Guttenberg Roadkill

Erzürnte Studiosi aller Art empören sich über den Verteidigungsminister (Erbloggtes von gestern). Ein buntes Bild entsteht, zu vielfältig, um es in einem Text zu synthetisieren. Daher hier einige Aspekte als Liste in 10 Punkten:

  1. Unumstrittener Spitzenreiter der Betitelung der Guttenberg-Plagiats-Affäre ist „Guttenberg Roadkill“. Hier ist sogar glaubwürdig, dass taz, gonzosophie und sprachlog (empfehlenswert) nicht alle voneinander abgeschrieben haben (auch nicht von einer gemeinsamen Quelle), sondern dass sie selbständig (oder aus verschiedenen Quellen) auf diese Formulierung gekommen sind. Erbloggtes hat von ihnen allen abgeschrieben, und ist auch noch stolz darauf. Der Teufel scheißt bekanntlich auf den größten Haufen.
  2. Hadmut Danisch hat vor über einem Jahr die Dissertation von Kristina Schröder, geborene Köhler, untersucht, die vom prominenten Parteienforscher Jürgen Falter betreut wurde. Danisch berichtet aus seinem Erfahrungsschatz: „Ich habe den starken Eindruck, daß die CDU ganz massiv die Wissenschaft zugunsten der Wirtschaft und des Neoliberalismus zersetzt. Verblüffend oft komme ich bei der Untersuchung von Unregelmäßigkeiten am Ende bei der CDU heraus.“ Ein Blick in die Vergangenheit verknüpft instruktiv zahlreiche irritierende Sachverhalte, bis hin zu Guttenberg: „Denn dazu muß man wissen, daß der Doktor im deutschsprachigen Raum historisch schon fast immer ein reiner Handelsgegenstand und ein käuflicher Ersatz für den sonst nur durch Geburt zu erwerbenden Adelstitel war. Deshalb wird er hier auch (fälschlich) als Titel hingestellt und großspurig im Namen getragen, und deshalb brauchte man die Habilitation, weil der Doktor wissenschaftlich wertlos war.“ Eine detaillierte Analyse von Schröders/Köhlers Arbeit kommt zu dem „Ergebnis, daß die gesamte Arbeit von Dritten erstellt wurde“, und „daß die Arbeit sogar nachweist, daß Köhler nicht befähigt ist und mit wissenschaftlicher Arbeit weit überfordert ist. Ich habe sogar den Eindruck gewonnen, daß sie gar nicht weiß, was wissenschaftliches Arbeiten überhaupt ist, beispielsweise wenn sie die wissenschaftliche Erklärung nicht von einem Werturteil unterscheiden kann.“
  3. Guttenberg kann sich Hoffnungen machen, nach seinem Rücktritt als Verteidigungsminister dann das Bundesministerium für Bildung und Forschung von Frau Schavan zu übernehmen. Denn in der Forschung hat er sich als ebenso kompetent und erfahren erwiesen wie in der Wirtschaft. Das zeigte in seiner Zeit als Wirtschaftsminister bereits Zapp:
  4. Und vielleicht bleibt ihm ja auch der „Dr.“ – zumindest Danisch sagt: „Wetten, daß sie Karl Theodor zu Guttenberg den Doktor nicht abnehmen?“[1] Legitimierbar wäre das jedoch aus heutiger Perspektive nicht. Vielmehr würde eine solche Entscheidung jede Art von Skepsis gegenüber dem Wissenschaftsbetrieb stützen.
  5. „Es gibt vergleichbare Fälle, die von den Verwaltungsgerichten entschieden worden sind, und die sind fast durchgängig mit der Entziehung des Doktorgrades ausgegangen“, sagte der juristische Plagiats-Experte Felix Hanschmann der Leipziger Volkszeitung.[2] Auch andere Experten sind dieser Ansicht.
  6. Die Zeit verweist auf eine alte Weisheit (Paul Laband, 1907): „“Die Verleihung eines Titels hebt den dadurch Ausgezeichneten bei Weitem nicht in dem Grade, wie ihn die Entziehung herabsetzt.“[3]
  7. Die Blogosphäre ist interessiert an dem Fall und beteiligt sich eifrig an weiteren Aufklärungen.[4][5][6] Das „GuttenPlag Wiki“ versucht sich in systematischem Crowdsourcing, und fördert Neues zutage (sogar tagesschau.de berichtet darüber). Von Habermas (in: Die Zeit, 2001) „zitierte“ Guttenberg einen Absatz, gab den Artikel (teilweise) als Quelle an, vergaß aber die Anführungszeichen.[7] Da könnte man mutmaßen, dass Guttenberg nicht wusste, dass man Inhalte (mit Quellenangabe) indirekt (ohne Anführungszeichen) zitieren darf, Formulierungen aber als direkte Zitate kenntlich machen muss. Es stellt sich auch die Frage: Warum „zitiert“ Guttenberg so viele online erhältliche publizistische Texte, und so wenige wissenschaftliche Literatur? Und warum kann man damit s.c.l. promovieren?
