Plagiator Nummer 7: kein Abgeordneter, aber dicht dran

Er setzte sich wieder hin. VroniPlag begann am 4. Juni mit der Untersuchung einer weiteren Dissertation unter Plagiatsverdacht. Ein neuer Mitarbeiter präsentierte ein ganzes Dossier mit Stellen, die offenbar großzügig von den ersten Seiten einer Dissertation von 1986 in die ersten Seiten einer Dissertation von 2010 eingefügt worden waren.[1]

Aus ihrer Quelle, Thomas Roesers „Völkerrechtliche Aspekte des internationalen Handels mit konventionellen Waffen“ (erschienen bei Duncker & Humblot, Berlin 1988) hatte die neue Verdachtsdissertation nicht nur Text samt Fußnoten übernommen, sondern auch die darin befindlichen Rechtschreibfehler: Die „Zeiten des Peleponnesischen Krieges“ sind eigentlich „Zeiten des Peloponnesischen Krieges“ im 5. Jahrhundert vor Christus gewesen. Auf sie wollte offenbar der Doktorand der Universität Hamburg 2010 als erstes historisches Einzelereignis zur Geschichte des Waffenhandels ebenso verweisen wie seine Inspirationsquelle Mitte der 1980er.

Ein typisch-untypischer Plagiatsverdacht?

Die Zahl der Fundstellen wächst seither rasch an – gut vorstellbar, dass dieser Fall bei VroniPlag rascher die 10-Prozent-Marke erreicht als der genau nach elf Tagen gar gekochte Fall Djir-Sarai. Der neue Mitarbeiter, der fast im Alleingang die Dissertation auseinandernimmt, nennt sich „Ceterum censeo“. Er scheint es seinem Pseudonym gemäß auf die Zerstörung des plagiatorischen Karthago abgesehen zu haben, der großen Konkurrentin des ehrbar-wissenschaftlichen Rom. Hier sei nur ein Beispiel präsentiert, wie der Redakteur der Dissertation – Autor kann man ihn an dieser Stelle nicht nennen – mit einem Text der Europäischen Kommission von 2006 umgeht:

Text der EU-Kommission 2006, S. 5 (oben), Dissertation 2010, S. 93 (unten)

Text der EU-Kommission 2006, S. 5 (oben), Dissertation 2010, S. 93 (unten)

Die Eigenleistung bei der abschnittsweisen Kopie scheint darin zu bestehen „Rechtssache“ durch „Rs.“ und „Randnr.“ durch „Rn..“ abzukürzen. Die zwei Punkte bei „Rn..“ ließen sich so erklären, dass der Redakteur diese Ersetzung halbautomatisch durchgeführt hat, ohne zu beachten, dass am Ende von „Randnr.“ bereits ein Punkt steht.

Aber sicherlich hat der Doktorand einfach keine Zeit gehabt, die Familie, die Arbeit, die Politik haben zu viel seiner Zeit beansprucht, um auch noch eine Doktorarbeit schreiben zu können, die diese Bezeichnung verdient. Doch Halt! Der jüngste Plagiatsverdächtige ist doch gar kein Politiker, zumindest kein Abgeordneter. Tatsächlich kann man ihn ohne weiteres als Politikberater bezeichnen. Während seiner Zeit als Doktorand war er Referent und Büroleiter mehrerer Mitglieder des Bundestages. Welche Parteien ihn von der Arbeit an seiner Dissertation abgehalten haben, schreibt er in seinem Xing-Profil leider nicht.

SPD-Connections – endlich ein Linker?

Heute ist der von VroniPlag als „Ub“ untersuchte Jurist Oberregierungsrat und Dozent für Rüstung und Recht an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Das zweite Quartal 2011 verbringt er allerdings in Baltimore am American Institute for Contemporary German Studies der Johns Hopkins University.[2] Vor zwei Wochen veröffentlichte er dort einen Essay, in dem er das Menetekel selbst an die Wand malte:

„Guttenberg, who resigned March 1 in disgrace over revelations that he cheated to obtain a university degree.“[3]

Die Vermutung, dass der Berater zwischen Politik, Wirtschaft und Militär der SPD nahe steht, kann man durchaus äußern: Rund um die Hamburger Bürgerschaftswahl 2004 war er nach eigenen Angaben „Büroleiter und Persönlicher Referent des Spitzendkandidaten“, nämlich des damals deutlich unterlegenen SPD-Politikers Thomas Mirow. Dass die CDU bei dieser Wahl deshalb die absolute Mehrheit errang, weil der SPD-Berater vom „Spitzendkandidaten“ sprach oder zuviel Zeit in sein Dissertationsprojekt investierte, muss aber ins Reich des Gerüchts verwiesen werden.

