Vom Löschen der Archive

Er zürnte solchen Verleger-Lobbyisten, die offenbar der Meinung waren:

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf nichts anderes machen als Fernsehen und Radio. Das Internet ist ein Markt, den wir für uns haben wollen. Da dürfen öffentlich-rechtliche Anbieter nicht rein, sonst wird das ja nie was mit den kostenpflichtigen Online-Medien.

Die eigentliche Frage aber war, wie und warum der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (12. RÄndStV) von den Bundesländern so beschlossen werden konnte. Neben dem 12. RÄndStV selbst sollte dazu seine mitgelieferte Begründung aufschlussreich sein. Darin heißt es neben vielem anderen:

„Nicht anders als bisher für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramme gefordert, müssen sich auch die öffentlich-rechtlichen Telemedien auf der Grundlage ihres staatsvertraglichen Auftrags von kommerziellen Angeboten unterscheiden, die nicht nur von privaten Rundfunkveranstaltern, sondern auch einer Vielzahl weiterer Marktakteure über das Internet zur Verfügung gestellt werden.“[1]

Unterschied und Teilhabegarantie

Alle ARD-Mitglieder bieten eigene journalistisch-redaktionelle Inhalte an. Doch wie lange noch?

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Das heißt, öffentlich-rechtliche Online-Angebote („Telemedien“) müssen sich von kommerziellen Angeboten unterscheiden. Das tun sie gemäß der weiteren Ausführungen, wenn sie „journalistisch-redaktionell“ erstellt werden, also öffentliche Relevanz aufweisen und einen Beitrag zur Meinungsbildung darstellen, und wenn es sich nicht um „zufällige Ansammlungen (unredigierte Chats, Messergebnisse), nicht bearbeitete Wiedergaben (Web-Kamera, Foto-Galerie) oder nicht gewichtete Inhalte (aufgelistete Agenturmeldungen)“ handelt. (Mit solchen billig zu erstellenden Online-Angeboten wollen die „Vielzahl weiterer Marktakteure“ ja im Internet Geld verdienen.) Ein weiteres wichtiges Kriterium ist, dass das öffentlich-rechtliche Internetangebot kostenfrei zugänglich ist, da es „sich von kommerziellen Angeboten dadurch inhaltlich eindeutig abgrenzt, dass es allen Bevölkerungsgruppen die Teilhabe an der Informationsgesellschaft ermöglicht, Orientierungshilfe bietet und die technische und inhaltliche Medienkompetenz aller Generationen und von Minderheiten fördert.“[1]

Erscheint es doch sehr sinnvoll, solche Regelungen zu treffen, um die Teilhabe aller an der Informationsgesellschaft zu ermöglichen und gleichzeitig die öffentlich-rechtlichen Anstalten davon abzuhalten, sich selbst zu Unternehmen zu entwickeln, die aus minimalem Aufwand maximalen Profit erwirtschaften wollen. Man nennt das Auftrag. Jedoch scheint es für den 12. RÄndStV nicht zum öffentlich-rechtlichen Auftrag zu gehören, einmal angebotene Informationen länger zum Abruf bereit zu halten, als der Empfänger sie sich ohnehin merken konnte. Heißt es doch in § 11d des 12. RÄndStV:

„Der Auftrag […] umfasst das Angebot von […] Sendungen ihrer Programme auf Abruf bis zu sieben Tage nach deren Ausstrahlung, Sendungen auf Abruf von Großereignissen […] sowie von Spielen der 1. und 2. Fußball-Bundesliga bis zu 24 Stunden danach“.[2]

Fußballspiele für 24 Stunden aktuell

Eine Begründung für diese 7-Tage-Regelung liefert das zugehörige Begründungsdokument jedoch nicht. Lediglich die 24-Stunden-Regel für Fußballspiele (man beachte die Bedeutung des Fußballs für das deutsche Rechtssystem!) wird mit einer Begründung gewürdigt, wonach „in diesen Fällen bei zeitlich längerer Abrufmöglichkeit höhere Kosten für den Erwerb von zusätzlichen Rechten zu erwarten sind. Dies soll im Interesse der Rundfunkgebührenzahler vermieden werden.“[1] Es fällt auf, dass hier die grundgesetzlich und höchstrichterlich garantierte Unabhängigkeit der Programmgestaltung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten per Staatsvertrag aufgehoben wird. Denn eigentlich müssten die Anstalten selbst entscheiden können, ob sie höhere Kosten für den Erwerb von zusätzlichen Fußball-Rechten aufwenden wollen. Gemäß ihrer Vorschriften dürften sie das auch nur tun, wenn „es allen Bevölkerungsgruppen die Teilhabe an der Informationsgesellschaft ermöglicht, Orientierungshilfe bietet und die technische und inhaltliche Medienkompetenz aller Generationen und von Minderheiten fördert“[1] (ach so, hatten wir ja schon).