  8. Machen wir uns nichts vor: Nicht nur Crowdsourcing, auch die ursprüngliche Enthüllung, war angeregt davon, dass Guttenberg jedem Intellektuellen als Blender erscheinen muss. Als Fischer-Lescano die Dissertation las, muss ihn das Glitzern im Sonnenlicht bereits gequält haben. Es ist doch sehr motivierend, solcher inneren Qual entgegentreten zu können, indem man die Glitzerschicht abreißt. Solche Motive (die zum Suchen weiterer Plagiate „bewegen“) sind aber irrelevant für die Beurteilung, wie schwerwiegend der wissenschaftliche Betrugsfall ist.
  9. Das ekelhafte Blendertum ist zudem ein stilistisches Merkmal, mit dem sich vermutlich die von Guttenberg selbst verfassten Teile seiner Dissertation von anderen Teilen unterscheiden lassen. Die geklauten Texte wirkten ja zuweilen als hochgestochen-elaborierte, ins Unverständliche reichende Fachsprache. Das Vorwort hingegen, das der Verlag online gestellt hat, wirkt ganz anders. Es trieft vor Pathos, Pomade und altertümelnden Stilblüten. Selbstgefälligkeit und Schleimspuren, verbunden mit der Unfähigkeit, inhaltlich sinnvolle Sätze zu bilden, demonstrieren den eigenen Stil Guttenbergs. Daher die These: Wo dieser endet, endet auch seine Eigenleistung an der Doktorarbeit. Doch auch wenn ein Ghostwriter für Guttenbergs Dissertation – und ihren Plagiarismus – verantwortlich ist, wie vielfach gemutmaßt wird (es gibt sie, die Ghostdoktoranden), darf man gespannt sein, wie der Minister das zu seinem Vorteil nutzen will. Vielleicht erklärt er das zur Normalität und sagt, Mitarbeiter von Bundestags-Abgeordneten oder Parteien hätten auch schon andere Doktorarbeiten (Kristina Schröder?) geschrieben.
  10. Warum Stilbruch und Plagiat nicht früher entdeckt wurden? Viele Leser vor Fischer-Lescano waren nicht leidensfähig genug, um über das Vorwort hinaus zu kommen: Im März 2009 demonstrierte Alexander Camann in seiner Rezension für die FAZ, wie grauenvoll das Vorwort sich ausmachte, das für „eine künftige vergleichende Studie über Danksagungen und Vorworte“ tauge. Er empfahl schon damals: „Das Volk sollte den Kairos nicht verpassen und sich an die Lektüre der Dissertation seines Ministers machen.“ Doch selbst gelang ihm dies offenbar nicht – was auch daran liegen könnte, dass der Verlag nur das Vorwort kostenlos online stellte, für den Rest einen verwegenen Preis verlangte. Gleichermaßen irritiert vom Vorwort war ein Jahr später der Kommentator von Kultiversum, der offen gestand: „Über das Vorwort kam ich nicht hinaus.“ Auch anderen ist das Vorwort aufgefallen.

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12 Antworten zu “Guttenberg Roadkill

  1. Was für ein Aufstand über die Arbeit von Guttenberg. Kopiert oder nicht, was solls. Was mich an der Geschichte am Meisten aufregt ist, dass darüber mehr Aufstand gemacht wird und ein größeres Echo in den Medien findet, als die armen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan.

  2. Die armen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan ändern nichts an dem sich immer stärker erhärtenden Verdacht, daß der Verfasserer sich fremder Hilfe bedient hat.

    http://de.guttenplag.wikia.com/wiki/Ghostwriter

    Beamte in Bundesminiserien haben auf Gehieß ihres Vorgesetzten gerne jungen und verdienten Nachwuchspolitikern etwa bei Hausarbeiten für die erste juristische Staasprüfung geholfen – so funktioniert eben unsere liebe Parteiendemokratie.

  3. Bildblog hat mal geschaut, wer denn da hinter Guttenberg steht: Es ist der Mob, der sich sonst nie zu schade ist, intellektuellenfeindlich zu sein.

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