Promotion trotz schwerer Mängel?

Dagegen muss sich Doktorvater Thomas Bruha, im Jahr der Dissertation 65 Jahre alt geworden, fragen lassen, warum die Einreichung eines solchen Textes wie dem zur „Harmonisierung des europäischen Rüstungsmarktes im Spannungfeld zwischen Artikel 296 EGV und 17 EUV“ bei ihm zur Verleihung des Dr. jur. führen kann. Denn ganz abgesehen von den sich vermutlich noch stark ausweitenden Plagiatsvorwürfen (von 30 Fragmenten am Morgen des 7. Juni) fehlt es dem 262-seitigen Machwerk an Grundlegendem, um wissenschaftlich akzeptabel zu sein:

  • Die Arbeit hat kein Literaturverzeichnis. Gibt’s das?
  • Woher soll der Leser wissen, worauf in Fußnote 6 („Kemp/Miller, S.15f.“) verwiesen wird? Ohne Literaturverzeichnis muss er dazu offenbar die Werke heranziehen, aus denen diese Kurzangaben kopiert wurden, und in denen sich vermutlich die vollständigen Literaturangaben finden; in diesem Fall die oben erwähnte Arbeit von Thomas Roeser.
  • Ein einheitliches Zitierschema liegt nicht vor. Manchmal sind nur Autorennamen, manchmal Kurztitel angegeben. Eindeutig identifizierbar ist das nie.
  • Auch Verzeichnisse, für Quellen, Abkürzungen, Siglen, Abbildungen oder Tabellen sucht man vergebens.
  • Wozu auch, wenn mancherlei Grafiken ohnehin keine Quellenangabe haben (S. 184), andere offenbar aus Zeitungen kopiert sind und ohne Zusammenhang zum Text der Arbeit bleiben (S. 158)?
  • Die Auswahl der verwendeten Literatur sei mit einem karthagischen Beispiel illustriert:

„Die Bedingungen des am Ende des zweiten Punischen Krieges zwischen dem siegreichen römischen Reich und Karthago im Jahre 201 v. Chr. geschlossenen Friedens sahen daher auch eine drastische Beschränkung der den Karthagern noch zugestandenen Bewaffnungen vor.“ (S. 4f.)

Diesen Satz soll Fußnote 7 belegen, die lautet: „Roth, Römische Geschichte, S. 182f.“ Wenn der Leser richtig rät, dann handelt es sich bei der Literatur, auf die sich der Promovend für diese Darstellung berufen wollte, um folgendes brandaktuelles Werk oder eine seiner späteren Bearbeitungen:

  • Karl Ludwig Roth: Römische Geschichte in ausführlicher Erzählung. Nürnberg 1844 (online).

Spricht das hinreichend für sich selbst?

Der ganzen Doktorarbeit vorangestellt ist ein bezeichnender Satz, als dessen Urheber Herbert Spencer genannt wird:

„Das große Ziel der Bildung ist nicht Wissen, sondern Handeln.“

Handeln scheint auch das Ziel der Promotion des neuesten als Plagiators Verdächtigten gewesen zu sein – Wissen war es jedenfalls nicht. Was Herbert Spencer am 9. November 1882 tatsächlich sagte, war dies:

„The primary use of knowledge is for such guidance of conduct under all circumstances as shall make living complete. All other uses of knowledge are secondary.“[4]

Frei übersetzt: Das erste Ziel des Wissens ist Bildung zum vollwertigen Leben. Uwe Brinkmann hat da wohl etwas verwechselt.

