Wechselnde Medienaufmerksamkeit in 20 Fällen von Plagiatsverdacht

Erscheint es überraschend, dass nach der Guttenberg-Affäre im Februar 2011 die Medienaufmerksamkeit nur noch am 11. Mai einen neuen Höhepunkt erreichte, als Nachrichten zu Guttenberg und anderen Plagiatsfällen an einem denkwürdigen Tag zusammenfielen? Bereits zu diesem Zeitpunkt zeigte sich der Ausnahmestatus Guttenbergs, des polarisierenden Polit-Popstars, der die gesamte Medienöffentlichkeit der Republik – für oder gegen sich – mobilisieren konnte.

Sattes Publikum, müde Journalisten?

Inzwischen sind weitere plagiatsverdächtige Politiker-Promotionen öffentlich geworden. Ihre Bekanntheit hält sich jedoch in engen Grenzen. Es gebe kaum Aufmerksamkeit der Medien im Fall Bijan Djir-Sarai, klagt Guttengate.de und präsentiert einige Theorien, woran das liegen könnte. Die dort favorisierte Erklärung lautet, „dass das Interesse an den Plagiatsfällen gesunken ist […] die Bürger satt [sind] und […] genug von den Plagiatsaffären“ haben.[1]

Dass nach dem 11. Mai keine Steigerung der Sensationalität mehr zu erreichen war, mag richtig sein. Andere Erklärungen für die – überraschend – geringe Medienpräsenz müssen jedoch ebenfalls in Betracht gezogen werden: Eine lautet, dass Djir-Sarai einfach nicht prominent genug ist. Ein plagiierender Bundestags-Hinterbänkler ist etwas anderes als ein Minister, ein Parteipräsidiumsmitglied oder ein Talk-Shows-Polarisierer.

Der Fall Matthias Pröfrock hat im April ebenfalls relativ wenig Aufsehen erregt. Auch Veronika Saß ist eher als Namensgeberin von VroniPlag bekannt geworden als durch die Plagiate in ihrer Dissertation. Und Andreas Kasper – kann sich an den CDU-Plagiator vom vorigen Jahr noch jemand erinnern?[2] Die Schlussfolgerung aus diesen Umständen lautet, dass sich die „Plagiatejäger“ für die Plagiatoren ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit und Prominenz interessieren, die Massenmedien andererseits jedoch plagiierende Politiker nur dann für berichtenswert halten, wenn deren Promi-Faktor hoch genug ist.

Die Journalisten sind demnach eigentlich diejenigen, die sich nicht für die Qualität wissenschaftlicher Arbeiten interessieren, sondern vor allem für den Bekanntheitsgrad des Plagiators: Etablierte Medien reagierten zögerlich, nahmen eher die Rolle eines Gatekeepers zwischen Plagiatsjägern – vorwiegend VroniPlag – und Öffentlichkeit ein: Die FAZ entschloss sich am 28. Mai, dass der Plagiatsverdacht Djir-Sarai manifest genug sei[3] – doch aus irgendwelchen Gründen setzten die meisten anderen Medien nicht mit eigenen Recherchen nach. Aber Djir-Sarais Plagiat dürfte in seinem Heimatwahlkreis recht allgemein bekannt sein, denn die Neuß-Grevenbroicher Zeitung (ngz-online.de) informierte ihre Leser – Djir-Sarais Wähler – in mindestens sechs Artikeln seit Ende Mai über den Fall.

Sachfragen jenseits der Personalisierung

Und Uwe Brinkmann? Google News kennt nach einer Randbemerkung bei Telepolis nur einen taz-Artikel über den „Plagiatsfall nun auch bei der SPD“. Dabei handelt es sich um einen Fall, der massive Schwächen in der Dissertation offengelegt hat und für mehrere seit Guttenberg heiß diskutierte Fragen von Belang ist:

  1. Sind Plagiatoren nur rechte, bürgerliche Politiker, „smarte[…] Karrieristen […], die es mit den bürgerlichen Tugenden nicht allzu genau nehmen“?[4]
  2. Welche Rolle spielen Doktortitel in der Karriere von Berufspolitikern?[5]
  3. Welchen Anteil haben die Professoren, die Prüfer, an dem erschreckenden Niveau, das die Doktoranden – ganz abgesehen vom Betrug – an den Tag legen?[6]

Es scheint, als ob die Presse, die sich in der Guttenberg-Affäre empört an die Spitze der Verteidiger des Wertes der deutschen Promotion gesetzt hat, nun die Gelegenheiten versäumt, genauer zu analysieren als bisher, welche Ursachen zu Plagiaten führen und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Das sind zweifellos komplexe Themen, die für einen Teil des Publikums – selbst der FAZ – weder interessant noch vermittelbar sind. Sachliche Analysen sind schwieriger zu verkaufen als emotionalisierende Personaldebatten.

