Schavanplag ermittelt weiter, doch Professoren scheuen die Öffentlichkeit

Erledigte sich wohl der Fall Schavan von selbst, nachdem die Universität Düsseldorf darum gebeten wurde, sich der Frage anzunehmen, ob in Schavans Dissertation wissenschaftliches Fehlverhalten vorliege? Von selbst wäre die Universität wohl erst gar nicht tätig geworden. Ob sie selbst in der Lage ist, weitere Plagiate über das Bekannte hinaus zu finden erscheint zumindest zweifelhaft. Daher ist es sehr zu begrüßen, dass Schavanplag die Arbeit nicht eingestellt hat: Es gibt neue Funde und neue Quellen. Am Donnerstag Abend ergänzte Schavanplag die Liste der Quellen um Maas 1967, einen Aufsatz über Gewissen und Schuld in psychologischer Sicht. Darin steht auf S. 58:

„Es anerkennt noch vorbehaltlos und unkritisch die erzieherische und sittliche Autorität des Menschen, den es liebt“.

Schavan machte daraus auf S. 313 ihrer Dissertation:

„Das Kind anerkennt auf dieser Entwicklungsstufe noch vorbehaltlos und unkritisch die erzieherische und sittliche Autorität der Menschen, die es liebt.“

Schavan, die inhaltlich noch mehr von Maas übernimmt, verweist lediglich mehrere Absätze früher auf die Quelle.

Schavanplag sabotiert und massenmedialisiert

Außer der Meldung, dass die Arbeit weiter geht, ist zu berichten, dass offenbar jemand, der es gut mit Schavan oder böse mit Schavanplag meint, versucht haben dürfte, Schavanplag beim Bloghosting-Dienst WordPress.com anzuschwärzen. Daraufhin war Schavanplag am Freitag Vormittag angeblich „wegen Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen archiviert oder suspendiert worden“.[1] Es ist anzunehmen, dass WordPress.com Vorwürfe gegen Schavanplag zur Stellungnahme weiterleitete. Um welche Vorwürfe es sich handelte, und wie Schavanplag darauf reagierte, ist aber noch unbekannt.

Dass dpa am Freitag Mittag geradezu als Breaking News verbreitete „Schavanplag ist offline“ (Überschrift von Stern.de),[2] lässt den Stellenwert des Projekts für die deutsche Medienöffentlichkeit erkennen. Dass Stern.de die Meldung so stehen ließ,[2] obwohl sie am Nachmittag überholt war,[1] lässt erkennen, wie egal diesem und ähnlichen Portalen die Richtigkeit weiterverbreiteter Agenturinhalte ist.

Um den Umgang der Massenmedien mit dem Fall Schavan geht es auch, wenn Schavanplag unter der Überschrift „Gegendarstellung“ der Behauptung der dpa widerspricht, „er glaube fest, dass die Universität Düsseldorf Schavan den Doktortitel entziehen werde“. Schavanplag betont, er habe sich nicht „zu einer möglichen Entziehung des Doktorgrades von Frau Schavan“ geäußert und halte „diese Frage für völlig offen“.[3] Offenbar hatte dpa das Interview von Spiegel Online mit Schavanplag gelesen, sich dabei aber nur für die SpOn-Fragen interessiert, nicht für die Schavanplag-Antworten (hier hervorgehoben):

SPIEGEL ONLINE: Wie sollte die Universität Düsseldorf mit dem Fall umgehen?
schavanplag: Ich begrüße es, dass die Universität umgehend reagiert hat und eine Sitzung des Promotionsausschusses einberufen wurde.
SPIEGEL ONLINE: VroniPlag fand auf 10 Prozent der Seiten unsaubere Zitierweisen und so gut wie keine Eins-zu-eins-Übernahmen ohne Quellennennung. Sie geben 17 Prozent fragwürdige Seiten an – rechnen Sie bei der dünnen Beweislage ernsthaft mit einem Titelentzug?
schavanplag: Ich hoffe, dass der Promotionsausschuss eine Überprüfung der Dissertation in die Wege leitet. Vielleicht werden ja noch einige Quellen gefunden, die ich nicht entdeckt habe.[4]

Es ist klar, dass SpOn mit diesen Fragen genau auf solche Antworten abgezielt hatte, wie dpa sie dann gelesen zu haben glaubte. Insofern greifen da die Rädchen einer „journalistischen“ Arbeitsweise reibungslos ineinander. Mit Wahrheit oder Information hat das nichts mehr zu tun. Es geht lediglich um das „Weiterdrehen“ der „Story“.

