Wiki-Watch – Wächter über Wikipedia?

Erklärtes Ziel der Seite www.Wiki-Watch.de ist die Aufklärung über Wikipedia:

„Wir wollen dazu beitragen, die faszinierende Wissens-Resource Wikipedia transparenter zu machen.“

Vorwürfe gegen Wiki-Watch

Doch dass es sich dabei auch um das tatsächliche Ziel des Projektes handele, daran haben erfahrene Wikipedia-Administratoren, allen voran Benutzer:Jannemann, seit Anfang Februar 2011 schwerwiegende Zweifel geäußert. Mehr oder weniger verklausuliert werden dort verschiedene Vorwürfe angedeutet:

  • Der eigentliche Zweck von Wiki-Watch sei nicht Transparenz, sondern Manipulation von Wikipedia im Interesse der Kunden der PR-Beratung „Convincet GmbH“.
  • Zu diesem Zweck sei eine Reihe von Benutzeraccounts in der deutschsprachigen Wikipedia angemeldet, die einerseits im Zusammenhang mit Wiki-Watch aufträten, andererseits offenbar im Interesse von Unternehmen editierten (Beispiel mit drei Accounts in einem Edit).
  • Bereits im Sommer 2009 habe eine konzertierte Aktion aus dem Umfeld der „Convincet“ (lat. „er wird überzeugen/überreden“) versucht, das als Krebsrisiko[1] vermutete Medikament Insulin glargin im Interesse des Pharmakonzerns Sanofi-Aventis in der Wikipedia zu promoten.
  • Zugleich habe die Aktion negative Aussagen in den Artikel über Peter Sawicki, einen als „Pharma-Schreck“ geltenden Diabetologen, „der unabhängig und entschlossen gegen überteuerte Mittel mit fraglicher Wirkung vorging“[2] und sich negativ über das Insulin-glargin-Präparat  geäußert hatte, eingebaut.
  • Auch Beiträge im Interesse der Pharmalobby allgemein wurden Accounts aus dem Wiki-Watch-Umfeld zugeschrieben (Beispiel: Lobbysicht von „ineffizienten Antrags- und Genehmigungsverfahren“).
  • Der „Convincet“-Geschäftsführer und Wiki-Watch-Leiter Stock habe unter anderem in Vorträgen vor potentiellen Kunden die Gefahren negativer Aussagen in Wikipedia-Artikeln („Drastischer Einbruch des Börsenkurses“) erklärt und den Nutzen der „Convincet“-Dienste in solchen Fällen herausgestellt.

Auch auf der Wiki-Watch-Homepage werden „Hilfesuchenden“ Angebote unterbreitet, wie sie ihren Namen in der Wikipedia reinwaschen können:

„Ärgern Sie über einen Artikel über sich selbst oder eine Institution, für die Sie Verantwortung tragen? Längst haben PR-Strategen, Cyber-Warriors und Lobbyisten Wikipedia entdeckt. Positiv gefärbte PR zu verbreiten, ist das Eine. Noch größer ist die Verlockung, einen Konkurrenten in Wikipedia zu diskreditieren. Oft merken das Betroffene nicht – oder viel zu spät. Was kann man tun, wenn ein Artikel Sie in ein nachweislich falsches, schlechtes Licht rückt und Ihre Reputation Schaden leidet? […] Hilfe von Wiki-Watch hier anfordern“.[3]

Personalien von Wiki-Watch

Ausgehend von diesen Vorwürfen scheint es hilfreich zu sein, Personal und Struktur von Wiki-Watch zu untersuchen. Auf der Homepage zeichnen verantwortlich: Prof. Dr. Wolfgang Stock, Prof. Dr. Johannes Weberling und Wissenschaftlicher Mitarbeiter Maximilian Kall von der „Arbeitsstelle Wiki-Watch im ‚Studien- und Forschungsschwerpunkt Medienrecht‘ der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina“.[4] Das klingt zunächst nach einem seriösen universitären Projekt, zu dem Vorwürfe wie die obigen nicht so recht passen würden.