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18 Antworten zu “Plagiator Nummer 7: kein Abgeordneter, aber dicht dran

  1. Sehr guter Artikel, wirklich interessant. Habe die Dissertation gestern auch kurz überflogen und musste auch ein bisschen schmunzeln. Verpixelte, nicht wirklich lesbare Grafiken ohne Quellenangaben und Beschriftung.

    Dass die Arbeit kein Literaturverzeichnis hat ist mir gar nicht aufgefallen, aber das ist echt ein absoluter Skandal.

    Je mehr Dissertationen man überfliegt, je mehr stelle ich mir die frage, ob ich so eine Collage nicht einfach nebenbei auch erstellen soll, um dann einen Dr. Titel zu bekommen, denn das bekomme ich nebenbei auch noch hin, in dieser Qualität 😉

  2. Pingback: Öffentlichkeit und Informationskontrolle im Post-Papier-Zeitalter | Erbloggtes

  3. Es ist unglaublich. Diese Diss ist wirklich frech. Ich habe das Gefühl es wird immer schlimmer. Der Professor der so eine wirklich schlampige Arbeit akzeptiert hat, hat bestimmt noch mehr Dreck am Stecken. Es sollten wirklich alle Dissertationen die von Bruha akzeptiert worden sind überprüft werden. Es wird wirklich Zeit nicht nur den Möchtegern-Doktoren auf die Finger zu schauen, sondern die Professoren endlich in die Pflicht zu nehmen.

  4. Pingback: Schon wieder ein Plagiat: Uwe Brinkmann? | Guttengate - Plagiatsvorwürfe Doktorarbeit Guttenberg & Koch-Mehrin

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  6. Pingback: Aufgelesen und kommentiert 2011-06-07

  7. querdenker

    Treister geht schon fast nicht mehr… meine Fresse!

  8. sommerzeitlose

    Hoffentlich schaut sich auch mal Jemand die Doktorarbeit von Frau Dr. Angela Merkel an und prüft sie. Als Bundeskanzlerin hat sie ja schon von nichts Ahnung, dann wahrscheinlich auch nicht von Physik.

  9. Pingback: Für alle die in Hamburg promovieren… | KnackBockBlog

  10. Leider keinen Pingback sendete quirinus mit seinem erfahrungsgesättigten Bericht über das Berufspolitiker-Umfeld: „Willst du bei uns Referent werden?“ In: spielverderber.twoday.net, 9. Juni 2011.

    Er wollte nicht. Und es ist offenbar was aus ihm geworden: jemand, der selbst denkt.

  11. Pingback: Wechselnde Medienaufmerksamkeit in 20 Fällen von Plagiatsverdacht | Erbloggtes

  12. Pingback: Koch-Mehrin, ohne Doktor. Was denkt das Volk? Und wann geht es weiter? | Erbloggtes

  13. In der Legal Tribune Online analysiert Hermann Horstkotte den Fall Uwe Brinkmann, staunt über die ohne Literaturverzeichnis veröffentlichte Dissertation und recherchiert: „Leider lässt sich nicht feststellen, ob wenigstens der Original-Prüfschrift ein Schriftenverzeichnis beigefügt war – denn sie ist verschollen. Das Prüfungsamt hat sie dem Kandidaten nach dem Doktorexamen, aber vor der Veröffentlichung ausgeliehen, um Randbemerkungen der Prüfer womöglich noch einzuarbeiten.“ Dass es sich dabei um einen Skandal handelt, da die Doktorarbeit eine amtliche Urkunde darstellt, übergeht Horstkotte. Das Prüfexemplar sei inzwischen in den USA gelandet; aber an die Uni Hamburg ist es bisher nicht zurückgekehrt. Die Doktorarbeit hat es also offenbar Guttenberg gleichgetan und ist – auf unbestimmte Zeit – ausgewandert.
    Abschließend deutet Horstkotte an, dass es für Brinkmanns Doktortitel ein Glücksfall sein könnte, wenn dieser die Originaldissertation unterschlagen hätte. Dann nämlich könnte Brinkmann vor Gericht fein raus sein: „Ob allerdings ein Verdacht ohne die verschlampte Original-Prüfschrift ausreicht, scheint derzeit ebenso unklar wie die Frage, wer eigentlich in einem solchen Fall wofür die Darlegungs- und Beweislast zu tragen hat.“

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