Aber Hauptsache, man hat es im Staatsvertrag festgelegt, dass das auf die 1. und 2. Fußball-Bundesliga nicht zutrifft! Diesen 7-Tage-Online-Auftrag als zentralen Punkt des 12. RÄndStV anzuerkennen, fällt leicht, wenn man berücksichtigt, dass dieselbe Beschränkung auch für sogenannte „sendungsbezogene Telemedien“ gilt, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bereits zuvor garantiert worden waren, und „nichtsendungsbezogene presseähnliche Angebote“ den Öffentlich-Rechtlichen ohnehin verboten sind.[2] Ausgenommen von der 7-Tage-Regel sind nur die zeit- und kulturgeschichtlichen Online-Inhalte, deren unbefristete „Zurverfügungstellung in Form von Telemedien den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht.“[1]

Er dachte schon, es gäbe einfach gar keine Begründung, warum es den „demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft“ nicht entspricht, die Nachrichten, Ratgeber, Hintergrundreportagen und Unterhaltungsangebote von vor zwei, vier, acht, 52 oder 1040 Wochen online verfügbar zu halten.

Endspiel im Drei-Stufen-Test

Aber da kam ihm der sogenannte „Drei-Stufen-Test“ in den Blick: Die ARD erklärt ganz gut, „Was zum Dreistufentest zu wissen ist“ (nur wer weiß, wie lange diese Erklärung online stehen darf). Besonders interessant ist dabei die dritte Stufe, die Auskunft darüber verlangt, „welcher finanzielle Aufwand für das Angebot erforderlich ist“.[2] Das ist ja schön und gut, und es dürfte auch die Forderungen des europäischen Wettbewerbsrechts (Beihilferecht) erfüllen, wenn man genau sagt, wofür eine Organisation vom Staat mit welcher Summe alimentiert wird. Doch darin steckt keine Begründung dafür, warum es nicht erlaubt sein soll, teuer bezahlte normale öffentlich-rechtliche Programmproduktionen länger als eine Woche im Internet abrufbar zu erhalten. Vielleicht weil die Archivierung zu teuer wäre? Wohl kaum.

Den vorerst letzten „Versuch, das Endspiel zu verstehen“, startete er mit Gruß an Adornos Analyse des absurden Theaters ganz am Anfang des 12. RÄndStV, wo die (neue) Definition von Rundfunk steht:

„Rundfunk ist ein linearer Informations- und Kommunikationsdienst; er ist die für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen.“[2]

Neu daran ist, dass Rundfunk zum zeitgleichen Empfang bestimmt sei. Nach dem Willen ihrer Väter war diese Formulierung natürlich so zu erläutern, dass ein zeitgleicher Empfang auch eine Übertragung wäre, „die allein aus technischen Gründen kurzen zeitlichen Verzögerungen unterliegt“,[1] also ungefähr 7 Tage kurzen zeitlichen Verzögerungen, bei Fußballspielen natürlich höchstens Verzögerungen von 24 Stunden.

Cui bono?

ARD und ZDF löschen sich selbst

ARD und ZDF löschen sich selbst. Das heißt jetzt Depublizieren.

Erklärte sich der Autor bisher das Fehlen einer Begründung für die wahnwitzige Archiv-Lösch-Orgie nach dem 12. RÄndStV mit der Verwirrung seiner Macher, immerhin komplizierter Gremien, die von zahlreichen Lobbyvereinigungen bearbeitet werden, so deckte die Erläuterung zu diesem Detail den eigentlichen Grund auf:

„Die Einfügung des Kriteriums ‚zum zeitgleichen Empfang‘ grenzt Rundfunkangebote von Abrufangeboten ab.“[1]

Er fragte sich kurz, warum denn eine solche Abgrenzung relevant sein könnte, bis ihm klar wurde, dass es das hauptsächliche Kriterium von Abrufangeboten ist, dass eine Nachfrage für sie bestehen muss. Und bei einer bestehenden Nachfrage sind die Nachfrager dann vielleicht auch bereit, für den angebotenen Abruf Geld zu zahlen. Wer an dieses Geld will, musste also die Öffentlich-Rechtlichen an der Erfüllung ihres eigentlichen Auftrags, der garantierten Grundversorgung aller Bevölkerungsteile mit Informationen, Bildung, ausgeglichener Meinung und Unterhaltung hindern.

Das ist der Lobby der Interessenten gelungen. Ein weiterer Schlag gegen die allgemeine Teilhabe an der umfassenden Medienwelt ist die neu eingeführte Verpflichtung der Rundfunkanstalten, vor der Entwicklung neuer Programmangebote einen Drei-Stufen-Test durchzuführen und in diesem Verfahren insbesondere Lobbyisten zu Wort kommen zu lassen. Deren Bedenken (und ihre als Geschäftsgeheimnisse zu wahrenden Angaben gegenüber Gutachtern) über die Marktauswirkungen des geplanten Programmes müssen dann gewürdigt werden, was bedeuten könnte, dass von öffentlich-rechtlichem Rundfunk künftig keinerlei Innovation mehr ausgeht – außer sie ist Privatanbietern zu teuer oder zu riskant.

Er dachte schon kurz an die Konsequenzen dieser Entwicklung in kulturphilosophischer Perspektive, beschloss aber bald, dass es um die deutsche Medienlandschaft ohnehin bereits geschehen war, und entschied sich, lieber rasch ins Bett zu gehen, um an einem anderen Tag das hilflose Jammern erneut anzustimmen.

via [1]

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5 Antworten zu “Vom Löschen der Archive

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