Wolfgang Stock ist offenbar der eigentliche (oder operative) Leiter von Wiki-Watch, da seine Handynummer als Kontaktangabe auf der Wikiwatch-Homepage steht.[4] Zugleich ist er „Geschäftsführender Gesellschafter“ von „Convincet“[5] und „ordentlicher Universitätsprofessor für Journalistik“, der „die Meta-Ebene der politischen Kommunikation und des Agenda Setting – vor allem in der Krisenkommunikation“ – beherrsche.[6] Zweifel daran, dass er tatsächlich „ordentlicher Universitätsprofessor“ ist, weckt sein dort abrufbarer Lebenslauf (Archiv), in dem er erklärt, selbiges 2001-2009 an der Gustav-Siewerth-Akademie gewesen zu sein. Dass man an einer privaten strenggläubig-christlichen Hochschule ohne Promotionsrecht[7] ordentlicher Universitätsprofessor werden könne, erscheint nicht unmittelbar einleuchtend. (Wenig vertrauenerweckend ist auch die Information, dass an der Gründung der Einrichtung in Weilheim-Bierbronnen 1990 sowohl der Gründer der Legionäre Christi, Marcial Maciel, dem der Papst inzwischen „Straftaten und […] ein skrupelloses Leben ohne echten religiösen Sinn“[8] attestiert hat, als auch ein gewisser Kardinal Ratzinger beteiligt waren.) Der evangelikale Stock ist aber auch gern für den ebenfalls evangelikalen „Verband Evangelischer Bekenntnisschulen“ unterwegs.[9] Außerdem war er Journalist bei Welt, FAZ, Focus, Berliner Zeitung und Autor der ersten Biographie über Angela Merkel.[10]

Johannes Weberling ist Rechtsanwalt in Berlin „mit einem ausgewählten Mandantenstamm“ und Schwerpunkt Presse- und Medienrecht.[11] Wie Wolfgang Stock hat er den Wert eines ausführlichen Wikipedia-Artikels erkannt. Er behauptet nicht, ordentlicher Universitätsprofessor zu sein, sondern ist als Honorarprofessor reiner Titularprofessor. Universitäten verleihen solche Titel gern, um Praktiker in die Lehre einzubinden. Selbständige und Unternehmer lassen sich häufig zur Steigerung ihres Marktwertes zum Honorarprofessor ernennen und geben im Gegenzug eine Lehrverantstaltung pro Semester. Damit es noch besser klingt, kürzen sie ihren Titel gern mit „Prof.“ ab statt mit „Hon.-Prof.“ Weberling jedenfalls ist seit 2002 beteiligt am „Teilprojekt Studien- und Forschungsschwerpunkt Medienrecht“ am „Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Völker- und Europarecht sowie ausländisches Verfassungsrecht der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)“.[12] Na, und zu diesem Teilprojekt gehört dann auch schon die „Arbeitsstelle Wiki-Watch“. Weberlings politische Ausrichtung ist vermutlich damit hinreichend beschrieben, dass er 1981-1983 Bundesvorsitzender des RCDS war.

Bleibt die Frage: Warum hat der Völkerrechts-Lehrstuhl der Viadrina einen Schwerpunkt Medienrecht und eine Arbeitsstelle Wiki-Watch? Der Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg hat unter seinen wichtigsten Publikationen keine entsprechenden Referenzen.[13] Lediglich zum Fall Kohl hat er im Archiv für Presserecht einige Überlegungen veröffentlicht.[14] Vielleicht ist ihm gar nicht klar, was es mit der Arbeitsstelle Wiki-Watch auf sich hat. Deren Leiter Stock taucht in Zusammenhang mit seinem Kompagnon Weberling lediglich auf einer Seite der Viadrina auf: Als Dozent für Kulturmanagement und Kulturtourismus,[15] also in einem ganz anderen Fachbereich. Angestellte der Universität scheinen beide ebenfalls nicht zu sein. Dasselbe gilt für die dritte auf Wiki-Watch genannte Person, unter deren Namen auch mehrere Artikel im Blog von Wiki-Watch erschienen sind:

Maximilian Kall ist nach Angabe im Impressum von Wiki-Watch „Wissenschaftlicher Mitarbeiter“. Diese Bezeichnung scheint rechtlich nicht geschützt zu sein. Denn an der Universität kennt ihn keines der einschlägigen Verzeichnisse. Wird er statt von der Universität von der „Convincet“ beschäftigt? Auch die anderen drei hier als Projektmitarbeiter genannten Personen sind der Viadrina-Homepage unbekannt. Einer ist an der Gustav-Siewerth-Akademie ausgebildet und hat dann noch ein bisschen „PR/Öffentlichkeitsarbeit“ studiert.[16] Eine hat „in der Leitungsebene einer politischen Partei“ gearbeitet und bietet nun jedem Interessierten „Dienstleistungen in Wort und Text“ an.[17] Der dritte erzählt freimütig, was er spannend an Wiki-Watch findet, PR.[18]

Anstrengungen im Namen des Herrn

Ein Teil der Analysen, die Wiki-Watch anbietet, beruhen auf der Arbeit des Projektes WikiTrust, das seit 2007 von der University of California in Santa Cruz betrieben wird, und zwar anscheinend tatsächlich von der Universität und ihrem „Computer Science Department“.