Suche Wahrheit, biete Geheimhaltung

Martin Heidingsfelder hat frühzeitig erkannt, dass und wie Medien immer „weiterdrehen“ wollen, unabhängig von der Faktenlage. Darauf versuchte er VroniPlag anfangs auszurichten: Die Konzentration auf prominente Verdachtsfälle, die Forderung einer hohen „Schlagzahl“ und die forcierte Wendung zur Öffentlichkeit gehörten zu diesem Konzept, das bei den Wissenschaftlern von VroniPlag auf wenig Gegenliebe stieß.

Das Unbehagen ist verständlich: Fügt man ein Plagiatswiki ungebrochen in die Massenmedienmaschinerie ein, wird es selbst zu deren Bestandteil und verliert so den Anspruch auf Wahrheit oder Information, den es benötigt, um in der Wissenschaft (und von Wissenschaftlern) akzeptiert zu werden. Das Gegenteil ist jedoch, wie nun deutlich wird, genauso falsch.[5] In einer Welt, in der Wahrheit ein regulatives Ideal ist und nicht ein alltägliches Ding, das man in der Hand halten und rundum betrachten kann, gehört es zum notwendig falschen Bewusstsein der VroniPlag-Klicke, Wahrheit gegen Öffentlichkeit eintauschen zu wollen.

Allerlei Tricks und Kniffe sollten die Öffentlichkeit stets von der VroniPlag-Arbeit fernhalten, damit dabei Ergebnisse mit größerem Wahrheitsanspruch entstünden. Häufig wurde auch behauptet, man sage ja gar nicht, dass jemand plagiiert habe, das müsse der zuständige Promotionsausschuss entscheiden. Nun wird deutlich, dass man auch vor äußerster Zurückhaltung (man könnte auch sagen: Vertuschung) nicht zurückschreckt, wenn man sich nicht sicher ist, die „Wahrheit“ gepachtet zu haben. Ein „Grenzfall“ liegt ja nicht nur bei Schavan vor, sondern auch bei anderen Spitzenpolitikern und Ministerkandidaten.

Wohin die Reise gehen soll, veranschaulichte vor einer Woche ein Tweet von Martin Klicken:

„Wenn es jeder Hochschule nur eine halbe(!) Stelle wert wäre, könnte #VroniPlag Wiki vernetzt mit 214 statt einer handvoll Leute arbeiten.“[6]

Man stelle sich diese Institutionalisierung vor und frage sich zugleich, welche Interessen die 214 Angestellten wohl im Auftrag ihrer Arbeitgeber verfolgen müssten. Öffentlichkeit? Wohl kaum. Die Organisation (Codename: Centrale Plagiats-Union, CPU) müsste Geheimverfahren einrichten, da letztlich jeder aufgedeckte Plagiatsfall eine Schande für die verantwortliche Universität wäre, die fälschlich einen Plagiator promovierte.

Wissenschaftliches Fehlverhalten und Professoreninteressen

Dass der Zug in diese Richtung fährt, war schon vor einem Jahr erkennbar: Der Deutsche Hochschulverband (DHV), quasi die Professorengewerkschaft, beschloss am 12. April 2011 Richtlinien „Zum Umgang mit dem Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens“: Sie lassen sich zusammenfassen als Heimlichkeitsgebot, Rechtsanschein und Verschleppungstaktik. Die Unschuldsvermutung gelte „wie in jedem anderen Rechtsverfahren auch“, meint der DHV. Im Gegensatz dazu soll der Öffentlichkeitsgrundsatz, der sogar älter und grundlegender ist als die Unschuldsvermutung, keinerlei Geltung besitzen.