Andere Gründe für wenig Berichterstattung

Einfluss auf die geringe Medienpräsenz dürfte aber auch haben, dass die neueren Verdächtigen – zumal nicht in so exponierter Position wie Gutenberg – eine sehr restriktive PR-Linie verfolgen. Sie machen nicht den Fehler, immer wieder inhaltliche – und völlig unglaubwürdige – Statements abzugeben, sondern beschränken sich auf den Verweis, die Universität untersuche den Sachverhalt. Die Kein-Kommentar-Politik ist für die Medien unattraktiv. Sie befeuert die Skandale nicht weiter, und wenn andere Blätter nicht berichten, fühlt man sich sicherer, selbst auch nicht mitzumachen.

Mitmachen, dazu gehört auch der Pranger-Vorwurf, den erfahrene PR-Strategen gegen die Plagiatssuche erhoben haben. Damit haben sie weniger die Leute von Vroni- oder GuttenPlag erreicht, die sich selbst nicht als Pranger verstehen, eher als Ermittler. Aber die Massenmedien verstehen sich selbst auch sonst gerne als Pranger, so dass dieser Vorwurf bei ihnen auf fruchtbaren Boden fiel. Alles geht seinen Gang, Universität und Staatsanwaltschaft sind mit den Fällen befasst. Jede Berichterstattung wäre Vorverurteilung und Pranger zugleich, oder?

Solche Skrupel ist man von der deutschen Medienöffentlichkeit sonst nicht gewohnt. Schützen sie die Privatsphäre der Betroffenen in einem Bereich, der per se öffentlich ist? Oder glauben sie daran, dass Plagiatsverdächtigungen durch VroniPlag als politische Waffe instrumentalisierbar sind und wollen eine solche Entwicklung verhindern? Oder ist vielleicht doch etwas dran an der Theorie, dass die Journalisten ebenso wie das Publikum gelangweilt sind von „abstrusen“ wissenschaftlichen Detailfragen?

Listen von Plagiats(verdachts)fällen

Um nicht den Überblick zu verlieren, erscheint es sinnvoll, ein Listen der bisherigen Verdachtsfälle anzulegen. Dabei sind verschiedene Differenzierungen nötig. Zunächst die von den Plagiatswikis primär untersuchten Fälle samt Parteizugehörigkeit und Entdeckungsmonat:

Vor der „Erfindung“ der Plagiatswikis entdeckt wurden:

Zwar 2011 ins Gespräch, aber nicht so richtig in Schwung gekommen sind:

In Österreich ist alles anders. Plagiatssuche ist dort fast eine One-Man-Show von Stefan Weber, der auch das österreichische Plagiatswiki Initiative Transparente Wissenschaft Wiki betreut. Und irgendwie wirkt in Österreich alles bunter, nicht so ernst wie bei den Piefkes. Und bisher hat man, so der Eindruck, auch öfter mal ein Auge zugedrückt.

Insgesamt sind das 20 Fälle. Grund genug, Götz Alys Bitte an die Plagiatssucher zu wiederholen:

„Wenden Sie sich dem akademischen Tagesgeschäft zu, dem kleinen und großen geistigen Diebstahl. Es geht nicht hauptsächlich um Politiker, die sich einen Titel erschlichen haben, sondern um einen Sumpf, den die Oberfrösche im höchsteigenen Interesse zum Totalreservat erklärt haben.“[28]

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8 Antworten zu “Wechselnde Medienaufmerksamkeit in 20 Fällen von Plagiatsverdacht

  1. Erwähnenswert ist der soeben erschienene Tagesspiegel-Artikel Die Jäger des verlogenen Satzes von Torsten Hampel, der tief in die Niederungen der Plagiatssuche eingetaucht ist.

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  5. Der Knüller: An der Montanuniversität Leoben gibt es einen Lehrstuhl, der […]: http://de.antiplagaustria.wikia.com/wiki/Plagiatsfunde_in_der_Dissertation_von_XX,_Montanuniversit%C3%A4t_Leoben,_2009
    Diese Universität ist aber ohnehin längst […].
    http://de.wikipedia.org/wiki/Montanuniversit%C3%A4t_Leoben
    [z.Zt. schwer beweisbare Tatsachenbehauptungen entfernt von Erbloggtes]

  6. Vielen Dank für den Hinweis! Das sind ziemlich weitgehende Schlussfolgerungen aus einzelnen Indizien. Allerdings ist es nicht ganz abwegig, ähnliches wissenschaftliches Fehlverhalten bei „Wissenschaftlern“ zu erwarten, die in enger Verbindung zueinander stehen.

    Das ist ja eben die Gefahr bei plagiierenden Professoren: dass sie ihr Verhalten durch Vormachen verbreiten. Die Doktorväter der Plagiatoren mögen subjektiv unschuldig sein; objektiv sind sie mitverantwortlich – sonst müssten sie sich nicht so schämen.[1]

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