Diesbezüglich heißt es zur Zeit jedoch „Bitte versuchen Sie es später nochmals.“ In einer an Erbloggtes weitergeleiteten E-Mail behauptet das „Wiki-Watch Team“, das auch mit „Sto.“ unterzeichnet, über seinen Status:

„Wir sind ein Universitätsprojekt und daher für jede ehrenamtliche Hilfe dankbar. […] An der Universität Santa Cruz ist eine Festplatte ausgefallen und auch diese Uni hat wenig Geld für einen Techniker, der eine neue einbaut. In ein bis zwei Wochen sollte WikiTrust Deutsch aber wieder online sein.“

Universitätsprojekte, die für ehrenamtliche Hilfe dankbar sind? Ja, die Teilnahme an Umfragen oder psychologischen Experimenten wird häufig kostenlos organisiert, besonders, wenn es studentische Projekte sind. Aber deutsche Universitäten betreiben meist große Rechenzentren mit zahlreichen Technikern, die auch rasch defekte Festplatten auswechseln. Besser vorstellbar sind da doch PR-Berater, die extra einen Techniker kommen lassen müssten. Evangelisch.de teilt mit: „Das mit Spenden finanzierte Wiki-Watch-Projekt ließ dafür einen eigenen Algorithmus programmieren.“[19]

Ein weiteres Projekt, für das Wikipedia wie geschaffen scheint, hat Wiki-Watcher Wolfgang Stock bereits 2006 im „christlichen Medienmagazin“ Pro angekündigt:

„Christen müssen verstärkt Flagge zeigen, in Internetforen mitreden, ihren Glauben kommunizieren und in Datenbanken zu Themen wie etwa Abtreibung die Meinung von Christen einbringen“.[20]

Ob er das auch so umgesetzt hat, ist bisher unbekannt. Sein erster Beitrag zur Wikipedia sah 2005 allerdings so aus. Seit dem 1. Februar hat das Wiki-Watch-Team seine Fähigkeiten in Krisenmanagement-PR in eigener Sache noch nicht unter Beweis gestellt.

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13 Antworten zu “Wiki-Watch – Wächter über Wikipedia?

  1. Pingback: Uwe Brinkmann rettet sein Amt, Chatzimarkakis sogar seinen Doktor, oder nicht? | Erbloggtes

  2. Itwasnotme

    Zu Dr. Silvia Mazura: die Partei war die CDU – und sie arbeitete in der CDU-Bundesgeschäftsstelle (Beleg: http://www.kas.de/upload/ACDP/CDU/Protokolle_Parteitage/1998-05-18+19_Protokoll_10.Parteitag_Bremen.pdf).

  3. Itwasnotme

    Zu Bahador Saberi: über die Beziehung von Saberi zu Prof. Stock und eine gemeinsame Beziehung zu einem „evangelikalem Umfeld“ gibt folgender Bericht von Saberi Auskunft: http://www.christliche-kita.de/index.php?option=com_content&view=article&id=29&Itemid=20

  4. Was ist mit dem siebten im Bunde, Thomas Hofmann, dessen Name nach Veröffentlichung des CU-Ergebnisses ganz urplötzlich aus dem Wiki-Watch-Blogeintrag verschwandt?

  5. Ah, okay. Der Beitrag ist schon etwas älter. Sorry.

  6. Macht doch nichts. Ergänzungen sind immer gut, und wenn nur in Frageform.

  7. Zu Thomas Hofmann: näheres findet sich unter Florian Thomas Hofmann, Rechtsanwalt aus Neuruppin. Er hat mal eine Domain angemeldet http://domains-all.de/domain/marflo-de-id-3832360, wo als Keywords u.a. Menschenwürde, Demokratie, Jesus Christus, Bibel, SMD auftauchen. Bewegt sich also im ähnlichen Umfeld, wie man auch hier sieht http://www.medrum.de/?q=content/solidaritaet-mit-manhattan-unterzeichnern.

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  10. Pingback: Wie es mit Wiki-Watch weitergeht | Erbloggtes

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  13. Der Nachfolger von FTH ist bestimmt https://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:Paul_Peplow Gerade wieder sehr in seinem Element.

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