Wikipedia zählt mögliche Ausnahmegründe für den Öffentlichkeitsgrundsatz auf: Jugendstrafverfahren, Familien- und Unterbringungssachen, Staatsschutzsachen und Gefährdungen für Sittlichkeit oder Geheimnisschutz. „Wird die Öffentlichkeit zu Unrecht ausgeschlossen, so ist dies ein absoluter Revisionsgrund.“[7] Ob der DHV Wissenschaftsplagiate als Sittlichkeitsangelegenheiten, Staatsschutzsachen oder Fragen des Geheimnisschutzes betrachtet, erklärt er nicht. Wissenschaft hat aber gemäß ihrer Prinzipien sogar noch weitergehende Ansprüche an Öffentlichkeit als das Rechtssystem. Wissenschaft existiert ohne Öffentlichkeit gar nicht.

Professoreninteressen: Wer ist der eigentliche Nestbeschmutzer?

Der DHV hingegen stellt die Öffentlichmachung eines Plagiatsverdachts auf eine Stufe mit dem Plagiieren selbst:

„Bis zur Entscheidung der Kommission [über wissenschaftliches Fehlverhalten] ist strikte Vertraulichkeit zu wahren. Verstöße sind ihrerseits wissenschaftliches Fehlverhalten und disziplinarrechtlich oder arbeitsrechtlich zu ahnden.“[8]

Unter diesen Bedingungen müssen sich Professoren natürlich vorsehen. Ein Universitätsprofessor kann keinen ernsthaften Kampf gegen wissenschaftliches Fehlverhalten führen, wenn er „strikte Vertraulichkeit“ wahren und die alleinige Zuständigkeit einer universitären Kommission anerkennen soll. Jedes Fragment auf VroniPlag widerspricht diesen Regeln. Der DHV fordert, den Bruch der strikten Vertraulichkeit von Plagiatsvorwürfen disziplinarrechtlich zu ahnden. Und dann will er den unkollegialen Plagiatsjäger als Nestbeschmutzer aus der Standesvertretung ausschließen:

„Der Deutsche Hochschulverband bekräftigt, dass Hochschullehrer, die wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens [z.B. Nichtgeheimhaltung von Plagiatsvorwürfen] strafrechtlich oder disziplinarrechtlich rechtskräftig verurteilt worden sind, essentiell gegen die ethischen Prinzipien ihrer Berufsgruppe verstoßen haben. Sie können nicht Mitglied des DHV werden oder bleiben.“[8]

Solche Professoren haben offenbar mehr Angst davor, des wissenschaftlichen Fehlverhaltens beschuldigt zu werden, als sie fürchten, dass jemand mit seinem wissenschaftlichen Fehlverhalten durchkommen könnte, weil niemand darüber zu reden wagt. Arme Wissenschaft.

Über Schavan reden wird nun erstmal der Promotionsausschuss der philosophischen Fakultät (Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der sich derzeit die nötigen Materialien beschafft.[9]

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11 Antworten zu “Schavanplag ermittelt weiter, doch Professoren scheuen die Öffentlichkeit

  1. Demnach ist die oben zitierte Übernahme aus Maas 1967 seit Ende Februar bekannt, war aber bis Donnerstag nicht in Schavanplag integriert. Vielen Dank für den Hinweis!

  2. Pingback: Untiefen der Revolutionsmetaphorik | Erbloggtes

  3. Rumpelstilzchen

    Es gibt noch genug weitere Übernahmen, welche bisher überhaupt nicht erfasst wurden. Deshalb sollten die Online-Plagiatssuchenden die ‚Grenzfall’-These nicht als in Stein gehauenes Monument der Selbstaufgabe anstaunen.
    Ansonsten eine unfreundliche Perspektive, welche sich da abzeichnet – DHV u.a., außer „der Meldung, dass die Arbeit weiter geht“. In der Tat, die Arbeit geht weiter, zu sehen auch unter http://kreuzritterplagdoku.wordpress.com/2012/05/14/texte-schweigen-nicht/, auf die bei Schavanplag Wiki hingewiesen wird.
    “Frisch, Gesellen! seid zur Hand, …“

