte: „Die Stimmenmehrheit der Hochschullehrergruppe wird gewährleistet.“ (§ 88, Abs. 1) – und insgesamt:

„In Angelegenheiten, die die Forschung und Lehre unmittelbar berühren, muss die Hochschullehrergruppe über die absolute Mehrheit der Stimmen verfügen. Soweit nicht durch dieses Gesetz oder auf Grund dieses Gesetzes anderes bestimmt ist, werden Beschlüsse mit der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen gefasst. Im Falle der Angelegenheiten, die Forschung und Lehre unmittelbar berühren, zusätzlich mit der Mehrheit der Stimmen der Hochschullehrergruppe.“ (§ 97)

Die FNK der HTW Berlin ist wohl ein nach Mitgliedergruppen zusammengesetztes Entscheidungsgremium; Publikationen wie Dissertationen und Bücher von Professoren zählen zur Forschung, so dass die Hochschullehrer eine automatische Mehrheit besitzen. Die anderen Gruppen sind im Prinzip nur zur Unterhaltung anwesend. Das illustriert auch die Geschäftsordnung des HTW-AS vom 12. April 2010, § 15, Abs. 2:

„Entscheidungen, die Forschung, künstlerische Entwicklungsvorhaben oder die Berufung von Professoren und Professorinnen unmittelbar betreffen, bedürfen außer der Mehrheit des AS auch der Mehrheit der dem AS angehörenden Professoren und Professorinnen. Kommt danach ein Beschluss auch im zweiten Abstimmungsgang nicht zustande, so genügt für eine Entscheidung die Mehrheit der dem AS angehörenden Professoren und Professorinnen.“[3]

Das Recht ist also klar auf der Seite der professoralen Interessen, seit das Bundesverfassungsgericht 1973 die Wissenschaftsfreiheit als Individualrecht der Hochschullehrer auch gegenüber den anderen Hochschulangehörigen interpretierte.

„Great power involves great responsibility.“ (Roosevelt)

Das bedeutet jedoch auch, dass die Professoren die volle Verantwortung dafür zu tragen haben, dass Plagiate immer wieder unentdeckt bleiben, dass wissenschaftliche Verfehlungen heruntergespielt werden und dass manche Studierenden, Promovierenden und Politiker glauben, mit gestohlenen Gedanken durchkommen zu können. Die Plagiatoren sind nur für ihr individuelles Handeln verantwortlich, die Professoren aber für einen Großteil der Strukturbedingungen, die solches Handeln ermöglichen oder befördern. Insofern gilt heute die Parole:

Bei den Professoren – Muff der Plagiatoren

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