  4. Ich habe eine Frage. Habe mir die Artikel etc. zu Schavan ein wenig angesehen und wundere mich nun, wie sie im selben Jahr Uniabschluss und Promotion machen konnte. Das findet man z. B. unter whoiswho.de:

    „Nach Abschluss der Schule mit Abitur in Neuss studierte Schavan Erziehungswissenschaften, Philosophie und Katholische Theologie bis 1980. Im selben Jahr erfolgte ihre Promotion zum Dr. phil. an der Universität Düsseldorf.“

    War das damals normal? Wie geht so etwas? Da hätte doch den Professoren klar sein müssen, dass sie die ganze Primärliteratur nicht selbst gelesen hat, ein Tag hat doch nur 24 Stunden. Entspricht die Magisterarbeit evtl. der Dissertation?

    Ich weiß nicht genau, wo ich die Frage am besten stelle, in Vroniplag würde sie wahrscheinlich sofort gelöscht, also versuche ich es einmal hier.

  5. 1980 war es (jedenfalls in Düsseldorf) noch nicht Pflicht, einen Studienabschluss wie Magister Artium, Diplom oder Staatsexamen zu machen, um anschließend zu promovieren. In den Jahrzehnten davor haben viele Leute, die eine Karriere in der Wissenschaft anstrebten, als einzigen Abschluss einen Doktor gemacht. Schavan gehört zu den letzten Jahrgängen, bei denen das möglich war, glaube ich.
    Guttenberg hat nur das erste Staatsexamen gemacht, nicht das zweite. Daher ist er nicht Volljurist. Bei Schavan wäre eine Doktoraberkennung noch schwerwiegender: Sie könnte sich anschließend nicht einmal mehr Akademikerin nennen, da sie keinen Hochschulabschluss außer der Promotion erworben hat.

  6. Danke für die Erläuterungen. Man kann sich das aus heutiger Sicht kaum vorstellen. Wie kann man promovieren dürfen, ohne eine Vorleistung wie Magister Artium oder Diplom oder Staatsexamen erbracht zu haben? Und was genau hat sie dann wohl in ihrer Zeit an der Universität gemacht, zumindest eine Zwischenprüfung, ein Vordiplom? Welche Veranstaltungen besucht ein Student, eine Studentin mit der Promotion als einzigem Ziel?
    Wir haben also eine Bildungsministerin, die nur promoviert hat, die sich nicht durch all die Prüfungen der drei Fächer, die sie angibt, gequält hat?! Sind dann zumindest einige Seminararbeiten Pflichtvoraussetzung für so eine Promotion? Inwieweit hat sie wiss. Arbeiten anhand von Seminararbeiten geübt?
    Man merkt, ich bin ziemlich überrascht. Mal schauen, ob man irgendwie an die Promotionsordnung kommt, da müsste ja etwas zu den Voraussetzungen stehen.

    Sie scheint übrigens nicht überall dazu zu schweigen, laut Domradio schmerzen sie die Plagiatsvorwürfe:

    http://www.domradio.de/aktuell/81864/person-und-gewissen.html

  7. „Ungenauigkeiten in der Dissertation“, sagt das Domradio. Lustig. Es geht um Betrug in der Dissertation.

  8. Der §99 Verwaltungsgerichtsordnung ermöglicht die Verweigerung
    und Vermeimlichung von Urkunden, die „dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten“. Dazu gibt es „In-Camera-Verfahren,
    vergleiche bei Wickipedia.
    Der Betroffene „kleine Grundrechtsträger“ darf trotz § 3 Ansatz 3 Bundesrechtsanwaltsordnung ( BRAO ) als sich selbstvertener Kläger davon nichts wissen. Wenn ihn dann „einfach“ ein Richter ( zum Beispiel vom BGH ) vertritt, dann liegt ein Gesetzesverstoss gegen §7 Nr.10 BRAO vor. Ein Richter darf keine Zulassung als Rechtsanwalt erhalten, weil er als Beamter ein Treueverhältnis zum Dienstherren ( der Staatsgewalt ) hat.
    Damit sind Richter im Sinne von Verschleierung zwecks Machterhalt besonders gut zu nutzen.
    Frage: Wer prüft die Verfahrensabläufe in Geheimverfahren???

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